Nördlich des Profitis Ilias, und oben

Am Sonntag hat der Wind nachgelassen, und die Himmel zeigt sich nahezu wolkenfrei. Außerplanmäßig ist die "Aiolos" heute aus Agios Efstratios gekommen, nachdem die Tour windbedingt mehrere Tage ausgefallen war. Sonntags bleibt sie eigentlich in Ai Strati. Eine Parallele zur Skopelits.

 

Wir fahren Richtung Norden aus Myrina hinaus, schauen uns die Küste bei Androni und Agios Ioannis an. Agios Ioannis scheint eine reine Strandsiedlung zu sein, entsprechend verlassen schaut es an nachsaisonalen Sonntagvormittag hier aus. Wir sind froh, dass wir unser Quartier im Myrina bezogen haben, mit den beengten Zimmerverhältnissen haben wir uns längst arrangiert.

 

Eine steile Straße führt uns nun in Inselinnere. Kaspakas durchfahren wir nur, erreichen wenig später die Hauptstraße von Myrina nach Agios Dimitrios, und biegen bei Kornós direkt wieder links ab. Aber unser Ziel ist nicht der Ort, sondern der Weg. Genauer: die asphaltierte Stichstraße, die von hier aus sieben oder acht Kilometer Richtung Kap Mourtzeflos führt. Zum Kap mit fotogenem Doppelstrand wollen wir zwar nicht - dreieinhalb Stunden zu Fuß für Hin- und Rückweg sind uns zu weit- aber in der Landkarte von Skai-Terrain ist die Straße als malerisch gekennzeichnet. Was ich absolut unterstreichen kann: eine wunderbare, sanfte Hügellandschaft von sandgrau abgeernteten Feldern und goldbraunen dunkelbuschige Partien mit wenigen solitäre Bäume. Außer Ziegen und Schafen wirkt alles unbelebt, aber die Gipfel von Vigla (mit 430 Meter die höchste Erhebung der Insel) und Raches im Norden sind mit Masten und Häusern besetzt: keine Orte, sondern Militärstützpunkte. Und nach einschlägiger Erfahrung von Samothraki achte ich bei meinen Fotostopps darauf, diese Anlagen nicht abzulichten. Was mir auch leidlich gelingt.

Nach einigen Kilometern erfolgt ein harter Schock: in einer Kehre liegt in einer Mulde eine große Mülldeponie. Der MM-Reiseführer Limnos von 2011 nennt sie eine der modernsten Einrichtung ihrer Art im Raum der Ägäis. Aber entweder ist die Ägäis kein Maßstab, oder die Anlage ist in den letzten zehn Jahren total heruntergekommen. Denn uns präsentiert sich eine weitläufiges und verlassenes Areal mit einigen Häuschen, in dessen Zäunen der Wind Plastiktüten in blau, weiß und hellrot hineintackert. Unter Kunst- und Fotos-Aspekten hat das durchaus seinen Reiz, unter umwelttechnischen weniger. Aber gut, heute ist Sonntag, da finden natürlich keine Arbeiten auf der Deponie statt. Und dass zahlreiche Tüten vom Zaun nicht eingefangen wurden, frei durch die Landschaft flattern und irgendwann im Meer landen werden - ein nur zu wohlbekanntes griechisches Prinzip.

 

Nach einer Kuppe endet die Straße plötzlich an einen Schild, das unmissverständlich darauf hinweist, dass hier militärisches Sperrgebiet beginnt. Hinter einem Zaun können wir militärische Gebäude erkennen. Nachdem Theo noch schnell aus dem Auto das Schild mit den vielsprachigen Warnhinweise fotografiert - unter anderem "Schmierfilmbildung verboten" - drehen wir unverzüglich um und steuern zurück gen Süden. Und werden auf halber Stecke von der Polizei abgefangen. Offenbar hat das Militär uns beobachtet und an die Polizei gemeldet, die extra von Myrina hergekommen ist, um unsere Fotoausbeute auf Verbotenes zu durchsuchen. Details schildere ich hier. Oder hat man uns getrackt, seit ich auf Samothraki auf die Verdächtigenliste geraten bin?

Mit Wut im Bauch setze ich die Fahrt fort. Über Kornos wollen wir nach Therma, und dann weiter auf den Profitis Ilias.

Auch Therma ist ein Negativbeispiel dafür, wie Geld sinnlos verpulvert wurde. Im Jahr 2010 hat man die Bäderanlage Therma Spa mit einem Café neu eröffnet, aber schon wenige Jahre wurde der Betrieb wieder eingestellt. Schade, einen Kafedaki hätte ich brauchen können.

 

Sehr gut frequentiert wird aber der kleine Pavillon mit mehreren Zapfstellen des warmen Heilwassers: er befindet sich in einer Art Kreisverkehr und so können Flaschen und Kanister auf kurzen Wegen befüllt werden. Scheint eine Sonntagspflicht zu sein.

 

Eine Gruppe Griechen belegt mit ihren Autos querparkend und mit offenen Autotüren die wenigen Parkplätze an der Seite und verschlechterte meine Laune. Als schließlich ein Pappas mit seinem Auto dazu stößt, fährt der Konvoi ab. Und zwar bergwärts, wo wir auch hin wollen. Die werden doch nicht auf den Profitis Ilias wollen? Ich meine, es sind schließlich Griechen, die gehen nicht zu Fuß.

Gehen sie doch. Wenn sie müssen.

Ich fahre mit dem Mietwagen die Schotterpiste so lange bergwärts, wie es sich mit dem Straßenzustand vereinbaren lässt. Als nach eineinhalb Kilometern ein Gatter die Piste versperrt, stelle ich das Auto rechts ab. Theo wird zu Fuß hinab nach Therma spazieren, und ich hinauf auf den Gipfel. Der ist mit 356 Metern nur mäßig hoch, zumal ich schon auf einer Höhe von 150 Metern bin.

 

Die Piste endet ein (steiles) Stück hinter dem Gatter, und hier stehen die Autos der griechischen Parea. Die Gruppe ist tatsächlich zu Fuß auf dem Weg zum Gipfel unterwegs, ich sehe sie vor mir. Ich beschließe, ihnen Vorsprung zu lassen und trödle etwas. Das fällt mir leicht, denn man hat von dieser erhöhten Position immer wieder sehr schöne Ausblicke: nach Süden über eine Hügellandschaft, einen Stausee, und die Bucht von Moudros, im Norden ist Agios Dimitris zu erkennen und dahinter die wellige Erhebungen bei Sardes und Dafni. Leicht hebt sich der Umrisse von Samothraki vom Himmel ab. Die Gipfelkapelle des Profitis Ilias sieht man aber noch nicht, die versteckt sich hinter einem Felsengrat.

 

Inzwischen ist die Piste in einen Pfad übergegangen, der undeutlicher wird je weiter es hinaufgeht. Er führt zunächst sanft ansteigend weiter unten südlich um den Berg herum, und dann nach einem Knick gen Norden über felsiges Gelände nach Norden. Weiße Markierungen erleichtern die Wegfindung.

Nach 45 Minuten in sehr gemütlichem Tempo mit diversen Pausen erreiche ich eine gepflasterte Plattform, an der zwei Steinhütten liegen. Von dort führt eine Treppe hinauf zur Kapelle auf dem Gipfelfelsen, der Rest einer griechischen Flagge versucht, im Wind zu wehen.

Die griechische Parea hat sich dort schon verteilt und bereitet in der Kapelle einen Gottesdienst vor. Das Läuten der Glocke hatte ich vorhin schon gehört. Daher also der Pappas und überhaupt die Notwendigkeit zum Gipfelsturm. Da möchte ich nicht stören und verzichte auf den Kapellenbesuch.

Sowieso ist die Aussicht für mich das Ziel. Im Norden hinter Kornos das militärische Land, in dem man nicht fotografieren darf, im Südwesten die Kegel des Kakavos. Und im Osten wird es flach, hier versperrt keine Erhebung mehr den freien Blick, unter anderem auf die Piste des Flughafens. Wenn ich jetzt hier eine kleine Drohne starten lassen würde ... ist aber natürlich verboten, auf der ganzen Insel, schon wegen der Nähe zum Flughafen. Dazu das Militär.

Der Gottesdienst hat inzwischen begonnen. Für wen er wohl ist? Ein kleiner Junge langweilt sich, sitzt lieber draußen. Ich schicke die obligatorische SMS nach Köln und mache mich nach einer halben Stunde Aufenthalt wieder an den Abstieg.

Bergab bin ich für die Markierungen dankbarer als hinauf, die Wegführung wäre von oben weniger deutlich.

 

Zügig bin ich nach einer halben Stunde wieder beim Auto, und sammle Theo in Therma ein. An der Thermalwassertankstelle ist noch mehr los als vorhin. Ein alter Mann weist mich auf eine Inschrift am Brunnen hin. Sie ist von 1908 und zweisprachig: Griechisch und eine Schnörkelschrift, die ich für Arabisch gehalten hätte. Das sei Türkisch, sagt er, und hätte sich die Sprache seit damals nicht sehr gewandelt? Die Sprache sicher, aber erst recht die Schrift.

Es ist zwei Uhr vorbei, und ich habe allmählich Hunger. Mehrfach empfohlen wird die Taverne "Man-tella" in Sardes, das nicht weit von hier entfernt liegt. Den ungewöhnlichen Namen soll sie nach Nelson Mandela haben - der Wirt hat Jahre in Afrika gelebt und wurde nach der Rückkehr von den Landsleuten Μαντέλλα genannt. Als zweite Bedeutung wird das deutsche Mann-Teller angeführt, also der Teller des Mannes. Klingt nach großen Portionen ...

 

Leider können wir den Wirt nicht danach fragen, denn die Taverne hat geschlossen. Am Sonntagmittag! Theo macht ein langes Gesicht, und ich sinne nach einem Plan B, wohl wissend, dass Theos Stimmungslage und (gutes) Essen einhergehen. Da kommt ein griechisches Paar um die Ecke. Der Mann sieht unsere Ratlosigkeit, fragt nach unserem Problem und verweist auf eine zweite Taverne im Ort: "I palia mas Geitonia". Der Mittagstisch und die Stimmung sind gerettet. Das Lokal liegt fußläufig nur ein paar Schritte entfernt, aber das sehen wir erst, als wir mit dem Auto einmal um den Ort herumgefahren sind. Wir bekommen den letzten Sonnenplatz und ordern Katsiki und Lamm in rotes Sauce, jeweils mit den lokalen Nudeln namens "Flomaria". Vorab Oktopus mit Oliven und Kapern, nicht ahnend, dass die Portionen so üppig sind, dass wir auf die Vorspeise getrost hätten verzichten können. Zwei dicke Stücke Zicklein bekomme ich, das gut vom Knochen geht und ausgezeichnet schmeckt. Die Sauce ist etwas langweilig, die Pasta ein Berg. So erliege ich der Größe der Portion, füttere zaghaft ein Kätzlein, dass um den Tisch streicht. Theo guckt missbilligend - Tiere vom Tisch füttern findet grundsätzlich nicht seine Zustimmung. Natürlich ruft das Füttern prompt weitere Katzen auf den Plan, und dann kommen auch noch junge Hühner. Alles sehr ländlich hier.

Der Zustrom der Gäste hält an, Tische und Stühle werden hergetragen. 28 Euro beträgt die Rechnung. Faire Preise sind das hier.

 

Es ist vier Uhr vorbei, als wir Richtung Küste aufbrechen. Dummerweise leuchtet nun das Tanksignal, und weil wir weder wissen, wie weit es zur "kleinen Sahara von Limnos" noch wie groß der Tank unseres Suzuki ist, fahren wir erst mal zurück zur Hauptstraße Agios Dimitrios - Myrina, an der sich gleich eine ganze Reihe von Tankstellen befindet. Zwanzig Liter für 40 Euro - nicht wirklich preiswert, das Tanken hier. Aber es gibt einen Beleg, ungefragt.

So betankt geht es dann wieder zurück nach Sardes und weiter nach Dafni, einem Dorf mit enger und verwirrender Ortsdurchfahrt. Weiter nach Katalakkos, einem malerisch in eine Mulde geschmiegten und von der Nachmittagssonne beleuchteten Weiler, den wir aber nur streifen. Die befestigte Straße endet hier, mal sehen, wie weit wir kommen.

Auf einer Holperpiste schlängeln wir uns talwärts nach Norden, zur Küste. Geht besser als gedacht. Schließlich erreichen wir die Küste, die hier aus weitläufigen Sanddünen besteht. Das ist also die "kleinen Sahara von Limnos". Oder noch etwas weiter landeinwärts.

Mich drängt es jetzt aber zum Meer. Oder besser: ins Meer. Ich hab ja immer noch nicht gebadet auf Limnos. Ich gehe entlang der Küste nach Norden, wo der Strand von Gomati liegt. Auf einer dekorativ von der Natur gemusterten Felsenklippe über mir entdecke ich einen Panzer, den ich mich nicht zu fotografieren traue. Ob da auch irgendwo Soldaten sind? Ich wollte eigentlich textilfrei baden. Also weiter am Strand entlang, wo noch ein paar verlassene Fragmente von der Badesaison - womöglich mit Kantina, Sonnenliegen und Badespaß - zeugen. Die ist definitiv beendet: alles verlassen. Ob in den weiter vorne stehen Wohnwagen noch jemand wohnt, kann ich aus der Ferne nicht feststellen. Vermutlich schon, es sind doch einige, die sich auf zwei Stellen verteilen. Ein Kap mit Kapelle beendet die Bucht, ein Felseninselchen setzt sie fort.

 

Von einer Bretterbude liegt eine Holzterrasse, auf der ich mich halbwegs komfortabel ausziehen kann, ohne mich überall mit Sand zu panieren. Dann schnell rein ins Meer, die Luft ist kühl. Aber das Meer ist hier so flach, dass es mir auch nach zwanzig Metern waten immer noch nur bis über die Knie reicht. Und kalt ist es! Ich kämpfe mich weiter, kann mich aber schließlich nicht überwinden, ganz einzutauchen, und breche den Badeversuch ab. Schon blöd: da hat man eigentlich eine perfekt Sandstrandinsel, aber irgendwie klappt das trotzdem nicht mit dem Schwimmen. Ich fand ja schon im Juni Sandstrände überbewertet. Erst recht, wenn man sich nach dem Baden halbtrocken wieder in die Klamotten und Wanderstiefel zwängen muss.

 

Also die Aufmerksamkeit nun auf die Sanddünen. Hier dominiert noch das Grün verblühter Strandlilien, aber näher beim Auto hat die Gegend tatsächlich einen Hauch Sahara und gibt ein paar hübsche Fotos ab. An einer Stelle ist der Boden mit perlengroßen Schneckenhäusern übersät, dann wieder hat der Wind grafische Linien in den Sand gezeichnet. Im späten Licht ergeben sich schöne Schattenspiele. Aber es erinnert auch daran, dass es schon fast sechs Uhr ist, und damit Zeit für die Rückfahrt. Die Tage sind schon kurz Anfang Oktober.

Vierzig Minuten später stellen wir das Auto am alten Fähranleger ab. Mit diversen Umwegen und der Tankfahrt sind doch wieder 112 Kilometer zusammengekommen.

 

Noch satt vom Mittag kehren wir am Abend ins "Metaxy mas" am alten Hafen ein. Eigentlich hätten wir nur Tsipouro mit Mezedes bestellen sollen, aber ich lasse mich von Humus und Oktopus verführen. Beides ist zudem nicht soo der Bringer.

Irgendwie ist der Tag heute nicht optimal gelaufen. Hoffen wir, dass es morgen besser wird.