Von Argostoli nach Sami

Es gibt ja Leute, die bezeichnen die griechische Adriaküste und vor allem die ionischen Inseln als die "falsche Seite Griechenlands". Dem habe ich mich gerne angeschlossen, denn zu unterschiedlich von der Ägäis präsentierten sich mir diese Inseln: zu feucht, zu grün und waldig, zu spürbar der britische und italienische Einfluss. Was ich auf den griechischen Inseln suchte, habe ich dort nie so recht gefunden. Was natürlich ein rein subjektiver Eindruck ist. Weil Kefalonia außerdem die sechstgrößte griechische Insel ist, und ich kleine Inseln vorziehe, hatte es diese Insel folglich nie auf die Liste meiner Wunschreiseziele geschafft.

Das änderte sich im Frühsommer 2022, als ich auf der Suche nach einem neuen Paddelrevier war und sich mir Kefalonia aufdrängt. Im September waren beim lokalen Anbieter noch Kapazitäten frei, Condor bot die passende Charterflüge ab Stuttgart, und so landete ich am Vormittag des 16. September auf Kefalonia.

Meinen Aufenthalt dort hatte ich in zwei Etappen geplant: zuerst eine Woche mit Mietwagen um die Insel zu erkunden, dann eine Woche ohne fahrbaren Untersatz in der Nähe des Kajak-Basis in Trapezaki bei Lourdata. Im Nachhinein muss ich sagen: Das hat ausgezeichnet gepasst.

 

Weniger passte, dass ich nach einer kleinen OP Mitte Juli im Sommer sechs Wochen Sportverbot hatte, und mich nur mäßig fit fühlte. Dazu kamen andauernde Schulterprobleme - frau wird halt älter. Mit einigen Wanderungen wollte ich versuchen, dieses Defizit wettzumachen ehe es ins Kajak ging. Allerdings ist der Busfahrplan auf Kefalonia nicht auf touristische Bedürfnisse ausgelegt, ohne fahrbaren Untersatz sieht man wenig von der großen Insel. Mitte August ergatterte ich noch einen Mitteklasse-Mietwagen für sechs Tage zum erschwinglichen Preis - 40 Euro am Tag! - bei Greekstones (sehr empfehlenswert!). Kleinere oder preiswertere Autos zu vergleichbaren Bedingungen waren nicht mehr zu bekommen. Der Wagen würde mir am zweiten Tag ins Hotel bei Argostoli gebracht.

Die erste Woche würde also bestimmt sein von Autofahrten. Nicht unbedingt meine Lieblingsreiseart, und erzähltechnisch eher langweilig. Zumal ich erneut versuchen möchte, meine Texte zu kürzen, aber ohne dass sie das Essenzielle verlieren. Schwierige Aufgabe. Ich hoffe, es klappt.

 

Nach schlafarmer Nacht - das volle Flugzeug startete in Stuttgart schon kurz vor halb sieben am Morgen und landete um halb zehn auf Kefalonia - nehme ich den öffentlichen Bus um halb elf vom Flughafen nach Argostoli. Auffällig, dass die Einheimischen darin Maske tragen, die an den folgenden Stopps an den Stränden in Flughafennähe zahlreich einsteigenden Touristen aber nicht. Griechenland hatte im Wettbewerb um die Touristen aus aller Welt schon Anfang Juli verkündet, dass man für infizierte Touristen andere Regeln gelten würden als für infizierte Einheimische: keine Quarantäne, kein Reiseverbot, nur Maskenpflicht. Und die internationalen Touristen waren urlaubshungrig diesem Aufruf gefolgt und hatten die klassischen griechischen Urlaubsdestinationen an den Rand ihrer Kapazitäten und darüber hinaus gebracht, gefolgt von vehement steigenden Preisen. Schließlich hatten auch Hoteliers, Strandliegenvermieter und Barbesitzer Nachholbedarf, von den steigenden Energiepreisen mal abgesehen. Die schönen Worte von weniger Touristen und mehr Nachhaltigkeit, die vor und während Corona gemacht worden waren? Längst vergessen. Nun gilt es, am Boom zu partizipieren.

Aber das ahne ich nur, als ich am Busbahnhof in Argostoli ankomme, der am südlichen Ende der endlosen Paralia liegt. Es ist sonnig und schwül-warm. Ich hole mein Frühstück in einem Café an der De-Bosset-Brücke nach und bestelle Orangensaft und Riganada, die kefalonische Dakos- oder Bruschetta-Variante. Kann leider nur mäßig überzeugen. Aber so gestärkt ziehe ich meinen Trolley entlang der palmengesäumen Paralia nordwärts und entdecke eine Menschenansammlung an der Uferpromende auf der Rückseite der Marktläden. Zwei riesige Meeresschildkröten schwimmen dort zwischen den vertäuten Booten und der Uferbefestigung, angefüttert mit Fischresten, die ein junger Mann gegen einen Euro Bezahlung im nahen Fischmarkt holt. Trotzdem schwer zu fotografieren, die unechten Karettschildkröten. Und irgendwie ernüchternd, diese kalkulierte Darbietung. Vergleichbares werde ich auf Kefalonia aber noch öfters empfingen.

Interessant, dass etwas weiter draußen zahlreiche Fische an der Meeresoberfläche nach Luft zu schnappen scheinen.

Es ist viel los an der Paralia. Ob das Kefalonia-Urlauber sind, oder die Gäste des weiter nördlich vor Anker liegenden Kreuzfahrtschiffes "Brilliance of the Seas" (2.110 Passagiere)? Das Cruise-Terminal befindet sich nördlich des Anlegers der Fähre nach Lixouri, die halbstündlich verkehrt. Lixouri, die zweitgrößte Stadt Kefalonias, liegt eine halbe Fährstunde entfernt auf der Paliki-Halbinsel im Inselwesten.

Inzwischen bin ich so durchgeschwitzt und froh, als ich endlich ein Taxi entdecke, das mich in mein Hotel bringt. Das "Galaxy Hotel" hatte ich für eine Nacht über Booking gebucht - direkte Anfragen über die Website blieben unbeantwortet. Bei Booking ist das Hotel aber an der falschen Stelle eingezeichnet, nämlich an der Ostküste der Argostoli-Halbinsel. Tatsächlich befindet es sich aber weit außerhalb im Nordwesten, nahe des Leuchtturmes Agii Theodori. Zu weit zu Fuß mit Gepäck. Der Taxifahrer fährt über den Hügel zur Westseite der Argostoli-Halbinsel und setzt mich am Hotel ab. Sechs Euro bezahle ich dafür.

 

Ich habe Glück, mein Zimmer ist schon fertig (Meine diesbezüglichen Anfragen waren unbeantwortet geblieben). Es ist einfachst eingerichtet, aber leidlich sauber, und die Klimaanlage funktioniert. Günstige 42 Euro bezahle ich inklusive Frühstück. Und die Rezeptionistin ist sehr freundlich, erst recht als ich auf Griechisch antworte. Angekommen. Jetzt brauche ich erst mal eine Pause.

 

Später bummle ich hinüber zum originellen Leuchtturm von Agii Theodori, der einem antiken Tempelchen gleicht. Das Original wurde 1829 erbaut, als Kefalonia unter britischem Protektorat stand, beim schweren Erdbeben 1953 wurde er zerstört und dann nachgebaut.

Der Blick reicht über die Bucht von Livadia hinüber nach Lixouri, und auf der anderen Seite über die Bucht von Argostoli zum windradbestückten Bergmassiv des Monolati (999 m). Sieht davor fast wie ein See aus. Kefalonia hat auf der Landkarte eine sehr interessante Gestalt: mit der Paliki-Halbinsel im Westen, den Buchten von Livadi und Argostoli und dem Sporn, auf dem die Inselhauptstadt liegt. Dazu der 1.628 Meter hohe Berg Aenos/Enos, und weitere Bergzüge in der Inselmitte. Und schließlich noch einige Naturphänomen, deren weltweite Einzigartigkeit aber wenig auffällig daher kommt.

Eines davon befindet sich nur fünfhundert Meter entfernt von meinem Hotel, und erschließt sich dem flüchtigen Besucher wenig: die Sickerlöcher von Katavóthres (was nicht anderes als Sinkgruben oder -löcher heißt) . Das Meerwasser fließt hier ein Stück ins Landesinnere und versickert dort. Noch erstaunlich ist aber, dass das Wasser 15 Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Insel, an der Ostküste bei Karavómilos, wieder zum Vorschein kommt, wie Experimente nachgewiesen haben. Etwa eine Woche braucht das Wasser dafür. Es gibt verschiedenen Erklärungsversuche für dieses einmalige geohydrologische Phänomen, die man hier nachlesen kann.

Um diese optisch eher unauffällige Tatsache der falschen Fließrichtung zu demonstrieren, hat man das Fließwasser kanalisiert und lässt es ein heute funktionsloses Wasserrad antreiben. Eine genutzte Mühle gab es dort schon seit 1835, aber das Erdbeben 1953 zerstörte sie und eine weitere. Und tatsächlich: das Wasser fließt (langsam) etwa fünfzig Meter in der "falschen" Richtung und versinkt in einigen tiefen Löchern in Ufernähe.

Die Sickerlöcher hat man ebenso wie den Kanal und das Wasserrad mit einem edelhübschen Club-Restaurant umbaut, das nur den Schönheitsfehler hat, dass es nachmittags noch nicht geöffnet ist: Es öffnet erst am Abend. Meine erste Bekanntschaft mit den besonderen Öffnungszeiten auf Kefalonia.

Am nahen Fanari-Strand herrscht aber reges Badeleben, und der Tatsache, dass die Überzahl der Badegäste im Wasser steht statt schwimmt, entnehme ich, dass es sich vor allem um Griechen handelt. Die nahe Taverne "Ta Didymakia" an der wenig befahrenen Uferstraße hat geöffnet und ich bekomme meinen ersten Urlaubsfrappé. Eine weitere Abkühlung dann am kleinen Strand der Kormoranos-Felsenbucht südlich meines Hotels. Wobei Abkühlung bei 27 Grad Wassertemperatur eine relatives Empfinden ist. Da ist das Wasser im Pool meines "Galaxy Hotel" fast kühler.

 

Gegen 18 Uhr mache ich mich dann zu Fuß auf nach Argostoli, immer der Küste entlang der Halbinsel, nach Osten und Süden. Das zieht sich, und ich bin froh, dass ein Stück durch den Wald führt, denn es ist immer noch sehr warm. Die "Brilliance of the Seas" hat gerade ihren Liegeplatz am langen Steg verlassen und wird von einem Schlepper aus der Bucht von Argostoli gezogen. Die halbstündig zwischen Argostoli und Lixouri verkehrenden Fähren kreuzen vor mir.

 

Ich bleibe auch in Argostoli vorne an der Paralia, bewundere erst das Denkmal für den seefahrenden Schriftsteller oder schriftstellernden Seemann Nikos Kavvadias (seine Familie lebte in Fiskardo, viele seiner Gedichte wurden vertont und sind so Allgemeingut geworden) , und dann die Übungen von Schwimmern mit Handpaddeln in einem abgetrennten Meeresbereich. Wasserballer?

Bis zur De-Bosset-Brücke (auch Drapano-Brücke), die die südliche Buchthälfte, die marschige Koutavos-Bucht, vom offenen Meer abtrennt, habe ich gut vier Kilometer zurückgelegt. Mit 689,90 Metern ist die 1813 erbaute De-Bosset-Brücke die längste Steinbrücke der Welt. Sie ist aber so niedrig, dass man sie eher als Damm denn als Brücke wahrnimmt, und nur noch für Fußgänger und Radfahrer geöffnet. Ich füge den vier Kilometern Fußweg noch 300 Meter bis zur Mitte der Bücke hinzu, wo sich eine Plattform mit einem Obelisk im Meer befindet. Er erinnert an das britische Protektorat Kefalonias von 1809/10 bzw. offiziell von 1815 bis 1864.

 

Die Sonne geht hinter der Argostoli-Halbinsel unter, als ich mich der Altstadt von Argostoli zuwenden. Diese wurde, wie fast alle Orte auf der Insel, beim schweren Erdbeben von 1953 stark zerstört und kann so mit wenig originaler Bausubstanz aufwarten. Eine gepflasterte Flaniermeile, "Lithostroto" genannt, zieht sich parallel zur Uferpromenade 500 Meter entlang hindurch, gesäumt mit eher touristischen Geschäften. Ich nehme mir vor, Argostoli in einem gesonderten Besuch zu erkunden, und widme mich nun der Restaurantsuche. Diversen Empfehlungen folgend lande ich im "Palia Plaka" nahe des Kreuzfahrtanlegers. Eine gute Wahl, denn nicht nur schmeckt das geschmorte Kaninchen mit Reis und Tomatensauce sehr gut, ich bekomme dort auch anstandslos ein Viertel offenen Wein. Samt Wasser bezahle ich preiswerte 13 Euro für das Abendessen und mache mich zu Fuß auf den Rückweg durch den dunkeln Wald. 9,4 Kilometer verzeichnet der GPS-Tracker für den "Abendspaziergang". Es wird meine zweitweiteste "Wanderung" in diesem Urlaub sein. ;-) Kein Wunder habe ich schon die erste Blase am Zehen - ich hätte meine Wanderstiefel anziehen sollen.

Todmüde fallen mir im Bett schnell die Augen zu.

 

*

 

Erfreulicherweise sind die erwarteten Schnaken in der Nacht ausgeblieben. Warm war es trotzdem (ich mag keine nächtlich laufenden Klimaanlagen und habe diese deshalb nicht benutzt). Und der neue Tag erwartet mich mit verschärfter Schwüle. Noch ein Grund, der gegen die ionischen Inseln spricht: einfach zu feucht hier. Da erstirbt meine Aktivität.

Im Hotel gibt es ein Frühstücksbuffet. Selbst bedienen darf man sich aber coronabedingt nicht, die Trennung des nach allen Seiten offenen Buffets durch eine Scheibe in der Mitte wirkt absurd. Aber dass Corona merkwürdige Blüten treibt, kann man auch in Deutschland sehen. Die Buffetdame reicht mir das Gewünschte, samt diesem angerührten künstlichen Saft, der sich als Orangensaft tarnt. Brr. Danach gönne ich mir ein schnelles Bad in der Kormoranos-Bucht. Umsonst - nach dem anschließenden Packen meiner Sachen und dem Eincremen bin schon wieder in Schweiß getaucht. Wenn das Wetter so bleibt, wird das ein passiver Urlaub.

Um elf Uhr erwarte ich meinen Mietwagen. Die junge Frau vom Verleiher "Greekstones" taucht pünktlich auf und erledigt die Formalitäten. Ich bezahle 240 Euro in bar - weder eine Anzahlung noch eine sonstige Sicherheit waren bei der Buchung abgefragt worden, alle Versicherungen außer Unterboden sind inkludiert. Auch die Rückgabe wird formlos erfolgen: am Quartier unverschlossen und pünktlich um 20 Uhr abstellen, den Schlüssel unter der Fußmatte. Eine halbe Stunde später wird das Auto weg sein. Mietwagen sind aktuell sehr begehrt und stehen nur vermietet herum.

Dann warten wir gemeinsam auf der Poolterrasse auf das Auto, das sich verspätet - es wurde gerade erst am Flughafen zurückgegeben und muss noch gereinigt werden. Wir kommen ins Gespräch mit einem älteren Herren, der am Nebentisch mit seinem Enkel spielt und mal in Herrenberg gearbeitet hat. Immer wieder lustig, wie klein die Welt ist!

Schließlich kommt der Wagen, ein nagelneuer, weiße Hyundai i30 mit gerade mal 3.800 Kilometern und toller Ausstattung. 569 Kilometer werde ich in den nächsten sechs Tagen dazufügen, und sehr zufrieden sein. Ich lade meine Sachen ins Auto und fahre gegen zwölf Uhr los. Ziel: Sami. Aber über Umwege.

 

Zunächst fahre ich über den Hügel, um mir das Mahnmal für die ermordeten Soldaten der italienischen Divisione Acqui anzusehen.

Im September 1943 hat sich auf Kefalonia eines der schlimmsten Verbrechen der deutschen Wehrmacht ereignet. Die italienischen Truppen hatte 1941 nach dem Sieg des verbündeten Deutschland die ionischen Inseln besetzt. Nach Mussolinis Fall am 25. Juli 1943 landeten deutschen Truppen auf Kefalonia, die Italiener wurden zum Niederlegen der Waffen aufgerufen, freier Abzug nach Italien wurde versprochen. Dieser Aufforderung kamen die Italiener aber nicht nach, da entsprechende Befehle aus Italien ausblieben und sie den Deutschen misstrauten. Am 11. September kam dann der Befehl, die Deutschen als Feinde zur betrachten und zu bekämpfen. In der Folge fielen bei deutschen Luftwaffenangriffen 1.300 italienische Soldaten, so dass die italienischen Truppen am 22. September 1943 kapitulierten mussten. Von den Wehrmachtssoldaten - überwiegend Angehörige der berüchtigten 1. Gebirgsdivision "Edelweiß" - wurden sie nun als Verräter betrachtet und daher nicht als Kriegsgefangene behandelt, sondern systematisch hingerichtet. 5.200 wurden in den Dörfern der Insel erschossen, von den Überlebenden starben weitere 3.000 in den Laderäumen der Schiffe als diese auf (alliierte) Seeminen fuhren. Insgesamt verloren etwa 9.200 von ursprünglich 12.000 Mitgliedern der auf Kefalonia stationierten Divisione Acqui ihr Leben.

Dieses Verbrechen war und ist in Deutschland fast unbekannt, und war es auch lange in Italien. Von den Verantwortlichen wurde lediglich General Hubert Lanz im Rahmen der Nürnberger Prozesse auch für die Erschießung des Acqui-Kommandeurs General Gandin und seiner Stabsoffiziere zu zwölf Jahren Haft verurteilt (und nach drei Jahren wieder entlassen). Die weitere Aufarbeitung begann erst viel später, und wurde weitgehend niedergeschlagen, da es sich um Totschlag und nicht um Mord gehandelt haben sollte. 2013 wurde ein mittlerweile 90-jähriger Ex-Unteroffizier wegen der Ermordung von 117 italienischen Offizieren von einem Militärgericht in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Details dazu im wikipedia-Artikel, interessant auch ein Spiegel-Artikel von 2018.

Durch den auf Kefalonia gedrehten Hollywoodfilm "Corellis Mandoline" mit Nicolas Cage und Penelope Cruz wurde 2001 das Licht auch für eine breitere Masse kurz auf das Geschehen gelenkt, aber der Film ist fürchterlich schlecht. Wesentlich besser ist der zugrundeliegende gleichnamige Roman von Louis de Bernières (1994).

 

In Argostoli werde ich in der Fußgängerzone neben der katholischen Kirche Agios Nikolaos ein kleines Museum entdecken, das diesem Geschehen und seinen Opfern gewidmet ist. Es wird von Ehrenamtlichen des Italienisch-Griechischen Vereins von Kefalonia und Ithaca "Mediterraneo" betrieben und zeigt vor allem Fotos und Dokumentenkopien (in Griechisch und Italienisch). Offenbar besuchen viele Italiener Kefalonia auch wegen dieses Geschehens.

Ich kann nicht verhindert, dass mir dort die Tränen hochkommen und ich tiefe Scham empfinde. Gegen eine Spende nehme ich eine 30seitige deutschsprachige Zusammenstellung der Geschehnisse mit, unter dem Titel "Die Divison Acqui auf Kefalonia" zusammengestellt von Bruna De Paula und Fali Sapanti. Empfehlenswert, wenn man mehr erfahren möchte.

 

Zurück zum Denkmal auf dem Hügel zwischen Argostoli und Agii Theodori. Es wurde 1978 vom italienischen Staat errichtet und ist überall auf der Insel ausgeschildert, wie ich in den nächsten Tagen sehen werde. Ein eher schlichtes, halbhohes U aus poliertem Stein mit Kreuz und sechs Bronzetafeln in Italienisch und Griechisch, darüber wehen die Flaggen Griechenlands, Italiens und der EU. Zwei der Tafeln listen die Orte der Massaker auf, zwei die Orte der Kämpfe, zwei schließlich die Zahlen der getöteten Offiziere und Soldaten. Diese Unterscheidung zwischen Offizieren und einfachen Soldaten, die in diesem Kontext ständig gemacht wird, befremdet mich etwas. Aber ich bin ja auch Laie in militärischen Dingen.

Ich verlasse den Gedenkort, nehme das Geschehen im Geist aber mit.

An Lassi vorbei erreiche ich das dicht besiedelte Gebiet des Livathos. Hier liegen zahlreiche hübsche kleine Dörfer in einer fruchtbaren Hügelgegend. Hinter dem Flughafen bei Svoronata verirre ich mich erst mal im Straßen- und Dörfergewirr. Die Namen der Dörfer Kefalonias enden fast alle auf -ata, was die Sache nicht übersichtlicher macht. Gut, dass mein Ziel, der Burgberg Agios Georgios oder Kastro genannt, sich irgendwann von der Umgebung abhebt, so dass ich gegen ein Uhr das Auto im Weiler Kastro östlich der Burg abstelle.

 

Kastro/Agios Georgios war bis ins 18. Jahrhundert die Hauptstadt der Insel, 15.000 Menschen sollen hier um die Festung gelebt haben. Der Festungshügel ist 320 Meter hoch und erlebt sich damit 150 bis 200 Meter über dem welligen Livathos. Der Eintritt in die Burgruine kostet drei Euro. Ich schlendere dann hinauf und oben kreuz und quer über das Gelände mit diversen architektonischen Überbleibseln, die ich anhand eines erhaltenen Faltblattes identifizieren könnte. Aber das Interessanteste ist hier die Aussicht, über die kieferngrünen Nahumgebung und den Livathos bis Argostoli und Lixouri und der Paliki-Halbinsel im Nordwesten, und den dunkelwolkenverhüllten Berg Áenos im Osten. Der Himmel drückt grau, der Südwind sorgt nur verhalten für Erfrischung.

Ein Dutzend Besucher ist hier unterwegs, doch einige.

Um zwei Uhr haben ich genug gesehen und strebe hungrig dem Café "Kastro" zu, das am Eingang der Burg liegt und schattige und blumengeschmückte Terrassen bietet, die gut belegt sind. Ich ergattere noch einen Eckplatz und bestelle Psarokeftedes (Fischbällchen) und Sardellen, dazu einen Tonic. Wasser im Krug bekommt man automatisch, eine löbliche Einrichtung, die sich leider noch nicht in den anderen Inseltavernen durchgesetzt hat, wo das Wasser abgepackt in Plastik gereicht wird. Das gute Essen und die Wärme erhöhen meine Lethargie. Was nun? In Sami bin ich erst gegen 18 Uhr angemeldet, und so weit ist das ja nicht.

Ich ärgere mich, dass ich vergessen haben, das kirchliche Museum und Kloster Agios Andreas bei Peratata zu besuchen. Ich bin dort bestimmt vorbeigefahren, war aber auf das Kastro konzentriert. Nun ist es geschlossen, es hat nur bis 14 Uhr geöffnet, Montag bis Samstag. Muss ich gucken, wann ich das nachhole.

Dann eben zu einem andere Heiligen, zum Inselheiligen Gerasimos, dessen Kloster sich maximal zehn Straßenkilometer entfernt Richtung Sami befindet, und das ab 15.00 Uhr geöffnet haben sollte.

Die gut ausgebaute Nebenstraße führt mich in weitem Bogen durch die westlichen Ausläufer des Aenos und hügelige Landschaft mit Weinbergen, Zypressen und Kiefern. Sie streift schmucke Dörfer wie Demoutsanata und Troianata (stand der Name nicht auf der Tafel am Denkmal?), die in der Nachmittagsruhe schlummern. Das ist hier Weingegend, vor allem in der Omala-Ebene bei Valsamata, wo das Gerasimos-Kloster liegt, wird die Robola-Rebe angebaut, die noch auf die Venezianer zurückgeht, inzwischen aber als autochthon gilt. Ich hoffe, ich kann das Erzeugnis mal irgendwo probieren, ohne dass ich gleich eine ganze Flasche kaufen muss.

 

Seit über 400 Jahren befindet sich die Grabstätte des heiligen Gerasimos - er lebte 1508 bis 1579 - in dem von ihm begründeten Kloster. Ich parke das Auto an der Mauer an der Straßenkreuzung und betrete die große und gepflegte Anlage. Als erstes erblicke ich die riesige Erweiterungs-Kirche, die in den 1980er erbaut wurde. Links dann ein mehrgeschossiges, neues Gebäude, vor dem auf einer Bank eine Handvoll Touristen wartet. Ich ziehe mir schnell meinen Rock über und gehe auf ein breites Tor rechts des neuen Gebäudes zu, dass die neue Anlage von der alten trennt. Es ist verschlossen, ebenso wie die dahinter liegende Grabkapelle. Die Tafel mit den Öffnungszeiten ist für Nichtgriechen kryptisch, denn sie verzeichnet nicht die Öffnungs-, sondern die Schließzeiten, und nur in Griechisch:
ΘΕΡΟC 1 - 3.30 μμ & 8 - 3.30 πμ, ΧΕΙΜΩΝ 1 - 3μμ & 7 μμ - 4 πμ.

Auf Deutsch: Geöffnet ist im Sommer von 3:30 bis 13 Uhr und wieder von 15:30 bis 20 Uhr, im Winter von 4 bis 13 und von 15 bis 19 Uhr. So oder so: um 15.30 Uhr sollte das Kloster geöffnet haben. Hat es aber nicht. Ich bin noch verwirrt, übersetzte falsch und warte bis 16 Uhr. So lange sinniere darüber, ob es hier noch Mönche oder Nonnen gibt, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen oder einen Klosterbewohner zu sehen. Und siehe da: meine Geduld wird bewohnt: Um 16 Uhr öffnet - unter Missachtung der eigenen Öffnungszeiten - die alte Kirche hinter dem Tor ihre Pforten. Wahrscheinlich machen die Klosterinsassen die landesweite, profan-weltliche Umstellung auf Sommerzeit nicht mit. Und sie sind ausgesprochene Frühaufsteher und Morgenmenschen (kein Wunder dauert die Mittagsruhe länger).

Das Gartentor bleibt übrigens zu, und so muss ich ganz um die Gebäude herum laufen und kann dann durch das seitliche Tor im hübschen Glockenturm (erinnert an kretische Türme, was kein Zufall sein muss: im 17. Jahrhundert flohen viele Kreter nach der osmanischen Besatzung Kretas nach Kefalonia) den Hof mit der uralten Platane betreten. Sie wurde vielleicht noch von Gerasimos selbst gepflanzt.

 

Die Klosterkirche ist von außen unscheinbar. Ich betrete sie durch einen Vorraum, in dem eine Nonne nach dem Rechten guckt und kleine Devotionalien und Kerzen verkauft. Das Kloster wird also von Nonnen bewirtschaftet. Ich zünde zwei Kerzen an, ehe ich die niedrige Kirche betrete. Sie hat eine prächtige Ikonostase und ist mit Fresken voll ausgemalt. Ihr Alter kann ich schwer bestimmen, und was noch Original aus dem 16. Jahrhundert ist, und was möglicherweise nach Erdbebenschäden ergänzt oder repariert wurde.

Kernstück ist der versilberte Sarg, der rechts des Alters steht und den mumifizierten und wunderheilenden Leichnam des heiligen Gerasimos enthält. Am 15. und 16. August und am 20. Oktober wird er bei Prozessionen gezeigt. Im Kloster herrscht dann heftiges Pilger-High-Life. Jetzt bin ich fast alleine hier und hätte beinahe des Loch im Boden übersehen, durch das eine steile Leiter hinab in die Krypta führt. Aber da kommt plötzlich der Kopf eines jungen Mannes zum Vorschein, der der Gruft entsteigt. Unten hat der Heilige damals gelebt - ein echter Asket eben. Ich lasse meinen Rucksack oben (mit komme ich nicht hinab) und klettere in den Untergrund, in eine kleine Kammer, die mit drei Kreuzen und zahlreichen späteren Einritzungen übersät ist. Beklemmend. Nein, schnell wieder hinauf!

Draußen versammelt sich nun eine kleine Gesellschaft, vielleicht für einen Gedenk, Tauf- oder Hochzeitsgottesdienst. Und ich ziehe weiter, verlasse die Omala-Ebene über einen Pass und habe dann bald das Tal von Sami vor mir. Es ist noch Zeit, und so fahre ich direkt durch Sami durch Richtung Antisamos-Strand. Der aber nicht mein Ziel ist, sondern die antiken Akropolen von Sami/Same, die oberhalb des heutigen Sami liegen und die ich nach einer Spitzkehre und einigen Kurven erreiche. Genauer: den weitläufigen Bereich, der sich über zwei Hügel erstreckt. Es ist immer noch schwül-warm, und ich fahre bis zum Ende der befestigten Straße am Kloster Agii Fanetes, das in venezianischer Zeit inmitten des Trümmer der zweiten Akropolis erbaut wurde. Von dem Kloster sind nur noch Ruinen übrig, diese sind aber professionell abgestützt, überdacht und abgesperrt. Offenbar wird hier restauriert, man kann nur aber durch die Lücken Blicke hineinwerfen. Der Rest außerhalb ist Steine und Mauern. Aber der Star hier ist sowieso die Aussicht, so nicht (typisch ionische Inseln!) von den Bäumen verdeckt. Sie reicht über die Bucht von Sami nach Nord-Kefalonia und Ithaki. Und ein wunderschöner Olivenbaum steht noch auf einer Steinstufe.

So, nun aber ab nach Sami. Ich habe mich für vier Nächte in den "Studios Prince" im nördlichen Ortsteil oberhalb des kleinen Ortstrandes einquartiert. Mit 60 Euro die Nacht teurer als im flachen Hinterland gelegene Zimmer, aber ich stehe nun mal auf Aussicht. Ich habe das letzte freie Studio "Sea" ergattert, es liegt im Erdgeschoss. Mit langem Hals hat man tatsächlich Meerblick, und auch sonst ist alles ok. Nur die Ausstattung könnte etwas erweitert werden, von den obligatorisch fehlenden Haken über Kaffeelöffel, eine Steckdose in der Küche und Moskitogitter. Der nette Wirt Georgios freut sich über mein Griechisch - die Mail-Korrespondenz macht er mangels Englischkenntnissen nicht selber - und guckt verwundert, weil er mit zwei Personen gerechnet hat. Nein, signomi, moni mou.

Ich bin schon wieder klatschnass geschwitzt als ich meine Sachen ausgepackt habe und werfe mich in mein leichtes Sommerkleid ehe ich den großen Kritikos-Supermarkt im Ort aufsuche und mich mit den ernährungstechnischen Basics für die nächsten Tage eindecke. Bäcker gibt es auch, alles gut.

Georgios empfiehlt die Restaurants in zweiter Reihe: die wären weniger touristisch und auch preiswerter. Gegen acht Uhr machen ich mich zu Fuß auf den Weg, vorbei am Hafen, wo die Levante-Fähre "Andreas Kalvos" liegt. Sie pendelt zwischen Sami, Ithaki und dem griechischen Festland und wird eine tägliche Konstante der nächsten Zeit werden.

 

Entlang der Paralia reiht sich danach Taverne an Taverne, alle sehr gut belegt. Nachsaison? Nicht hier. In zweiter Reihe finden ich allerdings nur Cafés, Psistaries und Imbissbuden. Danach steht mir der Sinn auch nicht. Ich wähle schließlich das einfache und luftig besetzte "Oasis" aus und bestelle mir Pasta Tonno. Wein gibt es auch hier nur glasweise. Die Nudeln sind guter Durchschnitt. Mit 12 Euro wird der Geldbeutel nicht über Gebühr beansprucht. Passt schon.

Bevor ich einschlafe, hoffe ich auf frischeres Wetter morgen.