Weg-los

 

Am heutigen Samstag wollen wir wandern, und zwar anhand der Tour 28 aus Dieter Grafs Wanderführer "Santorin, Sifnos, westliche und südliche Kykladen" von Chora entlang des Profitis Ilias zum Kloster Agios Prokopios und unterhalb zurück (den Abstecher nach Skarkos und Gialos lassen wir weg). 2,2 Stunden reine Gehzeit gibt er an, leicht bis mittel, elf Kilometer Entfernung und 300 Meter Höhenunterschied. Teile des Weges sind ziemlich zugewachsen, was sich aber meist umgehen lassen soll. So haben wir trotzdem auf die langen Hosen verzichtet. Zusätzlich zur Wanderbeschreibung (wollte ich nicht Grafs Wanderführer nach der Tour auf Telendos alle verbrennen? Hätte ich es mal getan....) haben wir die Karte von Terrain/Sky dabei. Da ist der Weg allerdings überhaupt nicht eingezeichnet. Und ich erinnere mich, dass wir vor 14 Jahren vergeblich versucht haben, den Weg von Chora nach Agia Theodoti zu finden - schon der Einstieg war anhand des veralteten Wanderführers nicht mehr auffindbar. Weshalb wir dann damals alternativ auf den Profitis Ilias gewandert sind, weitgehend weglos. War nicht so sehr schön.

 

Das Reisebüro an der unteren Platia hat seine Fährpläne für heute dem Streik angepasst: fast alle Abfahrten sind gestrichen, für den morgigen Sonntag ist man aber noch optimistisch und listet vier Fahrten auf. Ich gebe das Mietauto zurück, was wieder zu einem ausgedehnten Schwätzchen mit der Inhaberin führt (auch darüber, wie voll und laut es hier im Sommer ist, und wohin sie dann flüchtet). Erst um Viertel vor elf Uhr wandern wir los. Kein Problem, ist ja keine große Tour.

 

Am Windmühlenplatz vorbei geht es auf einer Betonstraße aufwärts, vorbei an weiteren Windmühlen. Es ist glücklicherweise nicht heiß, um zwanzig Grad mit einem angenehmen Wind. Optimales Wanderwetter.

Ein Mann sitzt im Rollstuhl vor einem der obersten Häuser und fragt nach dem Wohin. Agios Prokopios? Das sei aber weit, mindestens eine Stunde. Ja, das wüssten wir. Den Weg am Theater vorbei nennt er, und wünscht uns kalo dromo. Efcharisto.

An einer Kapelle geht es dann rechts zum Freilichttheater, da werfen wir aber nur einen schnellen Blick drauf. Oberhalb ist noch ein großes, verlassenes Gebäude mit einer vierköpfigen Figur. Gehört vermutlich zum Theater.

 

Es geht aufwärts, und man hat schnell einen schönen Blick auf die Chora und den Hafen, wo gerade die streikresistente "Artemis" ablegt. An der nächste Kreuzung geht es nach links, was sogar beschildert ist. Der Weg ist frisch gemäht und breit, und voller Optimismus freuen wir uns auf eine unbeschwerte Wanderung entlang terrassierter Felder, Mauern und durch blühenden Strandflieder.

Der Weg wird aber schnell schlechter. Zugewachsen und steinig. Das verhaltene Wandertempo der Mutter (wir werden ja alle nicht jünger) macht jede Orientierung an der Gehzeit zunichte, aber noch ist die Wegführung klar.

 

Das ändert sich bei einigen Hausruinen, wo wir auf den falschen Weg einbiegen und zu weit nach links bzw. unten abkommen. Was uns erst einige Minuten später klar wird, als eine Kapelle, die wir oberhalb passieren müssten, plötzlich über uns liegt. Die Vegetation ist hier aber glücklicherweise kurz, es gibt unzählige Ziegenpfade dazwischen, und so können wir quer Pampa den richtigen Weg ohne großen Umweg erreichen. Der Weg verläuft zwischen zwei Mauern, und ist teilweise ziemlich zugewachsen. Ein Trampelpfad verläuft aber oberhalb der Mauer, und hier geht es sich besser. Aber so richtig Spaß macht das nicht mehr.

 

Inzwischen sehen wir auch unser Tagesziel, das nicht mehr bewohnet Kloster Agios Prokop(i)os. Es liegt ein Stück vor und unter uns oberhalb eines grünen Tales und wäre der optimale Rastplatz. Ist nicht mehr weit.

Zumindest Luftlinie.

Nun müssen wir aufpassen, dass wir die richtige Abzweigung erwischen. Die liegt "zehn Meter vor einer querverlaufenden Rinne", und ist nur mit scharfem Auge und viel gutem Willen zu erkennen. In spitzem Winkel geht das Monopati, das noch nicht mal mehr ein Ziegenpfad ist, entlang einer niedrigen Mauer bergab. Die Ruinen einer Kapelle sollen wir rechts passieren, aber schon nach fünfzig Metern stehen wir inmitten fast hüfthoher Phrygana, garniert mit großen Steinbrocken und Mauerresten. Gierige Dornen greifen nach unseren nackten Waden, ich versuche, ihnen zu entgehen indem ich von Stein zu Stein hüpfe. Was die Mutter, deren Waden inzwischen wie Schnittmusterbögen aussehen, nicht mehr kann. Aber an einem kleinen Geländeeinschnitt muss auch ich dann aufgeben. Da sind wir immer noch ein gutes Stück von der Kapellenruine entfernt, und laut Grafs Wanderbeschreibung wird der Weg dort richtig schlecht und zugewachsen (keine Ahnung, als was er das hier dann bezeichnen würde).

 

Wir werden umkehren, noch ist das möglich und nicht weit, auch wenn es uns gewaltig stinkt. Also wieder durch Dornen und Steine hinauf zum querverlaufenden Weg, wo wir auf einem Steinbrocken eine unbequeme Rast einlegen. Es ist inzwischen halb zwei, die Wanderung wächst sich aus.

 

Vor uns, oberhalb von Agios Prokopios, führt eine geschobene Piste im Zickzack von der Hauptpiste (sie führt zum Profitis Ilias) abwärts, sie endet ein Stück oberhalb von Prokopios an einem Taleinschnitt und ist in keiner unserer Landkarten eingezeichnet. Vielleicht gibt es vom Ende der Piste einen Fußweg hinab zum Kloster? Wenn nicht, müssten wir allerdings wieder hinauf und hätten unser Pulver vergeblich verschossen.

 

Wir könnten auch auf dem Weg zurück, auf dem wir gekommen sind. Oder auf den querverlaufenden Weg vor bis zur Profitis-Ilias-Piste und über den Profitis Ilias zurück nach Chora. Weglos. Hmmm.

Beides will die Mutter nicht.

Also werden wir auf dem Querweg weitergehen bis zur Ilias-Piste, darauf zur Straße, und dort sieht man weiter.

Während wir gehen, sehen wir einen Mann - wegen seiner kurzen Hosen eindeutig als Nicht-Einheimischer auszumachen - auf dem Zickzackweg hinabgehen. Vorbei an mehreren Dutzend Bienenkästen, deren Bewohner ihn zu einigen Wedelbewegungen nötigen. Er entschwindet aus unserem Blick.

Heh, ein Wanderer. Es muss dort also doch einen Weg geben, der ins Tal führt. Das wäre deutlich kürzer als auf der Straße, und wir werden es probieren. Auch auf die Gefahr hin, dass wir wieder hinauf müssen.

 

Und das müssen wir eine Weile später. Denn am Ende der Piste, oder auch etwas oberhalb, ist nirgends ein Fußweg zu erkennen. Und ehe man sich in das meterhohe Gestrüpp begibt, müsste man schon einen eindeutigen Hinweis darauf haben, dass es hier, und zwar genau hier, einen Weg gibt, der in das steile Tal zum Kloster Prokopios führt. Nichts davon ist zu sehen, auch wenn er vermutlich da ist, denn der kurzbehoste Wanderer konnte sich ja nicht in Luft auflösen.

Es ist zum Kotzen!

 

In der knallenden Mittagssonne und vorbei an den aggressiven Bienen (der Honig von Ios gilt als der beste der Ägäis ;-) ) schleppen wir uns wieder aufwärts. Ich hasse Wandern. Ich hasse Wandern auf Ios. Und ich bin froh, dass die Mutter durchhält obwohl sie mächtig geschlaucht ist. Wenn hier etwas passieren würde, wäre es schwer, Hilfe zu holen. Aber sie hält durch, ist echt fit für ihr Alter (bloß etwas sehr langsam).

 

Um Viertel vor vier sind wir dann wieder auf der Piste, die ein paar hundert Meter weiter nördlich auf die Hauptstraße trifft. Also doch Trampen, oder Taxi. Für heute reicht es wirklich. Und nicht nur für heute....

Und dann kommt der Witz. Kurz bevor die Piste auf die Straße einmündet, steht da ein neuer roter Wegweiser. Und weist den Weg nach Agios Prokopios (und nach Chora, wo wir herkommen, in 1'35''). Er sieht neu und vertrauenswürdig aus, und die angezeigten 1'55'' wären auch noch im Rahmen. Wobei ich eh längst beschlossen hatte, ab Prokopios (so wir es je erreichen) die Straße zu nehmen und mich nicht auf weitere waghalsige Monopatia einzulassen.

Mama, sollen wir es wagen?

 

Wir wagen es. Der Weg ist deutlich, und nur einmal gehen wir noch kurz falsch auf einem Hügelrücken statt links entlang des Hanges. Aber das ist wirklich ein gepflegter Weg, breit, teilweise gepflastert, bergab - eine Freude. Nur zwanzig Minuten später stehe ich am Rande des Klosters, warte auf die Mutter, die zurückhängt. Wo ist denn der Eingang ins Kloster? Rechts rum geht es nicht, links kommt man auf den Wanderweg Richtung Chora.

Na, irgendwie schaffen wir es dann schließlich, den Eingang zu finden. Die kleine Anlage zieht sich terrassenförmig aus einem üppigen grünen Tal herauf, und es ist niemand da. Der Schlüssel für ein Toilette liegt bereit, und aus einem Wasserhahn kommt frisches Quellwasser. Nur die Kapelle auf der obersten Terrassenebene ist natürlich abgeschlossen.

 

Es ist jetzt auch nicht so, dass dieses Kloster eine große Sehenswürdigkeit wäre. Es liegt hübsch in seinem grünen Garten, aber das war's dann auch schon. Ich habe auch keine Informationen über das Alter oder die Geschichte des Klosters gefunden.

Der Fußweg wäre nun sicher kürzer als die Straße, aber wir sind gebrannte Kinder. Die achthundert Meter auf der Zufahrt bis zur Hauptstraße und die zweieinhalb Kilometer darauf bis Chora schlauchen uns auch ziemlich. Und leider macht keines der wenigen Autos, die uns überholen, Anstalten, uns mitzunehmen. Wer auf Ios wandert, der ist selber schuld.

 

Aber man hat auch sehr schöne Ausblicke wie etwa auf den Hügel von Skarkos, auf die Ebene von Kambos, und zuletzt auf die Chora. Ja, da hat der Mann im Rollstuhl doch wirklich sehr recht gehabt: es ist weit bis Agios Prokopios. Und erst, wenn man noch die ganze Fehl- und Umwege einrechnet.

 

Mit dem Glockenläuten um 18 Uhr fallen wir im Kafenio auf der kleinen Platia der Chora ein und schütten ein kaltes Radler in uns hinein. Mann, sind wir fertig! Die alten Männer vom Nachbartisch gucken uns verwundert an. Na, von den Touristen ist man hier auf der Insel reichlich Unfug gewohnt. So lang sie genug Geld bringen, ist man tolerant, sogar mit verschwitzen Wanderern.

Dass der VfB Stuttgart sein vorletzten Saisonspiel gerade verloren hat und damit so gut wie abgestiegen ist, passt irgendwie ins Bild dieses vermurksten Tages, den wir nach bei einem Ouzo auf unserem Balkon ausklingen lassen.

Zum Abendessen sind wir wieder im "The Nest". Als Vorspeise bestellen wir Kichererbsenbällchen, danach eine Portion Souvlaki und für mich Bekri meze. Die Portionen sind sehr üppig, aber irgendwie hatte ich mir Bekri Meze anders vorgestellt, raffinierter und schärfer als dieser Berg Schweinegulasch mit Pommes. Den Grießkuchen, den es wieder als Nachtisch aufs Haus gibt, müssen wir heute stehen lassen.

 

Ob ich mir bei der íotischen Wegbeschaffenheit noch den Pirgos reinziehen werden da der Streik unseren Ios-Aufenthalt ungewollt verlängern wird? Eher nicht....

Morgen gehen wir es lieber gemütlich an, mal ein Tag am Strand oder so. Wir waren ja noch nicht am Milopotas.