Salamina

Nun aber weiter nach Salamina. Ich geh zu Fuß zur Haltestelle Thisio. An der Promenade haben schon einige Kunsthandwerker-, Schmuck- und Souvenirverkäufer ihre Stände aufgeschlagen, im Laufe des Tages werden es noch mehr werden.

 

An der Haltestelle Thisio löse ich ein Ticket für 1,20 Euro, das 70 Minuten lang in allen öffentlichen Verkehrsmitteln gilt (Alternative wäre das 24-Stunden-Ticket für vier Euro) und besteige die nächste Metro nach Piräus. Das dürfte zeitlich allerdings etwas knapp werden, denn samstags geht keine Fähre von Piräus nach Salamina, und so muss ich ab Perama übersetzen. Ob es einen direkten Bus ab Athen nach Perama gibt, konnte ich nicht eruieren, aber es gibt einen ab Piräus. Und so fahre ich eben erst mit der Metro 1 nach Piräus, und von dort mit dem Bus nach Perama. Keine Ahnung wie lange das dann dauert.

Der Himmel hat sich bewölkt und es hat deutlich abgekühlt als ich in Piräus von der Metro zum Bus gehe (er fährt nahe der Metrostation an der Hauptstraße ab). Blöd, und ich habe heute nicht die dicke Jacke an, sondern nur das Softshell. Und der Regenponcho liegt auch im Hotel. Das ärgert mich wenig später, als ich im Bus sitze und es draußen zu regnen anfängt. Wenigstens den Schirm habe ich dabei.

 

Die Fahrt geht durch die Vororte Keratsini und Perama – hier ist das Leben in diesen Krisenzeiten hart, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Zahlreiche Werften und viel Petrochemie sind hier angesiedelt, die mehrstöckigen Wohnhäuser reichen bis an die weitläufigen Industriegelände entlang des Ufers. Kräne und Industrieanlagen ragen über die hohen Zäune, ab und zu ist auch ein Schiff zu sehen, oder wird der Blick auf die Kläranlageninsel Psyttalia frei. Das jetzt garstige Wetter unterstreicht die unwirtliche Gegend, die neben den wirtschaftlichen Problemen auch mit zahlreichen Umweltproblemen zu kämpfen hat. Das ist hier die Kehrseite der griechischen (Insel)Idyllen, und sie ist für viele Griechen Alltag. Ob die Politiker und Medien, sie so gerne bei uns das Bild vom faulen Griechen zeichnen, sich das einmal angesehen haben?

 

Nach einer halben, dreiviertel Stunde hält der Bus an der Endstation Perama, und ich folge den Mitreisenden, die zu einem kleinen Fährschiff gehen. Salamina und Perama sind nur durch einen gut einen Kilometer breiten Meeresarm getrennt, in dem 480 vor Christus die berühmte Seeschlacht von Salamis stattfand. Im Viertelstundentakt pendeln kleine Schiffe (nur für Passagiere) und große, offenen Fähren (auch für Autos) hier zwischen den Ufern hin und her.

 

Ich gehe an Bord der kleinen „Agios Georgios“ und bezahle (auf dem Schiff) einen Euro für die Überfahrt zum Hafenort Paloukia, die eine Viertelstunde dauert. Währenddessen kann ich mir Gedanken über Salamina machen. Salamína (oder auch Salamís) ist eine bohnenförmige Insel, 91 Quadratkilometer groß, hat 35.000 Einwohner und ist damit (429 Einwohner je Quadratkilometer) die am dichtesten besiedelte griechische Insel. Trotzdem findet sie in so gut wie keinem Reiseführer Erwähnung, kein Prospekt preist ihre Vorzüge an. Denn im Grunde ist Salamina ein Vorort von Piräus und Athen, wohin viele Einwohner zur Arbeit pendeln, und kann im Gegenzug allenfalls innergriechischen Tagestourismus von dort verzeichnen.

Im Inselosten gibt es – quasi in Fortsetzung von Perama – unschöne Industrieansiedlungen und einige Werften, denen es in der Krise nicht besser geht als den Nachbarn auf dem Festland, und den Hauptstützpunkt der griechischen Marine nördlich von Paloukia. Im Westen soll es schöner sein, etwas Kiefernwald, etwas Landwirtschaft, bergig bis 365 Meter hoch.

 

Die „Agios Georgios“ zuckelt in den Hafen von Paloukia hinein, der von großen Fähren dicht gesäumt ist. An Land präsentiert sich die Hafenfront fast wie eine Westernstadt – breite Front mit großer Werbung, alles etwas vernachlässigt. Inzwischen ist es zwölf Uhr geworden, zwei Stunden habe ich von der Akropolis hierher gebraucht.

Ich möchte in den Hauptort der Insel, Salamina, der ungefähr drei Kilometer entfernt an der Westküste an einer weiten Bucht liegt. Ein Bus steht bereit, Tickets gibt es an der Verkaufsstelle davor, 1,50 Euro werden fällig, und die Fahrt geht gleich los. Was ich während der Fahrt sehe, öffnet mir nicht das Herz, auch wenn der Regen inzwischen aufgehört hat: sieht aus wie ein mitteleuropäisches Industriegebiet, nur schmutziger.

Schneller als gedacht sind wir in Salamina-Stadt, und ich möchte an der Paralia aussteigen. Bloß fährt der Bus dort überhaupt nicht hin, sondern auf einer Route durch die Ortsmitte, und ehe ich mich versehe, sind wir auch schon wieder draußen aus der Stadt. Upps….

 

Gut, dass ich mir von hier einen Übersichtskarte von Salamina ausgedruckt habe, denn so sehe ich, dass die Fahrt in den Inselwesten geht. Der Bus passiert das Kloster Faneromeni und umfährt in einer Schleife den Inselteil Steno um dann wieder zurückzukehren nach Salamina-Stadt. Dieses Mal steig ich gleich in der Stadtmitte aus, und sehe noch, dass Bus jetzt zur Paralia abbiegt. Ok, wieder falsch. Nicht schlimm.

An einer großen Kirche vorbei folge ich dem Bus zu Paralia, wo die Bucht von Salamina wie ein großer Binnensee liegt. Ein regengrauer Binnensee allerdings, auch wenn die Sitzgruppen eines Cafés vermuten lassen, dass das Wetter hier die letzten Tage auch besser war.

 

Ich gehe entlang der Paralia nach Westen bis zu Agios Nikolaos-Kirche. Nur ein Paar ist noch hier unterwegs, bei dem Pisswetter. Wenn so der ganze Urlaub gewesen wäre…. Mir ist kalt, und ich bin hungrig. Eine schöne Fischsuppe schwebt mir vor seit ich diese gestern in Athen auf der Speisekarte gesehen habe. Salamina ist bekannt für sein anspruchsvolles griechisches Gourmet-Publikum, und zwar vor allem in Bezug auf Meeresfrüchte, die hier sehr frisch sein sollen. Mhh, bei den Abwässern im Golf vor Piräus? Ich weiß nicht….

Vor der Psarotaverna-Ouzeri „O Kákias“ hängen aber zwei Blechkästen mit Chtapodiarmen, und im Vorraum hinter dem durchsichtigen Plastikrollo sitzen zwei Gruppen Männer und speisen. Ich glaube, da bin ich richtig. Im Vorraum ist es trotz Wärmestrahlern laut und kühl, ich gehe ins Innere, wo eine ganze Wand mit der verfügbaren Auswahl an Ouzo und Tsipurroflaschen dekoriert ist. Wow!

 

Ich frage nach Fischsuppe, und werde mit der Gegenfrage konfrontiert welche Fische ich denn gerne darin hätte, darauf folgt eine Aufzählung der Fischsorten. Da bin ich völlig überfragt, und lasse mich beraten. Zu viel soll es ja auch nicht sein, ich esse ja schließlich alleine. Er werde mir einen Bakaliaros (Kabeljau) bringen, und ein Stück Christopsaro (Petersfisch), das wäre auch gut. Auf eine Vorspeise verzichte ich, bestelle noch Wasser und Weißwein, die mit Knoblauchbrot gleich kommen. Dann dauert es länger, und das Lokal wird voll. Schließlich bekomme ich eine Terrine mit der Fischsuppe serviert, und auf einem Teller den gekochten Fisch samt Kartoffeln und Karotten. (Schnell ein Neidfoto an Theo schicken.) Beides schmeckt absolut köstlich! Und mir ist endlich wieder schön warm. Auf die Rechnung bin ich gespannt, sie beträgt schließlich – sauber nach den Fischsorten aufgelistet – 23 Euro und 70 Cent (der halbe Liter Weißwein kostet mal gerade 1,50). Das kann ich verkraften.

Salamina beginnt mir zu gefallen.

Leider ändert sich das wieder als ich das Lokal verlasse. Es regnet immer noch, und die Uferpromenade strahlt unverändert verlassene Depression aus. Da kann auch der Obsthändler mit den vielen Orangen auf einem kleinen Platz nichts ändern. Oder die drei aneinandergekippten, halb versunkenen Yachten auf der anderen Hafenseite.

Es ist jetzt drei Uhr - was machen mit dem verregneten Tag? Zurück aufs Festland? Ich bin unentschlossen. Laut der Kopie "The Greek Islands" könnte das Kloster Faneromeni eigentlich gerade wieder geöffnet haben. Und das scheint so ungefähr das Besichtigenswerteste auf der Insel zu sein wenn die Museen geschlossen sind. Ich gehe entlang der Straße in der Ortsmitte, blockiert durch zig Baustellen. Muss aufpassen dass ich von vorbeifahrenden Autos nicht völlig nassgespritzt werde. Wenn jetzt ein Bus kommen würde. Es kommt einer, und ich renne zur nächsten Haltestelle. Er hält schon vorher, der Busfahrer wartet auf mich. Ob er wüsste ob das Kloster geöffnet habe? Er meint ja, ich solle einsteigen. Ich hab aber kein Ticket. Schulterzucken mit dem Wink, einzusteigen. Ich bedanke mich, das ist nett.

 

Wenig später halten wir vor dem Kloster, das Tor ist zu. Doch, da würde dann schon jemand kommen, meint der Fahrer, ich steige aus, und der Bus fährt weiter. Na, hoffentlich hat er recht.

Tatsächlich, im Winter ist das Kloster von 15 bis 17.30 Uhr geöffnet. Jetzt ist es kurz vor halb vier, und trotzdem zu. Aber nein, da tut sich was: eine Nonne öffnet die Türe, bittet mich herein. Gemeinsam gehen wir die breite Allee zum Kloster hinauf, links von Volieren gesäumt. An der Pforte zum Innenhof verweise ich auf meine nicht unbedingt klosterkompatiblen Klamotten (Hosen), sie meint, das wäre schon ok, und öffnet eine Türe, die in eine Kapelle führt. Dann verschwindet sie.

 

Ich stehe in der Kapelle, völlig unsicher. Das ist ja nicht die alte Kirche mit den Fresken. Zünde ich eben zwei Kerzen an. Da kommt eine zweite Nonne, sie weist mich auf einen Durchgang zur Kirche hin, und ich folge ihr. Jetzt stehe ich in der sehr schönen, komplett ausgemalten Kirche aus dem 17. Jahrhundert. Die Fresken wurden von Lampros Kanelos 1735 vollendet. Allerdings sind sie so rußgeschwärzt, dass man sie kaum mehr erkennen kann.

Die Nonne fragt nach dem Woher und Wohin, und interpretiert meine Griechischkenntnisse falsch: sie fängt an, mir detailliert die einzelnen Wandmalereien zu erklären und die Geschichte der Kirche. Sie spricht einen mir schlecht verständlichen Dialekt, und das Fachkirchenlatein (bzw. -griechisch) entspricht auch nicht meinem Wortschatz. Aber die Namen der Heiligen verstehe ich, und so nicke und murmle ich immer wieder bestätigend, und sie gerät so richtig in Fahrt. Schaltet die Beleuchtung an, erklärt mir auch detailliert die neuen Ikonen in der Eingangskapelle. Sie freut sich, das ich mich so interessiere, nicht nur für die Kirche, auch darüber hinaus.

 

Als sie mich nach über einer halben Stunde aus der Kirche entlässt, möchte sie noch meinen Namen, und den meiner Familienangehörigen wissen. Sie schreibt sie auf einen Zettel (was gar nicht so einfach ist - oder wie schreibt man "Hedwig" auf Griechisch? Wir einigen uns schließlich auf Wicky... ) und wird uns am morgigen Sonntag in das Gebet einschließen (oder der Pappas wird das tun). Na, da kann ja mit der Heimreise nichts mehr schiefgehen.

Ein sehr netter Klosterbesuch!


Nach einer Stunde stehe ich dann wieder an der Straße vor dem Kloster, bei einem kleinen Ikonostasi, und warte auf den Bus. Es gibt hier, nur ein paar Meter entfernt, eine Fähre, mit der man in gerade mal fünf Minuten über den schmale Meeresarm nach Megara auf Festland übersetzen kann. Aber ob die auch samstags fährt, und wie komme ich dann von Megara nach Athen zurück? Der kommende Bus enthebt mich aller Überlegungen. Ich steige ein, wieder ohne Ticket, aber mit der Auflage des Busfahrers, dieses dann in Paloukia zu kaufen. Was ich bei der Ankunft dort gegen Dreiviertelfünf auch mache - das gehört sich so. (In Iraklio auf Kreta hatte ich das vor vielen Jahren unterlassen, woraufhin der Busfahrer mir nachkam, und mich zum Tickethäuschen führte. Recht hatte er!)

Paloukia ist auch fünf Stunden später nicht schöner geworden, und so benutze ich das erste Boot, das nach Perama übersetzt, die "Salamis Express". In Perama eile ich einige Ortskundigen nach, und erwische so gerade noch den Bus nach Piräus. Eigentlich hätte ich mich gerne noch etwas in den Werfen umgesehen (welche vertrauten Schiffe sich gerade der Winterkur unterziehen, zum Beispiel die "Daskalogiannis"), aber auch wenn es aufgehört hat zu regnen: es wird schon dunkel, alles ist sehr weitläufig, die Zäunen sind hoch und vermutlich kommt man sowieso nicht rein.

Personenfähre in Paloukia
Personenfähre in Paloukia

Wieder die Tour nach Piräus, dann mit der Metro hinein nach Athen bis Thisio, an der Akropolis vorbei zum Hotel.

Puh, ich bin erledigt.

 

Es ist mein letzter Urlaubsabend, und obwohl ich nicht hungrig bin, möchte ich ihn nicht im Hotelzimmer verbringen.