Schlechtwettertage

Endlich ausschlafen in diesem Urlaub! Das Gewitter hat uns kaum gestört, nur das Fenster mussten wir irgendwann schließen. Es ist zu nass auf dem Balkon, wir müssen drinnen frühstücken. Trotz des Wetters stehen schon wieder zwanzig Flüchtlinge oben bei der Port Police. Die Armen sind bei dem Sauwetter gekommen. Aber offenbar nur ein oder zwei Boote heute. Die "Dodekanisos Pride" kommt und geht, sie nimmt keine mit - falsche Richtung: sie fährt jetzt nach Patmos, Leros und den Süden.

 

Theologia bringt uns warme Bettdecken und einen Vorleger gegen die Nässe. Und zwei rohe Eier. Giannis vom "Glaros" hat bis auf zwei Tische seine Außenbewirtschaftung weggeräumt - die Saison geht auf ihr Ende zu. Gäste finden aber noch genug Platz auf der Terrasse unter der grünen Pergola.

 

Kurz vor Mittag kommt die "Nisos Kalymnos" auf dem Weg nach Samos, und ich gehe vor zum Anleger um mir das näher anzuschauen. Zum Glück hab ich den Schirm dabei, denn es fängt gerade wieder an zu nieseln. Die angekommenen Flüchtlinge - einige Kinder sind dabei - werden gleich auf das Schiff gebracht, dürfen aber in dem Café am Ankunftsbereich unterstehen bis es so weit ist. Das Militär ist auch da, verlädt Material und Soldaten. Schon legt das Schiff wieder ab.

Der Regen wird stärker, der Boden ist mit seegroßen Lachen übersät. Bis zum Minimarkt in der Kurve schaffe ich es, dann schüttet es zu sehr. Gut, ich wollte mir eh das Angebot anschauen.

Die Verkäuferin und ihr vielleicht neunjährige Sohn sitzen an der Kasse, wir kommen ins Gespräch.

Der Regen heute ist der erste Regen seit Mai, erzählt sie mir. Na, darüber freut man sich natürlich, auch wenn es nun etwas viel Nass auf einmal ist. Er wird den Dreck des Sommer wegspülen, und die Wasserreserven füllen.

Maria heißt die Verkäuferin, und sie ist eigentlich aus Pothia/Kalymnos. Sie freut sich, als ich eine Tüte mit Mandelgebäck von dort kaufe (wir werden nur wenig davon essen, es ist überlagert und schmeckt ranzig).

Sie klagt über die Flüchtlinge, die in ihren Augen viel wohlhabender sind als sie selbst (teure Smartphones - genau dieser Argumente hört man ja auch in D...), ihr Leben aber negativ beeinflussen würden, denn es kämen keine Touristen mehr. Warum die Syrer denn in ihrer Heimat nicht kämpfen würden? Es seien doch so viele junge Männer, die müssten doch etwas tun, in Syrien.

Es sei ein LKW mit Hilfsgütern für die Flüchtlinge gekommen (eine private Initiative, vermute ich, denn der griechische Staat hat ja kein Geld), mit Essen, Wasser, Kleidern, Windeln. Ihr hätte noch nie jemand etwas geschenkt. Und die Insel leide unter der Krise, mangels Lehrer würde die Grundschule ausfallen, die elf Kinder verlängern ihre Ferien (was sie sicher verkraften können).

Wie soll ich ihr jetzt erklären, dass die Menschen aus Syrien ja keine Wirtschaftsflüchtlinge sind, sondern vor Bomben und Zerstörung fliehen? Und dass sie froh sein soll, dass sie hier in Frieden mit Mann und Sohn leben kann, auch wenn das Leben nicht üppig ist und ein Lehrer fehlt? Die Heimat verlassen mit der ganzen Familie - wer macht das schon freiwillig?

Wir seufzen gemeinsam über das Elend der Welt, über die Ausweglosigkeit, über die Hilflosigkeit der Politik. Oder ist es schon Unfähigkeit? Aber es gibt ja keinen Ausweg.

 

Das Wetter bleibt schlecht, also wird heute gewohnt. Da die Zahl der Sehenswürdigkeiten auf Agathonisi überschaubar ist, macht das nichts.

Draußen am Horizont kreuzt ständig ein großes Schiff der Hellenic Coast Guard hin und her. Es wird doch hoffentlich niemand mit Schlauchboten unterwegs sein....

Viele Flüchtlinge kommen auf dem unbewohnten Inselchen Farmakonisi an, einem Militärstützpunkt. Es gibt keinen Fährverkehr dorthin, aber den ganzen Oktober sehe ich bei marinetraffic die Kleinfähre "Ilias T" dorthin fahren, sogar mehrmals täglich, und kann mit ungefähr ausmalen was dort los ist.

 

Das schlechte Wetter beschert den Agathonisioten immerhin einen flüchtlingsfreien Resttag.

Beim "Glaros" ist nichts los als wir zum späten Mittagessen hinübergehen. Die Küche sei mittags kalt, also essen wir einen griechischen Salat unter der halbwegs wasserdichten Ecke der Pergola. Mit Giannis kommen wir nicht ins Gespräch, er hat gedacht, wir wären Tagesausflügler von der "Nisos Kalymnos" weil er uns bisher noch nicht gesehen hatte. Er schließt das Lokal später ab, wir dürfen aber gerne sitzen bleiben.

Mein Bedarf an Klageliedern ist für heute auch gedeckt.

Im "Glaros/Seagull"
Im "Glaros/Seagull"

Um halb fünf kommt die "Nisos Kalymnos" dann wieder zurück von Samos, mit zahlreichen Versorgungsgütern von Samos. Auch wenn Agathonisi zu den Dodekanes gehört - man orientiert sich eher zum nahen Samos.

 

Am Abend regnet es wieder so sehr, dass wir überlegen ob es sich lohnt, klatschnass zu werden nur um in ein Lokal zum Abendessen zu kommen. Dabei ist das "Glaros" nur hundert Meter weg. Wir nutzen einen Moment als der Regen nachlässt. Drinnen sitzen kann man nicht - es steht zu viel Zeug herum. Gut, nehmen wir wieder die Ecke unter der Pergola. Kurz darauf kommt unser Nachbar, der weißhaarige Herr, ein Italiener. Er isst Fisch und wird hartnäckig von Katzen belagert. Und noch zwei Touristinnen kommen, die haben wir bisher nicht gesehen. Aber es stellt sich das ein, was so eine kleine Insel ausmacht: man sieht sich, man grüßt sich, man erkennt sich wieder, tauscht sich eventuell auch aus. Vielleicht wird der Zusammenhalt durch die passierenden Flüchtlingsmengen sogar noch stärker.

 

Ich mag Agathonisi. Und hoffentlich wird morgen das Wetter besser.

 

*

 

Es hat weiter geregnet in der Nacht, aber jetzt am Morgen ist es klar und trocken. Ein Schiff der Coast Guard ist gekommen und hat am Hafen angelegt. Und die ersten Flüchtlinge sind auch schon wieder da, ziemlich nass. Bei diesem Wetter. (Jetzt, Ende Oktober, wo ich das schreibe, hat der Flüchtlingsansturm nicht nachgelassen. Nur die See ist rauher geworden - täglich ertrinken Menschen hier vor der Küste. Auch vor Agathonisi. Es ist so bedrückend.) Keine Zeit zum Trockenen - sie müssen Müll einsammeln, gestern wurde einiges angeschwemmt.

 

Wir nutzen das schöne Wetter und wandern nach dem Frühstück hinauf nach Megalo Chorio. Unterwegs werden wir keine Flüchtlinge treffen, es ist wohl wieder nur ein Boot heute früh angekommen. Ich habe erfahren, dass es einen türkischen Kapitän gibt, der die Menschen mit seinem Boot übersetzt. Sein Name wäre bekannt, aber noch wäre er nicht verhaftet worden. Sicher ist diese Art der Überfahrt weniger gefährlich, das Risiko trägt der Kapitän. Was die Passage bestimmt teurer macht. Und die Passagiere müssen im Wasser aussteigen, das Schiff kann nicht anlegen.

Heute geht keine Fähre Richtung Samos, die Menschen müssen übernachten. Es sieht nicht so aus als bekämen sie eine reguläre Unterkunft (es gibt genug freie Zimmer), aber Frauen und Kinder dürfen nach unserer Beobachtung bei der Port Police bleiben.

 

Die Straße nach Megalo Chorio geht steil aufwärts, vorbei an der Georgskirche und den Ageri-Studios. Am Ortseingang ist die Bäckerei, sie sieht geschlossen aus, aber ich habe heute früh im Minimarkt Brot geholt. Das Postamt hat geöffnet, ich kann Briefmarken kaufen.

Dann gehen wir durch den kleinen Ort Richtung Kirchen. In einer Art Garage scheint es einen primitiven Laden zu geben. Die Doppelkapelle Panagia und Agios Ioannis ist geöffnet, alles sehr gepflegt. Und die Umgebung ist relativ grün. Dafür hat es nun wieder Wolken am Himmel.

Egal, wir wollen in den Inselosten Richtung Katholiko. Vorbei am "Municipal Warehouse", das eher einem Sperrmüllplatz gleicht, und dem Sportplatz geht es auf einer neuen Straße schnell voran. Links der Hubschrauberlandeplatz, und davor der Militärposten - gute Aussicht zu Türkei. Und die Schlauchboote hat man hier auch im Blick.

Im Straßengraben sehen wir eine Schwimmweste liegen. Wenige Meter später ein bestickter Hidschab. Und noch eine Schwimmweste.

Vor uns liegt die schöne Poros-Bucht, mit zwei Häusern am Ufer und der Kapelle Agios Nikolaos darüber. Kein Badewetter heute, außerdem haben wir ja einen schönen Strand vor der Türe und keine Badesachen dabei.

Ein paar Meter weiter sieht man dann auf der Nordseite der Insel die Bucht von Katholiko mit dem langgestreckten Felsen Neronisi dahinter. Dazwischen die Ringe einer Fischzucht. Die neu wirkende Straße führt in Kurven hinab. Eine zweite Fischzucht weiter östlich, Richtung dem Inselchen Katsagani. Und dort sehen wir die felsige Küste übersät mit orange-leuchtenden Schwimmwesten. Der Scheitel der Bucht ist verdeckt, dort liegen vermutlich die Bootsreste und weitere Zeugnisse der illegalen Überfahrten.

Nein, wir gehen nicht hinunter. Nicht nur wegen der drohenden Regenwolken. Auch weil wir uns so schon wie Voyeure fühlen, und weil wir froh sind, dass wir keine Migranten getroffen haben.

Wir kehren um, und kurz vor Megalo Chorio erwischt uns dann der Regen. Zunächst nur wenig, dann stärker. Wir stehen an der Post unter, dann auf der Terrasse der unbewohnt wirkenden Ageri Studios, deren Zufahrt wir als Abkürzung benutzt haben. Ein schöner Blick auf die Bucht ist das von hier.

Ohne Umweg kehren wir direkt bei "George" ein. Der Oktopus-Salat ist köstlich, die frittierten Zucchinischeiben sind auch lecker.

Wenn nur nicht dieser Flüchtlingsschatten über der Insel hinge....


 

Zwei Stunden später scheint die Sonne vom blauen Himmel, die Schatten werden wenigstens vorübergehend verdrängt. Ich bade am Strand vor dem Haus.

Anschließend mache ich noch einen kleinen Spaziergang zum Spili-Strand. Und dort treffe ich so ziemlich alle derzeitigen Agathonisi-Urlauber. Das ist aber auch eine hübsche Bucht mit schattenspendenden, weißgetünchten Bäumen (Mastix?), klarem Wasser. Nicht breit, und mit Kies und Kieseln nur mäßig bequem, aber das türkisgrüne Meer ist so malerisch von Felsen samt namensgebender Höhle eingerahmt. Ja, hier ist schön Urlaub machen. Höchstens eine aufdringliche Ziege stört mal.

Vier Segler liegen heute in der Bucht von Agios Georgios, da werden beide Tavernen profitieren. Wir sind am Abend nochmals bei "George", wo alle Tische auf der Terrasse belegt sind, und das Essen - ich genehmige mir einen gegrillten Fisch, die Mutter Hühnchen - wieder ausgezeichnet schmeckt.

Und wir wissen, dass es richtig war, nach Agathonisi zu kommen. Trotzdem werden wir morgen weiterreisen, auf unserem nächsten Inselziel haben wir einen Termin, den wir nicht verpassen möchten.

 

*

 

Zu früh hatten wir uns über das schöne Wetter gefreut: in der Nacht gewittert es erneut, und am Morgen regnet es. Trotzdem warten schon wieder über dreißig Neuankömmlinge oben bei der Hafenpolizei. Die "Anna Express" kommt heute (Donnerstag) wieder vorbei und wird sie wohl nach Samos bringen. Wenn nicht noch mehr kommen....

Ich bezahle das Zimmer, schon um neun Uhr fährt unsere Katamaran "Dodekanisos Pride" Richtung Kos ab. Theologia rät, schon jetzt zum Anleger vor zu gehen, nachher würde es mehr regnen. Wir beherzigen ihren Ratschlag, verabschieden uns herzlich, und müssen beim "Glaros" einen veritablen Bach überqueren, der über die Uferpromenade fließt. Zum Glück hab ich meine Bergschuhe an, die leichten Schlappen sind gerade erst trocken geworden. Und die Mutter zieht ihre Schuhe einfach aus - die Füße würden eh nass. Die Fährtickets bekämen wir auf dem Schiff, hatte uns Theologia erklärt.

 

Am Hafencafé dürfen wir auch überdacht warten wenn wir nichts konsumieren - ein knappes Frühstück mit Nescafé und Brot hatten wir schon.

Die "Dodekanisos Pride" ist pünktlich. 31 Euro kostet die Fahrt pro Person bis Kos, via Patmos, Lipsi, Leros und Kalymnos. Das Sonnendeck können wir abhaken, es schüttet unterwegs immer wieder wie aus Kübeln, blitzt und donnert. Zum Glück sind die Wellen nicht stark, der Katamaran schaukelt kaum. In Patmos wird das Schiff voll, in Lipsi ist es kurz trocken und unsere Wirtin winkt von Balkon als sie mich auf der Reling stehen sieht. In Leros wird Fisch verladen, und in Kalymnos geht ein Wolkenbruch nieder, der keinen Ausblick erlaubt.

Erst kurz vor Kos-Stadt hört der Regen auf. Gutes Timing.

Wir haben jetzt zwei Stunden Zeit bis zur Weiterfahrt nach Nisyros.