Psara - der Osten

 

Der Dienstagvormittag bringt heftigen und kühlen Wind. Ich guck mir den Kato-Gialos-Strand an (ist das jetzt ein Pleonasmus?) mit der einsamen Bootsgarage, der schwarze Fels ist bei dieser Beleuchtung wirklich schwarz.

Bei der Busenkapelle klaue ich ein paar reife Feigen – lecker! Meistens haben wir Pech und die überreifen Früchte sind außer Reichweite oder pflastern zermatscht wespenumschwirrt den Boden, die Luft erfüllt vom süß-fauligen Duft.

Zum Mittag gibt es im „Delfinia“ Makkaroni me kima und Choriatiki salata. So ein fauler Tag tut mal richtig gut!

Wir raffen uns dann später auf zum Lazareta-Strand, den wir heute völlig für uns alleine haben. Der Wind hat etwas nachgelassen, die Versuchung ist groß textilfrei zu baden, aber es ist dann doch zu nahe beim Ort, und Kaikia tuckern entlang der Küste. Später kommen noch ein paar Wanderer entlang der felsigen Küste von Osten, es sind Franzosen von einem Segelboot. Sie drücken sich an das andere Buchtende, wo es felsig ist. Selber schuld, der Strand reicht doch für mehrere.

Am Abend sind wir wieder im „Iliovasilema“, wo Hühnchen aus dem Ofen auf der Tageskarte steht. Brust oder Keule werden wir gefragt – so viel Aufmerksamkeit für Geflügelteile haben wir in Griechenland noch nie erlebt! Und wieder so gut und reichlich! Eingelegte Feigen gibt es als Dessert aufs Haus (das Viertel Wein gestern war uns aber trotzdem lieber).

Die Gaststube drinnen wird gestrichen, nach echt griechischer Manier: alle Bilder sind von den Wänden, aber die zahlreichen Nägel stecken noch und werden sorgfältig umpinselt. Schon am nächsten Tag hängt die Fotogalerie wieder, Peterburger Hängung, nun auf hellgelb-warmem statt hellblau-kühlem Grund: schöne Fotos mit Szenen aus dem Inselleben der letzten Jahrzehnte.

Am Nachbartisch sitzt heute eine sechsköpfige deutsche Segler-Crew. Begegnungen mit deutschen Landsleuten werden die Ausnahme bleiben in diesem Urlaub – Chios und Co. sind in der Heimat zu wenig bekannt. Wissen halt nur wenige wo es schön ist. Sollen wir es weitersagen?

Der Mittwoch ist unser letzter Tag auf Psara – morgen wollen wir weiter, nach Inousses.

Ich möchte mir noch ein wenig den Inselosten ansehen und die Mutter kommt mit. Es hat kaum Wind, und wir müssen mal wieder auf der heißen Straße wandern. Vielleicht bis zum Leuchtturm (fünf Kilometer), oder wenigstens bis man die Ostküste sieht. Abstecher zu einem Stand zwecks Baden nicht ausgeschlossen. Es wird ein Trip in die goldfarbene Trockenheit.

Bei Achladokampos die letzten grünen Tupfen der Feigenbäume, nach der Senke steigt der Weg langsam, aber kontinuierlich an. Vereinzelt hat es Ziegen in der Distelöde, schattensuchend unter den so weit das Maul reicht kahlgefressenen Bäumen.

Rechts der Limnos-Strand, der ist uns jetzt zu weit weg. In seinem Hinterland einige Häuser und Felder.

 

Die Straße schlängelt sich vor uns die Hügel hinauf, weit können wir sie schon vorab mit den Augen verfolgen. Ein Auto passiert uns, wir fühlen uns komisch so als Fußgänger ohne Not. Das war es dann an belebter Zivilisation für die nächsten zwei Kilometer. Die unbelebte Zivilisation liegt in Form von Plastikkisten, verrottenden Kühlschränken und Blechtonnen neben den Straßen. In Autoreifen wachsen büschelweise Pflanzen. Schade, bisher fanden wir Psara echt ziemlich aufgeräumt.

Die Sonne sticht, der Wind fehlt. Wir schwitzen.

Die Disteln weichen niedriger kratziger Büschel-Frygana, der Farbton wechselt ins Dunklere. Die Straße zeichnet sich hell darin ab, und bizarre Marmorbrocken täuschen von der Ferne Architektur vor, von Nahem ähneln sie kauernden Tieren. Aber die einzigen Tiere, die wir jetzt sehen, sind zweidimensionale Krötenleichen auf der Straße. Amphibien hier auf der trockenen Insel – wo die sich wohl her verirrt haben?

 

Rechts in der Ferne lockt wieder ein Strand, der von Limonaria. Nein, er lockt nicht – wir gönnen uns lieber später ein Bad am Lazareta-Strand. Besser kann der hier auch nicht sein, und wir müssten die Höhenmeter aufgeben und uns den Weg durch die Pampa suchen. Zu anstrengend ohne Wind.

 

Die Terrain-Karte erhebt die Hügelkuppe vor uns namens Kastri auf stolze 348 Meter Höhe – da ist man wohl um zweihundert Meter verrutscht, denn wir haben eben erst die Hundert-Meter-Höhenlinie passiert, und der Gipfel ist keine Nadel, nur eine Kuppe.

Dafür sehen wir nun vor uns den Leuchtturm liegen, und dahinter Chios in voller Breite. Die Straße teilt sich hier unterhalb, links führt eine neu aussehende, in der Karte nicht eingezeichnete Schotterpiste zum Fanari/Leuchtturm, rechts geht die Betonstraße zum Fanari-Strand und der Müllkippe davor rechts der Straße. Dazwischen liegt ein kahles Tal.

Und wir bleiben einfach hier auf der Höhe und rasten, nach einer Stunde schattenloser Wanderung ist unser Bedarf gedeckt. Eleonorenfalken und Krähen am Himmel, einzelne Schafe in dem flachen Tal unter uns. Schiffe vor Chios, große Frachter. Gefällt uns.

Wir machen uns auf den Rückweg. Bergab geht es leichter. Kurz vor der Abzweigung zum Larareta-Strand sieht man rechts das ummauerte Mini-Kloster „Kato Monastiri“ – ein Ableger des Hauptklosters im Norden? Scheint unbewohnt.

 

Den Lazareta-Strand haben wir auch heute für uns alleine. Was ein simpler Luxus!

Anschließend ein kühles Radler im „Delfinia“. Noch Wünsche offen?

 

Ich habe mit der Tochter unserer Vermieterin telefoniert und ihr gesagt, dass wir morgen abreisen wollen. Sie will kommen zum Kassieren. Blöd, denn ich will zum Sonnenuntergang hinauf auf den „Schwarzen Rücken“. Ich lasse der Mutter den Geldbeutel da, und die Tochter kommt auch prompt während meiner Abwesenheit. Sie wird uns nur 35 Euro pro Nacht berechnen, ob versehentlich oder gewollt – keine Ahnung. Die Kato-Yialos-Studios kann man nur empfehlen, so oder so.

Die alten Männer sitzen auf einer Stufe an der Paralia, die Fähre „Psara Glory“ kommt wieder verspätet um die Ecke. Der Andrang der Abladenden ist heute nicht so groß wie vorgestern. Ich muss mich sputen will ich den Sonnenuntergang oben auf dem Hügel nicht verpassen.

Das Meer liegt so ruhig und glatt heute, die Beleuchtung ist toll. Im Osten schimmert Chios im Abendrot. Im Westen geht die Sonne hinter dem schwarzen Antípsara unter. Die Disteln sind rosarot. Auch das Denkmal glüht. Die Agios-Nikolaos-Kirche thront drunten auf dem Felsenkap, dahinter zieht sich die Küste in Bögen.

Eleonorenfalken umschwirren mich.

Ein Kaiki knattert entlang der Küste, zerschneidet den Pelagos vor mir. Die Laternen wie glühende Augen.

Ein magischer Sonnenuntergang umfließt mich. Unvergleichlich.

 

So ruhig. So friedlich.

Kein Gedanken an die hier ums Leben Gekommenen.

Ich muss mich losreißen bevor ich in der einsetzenden Dunkelheit den Weg nicht mehr sehe. Gut, dass der breit gepflastert ist.

 

Zum Essen kehren wir heute nochmals im „Delfinia“ ein, essen Saganakia, Fleisch mit Reis, und Loukaniko. Das Fleisch ist fettig und kalt, Jenny schiebt es für uns aber nochmals in den Ofen (eine Mikrowelle scheint es nicht zu geben).

 

Danach brauchen wir noch einen Schnaps. Den nehmen wir im „Iliovasilema“ zu uns (der Tsip dort ist besser als im „Delfinia“. Groß ist er sowieso).

Packen dann die Trolleys – die Fähre nach Chios fährt schon um sieben Uhr ab.

Die Tickets für zehn Euro pro Person habe ich vorhin im Ticketbüro an der Paralia gekauft.

Der Wecker holt uns zeitig aus unseren Träumen. Das Meer ist ruhig, wir brauchen keine Angst vor der Überfahrt auf dem anscheinend windanfälligen Meer zwischen Psara und Chios haben.

Das Frühstück sparen wir uns, es wird schon einen Kaffee an Bord geben (Ja, gibt es, für schlappe 1,20 Euro).

Pünktlich legt das Schiff ab, die Zahl der Passagiere ist überschaubar. Mit der Dämmerung fahren wir entlang der abweisenden Küste Psaras, die sich violett färbt. Hinter Chios geht die Sonne auf.

Fast vier Stunden dauert die Fahrt nach Chios-Stadt, entlang der Nord- und Nordostküste. Dörfer oben am Berghang, Kirchen und einzelne Häuser an der Küste, die Gipfel des Pelineo und des Charkos dahinter, Straßen dazwischen. Das sieht alles sehr nett aus (und bewohnter als wir es dann dort erleben werden). Eine kahle Halbinsel schiebt sich dazwischen, und dann kommt links Inousses in Sicht. Kirchen, ein Kreuz, ein festungsähnlicher Turm, das Kloster Evangelismos. Der Ort weiter weg, im Dunst verschwimmend.

 

Wir nähern uns Chios-Stadt, zusammengewachsen mit Vrondados und sich die Küste entlangziehend. Ist das groß! Ob uns das gefällt?

Na, wir wollen ja gleich weiter nach Inousses. Chios muss noch warten.