"Sigá sigá" - auf der Post in Ios

 

Ende April 2002 waren wir ein paar Tage auf Ios und genossen die wundervolle Insel in der Vorsaison. Überall herrscht Aufbruchstimmung, wurden vor dem Osterfest und damit dem Beginn der Saison die Häuser, Kirchen und Gassen geweißelt, Matratzen gelüftet, Stühle repariert und gestrichen, Speisekarten in Euro umgerechnet... es war ein geschäftiges Treiben wohin man kam. Touristen waren aber noch kaum da. Nach dem Winter ohne Abwechslung und neue Gesichter wurden Neuankömmlingen freundlich begrüßt – endlich war wieder was los! 


Und wir mussten die obligatorischen Postkarten schreiben, kein Problem. Nur mit den Briefmarken war das noch etwas schwierig... lag es daran, dass es mit dem Euro ja auch neue Briefmarken gab, oder weil die Saison noch nicht begonnen hatte? In den Souvenirläden der Chora konnten wir zwar die Karten in großer Auswahl kaufen, aber kein Briefmarken. Dazu müssten wir auf die Post gehen, hieß es - kein Problem, die liegt ja gleich um die Ecke. 


Also gleich hin, aber nachmittags hatte sie natürlich zu. Nun, die Karten brauchen sowieso ein paar Wochen bis sie Deutschland erreichen, kein Grund zu Hektik also. Am nächsten Morgen vor dem Frühstück als ein neue Versuch: die Post war offen, wir reihten uns in die aus 5 Personen bestehende Schlange ein. Nach 10 Minuten war die Schlange noch keine Person kürzer geworden, dafür knurrte unser Magen voller Frühstückshunger. Wir würden nach dem Frühstück mit vollem Magen wieder vorbeisehen, was wir dann auch taten: Das Bild war nahezu unverändert, nur in wechselnder Besetzung – immerhin! Eine Viertelstunde Wartezeit führte zu der Erkenntnis, dass man sich hier seine Briefmarken tatsächlich „erstehen“ musste. Nein, da wollten wir doch erst zum Bäcker und in die Pension zurück, ich würde es später erneut probieren, die Post hatte geöffnet bis 14 Uhr. 


Gegen 13 Uhr fand ich mich erneut im Tachidromio ein. Sogar zwei Schalter waren besetzt, vor jedem ein Schlange mit 4 bis 5 Leuten. Da am nächsten Tag Feiertag war (1. Mai) und außerdem Ostern bevorstand war der Ansturm wohl besonders groß. Ich stelle mich am rechten Schalter an und erlebte in der nächsten halben Stunde, dass es nur sehr langsam bis gar nicht vorwärts ging. Egal, ob ein Paket aufgegeben werden sollte oder jemand Geld abheben wollte: zuerst musste ein Formular ausgefüllt werden. Dieses schien recht kompliziert zu sein, denn es dauerte.... wäre es bei uns in Deutschland gewesen, ich hätte längst geschimpft und mich geärgert. Aber ich war ja auf Ios und hatte Urlaub und war deshalb wild entschlossen, den Spruch „dass Rentner und Touristen am wenigsten Zeit haben“ nicht zu bestätigen.

Nach einer halben Stunde Wartezeit und intensiven Studiums des Postinterieurs und der aufgehängten halbantiken Griechenlandkarte war ich auf Platz drei meiner Schlange vorgerückt. Da die Post nun nur noch eine halbe Stunde geöffnet hatte wurde und den Schalterbediensteten ihre Mittagspause wohl heilig war, schlossen sie die Eingangstüre ab – das hätte gerade noch gefehlt, wenn noch mehr Leute gekommen wären! Übermorgen war ja auch noch ein Tag. 


Auch Anrufer wurden kurz und knapp mit einem „poli dulia“ abgewiesen – der Servicegedanke schien bei der griechischen Post noch nicht sehr ausgeprägt zu sein... Der Schalterbeamte zahlte gerade meinem Vorvordermann knapp 2000 Euro in 20-Euro-Scheinen aus – dies erforderte mehrmaliges Zählen des Geldes, auch von einer unabhängigen dritten Person, und eine ausgiebige Diskussion über die voneinander abweichenden, daraus resultierenden Ergebnisse. Eine ungeduldige Griechin (wieso, die wartet doch erst eine Stunde?) überreichte ihr Paket dem Vordermann, der anscheinend bereit war, es für sie aufzugeben und dafür weitere kostbare Zeit seines Lebens zu opfern. 


Es wurde 14 Uhr und ich war mit meinem Bemühen, ein paar Briefmarken zu erstehen, der Verzweiflung nahe (Kein Wunder waren in den Souvenirläden keine zu bekommen!). Da nahte die Rettung in Gestalt meines Vordermannes, der sich meiner erbarmt und mich vorließ - ich hätte meinen Platz in der Reihe mit Zähnen und Klauen gegen den von hinten vordrängelnden Inselbewohner verteidigt. Vor Glück kaufte ich viel mehr Briefmarken als ich tatsächlich benötigte (Wer weiß, wann man wieder welche bekommt!) und suchte das Weite, beschämt darüber, dass ich wegen ein paar läppischer Briefmarken, deren Kauf die Sache von 2 Minuten war, so lange angestanden war. 


Wenn ich daheim in Deutschland mal wieder irgendwo lange warten muss denke ich einfach an die Post in Ios (die ist bei uns schon zum geflügelten Wort geworden) – und irgendwie ist es verständlich, dass man bei einer Postkarte, deren Zustellung mehrere Wochen benötigt, auch eine angemessene Zeit in den Erwerb der Briefmarke investieren muss....

erlebt im April 2002