Wanderung im Süden

Das schöne Wetter hält an. Mein neuer Nachbar zur Rechten ist Charles, ein junger Franzose, der auch wandermäßig unterwegs ist. Er will heute von hier nach Platys Gialos wandern. Zwei Stunden dreißig gibt Sifnos Trails dafür an, was ich etwas optimistisch finde. Aber vielleicht treffen wir uns in Platys Gialos, denn das ist heute auch mein Wanderziel. Aber von Vathy aus, Sifnos Trail 4 in einer Variante, nämlich nicht als Rundweg. Dafür über Fykiada. Drei Stunden reine Gehzeit schätze ich.

 

Um elf fährt der Bus nach Vathy, und drin sitzt das kanadische Paar, das seinen letzten Urlaubstag am Strand von Vathy verbringen möchte. Ja, die Wanderung, die ich machen wollte, die hätten sie gestern geplant, aber weil es so warm war, sind sie dann nur das Stück direkt hinüber nach Platys Gialos gewandert, vorbei am Profitis Ilias Kontou (ganz schön viele Profitis Ilias' hier auf Sifnos). Heute wollten sie nur faulenzen, im idyllischen Vathy. Kurz bin ich versucht, es ihnen nachzutun.

Nix, es wird gewandert! Mein Erlebnis mit dem Sitzen neben der Ikone im Bus kommentieren sie mit "oh, so you are blessed!". Gut, so hab ich das noch nicht gesehen, aber ein bißchen Segen kann ja nicht schade. Heute zum Beispiel, wo ich alleine unterwegs bin.

 

Kurz vor halb zwölf geht es in Vathy los. An der Bushaltestelle ist der Weg ausgeschildert: Fykiada eine Stunde fünfzig, knapp fünf Kilometer. Eine Karte des Verlaufes gibt es auch.

Ich gehe den langen Strand von Vathy in südlicher Richtung entlang. Vor dem "Elies Resort" sind edle Liegen und Sonnenschirme aufgebaut, etwas weiter darf sich auch der normale Tourist niederlassen wenn er zehn Euro für das Ensemble aus zwei Liegen und einem schilfgedeckten Schirm bezahlt. Dankenswerterweise sind auch die Preise für die Spitzensaison gelistet: 15 Euro werden dann fällig. Das Geld kann ich mir mangels Bedarf sparen.

Am Ende des Strandes, bei ein paar unbewohnten Häusern, steigt der Weg dann auf einer Piste steil ins Hinterland an, erreicht die Straße und verlässt sie nach einigen Metern und einer Haarnadelkurve wieder. Der Pirgos Melogiannis ist mein erstes Ziel, bis ich ihn nach etwa fünfzig Minuten erreiche, ist mir ordentlich warm. Aber der Blick hinab, hinüber nach Vathy ist schön.

 

Von dem Pirgos kann ich allerdings nichts entdecken, nur ein paar Schweine grunzen aus einem Stall. Den höchsten Punkt haben ich jetzt erreicht. Auf der Piste geht es eben weiter Richtung Süden, den Höhenzug des Lagou lasse ich links liegen.

 

Schnell haben ich das Südende von Sifnos vor mir liegen, dunkelgrün mit niedrigen Büschen überwachsen. Wacholder vermutlich. Dahinter die vorgelagerte Insel Kitriani mit einer einsamen Kapelle, Panaga Kipriani.

Der Weg geht in einen steinigen Erdweg über, gut freigeräumt und markiert, wie ich es inzwischen von einem Sifnos-Trail gewohnt bin. Aber die Landschaft ist weniger spannend als im Inselnorden, und so trotte ich vor mich hin, freue mich auf eine Abkühlung in Fykiada und eine Rast an der Georgskapelle. Immerhin, die Aussicht hinüber nach Poliegos, Kimolos und Milos ist gut.

 

Unten knattert ein Motorboot vorbei, die werden doch keine Ausflugsfahrten nach Fykiada machen? Heute am Feiertag Christi Himmelfahrt schon möglich. Dann wäre es Essig mit der gewünschten Einsamkeit dort.

Nach zehn Minuten bin ich über der Agios-Georgios-Kapelle und merke, dass ich die Abzweigung dorthin verpasst habe und unterhalb an der Steilküste kein Weg entlang führt. Das muss ein schmaler und steiler Weg gewesen sein. Beim Panigiri kommt man mit dem Boot - vor vielen Jahren hatten wir mal dabei sein wollen. Mit Dimitrios und Jorgo vom "Morfeas", damals noch stolzer Besitzer eines Passagierkaiki. Aber wir waren zu spät dran und sind in Vathy hängengeblieben, was nicht schlimm war. Ob Jorgo noch lebt? 2005 musste er sein Kaiki auf Land liegen lassen, wegen nachlassender Sehkraft und fehlender Passagierlizenz. Ich habe ihn jetzt nicht gesehen, und die Zeit vergeht so schnell.

 

Die Bucht von Fykiada hat einige Seitenstrände, und so suche ich mir an der Stelle, wo der Wanderweg aufs Meer trifft, einen schattigen Platz unter einer Kiefer und bade hier. Es ist grober Kies, nicht so bequem wie der verlockende Sand weiter östlich, aber die Bootsausflügler haben den Strandabschnitt nach wie vor belegt, und geben ihn erst auf als sich ein weiteres Boot nähert. Ist das ein Betrieb hier!

 

Das Wasser ist angenehm temperiert und sehr flach, es ist aber schwer, tief hineinzukommen und zu schwimmen.

So richtig bequem ist mein Rastplatz nicht und so halte mich nicht länger auf als notwendig. Nach einer Dreiviertelstunde wandere ich weiter, zunächst zum Sandstrand, und von dort nach Osten.

 

Der Weg verläuft nun zwischen Olivenbäumen, und es begegnen mir zum ersten Mal Wanderer, die mir entgegenkommen.

Zehn Minuten später erreiche ich die Ruine des Landsitzes Moussia, und schon wieder kommen mir zwei Wanderer entgegen. Es ist nicht mehr weit, kann ich ihnen bescheinigen. Hier in der windgeschützten Ebene, staut sich die Hitze. Ein paar Fotos von den Ruinen, die von oben noch wie ein hübsches Herrenhaus ausgesehen hatten. Dass die Nähe desillusioniert, erlebt man öfters, nicht nur in Griechenland.

 

Die folgende Dreiviertelstunde wird hart. Die Mittagswärme, der steinige Weg, die eher öde Landschaft mit niedrigen Nadelgehölzen - Spaß macht das wenig. Das erfrischende türkisgrüne Meer ist jenseits kantiger Felsen außer Reichweite, und viel zu selten kommt ein erfrischende Windhauch von dort. Jenseits des Meeres liegt nun das unbewohnte Eiland Kitriani mit der weiß blitzenden Kapelle. Und schließlich führt das Monopati in einem besonders windgeschützten und heißen Taleinschnitt bergan. Da beneide ich den Segler, der unten im Golf kreuzt.

Aber hoch geht es nicht hinauf, und auf 120 Metern habe ich den Kulminationspunkt erreicht. Der unbewohnte Südzipfel Sifnos' bleibt hinter mir zurück, nun habe ich die weite Bucht von Platys Gialos vor mir. Ich trinke den Rest meines Wasservorrates und freue mich auf einer Erfrischung unten im Ort. Bis dahin dauert es aber noch etwas über eine halbe Stunde, dann auf dem letzten Stück muss man einen ziemlichen Bogen auslaufen. Ab der Kläranlage aber immerhin auf einer Straße.

Halb vier ist es, als ich am Strand von Platys Gialos stehe, war also vier Stunden unterwegs. Es ist nicht die schönste Tour auf Sifnos, aber nun schmecken das Cola und das Dakos im "Nero&Alati" doppelt, für die ich den früheren Bus sausen lasse.

Am Nachbartisch sitzt Charles, auch er müde von der Wanderung ab Apollonia, die wie prophezeit deutlich länger gedauert hat als beschrieben.

 

Ich gönne mir dann noch ein Bad am herrlichen Sandstrand und fahre um halb sechs mit dem Bus zurück nach Apollonia.

Es riecht nach Sommer.

 

Eigentlich wollte ich heute Abend in Artemonas essen, bei "Margarita". Vorher noch etwas Fotografieren gehen.

Aber dann lockt mich Musik auf die Platia Iroon von Apollonia. Stimmt, hier ist ja heute das Konzert. Die Kapelle Φιλαρμονικής Ορχήστρας του Λιμενικού Σώματος (Kapelle der Küstenwache) ist noch am Proben, ich setze mich auf einen der vielen noch leeren Stühle und genieße die Szenerie: die Musiker in ihrem weißen Dress, die vor sich hin proben während die Nichtbenötigten in ihre Smartphones gucken, die Kinder (ohne elektronisches Spielzeug!), die erwartungsvoll in der Reihe vor mir sitzen, die Jajades in ihren Strickwesten, die das Programm studieren und Plätze für die Familie freihalten, die Männer, die eher unbeteiligt tun, aber sich doch auch chic gemacht haben. Und dann ist da noch der Mann, der die defekte Glühbirne in der Straßenlaterne austauscht. Ein großes Event für die Insel, offenbar.

Die Stuhlreihen füllen sich, die offizielle Startzeit von halb neun ist längst überschritten. Und ich merke, dass ich eigentlich Hunger habe. Wie lange das Konzert wohl dauert? Ich leihe mir den Programmzettel von der Nachbarin, überfliege ihn schnell. Eine Stunde vielleicht? Ich werde ausharren. Beginn kurz vor neun Uhr, es dunkelt schon.

 

Es wird eine Mischung von flotten griechischen Evergreens aus den 50er bis 70er Jahren, ein Mann und eine Frau der Kapelle singen dazu. Nicht wirklich meine präferierte Musik, aber unterhaltsam. Längst sind alle Sitzplätze belegt, überall am Rande stehen Zuhörer.

Mein durchhängender Magen treibt mich zum Ende des Konzertes gegen zehn Uhr schnell in ein Lokal. Mein Wahl fällt auf das "Cayenne" in einem hübschen Hof neben einer Kirche am Steno. Nicht ausdrücklich griechische Küche, eher mediterran-gehoben. Ich finde einen windgeschützten Platz, man könnte auch drinnen sitzen. Meine Pasta mit Huhn und Tomaten schmeckt gut, das Viertel Wein auch, und mit 15 Euro fällt die Rechnung niedriger aus als ich beim Blick in die Speisekarte erwartet hatte. Das Ambiente ist echt schön. Vielleicht etwas zu, denn die meisten Tischen bleiben heute leer.

 

Ich bin in melancholischer Stimmung, denn mein Kykladenurlaub geht dem Ende zu.

 

Lange habe ich überlegt, ob ich erst mit der letztmöglich Fähre am Samstagabend nach Piräus zurück soll, oder doch lieber schon am Freitag um noch einen Tag in Athen verbringen und die documenta 14 zu besuchen. Leicht ist mir die Entscheidung nicht gefallen, und wäre ich nicht früher als geplant nach Sifnos gekommen, so wäre sie vermutlich anders ausgefallen. Weil die Samstagsfahrt dazu noch mit dem windempfindlichen und gerne ausfallenden "Seajet 2" durchgeführt wird (der Angestellte von "Thesaurus Travel" in Apollonia beschwert sich bei der Gelegenheit über die schlechten und unzuverlässigen Fährverbindungen ab Sifnos, und die fehlende Wetterfestigkeit des Seajets, der ihm viel Ärger einbringe. Aber was soll man da auf der Nachbarinsel Serifos sagen, deren Verbindungen wesentlich schlechter sind?), und das Wetter die nächsten Tage wechselhaft werden soll, werde ich am Freitagabend abreisen, mit dem "Speedrunner 3" um 19.45 Uhr via Milos. Ankunft in Piräus gegen Mitternacht.

 

Dummerweise hat mein Stammhotel Anita-Argo in Piräus, für das ich von Samstag auf Sonntag schon längst ein Zimmer für 30 Euro reserviert habe, so kurzfristig kein Zimmer mehr frei. Und auch in anderen bezahlbaren Quartieren sieht es ähnlich aus. Schließlich kann ich im "Ionion" telefonisch noch ein Einzelzimmer reservieren, für 40 Euro. Oder hätte ich besser die "Adamantios Korais" nehmen sollen, die um halb neun in Sifnos ab- und die Nacht durchfährt und morgens um 4 Uhr in Piräus ist? Zu spät.

 

Meine nette Vermieterin Flora erlaubt mir, am Freitag so lange im Zimmer zu bleiben wie ich möchte.

So kann ich am Freitagvormittag noch einen ausgedehnten Bummel durch Apollonia und hinüber nach Artemonas machen, beim Zaccharoplastis Amygdalota kaufen und bei "Margarita" einen Frappé trinken. Schade, dass ich hier nicht zu Abend gegessen habe.

Ein kleiner Nachtreiher sitzt am grün-üppigen Bachbett, das Ano Petali von Artemonas trennt. Wunderschön der Blick von der Terrasse vor der Hauptkirche Agios Ioannis Prodromos, die das Geronti-Viertel überragt.

Den Nachmittag möchte ich unten in Kamares verbringen. Etwas essen, nochmals Baden gehen, hinauf zur Kapelle Agia Marina. Ich mag das Flair unten ja auch, die Nähe zum Meer.

 

Ich verabschiede mich von Flora, die eine sehr nette Gastgeberin war. Das Zimmer war sowieso wunderschön, da werde ich sicher wiederkehren. Ein Gläschen selbstgesammelte, in Salz eingelegte Kapern gibt sie mir mit, und Rigani, und Bergtee.

Gegen halb drei ruft sie mir ein Taxi. Als der Taxifahrer Nikiforos mit dem Wagen kommt, sitzt bereits eine ältere Dame drin. Während Nikiforos noch etwas erledigt, kommen wir ins Gespräch. Emmanouela heißt sie, und sie ist die bereits früher erwähnte Initiatorin der Sifnos Trails. Ich spare nicht mit (berechtigtem) Lob darüber, und sie kommt in Fahrt, erzählt von der langen Geschichte der geplanten Wegeerhaltung, von der Ignoranz der Alteingesessenen, von der Bereitschaft der Jüngeren, von den Mühen der ehrenamtlichen Arbeit, von Sabotage, von der Hilfe der Paths of Greece, und von dem nun gelungenen Projekt, das aber kein Selbstläufer ist, sondern fortwährend Arbeit benötigt.

 

Über dem Gespräch kommen wir in Kamares an, wo sie wohnt. Sie lässt mich nicht die zehn Euro für das Taxi bezahlen (das hätte ich als Mini-Dank für ihr Engagement sehr gerne übernommen, aber sie scheint mir sehr wohlhabend), und Nikiforos sorgt dafür, dass ich mein Gepäck in einem Reisebüro unterstellen darf

Fünf Stunden Zeit haben ich jetzt noch.

 

Zunächst gehe ich essen im "Araxovoli". Die vom jungen Kellner empfohlene Lasagne ist zwar eher herkömmlich, aber trotzdem gut.

War das Wetter vorhin noch schön, so bewölkt es sich zunehmend, ein kühler Wind kommt auf. Hoffentlich hat Charles, der auf den Profitis Ilias wollte, wenigstens ein bißchen Aussicht. Der Gipfel hängt immer wieder in Wolken, und auch die gegenüberliegende Bergreihe.

Das wird mir den Abschied etwas leichter machen. Selten bin ich so ungerne abgereist, selten hat es mir so gut gefallen. Hätte ich doch erst morgen fahren sollen?

 

Entlang des Strandes bummel ich hinüber zur anderen Buchtseite und gehe die Treppen zur Kapelle der Agia Marina hinauf. Die griechische Flagge knattert im Wind, die Beleuchtung wirkt dramatisch. Der Seajet, der auch heute die schnellere, wiewohl teurer Verbindung nach Piräus wäre, kommt angeschaukelt. Viel Spaß euch Reisenden, ich warte lieber auf den großen Speedrunner.

Die Kapelle ist offen, aber der Kerzen sind genug angezündet. Oder doch eine für gute Heimkehr? Kann nicht schaden.

Eigentlich wollte ich nochmals baden gehen, aber wie ich am Strand von Kamares liege, schrecken mich die Wellen und der Wind ab. Erst spät kann ich mich überwinden, doch noch ins flache, gar nicht kalte Wasser zu gehen. Ist schließlich die letzte Badegelegenheit in diesem Urlaub.

 

Noch ein Eis auf die Faust bei Pipis, auf mehr haben ich keinen Appetit. Dann leiste ich Renate Gesellschaft, die im "Araxovoli" isst. Sie kommt aus der Gegend von Offenburg, ist passionierte Wanderin und jedes Frühjahr auf Sifnos, in Kombination mit anderen wanderträchtigen Inseln. Eine Gleichgesinnte also, und sie wird auch mit dem Speedrunner abreisen. Wir werden während der ganzen Fahrt Erfahrungen austauschen, verschwätzen uns schon jetzt beinahe, ich brauche doch noch etwas Proviant für die Überfahrt.

 

Der Wind hat netterweise nachgelassen, die Berge sind wieder frei und von waagrechter Sonne beleuchtet. Der "Speedrunner 3" hat eine gute Viertelstunde Verspätung, macht eigentlich nichts, aber hoffentlich ist mein Hotelzimmer in Piräus dann nicht weg. Ich haben ja keine Sicherheiten hinterlassen, nur meine Mobilfunknummer.

Dimitrios kommt um uns zu verabschieden. Es war nett, sich wiedergesehen zu haben.

Und das Wiedersehen mit Sifnos sowieso.

Ich werde nicht wieder sechs Jahre verstreichen lassen bis zum Wiederbesuch.

Nun aber Kurs Piräus, via Milos.