Lipsi - Im Ort

Wir gönnen uns einen Tag Pause. Beobachten den Fährverkehr: Der Flying Dolphin „Erato“ kommt am Morgen von Samos. Die „Patmos Star“ bringt wieder eine pappáshaltige Gruppe älterer Griechinnen.

 

Später bummeln wir durch den Ort. Besichtigen die Hauptkirche, Ioannis Theologos geweiht. Mit zwei kostbaren Ikonen darin, einmal der „Panagia i Mavri“ und dann gibt es noch die wundertätige Ikone „Panagia tou Charou“, die eigentlich in die gleichnamige Kirche außerhalb des Ortes gehört, aber zu kostbar ist um dort aufbewahrt zu werden. Immer am 23. Juli soll eine vertrocknete Lilie, die sich unter dem Glas der Ikone befindet, wieder aufblühen. Was zu entsprechenden Wallfahrten an diesem Datum führt, und einem großen Panigiri.

An der Platia bei der Kirche befindet sich auch ein kleines Museum, das allerdings geschlossen ist. Daneben die Bibliothek. Und ich erinnere mich, dass es vor sechzehn Jahren hier noch eine kleine Webschule gab. Und ich träumte wie es wäre, hier meine beiden Berufe quasi nebeneinander auszuüben – links die Weberei, rechts die Bibliothek. Lange ist es her….

Wir brauchen Briefmarken und bekommen in der Post an der Platia einen kleinen Einblick in das Alltagsleben auf Lipsi: da ist die Frau, die ihre Stromrechnung abholt, eine andere braucht Kopien, eine dritte will ein Paket verschicken, ein älterer Mann wartet auf einem Stuhl, vielleicht ist es ihm auch nur langweilig und er sucht Gesellschaft. Der freundliche Postangestellte hat für alle ein offenes Ohr, und genug Zeit.

Man könnte nun meinen, die Idylle wäre perfekt.

 

Das hatte wohl auch Alexandros Giotopoulos gedacht, der 2002 auf Lipsi verhaftet wurde (hier ein Text wie es dazu kam). Der Anführer der linksextremistischen Terroristengruppe „17. November“ (sie bekannte sich seit 1975 zu 23 Morden und zahlreichen Bombenanschlägen) hatte hier sechzehn Sommer unter dem falschem Namen Michalis Economou verbracht (er hatte noch eine Wohnung in Athen, wo er sonst wohnte). Nach seiner Verhaftung wurde Giotopoulos zunächst zu 21 Mal lebenslänglich verurteilt, legte aber Berufung ein, das Gericht revidierte das Urteil auf 17 Mal lebenslängliche Haft. (Dazu ein Zeitungsartikel von 2007). Er müsste noch sitzen – ob er gelegentlich von Lipsi träumt?

Ob die Einheimischen wirklich nicht gewusst haben wen sie hier vor sich hatten? Er hatte in einem auffällig rosafarbenen Haus oberhalb des Hafens gewohnt, was zu Auseinandersetzungen mit den lokalen Behörden geführt hatte: wo doch sonst alle Häuser in Weiß gestrichen sein mussten. Heute wollen die Lipsioten verständlicherweise lieber nicht auf Giotopoulos angesprochen werden.

 

Das rosafarbene Haus finden wir nicht. Oder hat das Rosafaible unseres Nachbarn von der Taverne „Yiannis“ etwas damit zu tun?

Jenseits der Platia gibt es eine weitere Bäckerei, in der wir zwei Diples kaufen – ein inseltypisches Gebäck, bestehend aus einem hauchdünnen, in Fett ausgebackenen und zusammengerollten Fladen, mit Honig getränkt. Tierisch süß, aber lecker! (Später, auf Kos, werden wir gefragt werden ob wir nicht den guten Honig von Lipsi gekauft hätten: der wäre – wer hätte es gedacht – nämlich der beste Honig weit und breit!)

 

Am Südende der Hafenbucht ist eine kleine Werft, in der an den bunten Kaikia gewerkelt wird – ein Boot ist auf dem Archipel wichtiger als ein Auto. Und Fischfang ist hier nicht nur malerische Dekoration für romantische Touristen. Der Music-Club „Meltemi“, der sich hinter der Werft befindet, hat dann auch für dieses Jahr schon geschlossen.

Am Yachtanleger wirbt ein Aufsteller für Bootsausflüge zu den fünf Inseln mit dem Kaiki „Margarita“. Für gerade mal fünfzehn Euro pro Person – Getränke und Snacks inklusive – geht der Bootstrip zu den unbewohnten Inselchen Aspronisi, Tiganaki und Makronisi sowie nach Maráthi und Arki – mit Zeit um dort in einer der Tavernen einzukehren. Und natürlich reichlich Badestopps. Nicht uninteressant.

Die Konkurrenz vom Kaiki „Rena“ am Hauptanleger bietet die gleiche Tour sogar für nur zehn Euro an. Am Sonntag geht die letzte Tour der Saison mit der „Rena“ – die „Margarita“ geht morgen schon auf die letzte Saisonfahrt.

Die Wärme nimmt weiter zu. Mittags lesen wir 32°C ab – im Schatten. Und das am 28. September.

Da tut ein nachmittägliches Bad am Liendou-Strand gut. Das griechische Paar mit Hund (English Setter) ist wieder da, sie wohnen auf einer nicht ganz kleinen Motoryacht und pflegen jeden Tag die gleichen Baderituale. Der Mann auf seinem Esel reitet vorbei, den haben wir die letzten Tage auch schon gesehen. Die einzige Hektik verbreitet der Katamaran „Dodekanisos Pride“, der heute wieder auf Lipsi vorbeisieht. Und mir fällt auf, dass ich seit über einer Woche keine schlechten Nachrichten aus Griechenland gehört, gelesen oder gesehen habe. Ich sollte mal ins Internet gehen, damit ich weiß wie die Lage ist….

Das Café „Cavos“ in unserer Nachbarschaft, das auch als Internet-Café fungiert, macht aber gerade Siesta. Am Abend wird es offen sein, der nette Besitzer ist in Bremen geboren und aufgewachsen – auch sonst soll es viele Lipsioten in Bremen geben. Faszinierend, wie sich Auswanderer einer Herkunft meist an bestimmten Orten ansiedeln – einer geht voran und befindet für gut, die anderen kommen nach.

Lipsi soll ja die Insel der Nymphe Kalypso sein, auf der diese den irrfahrenden Helden Odysseus sieben Jahr lang festgehalten hat. Diesen Anspruch teilt Lipsi mit einigen anderen Inseln, die wir schon besucht haben: Gavdos, Othoni, Panarea. Und Pantelleria und Gozo. Begründet ist der Anspruch im Falle Lipsis alleine im Inselnamen: Ka-Lipso. Ein wackeliges Argument, schließlich hieß die Nympheninsel in der Antike „Ogygia“. Aber natürlich gibt es auf der Insel eine Taverne mit dem Nymphennamen, und da gehen wir am Abend essen

Das „Calypso“ soll das beste Fischlokal der Insel sein, und so ist es sicher ein Fehler, dort keinen Fisch zu essen. Aber irgendwie steht uns der Appetit nicht danach, was ich hinterher bedauern werde – die Fischsuppe soll besonders gut sein! Die Fleischgerichte sind leider nur durchschnittlich – meine Hühnchen-Cannelloni finde ich ok, aber die Mutter ist mit den Spaghetti Bolognese nicht so zufrieden – irgendein Gewürz schmeckt ihr nicht. Schade.

 

Die Tageshitze sitzt immer noch in unserem Zimmer, wir lassen die Türe offen um etwas Durchzug zu bekommen. Zum Glück hat es nur wenige Mücken.

Morgen wollen wir wieder wandern.

Zum einsamen Baum.