Einmal rund um Paros

An meinem letzten paddelfreien Paros-Tag werde ich mir ein Auto mieten. Ich frage meine Wirtin Sofia, und sie bestellt mir ein Auto direkt ans Hotel. Der Autoverleiher ist irgendwie mit dem Hotel verbandelt. 30 Euro kostet der rote Skoda Citigo am Tag, der mir eine halbe Stunde später vor dem Hotel übergeben wird. Die Überlegung, ihn gleich für zwei Tage zu mieten und am Montagvormittag am Flughafen zurückzugeben, verwerfe ich, als ich höre, dass die Rückgabe am Flughafen mit einer Extragebühr von 25 Euro verknüpft ist. Und morgen würde der Wagen ja nur herumstehen, weil ich nochmal kajaken gehe. Lohnt also nicht.

 

Gegen zehn Uhr fahre ich los um eine Runde im Uhrzeigersinn um beziehungsweise auf Paros zu drehen. Mein erster Halt ist in Kostos, da in der Ortsdurchfahrt zwei schmucke Kirchen zum Halt locken. Die gepflegten, fast schon sterilen Gassen sind aber ziemlich ausgestorben, nur ein paar Katzen sorgen für dezente Belebung. Dann doch schnell weiter nach Lefkes, wo oberhalb des Ortes die Straße zum Agii Pantes abzweigt. Paros' höchster Berg ist mein erstes Tagesziel. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Straße durchgehend befahrbar ist.

Sie ist es, auch wenn der Beton gelegentlich löchrig und rauh ist. Oberhalb von Lefkes kurvt man durch Ebenen mit Felderterrassen und schütteren Weinbergen, in denen vereinzelt Menschen arbeiten und Kapellen weiße Tupfen setzen. Weiter oben wird das Grün seltener und die Steine nehmen zu, durchsetzt von undurchdringlich scheinender dornigen Kugelbuschlandschaft.

Der Blick wird weiter und reicht über Paros' Küstenlandschaft hinaus nach Naxos. Und über allem kreist ein Raubvogel, umschwirrt von attackierenden Krähen. Bei den Fotostopps schütteln mich Windböen durch.

 

Auf dem Gipfel empfängt mich ein Wald von Masten, zu deren Füßen eine breite weiße Kirche wie eine Katze liegt: Agii Pantes = Allerheiligen. Eine weitere, deutlich kleinere Kapelle schmiegt sich etwas unterhalb an den Hang, sie ist dem Profitis Ilias geweiht (SMS nach Köln). Verschlossen sind beide Kirchen, was mir aber nichts ausmacht, schließlich bin ich vor allem wegen der Aussicht gekommen. Und die ist wirklich grandios, auch wenn sich die umliegenden Inseln bis auf Naxos und Antiparos fast vollständig im Dunst verlieren.

In die Bucht von Parikia fährt gerade der "Superrunner" ein, mit dem ich gekommen bin.

Etwas weiter westlich sind die Portes-Felsen zu erkennen. Wie zwei Haifischflossen scheinen sie schwerelos im blauen Ozean zu schweben. Und wurden doch am Abend des 26. Septembers 2000 der Fähre "Express Samina" zum massiven Verhängnis, als sie bei der Anfahrt auf Parikia auf die Felsen auffuhr und innerhalb einer halben Stunde sank. 82 Menschen kamen dabei ums Leben.

Dass nicht noch mehr waren, ist wohl dem glücklichen Umstand geschuldet, dass sich viele Passagiere auf Deck aufhielten und so retten konnten.

Der Kapitän und andere maßgebliche Besatzungsmitglieder hatten anscheinend Fußball geguckt statt sich um das Schiff zu kümmern. Fünf von ihnen einschließlich Kapitän wurden später zu langen Haftstrafen verurteilt. Der Reeder der Fährgesellschaft Minoan Flying Dolphins stürzte sich in der Folge von seinem Büro im 6. Stock in den Tod.

Nun, fast zwanzig Jahre später, soll das Schiffswrack geborgen werden da es die Schifffahrt behindert und die Umwelt verschmutzt. Eine Ausschreibung hat stattgefunden, mal sehen wie es weitergeht. Die Taucher, die das Wrack als attraktives Unterwasserrevier nutzen, müssen sich dann wohl ein neues Ziel suchen.

 

Ich schlendere rund um die Agii-Pantes-Kirche, gucke, ob sich irgendjemand außer mir hier aufhält. Nein, niemand.

Ein großes Kloster sehe ich nördlich am Fuße des Berges liegen, das muss Panagia Thapsana sein, ein Nonnenkloster. Es gibt viele Klöster auf Paros, auch bewirtschaftete. Frauen dürfen aber die wenigsten von ihnen besuchen. Ich belasse es also bei einem "herablassenden" Blick.

Die verzweigte Bucht von Naoussa ist gut zu sehen, und die Westküste von Naxos mit der Chora und der Piste des Flughafens davor. Nur nach Süden versperrt der 724 Meter hohe Gipfel des Stroumboulas die Sicht, vor ihm führt die Straße vorbei, auf der ich gekommen bin.

Ich fahre auf ihr wieder hinab und habe dann unterhalb der Straße neben mehreren pittoresken Kapellen die Anlage des kleinen Klosters Agios Ioannis Kaparos vor Augen, die in einer grünen Mulde liegt. Einige Kilometer später, kurz vor Lefkes, biegt ein Feldweg dorthin ab. Fürs Auto ist er mir aber zu schlecht, und zu Fuß haben ich heute keine Lust.

 

Von Lefkes fahre ich über Prodromos nach Marpissa und biege dort von der Hautstraße ab auf die Nebenstraße, die entlang der Dörfer Toulos, Tsoukalas und Tzanes führt. Eine landwirtschaftlich genutzte Gegend ohne Höhepunkt. Na, vielleicht könnte man den Esel, der hier irgendwo neugierig über eine Mauer guckt, einen Höhepunkt nennen.

Ich verpasse den bekannten Golden Beach und erreiche Dryos. So weit im Süden war ich auf Paros noch nie. Dryos will ich mir angucken und etwas essen. Schmale Zufahrtsstraßen führen von der Hauptstraße links zur Promenade, die etwas erhöht über dem Ufer liegt. Ich parke das Auto an einem kleinen Hafen und sehe mich um: direkt hier sind lange Rinnen in den dunkelgrauen Felsen gefräst, es handelt sich dabei um die Überreste antiker Werften. Die Boote wurden in die Rinnen gezogen und konnten nicht umkippen.

 

Dryos ist nett. Es ist nicht mehr viel los hier, einige Tavernen warten oktopuspräsentierend auf Gäste, die mit üppigem Grün umrahmten Pensionen und Hotels machen schon einen endsaisonalen Eindruck, das Badeleben am Kiesstrand unterhalb des Uferweges ist familiär und überschaubar.

Ein großes Bassin, gefüllt mit algig-grünem Wasser, überrascht mich neben einem Hotel. Eine wasserreiche Gegend hier, offenbar. Oder Insel.

 

Ich entscheide mich für die Taverne "To Kyma" und werde in die Küche gebeten um mir die Essensauswahl anzusehen. Die gefüllten Zucchini mit Zitronensauce sehen gut aus und wandern auf meinen Teller. Schmecken auch gut, und so allmählich werden auch die anderen Tische belegt. Man kann gut dem Badeleben am Strand eine Etage tiefer zusehen. Mir ist das aber zu beobachtet und ich verschieben meine Badelust auf eine abgelegenere Ecke.

 

Die finde ich kurz darauf am Strand von Glyfa an der Südspitze von Paros. Eine schlechte Straße führt von der Hauptstraße hinab zu gleich mehreren Stränden. Ein paar Autos parken im Schatten der Tamarisken, aber der Strand ist breit genug und alles verteilt sich. Kiesel und Sand, das Wasser klar und kühl. Der Wind hat etwas aufgefrischt, nass braucht man schon die Sonne.

Ich halte mich nicht lange auf, möchte meine Tour de Paros ja noch vollenden. Steuere das Auto von der Hauptstraße hinab nach Alyki, lande in einem einbahnstraßengesteuerten Wirrwarr, das mich nicht zum Verweilen einlädt. Und ratzfatz bin ich wieder draußen aus Alyki. Na, macht nichts, ich wollte ja weder baden noch etwas essen.

Auch die Gegend am Flughafen lädt nicht zum Verweilen ein. Erst auf der Höhe von Pounta macht ein Wegweiser zum Schmetterlingstal und zum Kloster Agios Arsenios mich neugierig und ich biege nach rechts in die Berge ab. Die Schmetterlinge - vielmehr Nachtfalter - lasse ich lieber in Ruhe. Wenn sie jetzt Ende September überhaupt noch da sind, brauchen sie bestimmt keine Störung.

 

Nicht gestört werden wollen in ihrer Mittagspause auch die drei Nonnen des Klosters, vor dem ich das Auto abstelle. Eine hohe Mauer mit verschlossenem Tor schottet das Kloster aus dem 17. Jahrhundert mit einer prächtigen Gartenanlage, das eigentlich Christou Dasous heißt, von der Umgebung ab. Pfauenschreie dringen heraus.

Hier liegen in einer Grabkirche die Gebeine des heiligen Arsenios (der Jüngere), der 1877 auf Paros starb. Nicht zu verwechseln mit einem anderen Heiligen gleichen Namens (der Große), der schon im 4. Jahrhundert lebte. Auf einer Terrasse etwas über dem Kloster thront die riesige Kirche des Heiligen. Sie wurde erst 2002 fertiggestellt und erstrahlt in weißer Unnahbarkeit. Natürlich ist sie auch zu.

 

Am besten ist aber sowieso der Blick über Paros hinüber nach Antiparos und auf die kleinen Inselchen dazwischen. Revmatonisi zum Beispiel, das der Reederfamilie Goulandris gehört. Eine Privatinsel ist ein Muss unter Reedern - mir fallen das Spetsopoula (Niarchos) oder Agios Georgios (Ventouris) ein. Oder Skorpios, das mal den Onassis gehörte. Revmatonisi hat laut Census 2011 aber keine Bewohner. Eine Schule Jollen ist dort unterwegs, die Einsteigerklasse ("Optimist") für kindliche und jugendliche Segler

Ich habe Lust auf ein Eis oder einen Kaffee und so steuere ich nun doch das eigentlich ungeliebte Parikia an. Ein Parkplatz in Hafennähe lässt sich finden, es ist erst Viertel nach vier und Parikia liegt noch im Mittagsschlaf. Ich gucke mir die Auslage der nahen Buchhandlung an, ehe ich am Denkmal für die Freiheitskämpferin Manto Mavrogenous vorbeikomme. Wie die bekanntere Bouboulina unterstützte sie mit ihrem Vermögen Griechenland im Freiheitskampf gegen die Osmanen. Sie lebte auf Tinos und Mykonos und starb 1848 verarmt auf Paros. Es gibt einen Roman über ihr Leben "Die Rebellin" (auch mit der Ergänzung "von Mykonos") von Martina Kempff, den ich vor Unzeiten mal gelesen habe.

 

Zurück nach Parikia im 21. Jahrhundert. Mein gewünschtes Eis bekomme ich in der Vanilla Gelateria. Immer wieder überraschend, wie großzügig man in Griechenland bei der Portionierung ist im Gegensatz zu Deutschland.

Danach lasse ich mich von den malerisches Gassen des Kastro-Viertels zu einem Bummel verlocken und muss ganz schnell meine Meinung über das ungeliebte Parikia revidieren: wunderschön ist es hier. Aber auch, weil jetzt noch kaum etwas los ist. Da unterscheidet sich Parikia kaum von Naoussa, dessen Sträßchen man am Abend im Gegensatz zum Morgen oder Nachmittag auch kaum wiedererkennt wenn die Läden und Restaurants geöffnet sind. Und es ist hier ja auch so fotogen: die bougainvilleaüberwachsenen Durchgänge, die blumentopfgeschmückten Treppen, die niedliche blaukuppelige Taxiarchis-Kapelle an dem hibiskusgedeckten Brunnen und dem Café, auf dessen Stühlen Katzen schlafen.

Schließlich lande ich an der Kastro-Kapelle Agios Konstantinos mit den drei Arkaden, die auf filigranen Säulen ruhen. Mit Blick auf das Meer und die Portes-Felsen kann man sich hier schön entspannen. Und nur wenige Meter weiter steht der Burgturm, erbaut aus antiken marmornen Teilen und wunderschön. Hatte ich alles vergessen und genieße es jetzt umso mehr. Die Cafés und Bars entlang der Paralia lassen auf reges Nachtleben schließen.

Das Viertel belebt sich allmählich, es ist fünf Uhr vorbei.

 

Ein Schlenker zum Hafen, wo gerade parallel zwei Schnellfähren halten - ein schneller Spuk. Die Zimmeranwerber suchen ihre Kundschaft eher nicht unter den Eiligreisenden. Natürlich stehen auch überall die schönen Dreiräder herum, ohne die der Hafen von Parikia nicht komplett ist

Die Versuchungen des Süßwarenladens Aspronisi an der Hafenfront, ich schaffe es, den Laden nur mit Fotos wieder zu verlassen. Bin noch süßsatt von dem Eis.

Und nun muss ein Besuch der Panagia Ekatontapiliani doch sein. Die vielleicht schönste Kirche der Kykladen, und eine der ältesten noch dazu.

Zögerlich betrete ich den Innenhof, den ich nicht annähernd so gepflegt in Erinnerung hatte. Manche Stunde haben wir hier bequem und im Schatten mit dem Warten auf die Fähre verbracht, aber das ist lange her.

Die prächtig blühenden rosa Strandlilien vor der Mauer sehen unecht aus, sind es aber nicht.

 

Gerade hat in der Kirche eine Taufe stattgefunden, die Taufgesellschaft in schicken Kleidern hält sich noch im Hof auf, umtüddelt den Täufling und verteilt Süßigkeiten und kleine Geschenke. In meinen Dreiviertelhosen darf ich das Gotteshaus nur mit einem angemessenen Leihrock betreten, den ich an der Türe erhalte. Da passt die Mesnerin genau auf. Bei der Taufgesellschaft ist sie nachsichtiger. Eingeschüchtert auch von der marmornen Pracht bleibe ich nur kurz im Gotteshaus, lieber verweile ich im Innenhof und betrachte die Leute.

 

Es wird Zeit, nach Naoussa zurückzukehren. Aber das verzögert sich noch, denn vor dem Kirchenkomplex versammelt sich wartend schon wieder eine aufgebrezelte Gesellschaft. Als ich einige Musiker mit Laouto und Violi entdecke, wird mir klar: hier findet nun noch eine Hochzeit statt. Und offenbar keine kleine.

Die Musiker verschwinden Richtung Hafen um wenig später den Brautzug musizierend zur Ekatontapiliani zu führen. Im Schlepptau die Damen mit High-Heels und in mehr oder weniger schönen, aber luftigen Kleidchen. Alles überwacht von einer Drohne - ohne geht Hochzeit nicht mehr standesgemäß in Griechenland. Fotografen überall. Vor der Kirche fallen dann die überall in die Höhe gereckten Smartphones auf.

Ich habe genug gesehen und fahre zügig nach Naoussa. Am Ortseingang tanke ich für ein Euro 87 den Liter. Ganz schön teuer im Vergleich zum preiswerten Evia. Aber das ist ja auch schon fast Festland.

 

Ich drehe eine Fotorunde in Naoussa, das im späten Nachmittagslicht besonders gut zu Geltung kommt und den Fotoapparat zum Rotieren bringt. Noch sind die Tische der Restaurants leer, nur auf der Sonnenseite des alten Hafen sitzen die Sonnenanbeter beim Drink, hängen Chtapodia auf der Stange. Alex hat uns erzählt, dass der lokale Fang nicht reicht, den immensen Bedarf zu decken und die Achtfüßler tiefgefroren wer weiß woher kommen. Gelogene Idylle. Werbung eben.

Ich werde heute nicht in Naoussa essen sondern möchte mit dem Auto nach Ampelas an der Ostküste. Eigentlich wollte ich dort ins "To Thalami", aber Alex, der in Ampelas wohnt, meinte, das "Christiana" wäre besser. Weil die Sonne längst untergangen ist, habe ich in der nur durch wenige Lichter beleuchteten Gegend Mühe mit der Orientierung. Ambelas scheint eher eine der neu gewachsenen Strandsiedlungen ohne echten Ortskern zu sein, aber der nächtliche Eindruck kann täuschen.

Ich stelle das Auto am einem in Nachtschwärze verlassenen Minihafen ab und checke die Lage. Das Lokal hier heißt "Argyris", "Christiana" muss weiter entlang der Paralia nach Norden sein. Jenseits des Meeres leuchten die Lichter von Naxos verheißungsvoll. Ob ich im Januar wieder dorthin soll? Ich hab noch eine offene Verabredung mit dem Zas ....

 

Hundertfünfzig Meter entlang der leblosen Paralia-Straße entdecke ich dann das "Christiana". Ein riesiger Gastraum mit zu öffnender Glasfront und ein paar Tische am Ufer jenseits der Straße. Es ist nicht kalt, und so wähle ich einen Tisch draußen. Zwei, drei der Tische hier sind belegt.

Es ist Samstagabend, die meisten (griechischen) Gäste sitzen drinnen. Der Service hat entsprechend wenig Zeit und Aufmerksamkeit für die externen Esser.

Ich bestelle Soutzoukakia und Tsatsiki, dazu Wein und Wasser. Das Essen kommt, aber kein Besteck. Es wird nachgereicht nachdem ich das Fehlen moniere. Auch auf das Wasser warte ich vergeblich. Die Qualität der Soutzoukakia haut mich auch nicht gerade vom Hocker.

Schade, das war ein Fehlgriff. Zum Glück hatte ich in diesem Urlaub nur wenige davon.

Noch während ich noch im Lokal am Ufer sitze, überfällt mich eine bleierne Müdigkeit. Ich schaffe es mit Mühe zurück nach Naoussa und sinke ohne Umwege ins Bett.

Morgen ist dann der letzte Urlaubstag. Wieder im Kajak.