Kos - Kalymnos - Lipsi

 

Unser diesjähriger Herbsturlaub beginnt mit einem Fehlstart: dank der extrem langsamen Sicherheitskontrollen am Stuttgarter Flughafen und daraus resultierenden elf unpünktlichen Passagieren starten wir 40 Minuten später als geplant in Stuttgart. Der Pilot kann auf dem Flug zehn Minuten wieder reinholen, und wir landen mit einer halben Stunde Verspätung auf Kos. Da wäre noch eine Dreiviertelstunde Zeit gewesen, im nahen Mastichari die Fähre nach Kalymnos und dort wiederum diese nach Lipsi zu erreichen. Von dieser Dreiviertelstunde warten wir allerdings vierzig Minuten im chaotischen Ankunftsbereich des koischen Flughafens auf unser Gepäck. Mehrere Flieger sind angekommen, es gibt zwei Gepäckbänder, aber keinen Hinweis darauf, welches Gepäck auf welchem erscheinen wird (weil dies dem Zufallsprinzip unterliegt, man muss also beide Bänder überwachen, was in der knallvollen Ankunftshalle nicht einfach ist). Chaos ist ein griechisches Wort, und nach dem ionischen Frühjahrsurlaub hatte ich das bei der Planung irgendwie vergessen. Nun also zurück in der griechischen Realität, die auch noch in unangenehm schwül-warmer Luft daherkommt.

In aller Ruhe können wir nun den Linienbus nach Mastichari nehmen (2 Euro) und verbringen nach einer schlafarmen Nacht (der Wecker klingelte um 2 Uhr) zwei Stunden in einem Café mit Strandblick. Sinnlos sich zu ärgern - Zeit für Entschleunigung.

 

Mit der kleinen Schnellfähre "Ilias T" setzen wir um Viertel vor zwei nach Pothia auf Kalymnos über (acht Euro) - mit Verspätung übrigens, denn der Computer am Tickethäuschen geht nicht, und bis die Ersatzformulare herangeschafft sind, vergeht etwas Zeit.

In Póthia, dieser großen und lauten Stadt, müssen wir nun leider doch eine Nacht bleiben, was ich hatte vermeiden wollen, denn heute geht kein Schiff mehr gen Norden.

Wir sind etwas versöhnt als wir im "Archontiko" bei dem netten Henrik aus Kopenhagen ein schönes Zimmer in Hafennähe bekommen (DZ € 45,- ohne Frühstück, aber mit Heißwasserkocher, Kaffeepulver, Milch etc.). Das Hotel liegt etwas zurückgesetzt an der Paralia, und abends wird es hier laut sein, aber mit unserem Schafdefizit werden wir nur selten bei vorbeiknatternden Mopeds hochschrecken.

 

Außerdem kann man es deutlich schlechter haben, wie wir an den auf der Loggia des Tourismus- und Zollgebäudes schlafenden Flüchtlingen gesehen haben.

Es war uns klar, dass wir mit der Auswahl unserer Urlaubsinseln auf syrische Flüchtlinge treffen würden, die gerade erst aus der Türkei übergesetzt haben. Dennoch fühlen wir uns nun beklommen und betroffen, als wir die Menschen dort unter ihren Decken liegen sehen. Vom vorbeibrandenden kalymniotischen Alltagsleben ziemlich ignoriert warten sie auf die nächste Fähre nach Piräus - sie wird wohl in der Nacht kommen, denn am nächsten Morgen sind sie weg.

Wir machen noch einen Abendspaziergang an der Paralia, wo an der Platia eine Aktion für Leukämiekranke stattfindet, in deren Rahmen am anderen Ende des Hafens ein von Kinder gerudertes Boot mit einer Fackel ankommt, die dann in einem Lauf zum Aktionsplatz getragen wird. Griechen lieben pathetische Veranstaltungen, und wenn noch Kinder dabei sind, kann sie nicht falsch sein. Ein halbes Dutzend Flüchtlinge drängt sich unberührt davon zum Telefonieren an den Periptero gegenüber.

Wir essen bei "Pantelis" neben dem Hotel "Olympic" Fava, Spetsofai und Bekri Meze - alles sehr gut. Und dann sinken wir in unsere Kissen, denn morgen klingelt der Wecker wieder früh: um sieben Uhr fährt die "Nisos Kalymnos" nach Lipsi. Eigentlich wollen wir ja nach Agathonisi, aber aus mehreren Gründen haben wir uns für einen kurzen Zwischenstopp auf Lipsi entschieden: zunächst dauert die Fahrt nach Agathonisi mit der "Nisos Kalymnos" ziemlich lange, und da hatten wir keine rechte Lust drauf. Dann wollen wir auf Lipsi Schalimara und Mann treffen - die hätten wir heute schon auf der Fähre ab Kalymnos treffen sollen, aber die haben wir ja verpasst. Und wir hatten einfach Lust auf eine kleine Dosis des netten Lipsi. Agathonisi würde uns schon nicht davonlaufen, und drei Tage dort würden auch reichen.

 

*

 

Mit einer Viertelstunde Verspätung legt die "Nisos Kalymnos" am Sonntagmorgen in Pothia ab. Sie ist nur sehr mäßig belegt, und weil das Wetter immer noch wunderbar mild ist, gönnen wir uns die Fahrt entlang der Südküste auf dem Deck und bewundern die einzigartige felsige Kargheit von Kalymnos' Süden sowie den Blick auf das steile Telendos. Gegen neun Uhr laufen wir in Lakki auf Leros ein, es steigen zahlreiche Menschen zu und nur wenige aus.

Zeit für Nescafé und Bougatza im Salon des Schiffes, und dann kommt auch schon Lipsi in Sicht.

Um Viertel nach zehn gehen wir dort von Bord. Zwei Zimmervermieter stürzen sich auf uns:  ein Herr vom nahen "Panorama" (das habe ich mir letztes Mal angesehen und fand es etwas eng) und eine Dame von dem "Miramare Studios" - das ist mir zu weit weg vom Hafen, denn wir wollen ja nur eine Nacht bleiben und morgen schon um acht Uhr weiter. Von Balkon der Studios "Galini" winkt eine Frau, und damit bin ich aus dem Schneider: genau dort wollte ich nämlich hin, und verweise nun bei den beiden Wettbewerbern darauf.

 

Anna, unsere Vermieterin, ruft ihren Mann, der gleich unsere beiden Trolleys auf ein Mal die steile Treppe hinaufträgt. Das Zimmer mit drei Betten ist groß, mit Kochecke und Balkon zum Hafen, WLAN, und eine rosa gestrichene Wand reflektiert uns einen vermeintlichen Sonnenbrand auf die Gesichter. 35 Euro sind ein fairer Preis dafür.

 

Und nur wenig später tauche ich ins 26° warme Meer am nahen Liendou-Strand ein. Herrlich! Da bedauere ich nur, dass ich das nicht schon gestern konnte, und verfluchte nochmals die Sicherheitskontrollen in Stuttgart und die Gepäckorganisation auf dem Flughafen Kos, die uns einen halben Tag Lipsi geklaut haben. Aber besser spät als nie.

Anschließend geht es ins "Calypso" zum Essen (bei "Yiannis" ist es ziemlich voll - da sitzen wieder die Fahrgäste der "Patmos Star" - vorwiegend Frauengruppen mit Pappas), und nach einer SMS stößt erst Schalimara und später auch noch ihr Mann zu uns. Sie haben den Tag schon für eine Erkundung des Inselsüdens genutzt, und das wollte ich eigentlich auch tun.

 

Dazu wird es allmählich Zeit, es ist schon halb vier Uhr. Wir verabreden uns für den Abend bei "Yiannis", und ich ziehe los. Es geht an der Hafenbucht entlang und dann südlich aus dem Ort heraus zum Katsadia-Strand. Am Wegrand stehen drei Esel, ein paar malerische Kapellen und eine bunte Baracke mit farbigen Bienenstöcken (sicher hab ich es schon erwähnt, dass der Honig von Lipsi der beste... oder?).

Oberhalb davon hab ich dann Blick auf den Inselsüden: eine nette Bucht mit einem knappen Dutzend Segelboote, dahinter die unbewohnte Insel Lira und dahinter Leros.

Schnell bin ich unten: der tamariskenbeschattete Strand ist schmal und mäßig und den Weg (45 Minuten von Lipsi-Ort) nicht unbedingt wert, aber die Taverne, die heute (20. September) den letzten Tag für diese Saison geöffnet hat, ist nett: schön schattig über mehrere Terrassen verstreut, bunte Stühle und Kalebassenkürbisse, ein großes Windglockenspiel aus Bambus klöppelt esotherisch-beruhigend im Wind, Katzenkinder spielen um die Tische. Hunger hab ich keinen, aber ein Frappé muss sein.

Ein wenig Dösen wäre gut, aber wenn ich jetzt ein Nickerchen mache, wach ich erst im Dunkeln wieder auf. Nicht gut. Also wieder zurück, entlang des Strandes. Auf Lipsi wird der Müll getrennt (oder zumindest getrennt gesammelt), darauf haben schon Schilder im Quartier hingewiesen, und auch hier stehen vier Mülleimer für verschiedene Müllsorten und ein energischer Hinweis für die Segler (auf Englisch - die Griechen wissen das ja schon...), dies gefälligst auch zu tun.

 

Lipsi ist schon nett.

Auf dem Rückweg mache ich eine Runde über die Platia oben im Dorf, und sehe, dass dort das kleine volkskundliche Museum geöffnet ist. Und zwar als Wahllokal. Das muss ich mir natürlich näher ansehen. Museum und Wahllokal. Die Museumsstücke sind ein buntes Sammelsurium von Trachten, kirchlichen Devotionalien und Antikem, und eher so la la präsentiert. Aber inmitten der Raumes steht die Wahlkabine, und recht an dem Tisch sitzen zwei Frauen und ein Mann als Wahlhelfer. Das interessiert mich. Und da kommt auch schon ein Wähler. Pass vorweisen genügt, er kriegt die Unterlagen und dann geht es ab in die Wahlkabine. Eine der Wahlhelferinnen geht mit rein, der Wähler ist schon recht betagt und braucht wohl Hilfe. Ähm, gibt es in GR keine geheimen Wahlen?

Die nächste Wählerin ist auch schon älter und wird von der Tochter gebracht (die nicht wählt), und auch sie ist nicht alleine in der Wahlkabine. Dieses Mal ist die andere Wahlhelferin dran, vermutlich wegen der politischen Ausgewogenheit. Ich muss grinsen.

 

Ich frage die Wahlhelfer nach der Wahlbeteiligung. Die ist sehr mäßig: auf Lipsi sind 1.182 Wahlberechtigte registriert und bisher haben etwa 150 ihre Stimme abgegeben, eineinhalb Stunden vor Schließung des Wahllokale. Es gibt aber noch ein zweites Wahllokal, und praktischerweise ist das direkt nebenan (mit dem Auto werden die Seniorenwähler bis vor die Türe gefahren). Wie denn so die Stimmung sei, frage ich, und erwarte in Zweifelsfall eine Tirade gegen "Ssoible" und Co.. Aber nichts davon, es kommt eher Resignation - die Hoffnung sterbe zuletzt, aber es würde sich sowieso nichts ändern.

Und die Wahlergebnisse sind danach: Wahlbeteiligung 28,26 % (334 Wähler), davon 39,32 % für ND, 30,34 % für Syriza, 7,74% für Anel, 6,19% für Chrisy Avgi, 5,88% für KKE und etwas weniger für Pasok. (Quelle: ekloges, hier die Dodekanes, die einzelnen Wahlbezirke kann man rechts unter 'Municipality' abrufen). Im Januar sah das noch etwas anders aus: ND 38,87%, Syriza 22,25 %, KKE 14,21 % (!), Anel 10,46 %, Pasok 6,97 %, CA 2,68%. Und die Wahlbeteiligung war trotz des Winters mit 32,31 % etwas höher. Echte Rückschlüsse lässt die hohe Zahl der Nichtwähler aber dann doch nicht zu.

 

Wir reden dann noch über die Häufigkeit der Wahlen, die die Wahlhelfer nervt (immerhin ist hier schnell ausgezählt) und es wird gefragt wie das in Deutschland ist. Spontan kann ich mich an vorgezogene Bundestagswahlen nicht erinnern (ok., mein Gedächtnis war auch schon besser - die letzten waren 2005), und daraufhin klingt tatsächlich etwas Neid an bei den Damen.

Ich wünsche noch einen schönen Abend und verabschiede mich. Um halb sieben erklingt dann via Lautsprecher der Hinweis, dass die Wahllokale noch eine halbe Stunde geöffnet sind. Genutzt hat es wohl nicht viel.

Krise auf Lipsi. Welche Krise?

Mit Schalimara und Peter verbringen wir einen netten Abend bei "Yiannis", wo ich einen Tisch bestellt hatte weil dort am Vorabend wohl kein Platz mehr zu kriegen war. Heute wäre es auch so gegangen, es ist ja Sonntag und nicht Samstag. Schade, dass wir nach dem späten Mittagessen keinen großen Hunger mehr haben, aber das Gebotene schmeckt gut, die Preise sind in Ordnung.

 

Und am Montag müssen wir wieder früh aufstehen: die "Anna Express" legt um acht Uhr ab. Nach Agathonisi. Hätte ich misstrauisch werden müssen, als unsere Vermieterin auf die Frage nach unserem Reiseziel etwas ungläubig zurückfragte?

Sonnenaufgang über Lipsi
Sonnenaufgang über Lipsi