Wir stehen zeitig auf, die Sonne geht gerade hinter der Johanneskapelle auf. Kurz nach acht Uhr fahren wir los. Am Ortsrand von Chora wartet eine ältere Frau in Sonntagskluft, sie steigt in das Auto vor uns. Jede Wette, dass es auch zum Kloster Myrtidiotissa fährt? Ich fahre mal einfach hinterher, biege in Livadi links ab, das Kloster ist gut ausgeschildert. Irgendwann fahren wir im Konvoi mit weiteren Autos. In einem Dorf steht ein Bus, jede Menge Leute. Sind wir schon da? Nein, es geht weiter. Die Straße wird enger, führt an einer Stelle unter einem Felsentor durch. Nun geht es in Kurven sanft abwärts, und schließlich sehen wir das Kloster unter uns liegen. Gerne würde ich anhalten und ein Foto machen, aber dann produziere ich einen Stau.
Vor dem Kloster ein großer Parkplatz, schon ganz gut belegt – es gibt sogar Ordner, die uns weiter nach links weisen, dort hat es noch reichlich Platz. Damit niemand den Bus- und Prozessionswendeplatz zuparkt…
Das Kloster Panagia Myrtidiotissa, auch „Myrtidion“ genannt, also Muttergottes zu den Myrten, ist das wichtigste Inselkloster. (Dass die Verehrung einer „Myrthen-Panagia“ vermutlich kein Zufall ist, sondern die Beziehung zum Afrodite-Kult der Antike wiederaufgreift, schrieb ich schon.) Dennoch leben keine Mönche mehr hier, ein auch anderenortes zuständiger Pappas betreut es, und wenn wir an einem normalen Wochentag gekommen wären, würden wir bestimmt mal wieder vor verschlossenen Türen stehen. Das ist heute nicht zu befürchten.
Der bis 1857 errichtete Kirchenbau ist eine Nachbildung der Wallfahrtskirche Panagia Evangelistria auf Tinos, und er befindet im grünen und sehr gepflegten Innenhof des einsam und recht weit unten an einem kargen Hang gelegenen Klosters. Zum Meer ist es noch ein ganzes Stück. Vor dem Kloster befindet sich ein großer Platz, zwei Loukoumades-Buden werden gerade aufgebaut.
Das Innere des Klosters ist leicht terrassenförmig angelegt, große Bäume sorgen für schattige Sitzplätz überall, schon ganz gut belegt von wartenden Menschen, aber noch weit davon entfernt, voll zu sein. Am unteren Ende ist die Kirche, vor dem Eingangsportal an der Westseite stehen einige Leute Schlange, wollen hinein. Wir reihen uns etwas unsicher ein, natürlich wollen wir in die Kirche, dort hat aber der Gottesdienst längst begonnen. Griechische Gottesdiensten dauern lange, das weiß jedeR, der schon einmal an einem teilgenommen hat: zwei, drei Stunden sind zu besonderen Anlässen locker mal drin. Und das ist ein besonderer Anlass! Glücklicherweise ist niemand verpflichtet, die volle Zeit regungslos und still „abzusitzen“ – das würde vermutlich zu einer Entvölkerung der Kirchen führen. Nein, es ist, wie immer, ein reges Kommen und Gehen am Rande, während sich in der Mitte die Liturgie abspielt. Als wir auch in der Kirche drin sind sehen wir rechts die Ikone der Myrtidiotissa. Das heißt, eigentlich sehen wir nur die goldene Schmuckabdeckung und ein dunkles Brett dahinter. Von der Ikonenbemalung sieht man nichts (mehr), was ihrer Heiligkeit aber keinerlei Abbruch zu tun scheint.
Wir zünden auch eine Kerze an (wenn schon endlich mal eine Kirche offen ist!) und stellen uns so seitlich wie möglich um niemandem im Weg zu sein. Den Gottesdienst zelebriert ein enormes Aufgebot an Geistlichen in prächtigen Ornaten, am hervorstechendsten drei bärtige ältere Herren mit Kronen (sogenannter „Stephanos“) im rechten Bereich der Kirche, einer sitzt in dem Thron – es muss sich um hohe Geistliche handeln, Metropoliten vermutlich (was in etwa mitteleuropäischen Bischöfen entspricht). Kythira hat einen eigenen Metropoliten, die anderen sind vermutlich vom Festland oder Kreta.
Gesegnetes Brot „Arta“ wird hinausgetragen, es gibt später vorne am Ausgang davon.
Die Gesänge wechseln scheinbar endlos, von hinten drückt die Masse der Gläubigen nach, so sehen wir zu, dass wir durch den linken Ausgang die Kirche wieder verlassen. Auf einem Mäuerchen vor der Kirche setzen wir uns hin und warten. Direkt hinter uns ist der Eingang für die göttlichen Dienstboten, ähm, die Geistlichen, sie stehen dort eher weltlich herum und warten. Drei Jungs toben ungeduldig herum, einer der Pappades weist sie zur Ruhe. Ihnen soll nachher eine besondere Aufgabe zukommen: sie sollen das Kreuz und die beiden Prozessionstäfelchen mit der Sonne und den Engeln (keine Ahnung wie die heißen, ich bin evangelisch) vor der Prozession hertragen. Der Messner stellt die drei Teile schon mal bereit.
Wir warten und sehen uns den anschwellenden Zustrom der Menschenmassen an. Weihrauchgeruch wechselt sich ab mit einem ekligen, leicht gammeligen Geruch. Dessen Quelle machen wir wenig später in einer toten Ratte aus, die am Rande eines Beetes liegt – genau dort, wo die Leute drübersteigen wenn der offizielle Ausgang verstopft ist.
Wir nehmen daraufhin lieber einen Ortswechsel vor. Sehen uns das Klostergebäude genauer an, steigen außen auf den Balkon hinauf und bewundern dort entsorgte Kronleuchter. Auch auf die Kirchenempore kommt man auf diesem Weg, der Gottesdienst dauert weiter an, die Schlange vor der Kirche wird immer länger. Für Frauen scheint übrigens Rockzwang zu herrschen, wobei niemand vorschreibt, wie lang – vielmehr kurz – der Rock oder das Kleid sein darf. Zu beobachten sind einige extravagante Outfits, High-Heels sind dann natürlich ein Muss.
Wir sehen nochmals hinaus auf den Vorplatz vor dem Kloster, die Loukoumades-Verkäufer haben ihre Stände fertig aufgebaut. Faszinierend zuzusehen wie der flüssige Teig in großen Tropfen aus einer spritzenähnlichen Maschine gedrückt wird und in das heiße Fett tropft, wo er schnell knusprig-braun gebacken wird. Wir erstehen eine kleine Schachtel des fasnetküchleähnlichen Gebäckes mit reichlich Honig drüber (die Variante mit Schokolade ist uns doch zu heftig) und sind nun für weiteres Warten gestärkt.
Nach einer weiteren halben Stunde kommen die Mitglieder einen Musikkapelle, wir haben uns inzwischen einen Platz im zweiten Stock des Gebäudes gegenüber der Kirche gesichert, mit bester Aussicht. (Im dritten Stock befinden sich übrigens die Besuchertoiletten, falls jemand die mal sucht…)
Es ist fast elf Uhr als die Musikkapelle auf der Treppe bei der Kirche Aufstellung nimmt. Und wenig später kommen die drei Junge an der Spitze der Prozession aus dem Kirchenhauptportal, gefolgt von unzähligen Pappades im Sonntagsornat (wir erkennen den sympathisch zerzausten Pappas vom Sonntag wieder, offensichtlich handelt es sich vor allem um die Geistlichen der Insel). Die Musikkapelle fängt an zu spielen, die Prozession sammelt sich vor ihr. Ein schwarzgewandeter Pappas scheint der Zeremonienmeister zu sein, er wirbelt überall herum und passt auf, dass alles seinen geordneten Gang nimmt.
Zwei Matrosen tragen die Ikone, ein Geistlicher ein geschmücktes Buch, weitere Pappades tragen schwarze schleierähnliche Tücher hinten an ihren Baretten (richtig: καμιλαύκιον - wer sich für die Namen der liturgischen Gewänder interessiert, sei hierhin verwiesen). Dann kommen die drei Metropoliten – ein Anblick, der mich an die drei Könige aus dem Morgenland denken lässt.
Spätestens als ich einen der in der Prozession mitlaufenden Geistlichen mit dem Fotoapparat in der Hand sehen, verliere ich alle fotografischen Skrupel….
Nach einem Musikstück zieht die Prozession, die Kapelle voraus, zum Haupttor hinaus, und die Leute hinterher. Bis wir unten und draußen sind, dauert es etwas. Währenddessen dreht die Prozession wohl eine Runde um den Parkplatz, die Kapelle mit dem Dirigenten vorne hat was von einer New-Orleans-Jazzbeerdigung….
Am oberen Ende des Platzes, an einer breiten Treppe, stellen sich alle auf, die beiden Matrosen mit der Ikone in der Mitte. Die scheint recht schwer zu sein, sehr glücklich sehen die Träger nämlich nicht aus, die außerdem auch noch unterschiedlich groß sind, was den optischen Eindruck etwas ins Lächerliche zieht. Während die Metropoliten noch etwas sagen – gehört vermutlich zur Liturgie - werden überall Fotoapparate und Videokameras in die Höhe gereckt. Scheint der Höhepunkt der Zeremonie zu sein.
Danach geht es wieder hinein ins Kloster und die Kirche, die Ikone kommt an ihren angestammten Platz zurück, die Leute hinterher, nun aber schon stark abbröckelnd.
Die Kapelle spielt nochmals, dann ist alles vorbei. Es ist gegen halb zwölf Uhr.
Wir haben es nicht eilig, bis die PKW und Busse sich aus den Parkplätzen gelöst und auf die Straße einsortiert haben wird es sowieso etwas dauern. Der Prozession folgt nun ein Autocorso gen Kalokerines und Livadi, wir verpassen die Abzweigung für die Direttissima und landen nördlich von Karvounades auf der Hauptstraße. In der Ortsdurchfahrt von Karvounades stellen dann plötzlich drei Busse, die sich vor uns befinden, fest, dass sie sich verfahren haben. So was – wo kommen die denn her? Bis die drei Busse rückwärts auf der Straße zurückgesetzt und auf dem Platz gewendet haben, wird die Geduld der einheimischen PKW-Fahrer stark beansprucht, kaum tut sich eine Lücke auf, die als breit genug eingeschätzt wird, schon drücken sie gnadenlos hindurch.
Zurück in Chora fangen wir an, unsere Trolleys zu packen. Mit unserem Vermieter Stavros haben wir telefonisch vereinbart, dass er gegen 19 Uhr zum Bezahlen vorbei kommt, wir können gerne und ohne Aufpreis so lange im Zimmer bleiben (Vorteil der Nachsaison!).
So können wir am Nachmittag nochmals zum Baden hinunter nach Kapsali fahren. Erstaunlicherweise sind die Cafés und Taverne an der Strandpromenade voll mit Leuten. Wo kommen denn die her? Nun, von den vier Bussen, die am Hafen stehen. Da scheint es doch einige Ausflugsfahrten von der Peloponnes zum Panigiri nach Kythira gegeben zu haben…. Der Strand ist allerdings leer, schicklich gekleidetes Wallfahren verträgt sich nicht mit Badedress. Dabei hat das Meer immer noch 26°C.
Die Ausflügler rücken busladungsweise ab, und nun ist es auf einmal sehr ruhig geworden. Wir genießen noch einen Walnusskuchen zum Kaffee im „Sirokali“ und dösen etwas ehe wir bergwärts fahren.
Stavros kommt pünktlich zum Bezahlen (soll ich ihn jetzt noch auf den defekten Duschschlauch hinweisen? Ach nee…), die letzten Sachen sind gepackt, was nun? Bis unser Schiff um 1 Uhr fährt sind noch gut sechs Stunden Zeit. Ich plädiere für ein Abendessen in Potamos an der Platia im „Panaretos“, wo wir neulich den Kartoffelsalat gegessen haben. Da wären wir auch recht nahe an Agia Pelagia, wo das Zoidakis-Konzert ist…. Die Mutter möchte eigentlich nicht mehr so weit fahren, aber der Hafen von Diakofti liegt dort quasi sowieso in der Ecke.
Also fahren wir nach Potamos, tanken unterwegs das Mietauto voll und sehen uns bei Fratsia den Sonnenuntergang an.
Kurz darauf sind wir in Potamos, parken auf dem wohlbekannten Parkplatz. Blöd allerdings, dass das Restaurant „Panaretos“ geschlossen hat – Herbstschließung. An der Platia gibt es aber noch eine zweite Taverne, etwas zugig zwar mitten auf dem Platz, und das Speiseangebot ist auch nicht riesig, aber so kommt die Mutter noch zu ihren Souvlakia, und ich zu mit Käse gefüllten Tomaten (aus der Mikrowelle, der Ofen wäre mir lieber gewesen). Die Fleischspießchen sind leider nicht so lecker wie die in Chora, aber der Rosé ist gut. Schade, dass ich mich aus autofahrtechnischen Gründen zurückhalten muss.
Es ist nix los im Ort, nur am Nachbartisch unterhalten sich ein paar Männer. „He, geht’s du auch zu Zoidakis?“ –„Ich weiß nicht, später vielleicht“ – „Ach, der gefällt mir nicht“ – „Wieso, der spielt doch toll!“ - „Och, malakas!“
Hmm, es scheint als wären heute alle bei Zoidakis in Agia Pelagia. Wir sind pappsatt und es sind immer noch Stunden bis zur Fähre. „Mama, sollen wir da nicht wenigstens vorbeisehen?“ Es ist nicht weit, und wir haben massig Zeit. Schlimmstenfalls fängt er erst um 23 Uhr oder später an zu spielen, und wir müssen dann gehen. Aber den Versuch ist es wert. Die Mutter lässt sich überreden - sie hat keine Wahl, schließlich fahre ich. ;-)
Also ab nach Agia Pelagia. Die Serpentinenstraße ist im Dunkeln auch nicht schlechter zu fahren als tagsüber, und es ist kaum Verkehr. Am Ortseingang parken Autos und Busse, wir stellen unseres dazu und gehen Richtung Uferpromenade, den Leuten nach. Es stand nirgends, wo das Konzert genau ist, und nun sehen wir auch, warum so eine Ortsangabe völlig überflüssig ist: Das Konzert – nein, der Ausdruck passt nicht: das Fest mit Live-Musik findet an der Uferpromenade statt, auf der Straße. Fünf Euro kostet der Eintritt, bevor wir das investieren frag ich doch erst mal, wann die Musik losgeht: Gegen 22 Uhr, in einer halben Stunde etwa. Na, das wäre ok. Wir zahlen und betreten die Partymeile.
Auf der Straße, die hier sehr breit ist, steht ein Tisch am anderen, fast alle längst besetzt. Vor den Tavernen stehen Essenstände – Selbstbedienung allerdings, anders ist das nicht zu schaffen. Ein riesiges, echt griechisches Gelage mit übervollen Tischen (und Bergen von Müll morgen). Wir gehen bis ans hintere Ende der Tische, vorbei an der Musikerbühne, die aber noch leer ist – die Musik, die den Platz beschallt, kommt solange aus der Konserve. Hier hinten standen vor ein paar Tagen die vielen Stühle – eingemottet für den Winter, hatten wir gedacht. Falsch gedacht: bereitgestellt für die Fete. Wir schnappen uns zwei der letzten Stühle und setzen uns an den Rand. Tisch brauchen wir keinen, wir sind ja (über)satt. Vor allem die Mutter, die wenig Erfahrung hat mit griechischen Tanzfesten, ist fasziniert von den Tischsitten. Aber auch ich habe so ein Straßenfest noch nicht erlebt!
Es kommen immer mehr Gäste, verlangen nach Sitzgelegenheiten, die von allen Seiten zusammenorganisiert werden. Tüten voll mit Gyros, Souvlaki, Pommes (viel mehr als man essen kann, die Katzen werden sich freuen), Bier, Wein, Cola werden angeschleppt und ausgebreitet, laut ist es natürlich auch. Kinder spielen zwischen den Tischen, herausgeputzt die Mädchen. Griechenland pur. Herrlich!
Bevor die Live-Musik beginnt, tritt erst noch eine Tanzgruppe auf, Kinder und Jugendliche. Wir sitzen zu weit weg um wirklich etwas zu sehen, in der ersten Reihe die stolzen Eltern mit gezückten Videokameras. Ein Tonausfall sorgt für eine kurze ruhige Pause, ist aber schnell überwunden.
Und dann kommt es Star des Abends, der kretische Lyraspieler und Sänger Nikos Zoidakis. Ein unscheinbarer Typ ist er, mit Halbglatze und Bauchansatz. Zusammen mit zwei Laoutospielern, einem Gitarristen und einem Schlagzeuger legt er los und heizt dem Publikum ein.
Kretische Musik natürlich, und auf Kythira scheint man darauf tanzen zu können, vor allem die Frauen! Es geht mächtig ab, Chaniotikos zuerst, dann ein Kalamatianos und ein Chassaposervikos. Spätestens beim zweiten Chaniotikos hält mich dann auch nichts mehr, wobei der volle Bauch und die schlecht rutschenden Sohlen meiner Schuhe sehr stören. Nach nur einem (chaniotikostypisch endlosen) Tanz bin ich völlig durchgeschwitzt. Kein Problem wenn ich nachher eine Dusche hätte, und die Gelegenheit, Klamotten zu wechseln. Aber mit so verschwitzten Klamotten auf dem Schiff? Einen Pentosali schaffe ich noch, dann gebe ich auf beim Malevisiotis. Ächz. Nicht mehr im Training. Und voller Bauch.
Wir stellen uns neben die Musikerbühne, in der Auslage eines Souvenirladens. Ob die hier Fingerhüte haben? Ich soll nach welchen gucken mit „Kythira“ drauf, Wunsch eines wilden Nissomanen per SMS für seine fingerhutsammelnde Gattin. Dummerweise hat er aber gleich vollmundig angekündigt, nächstes Jahr selbst Kythira besuchen zu wollen. Sowas verringert natürlich die Motivation meinerseits, und gleich ins Auge fallen die kleinen Teile in dem Angebote kitschiger Souvenirs ja auch nicht. Da soll er nur mal selber suchen, nächstes Jahr. (Aber keinen Herzinfarkt kriegen dabei!). Also hier sehe ich jedenfalls keine.
Dafür tanzen zwei (offensichtlich nicht mehr nüchterne) holländische Touristinnen vor unserer Nase irgendetwas, was sie wohl für griechisch halten. Nun, sie haben ihren Spaß, nur die Fachleute wenden sich mit Grausen. Ein Tänzchen kann ich nach der Pause auch noch, nicht im engen Kreis, sondern bei einer Gruppe, die sich daneben bildet. Es scheint eine ganze Ladung Kreter da zu sein, an einem Tisch sitzt ein älterer Herr in kretischer Tracht mit Stiefeln und Sariki, der gehäkelten Kopfbedeckung mit den typischen Fransen. Tanzen tut er aber nicht.
Gegen halb zwölf Uhr reißen wir uns los von dem Fest und fahren gemütlich nach Diakofti. Der Abstecher nach Agia Pelagia hat sich gelohnt, und nun weiß ich auch, dass dieser musikalisch-gemütliche Abend fester Bestandteil des Myrtidiotissa-Panigiris ist. Der findet – vermutlich aus organisatorischen Gründen – nicht mehr im Kloster in der Einöde des Inselwestens statt, sondern hier in Agia Pelagia, wo die Versorgung der Massen wesentlich einfacher ist.
Bei der Fahrt im Dunkeln muss ich ab Friligianika aufpassen, dass ich keine Ziege überfahre - die halten sich auch oder gerade nachts besonders gerne auf der Straße auf, und lassen sich nur mit Mühe wegkomplimentieren.
Gegen Mitternacht sind wir am Hafen. Dort stehen schon mehrere Busse, und die Taverne ist gut belegt. Da wollen wohl noch mehr Leute nach Kreta heute Nacht. Das Auto stellen wir an der vereinbarten Stelle ab (schön unter dem Lichtmasten…) und kriegen die beiden letzten freien Sitzplätze in der Taverne. Ich brauch dringend nen Tsipurro, mir liegt das Abendessen noch im Magen, und vorher hab ich mich aus führerscheintechnischen Gründen nicht getraut. Die beiden Tsipurra sind schnell da, und der Parkplatz und die Taverne werden voller – immer noch einen Bus sehen wir die Serpentinenstraße herunterkommen, schließlich sind es acht Busse, die auf dem Platz stehen! Natürlich mit der entsprechenden Anzahl an Fahrgästen, unser Sariki-Kreter ist auch dabei. Da haben anscheinend Busladungen voller Kreter (und vor allem Kreterinnen!) einen mehrtägigen Ausflug auf die Nachbarinsel gemacht. Ein Pappas ist dabei, eine Kirchengemeindeausflug? Oder ist es der Nikos-Zoidakis-Fanclub? Hoffentlich bekommen wir irgendwo auf dem Schiff einen ruhigen und halbwegs bequemen Schlafplatz…
Einem der Busse ist die junge Frau entstiegen, die unser Mietauto entgegen nimmt. Voll bestrahlt vom Scheinwerfer bleibt keine Macke verborgen – aber wir sind brav gewesen, nix passiert. Ich gehe rüber, gebe ihr den Schlüssel, sie checkte den Benzintank, der ist voll (na, die paar Meter von der Tankstelle nach Potamos und Agia Pelagia sowie hierher, die werde noch nicht angezeigt). Alles bestens, ich bezahle die vereinbarte 140 Euronen, war sehr zufrieden. Kann man empfehlen, Drakakis.
Sollte die Fähre planmäßig sein, so müsste man sie allmählich sehen. Ist sie aber nicht. Da hilft nur warten, aber wir haben eh nichts Besseres zu tun. Die Kreterinnen um uns herum sind schwer umtriebig und ungeduldig. Dann biegt die „Vitsentzos Kornaros“ endlich um die Ecke in den Hafen ein. Das Kommando für die uns umgebenden Frauen, ihre Sachen zu schnappen und zum Anleger zu fluten. Wir mitten drin.
Die Einrichtung von „Pferchen“ zum Kanalisieren der Passagiere in vielen Häfen der Kykladeninseln zeigt ihren Segensreichtum erst, wenn dieses Ding fehlt, aber ein paar hundert Leute möglichst sofort und als erste auf die Fähre wollen. Dabei müssen sie noch warten, denn ein enorm hoher Heutransporter samt Anhänger muss erst vom Schiff fahren. Der lokale Hafenoffizier pfeift vergebens, er kann die ungeduldige Meute nicht zurückhalten, die das Schiff entert. Dass dabei mit Trolleys über Füße gefahren wird und Koffer in die Hacken geschoben werden, sind normale Kollateralschäden. Es scheint nichts Schlimmeres zu geben, als auf Kythira bleiben zu müssen. Wir mitten drin, drängeln irgendwann wie die Griechinnen, schon aus Notwehr. Eine Kreterin zwinkert mir zu und macht eine anschiebende Geste zu Vorderfrau, die ihr zu langsam ist.
Auf dem Schiff müssen wir trotzdem zuerst unten unser Gepäck abgeben, danach heißt es Schlange stehen auf der Treppe. Oben auf dem Deck kommen wir gerade rechtzeitig um zu sehen wie ein Bus und der große Heutransporter auf die Fähre fahren (Heu für Kreta? Gibt es dort keines? Oder für Antikythira?). Die anderen Busse sind wohl von der Insel, oder schon drinnen im Schiff.
Mit halbstündiger Verspätung legt die „Vitsentzos Kornaros“ in Diakofti ab und Kythira verschwindet schnell in der Dunkelheit. Der Abschiedsschmerz mischt sich, wie so oft, mit der Vorfreude auf das Kommende.
Wir finden doch noch einige freie bequeme Schlafsitze im Pullmanbereich. Bis die Kreter und Kreterinnen aber endlich ruhig sind, dauert es noch etwas. Und nach knapp zwei Stunden kommt dann die Durchsage, die Antikythira ankündigt. Schnell ans Heck, gucken. Viel ist nicht zu sehen – ein Anleger, rechts ein kleiner Hafen, ein paar Häuserschemen dahinter, wenig Licht. Der Heutransporter will nicht runter, aber doch immerhin eine Handvoll Leute, die erwartet werden. Gerade fünf Minuten dauert der Halt, dann geht die Reise schon wieder weiter.