Um halb acht Uhr klingelt der Wecker. Bei Kostas haben wir uns für das Frühstück abgemeldet, denn wir werden um 8.10 Uhr den „Kalymnos Dolphin“ der ANEK nach Pothia/Kalymnos nehmen. Die Tickets (6 Euro) gibt es an dem kleinen Tickethäuschen am Anleger. „Ollar“ wird auf meinem Ticket als Namen stehen, statt „Roller“. Und auf dem Rückweg „Golab“. :-) Keine Ahnung wie ich meinen Namen aussprechen müsste damit Griechen ihn richtig verstehen…
Es ist noch recht frisch am Morgen, so sitzen wir unten in den Fahrgastraum. Erstaunlich viele Menschen nutzen die zweite morgendliche Verbindung nach Pothia (die erste geht um 6.20 Uhr). Die Fahrt dauert eine halbe Stunde, und so haben wir noch gute Dreiviertelstunde Zeit bis die Fähre nach Pserimos abfährt. Die müssen wir aber erst noch suchen. Wir finden sie auf der gegenüberliegenden Hafenseite, unweit des Hotel „Olympic“: die „Maniaï“. Es wird schon beladen, wir fragen nach ob wir richtig sind und wann das Schiff fährt. 9.30 Uhr – da haben wir die richtige Auskunft. Fünf Euro kostet die Passage pro Richtung und Person, Tickets gibt es an Bord. Wir würden dann rechtzeitig wiederkommen sage ich dem Chef, dann trinken wir an der Paralia noch einen Nescafé und kaufen beim Bäcker Sesamkringel und etwas Gebäck. In der morgendlichen Ruhe ist Pothia richtig beschaulich.
Schon vor halb neun gehen wir an Bord der Fähre, sehen uns an wie Tüten mit Brot, Kisten mit Gemüse und Obst und Säcke mit Getreide gebracht werden. Passagiere gehen nur wenige an Bord, Einheimische offensichtlich, und ein Paar Touristen außer uns. Dieser Art von Tagesausflug ist völlig anders als das "professionelle" Drei-Insel-Hüpfen – langsamer, authentischer, netter.
Kurz nach halb zehn legt die „Maniaï“ ab, die schmale Klappe am Bug wird manuell ganz hinaufgezogen. Wir passieren die großen Kaikia der Fischer am Hauptanleger und die Werft, dann geht es aufs Meer hinaus.
Oben auf dem Deck sitzt es sich herrlich, der Himmel ist wolkenlos. Schnell stellen wir fest: das ältere Touristenpaar, das mit uns reist, kommt auch aus Deutschland, genauer: auch aus dem Schwäbischen. Wir werden später noch Gelegenheit zum Schwätzen haben.
Das Ticket für die Hin- und Rückfahrt bekommen wir wenig später von einem Besatzungsmitglied verkauft. Handschriftlich ausgefüllt, ohne Namen. 17 Uhr wird es ab Pserimos zurück gehen.
Vor Plati passieren wir einige markante Felsen, die aus dem Meer ragen. Plati soll laut der Volkszählung von 2011 zwei Einwohner haben. Dass die dort ganzjährig wohnen kann ich mir aber nicht vorstellen. Auf Pserimos sollen es demnach 80 Bewohner sein – im Winter aber sicher weniger. Wir sind gespannt wie wir die Insel in der Nachsaison, am 3. Oktober, erleben werden.
Nach einer Stunde Fahrt erreichen wir Avlakia, den einzigen Ort auf Pserimos. Die Fähre legt am östlichen Anleger an und wird erwartet: es wird abgeladen und geschwätzt. Zu Eile besteht kein Grund: erst um 17 Uhr wird die „Maniaï“ wieder ablegen. Da haben wir jetzt sechseinhalb Stunden Zeit.
Die Insel liegt im morgendlichen Schlummer, der Strand ist leer, die Souvenirstände sind noch unbesetzt. Es ist noch Zeit zu den Anstürmen des Tages. Eine Frau wäscht, selbst bis zur Hüfte im Meer stehend, einen Teppich darin.
Der Mann des schwäbischen Paares spricht uns an: wir in Wanderkluft, wo wir hinwollten?
Wir wollen wieder die Wanderung zur Panagia Grafiotissa machen (aus Dieter Grafs Wanderführer „Rhodos, Karpathos, Kos, südlicher Dodekanes“, Tour 38), die durchs Inselinnere führt, dieses Mal habe ich ja richtige Wanderschuhe an. Da wollten sie auch hin, aber den Weg durch das Inselinnere würden sie nicht kennen, sie gingen entlang der Küste. Auch weil seine Frau nicht gut zu Fuß sei. Sie wären aber öfters schon auf Pserimos gewesen, immer wenn sie ihren Urlaub auf Kalymnos verbringen würden. Da werden wir uns sicher wiedersehen.
Wir kaufen noch eine Flasche Wasser und ziehen los.
Statten dem Friedhof und der Kirche einen Besuch ab, die ist aber noch geschlossen. Dann geht es den staubigen Weg nach Norden aus dem Ort heraus. Ein neues Mäuerchen ziert den Wegrand, die Insel zeigt sich sonst steingrau, verbrannt und abgefressen von Ziegen. Erodierte Bäume wie grüne Inseln darin. Es geht nur sanft bergan, und wir haben Zeit. Schön, diese Ruhe.
An der Ruine verlassen wir den Weg nach links, folgen einem Ziegenpfad auf den Sattel. Same procedure als last time. Es ist immer noch warm, wir schwitzen ordentlich. Kann mich an keinen Herbsturlaub der letzten Jahre erinnern, während dem das Wetter so beständig und warm war.
Oben auf dem Sattel sehen wir die Kapellen unten liegen. Zeit für eine kleine Pause.
Und dann haben wir genau das gleiche Problem wie ich alleine zweieinhalb Jahre zuvor: die Wegbeschreibung ist dürftigst, überall sind Ziegenpfade, die im Nirwana enden. Wir folgen mal diesem, mal jenem, tasten uns vorsichtig abwärts, queren dann wieder wo wir einen besseren Weg vermuten. Unten wir es ganz schwierig, da entscheiden wir uns dann dafür, im Bachbett zu gehen, das aber gelegentlich von großen Büschen versperrt ist – dann müssen wir hinauf an den Rain, wo wiederum ein Zaun stört. Wir brauchen wesentlich länger als gedacht, auch länger als ich damals in Sandalenschläppchen. Verkratzte Beine ernten wir trotzdem.
Gegen halb ein Uhr kommen wir an den Kapellen an, stürzen uns in den Schatten des Baumes vor der neuen Kapelle. Der Schlüssel liegt immer noch am gleichen Platz - ist es schön kühl in dem Gotteshaus!
Nach der innerlichen Erfrischung erfolgt die äußerliche im Meer am Strand vor der abgestürzten Kapelle. Das farbliche Dekor ist etwas verblichen, das rostende Tor lehnt nun abseits. Immer wieder ein toller Platz mit Ausstrahlung – das Meer, die vorgelagerte Insel Plati und der Blick nach Kalymnos, die Küste, die Kapellen.
Auch deshalb liebe ich Griechenland so sehr. Es hat so wundervolle Landschaften.
Die Landsleute haben wir vorhin von oben gesehen, sie wollen aber für sich bleiben und sind ein Stück die Küste entlang nach Osten. So bleiben wir ungestört am steinig-sandigen Strand bis sich ein Segelboot nähert. Die Dodekanes sind schon ein Seglerparadies.
Auf dem Rückweg treffen wir die Schwaben dann wieder. Sie sind auch noch aus Stuttgart, die Welt ist klein. Auch sie lieben diesen Platz, die Küste. Kommen immer wieder so lang es noch geht.
Der Weg geht zunächst über einen niedrigen Sattel, dann oberhalb entlang der Küste und ist gut zu begehen. Steinig natürlich, wie die Insel. Beeindruckend der windschiefe Baum, der ahnen lässt wie heftig die Naturgewalten hier manchmal über das kahle Eiland toben.
Wenn man den Ort schon vor sich sieht muss man links abzweigen und immer noch durch einen Ziegenstall und eine Ansammlung von Gerümpel, dekorativ zu Zäunen arrangiert, durch. Aufpassen, auch hier gelten die Gesetze der Schwerkraft, die Mutter bekommt sie auf losem Geröll zu spüren.
Und dann ist da endlich der Ort mit dem herrlichen Sandstrand. Kein Ausflugsschiff in Sicht, nur ein paar Segler sonnenbaden am Strand. Und eine alte Frau geht mit Kleid, Stock und Kopfbedeckung baden.
Wir gönnen uns ein erfrischendes Radler in einer der Strandtavernen (Limo + Bier 6,50 – Pserimospreise sind etwas höher) – tut das gut! Zwei Stunden haben wir jetzt noch Zeit bis zur Fährabfahrt. Das reicht noch für ein nettes Bad und eine Kleinigkeit zu Essen.
Und dann kommen die Piraten.
Ein imposanter Zweimaster biegt um die Ecke und legt am westlichen Anleger an. Schnell kommt Bewegung in den Ort: haben die Muschelkramverkäufer ihre Stände geöffnet, eine alte Frau neben uns bietet schüchtern ihre Kräuter an, ein alter Mann verkauft das Gleiche aus einem Korb, den er herumträgt. Sechzig, siebzig Leute gehen von Bord, die meisten schon im Badeoutfit. Ein paar steuern gleich die Tavernen an (zu mehr als einem Getränk reicht die Stunde Aufenthalt kaum), die meisten stürzen sich ins Meer. Bunter Armbänder zeichnen sie als AI-Urlauber aus. Und all-inklusive ist dann wohl auch die Wassergymnastik, die eine größere Gruppe im flachen Wasser abzieht. Aqua-Sirtaki am Strand von Pserimos – das muss wohl das perfekte Urlaubsvergnügen sein.
Wenn wir die Insel nicht vor eine halben Stunde noch so ruhig erlebt hätten, wir würden sie zukünftig mit Sicherheit meiden.
So fliehen wir vor den Badewütigen in die letzte Taverne des Ortes vor der Kirche (ich glaube, sie heißt „Sevasti“. Hierher, etwas abseits und im Schatten, hat sich keiner der Tagesausflügler her verirrt. Die Wirtin hat uns vor unserer Inseltour schon freundlich begrüßt, sie offeriert uns als schnelle Mahlzeit – wir haben nur noch eine gute Stunde Zeit - Kalamaria, die ihr Sohn am Morgen erst gefischt hätte. Da sagen wir nicht nein, und als wir wenig später zwei frittierte Kopffüßler unzerteilt auf dem Teller präsentiert bekommen haben diese so gar nichts mit den panierten Gummiringen zu tun, die man anderswo so leicht erwischen kann. Dass ich vergessen habe sie zu fotografieren ärgert mich jetzt noch. Noch ein Radler dazu – wir haben ja viel Flüssigkeit verloren heute – beträgt die Gesamtrechnung 16 Euro.
Etwas träge geworden müssen wir uns losreißen – ich will ja noch schnell baden, da muss ich mich jetzt sputen.
Die Tagesausflügler sind weg, die herrliche Ruhe ist wieder eingekehrt. Den Strand hab ich für mich alleine, es geht so schön flach hinein.
Und dann schnell zum Boot, es ist schon fast fünf Uhr. Wieder eine überschaubare Anzahl Passagiere. Ein junger Mann, der in einer Taverne bedient hat und am Morgen mit uns hergekommen ist, fährt auch wieder weg. Pserimos wird hochgeklappt. Oder vielleicht doch nicht? Hätten wir es nicht doch riskieren sollen mit der Übernachtung? Vielleicht bei Sevasti – sie hätte uns sicher nicht verhungern lassen. Ein bisschen tut es mir jetzt leid es nicht ausprobiert zu haben.
Aber da hat das Schiff schon abgelegt.
Auf der Rückfahrt schwätzen wir mit den Stuttgartern. Auf Pserimos soll es eine tolle Tropfsteinhöhe geben, erst vor wenigen Jahren entdeckt. Leider habe ich nichts Näheres darüber gefunden, falls jemand etwas weiß: ich wäre interessiert. Nicht dass ich in die Höhle hinab wollte – das ist nichts für Amateure, und so ein Höhlenfan bin ich auch nicht. Aber Bilder würde ich gerne sehen: in einem griechischen Magazin namens Panoramio oder so ähnlich müssen welche gekommen sein.
Die Rückfahrt verläuft genau so ruhig und beschaulich wie die Hinfahrt, gegen 18 Uhr sind wir wieder in Pothia, wo wir noch eine Stunde verbummeln bis die letzte Fähre nach Kos geht.
Nach dem kleinen, hellen und überschaubaren Pserimos ist das großstädtische Póthia doppelt düster. Die schwarze Felsenwand im Westen mit der darauf thronenden Kirche wirkt bedrohlich. Und die schmutzigen Gassen, die verfallenden Gebäude, die teilweise ärmlich gekleideten Menschen. Die spärlich gefüllten Bars entlang der Paralia. Zum ersten Mal in diesem Urlaub spüren wir einen Hauch der Krise. Oder doch nur Alltag auf Kalymnos? Ich empfinde die Stadt als beklemmend, da können auch die reichlich vorhandenen Dreiräder nicht drüber weg trösten.
Die Fähre um 19 Uhr nach Mastichari – wieder eine kleine, dieses Mal die „Kalymnos Star“, ist recht voll belegt. Das Wetter ist noch warm, und so finden wir einen Platz auf dem Deck, fahren im schwindenden Tageslicht hinüber nach Kos. Die Positionslampen startender und landender Flugzeuge über uns. Eine Möwe begleitet das Schiff rechts und links über uns pendelnd.
In Mastichari wieder eine andere Welt. Kostas begrüßt uns verblüfft im Hotel: was, wir wären so lange unterwegs gewesen? Er hält gerne ein Schwätzchen, sitzt mit Gästen vor dem Haus oder guckt auf dem großen Flachbildschirm im Salon fern – da entgeht ihm nur wenn selten wer kommt und geht. Wir sind ordentlich müde, und überhaupt nicht hungrig. So gibt es heute nur Wein und Knabberzeug auf dem Balkon als Abendessen.
Pserimos sehen wir im Dunkeln nicht, aber anhand dreier unbewegten Lichter können wir es ungefähr ausmachen. Davor die schwankenden Lichtlein von Fischerbooten und Seglern. Es ist immer noch so lau. Um halb elf Uhr fährt die Fähre wieder nach Kalymnos hinüber. Und wir sinken erledigt in die Betten.
Morgen haben wir wieder volles Programm. Aber nicht zu Fuß.