Rund um Stromboli

Weil wir nicht wieder so früh aufstehen wollen – schließlich haben wir ja Urlaub – beschließen wir, dass wir Ginostra lediglich im Rahmen einer Inselrundfahrt besuchen werden. Viel mehr als eine Stunde Zeit haben wir dann zwar dort nicht, und die reicht nicht für eine Wanderung zur Sciara del Fuoco. Aber die werden wir uns dafür am Abend vom Osservatorio aus ansehen. Das Paar auf Bietigheim hatte diesen Spaziergang sehr empfohlen, und es wäre ein schöner Abschluss unseres Stromboli-Aufenthaltes. Morgen geht es nämlich weiter nach Salina.

Zwei der drei Inselrundfahrtanbieter machen die Ginostra-Tour zwei Mal täglich, eventuell hätte wir vormittags hin und nachmittags zurückfahren können. Das setzt aber voraus, dass beide Touren auch stattfinden. Was in der Vorsaison nicht unbedingt der Fall ist: die Nachfrage ist noch verhalten.

 

Wir entscheiden uns, mit Frank zu fahren, mit dessen österreichischer Frau wir mehrmals schon im netten Gespräch waren (die Familie verbringt den Winter nicht auf der Insel – wie viele andere Einwohner auch. Auf Vulcano sollen im Winter gerade mal noch 50 Leute wohnen – im Sommer 700! Das kennen wir von manchen griechischen Inseln). Bei Pippo wäre die Fahrt zwar fünf Euro billiger gewesen (20 statt 25 Euro) – dafür fährt der mit einer größeren Gruppe und entsprechendem Boot, während sich auf Franks kleinem Motorboot außer uns nur noch ein älteres italienisches Paar einfindet. Ich frage Frank wie lange wir Zeit hätten in Ginostra. Und er meint, so lange wir wollten. Na, eigentlich wollen wir drei Stunden, aber so lange wollen wir unsere Mitfahrer doch nicht festsetzen – die Gesamtdauer der Tour beträgt 2,5 bis drei Stunden. Außerdem haben wir die Wanderschuhe im Hotel gelassen.

 

Kurz vor elf Uhr holt Frank das Boot und wir steigen am Anlieger ein. Im Uhrzeigersinn geht es südwärts um die Insel, und zwar ziemlich flott mit dem offenen Boot. Es zieht mächtig. Jacken anziehen. An der Ostseite der Insel können wir einen Erosionshang sehen. Laut Amann-Reiseführer Tour 23 soll hier 1930 eine 700 Grad heiße Glutlawine durch das Tal von Vallonazzo gerast sein. Es gibt aber ein Tal gleichen Namen im Norden der Insel, das westlich von San Bartolo liegt. Und tatsächlich ist die Feuerlawine dort herabgeschossen, sechs Menschen kamen ums Leben.

 

So oder so ist die Küste sehr beeindruckend. Einen Wanderweg gibt es hier nicht mehr, er fiel Erosionen und Steinschlägen zum Opfer. Nachvollziehbar. Bei sehr ruhiger See kann mal wohl entlang des Ufers bis zur Südspitze der Insel wandern, aber nicht weiter bis Ginostra. Dessen erste Häuser sehen wir nach knapp viertelstündiger Fahrt. Und kurz darauf fährt Frank in Ginostras Minihafen hinein. Der fasst nur ein Boot, und war lange als der kleinste Hafen der Welt im Guinness-Buch der Weltrekorde eingetragen. Bis im Jahr 2004 ein Fähranleger etwas weiter westlich gebaut wurde – keineswegs unumstritten, aber dafür konstanter Gäste garantierend. Wo wird heute schon noch ausgebootet? Und wer mag das so gerne?

Das ist nun also Ginostra, das entlegenste Dorf der Liparischen Inseln. Wir vereinbaren mit Frank, dass wir um halb eins weiterfahren, haben nun fünf Viertelstunden Zeit. Die Frau des italienischen Paares ist schlecht zu Fuß, sie bleiben unten am Anleger. Und nehmen die schmale Rampe hinauf zum Ort im Angriff. In Ginostra gibt es keine Straßen und keine Fahrzeuge. Umso verwunderter sind wir, dass am Hafen ein LKW mit geöffneten Türen steht. Mit ihm ist offensichtlich Umzugsgut gekommen: Stühle, Tische, Bilder, Schränke, eine Klimaanlage, Grünpflanzen. Und wie kommt der Haushalt nun hinauf in den Ort? Auf zwei oder drei kleinen handgesteuerten Raupenfahrzeugen, die im Schritttempo die Zickzackrampe hinauf knattern, jeweils geschoben von einem Mann. Das dauert natürlich, und der Größe der Ladung sind Grenzen gesetzt. Aber wer nach Ginostra zieht, hat von einem auf der Welt sicher reichlich: Zeit.

 

Wir leider nicht, und so gehen wir zügig hinauf in den Ort. Schön sieht man auf den muschelförmigen Minihafen hinab. Ein paar Boote sind an Land gezogen um den einzigen Anlegeplatz nicht zu blockieren, den Franks Boot nun inne hat. Aber jetzt kommt erst mal niemand mehr – Pippos größeres Boot (seine Inselrundfahrt ist eine halbe Stunde früher gestartet) liegt an der Mole, seine Passagiere sitzen in der einzigen gerade geöffneten Ristorante-Bar „L‘Incontro“ und genießen den schönen Blick auf die Inseln Basiluzzo und Panarea.

Wir gehen lieber durch den locker besiedelten Ort, der sich breit den Hang hinaufzieht. Schöne Äolenhäuser gibt es hier, auch Feriendomizile für Zivilisationsflüchtlinge. Viel Grün dazwischen, und viele Blumen und Kakteen. Dahinter die grün-gelben Hänge des Vulkanes, noch gelegentlich von Wolkenfetzen umhüllt. Total schön hier. Aber auch total ruhig. Es gibt einen kleinen Laden, und ein Postbüro, das so aussieht als hätte es nicht mehr geöffnet. Die kleine Kirche in Panoramalage über der Küste ist geschlossen. Keramikscherben sind in den Pflasterweg eingelassen.

 

Ab und zu sieht man, dass der Ort doch bewohnt ist: hier sitzt jemand auf einer Terrasse, dort werkelt jemand im Garten. Und unter einem Baum am oberen nördlichen Ortsausgang steht tatsächlich ein Esel. Also, nicht dass ich noch nie einen Esel gesehen hätte. Aber es scheint mir doch mehr und mehr Reiseführermärchen zu sein, dass die Grautiere hier auf den Äolen noch oft im Einsatz seien. Es wird der einzige Esel während des Urlaubes bleiben. Auch Tage später auf Filicudi – Fehlanzeige.

Bei Ginostra gibt es eine große Solaranlage des italienischen Stromerzeugers Enel, die den ganzen Ort mit Strom versorgt. Warum man hier nicht mehr mit Vulkanwärme experimentiert? So wird Energie auf allen Inseln herkömmlich mit Dieselgeneratoren erzeugt.

 

Wir müssen hier leider umkehren und wieder zurück, die Zeit wird knapp. Hätten vielleicht doch die frühe Fähre nehmen sollen. Aber ich will ja sowieso wieder nach Stromboli, dann könnte man vielleicht auch ein paar Tage in Ginostra wohnen.

Pünktlich um halb eins besteigen wir wieder das Boot und weiter geht es Richtung Sciara del Fuoco. Laut Tourenbeschreibung wäre jetzt ein Bad vorgesehen, Frank fragt uns ob wir wollen. Das Wetter ist ja heute wieder besser, die Sonne scheint, aber wir haben keine Badeklamotten dabei und das Meer ist uns zu kalt. Also nein.

 

So geht es direkt an der Sciara del Fuoco vorbei – mit gebührendem Sicherheitsabstand natürlich. Die steile graue Schutthalde ist von unten sehr beeindruckend. Und brav spuckt der Vulkan oben gerade ein Wölkchen aus – so ist’s recht. Bei Nacht sieht das dann noch besser aus, wir freuen uns auf den Abend.

Man kann den Vulkan (mit entsprechendem Führer) natürlich auch bei Tag besteigen, Magmatrek bietet entsprechende Touren an. Dann gibt es eben mehr Asche und Rauch statt Feuer. Und einen noch heißeren Aufstieg – nur für Leute mit knappem Zeitplan zu empfehlen.

Weiter geht es zum Ortsteil Piscità und der „Höhle des Äolos“ – ein größeres Felsenloch unterhalb der Häuser, mit einem kleinen Sandstrand davor. Mäßig beeindruckend. Piscità erinnert uns nicht zum ersten Mal an Mandraki auf Nisyros: eckige weiße Häuser auf schwarzer Lava am Ufer.

Nun flitzt Frank wieder hinaus aufs Meer: nächstes Ziel ist der Felsen Strombolicchio, der etwas mehr als eineinhalb Kilometer vor der Küste entfernt liegt. Der Felsen war einmal 56 Meter hoch, allerdings wurden beim Bau des Leuchtturmes darauf sieben Meter abgezwackt, so sind es jetzt nur noch 49 Meter Höhe. Die schroffen Felsenwände und die bizarren Felsformationen beeindrucken uns. Mal meint man den Kopf eines Teufels zu sehen, mal den eines Kameles. Ich muss an Michael Endes „Jim Knopf und die Wilde 13“ denken und den „ großen Gurumusch-Magnetfelsen“. Herr Tur-Tur ist aber nicht zu sehen. Es soll sich bei dem Felsen um die Reste eines uralten Vulkanschlotes handeln, und damit um das älteste Gestein Strombolis.

Eine steile Treppe führt hinauf auf das Plateau, aber das Betreten der Felseninsel ist verboten – Naturschutzgebiet. Auf Strombolicchio lebt die endemische, also nur hier und auf den Felsenriffen La Canna vor Filicudi und Faraglione bei Pollara/Salina vorkommende Äolische Mauereidechse.

Wir umrunden das Kliff mit dem Boot und haben so immer neue, spannende Aussichten auf die Klippe. Am westlichen Ende ragt ein steiler Dorn empor, an einer anderen Stelle sieht man ein Herz im Felsen. Ein Trimaran hat nahe der Ostküste festgemacht, als Basis für einige Taucher. Die Unterwasserwelt soll bei den Äolischen Inseln sehr beeindruckend sein. Aber das ist nicht meine Welt.

 

Um kurz vor halb zwei sind wir zurück am Anleger in Scari. Und finden, dass sich der Ausflug gelohnt hat.

Der Iddu qualmt wieder fleißig.

Nach einer kurzen Siesta gehen wir auf eine Granita hinein in den Ort zum „Ritrovo Ingrid“. Die Granita kann zwar qualitativ nicht mit der von Panarea mithalten, aber die Sonnenterrasse mit ihrer Aussicht aufs Meer und die Piazza ist unschlagbar. Weswegen dort eigentlich auch immer Leute sitzen.

Eine Gruppe deutscher Enddreißiger Typ Was-kostet-die-Welt? sitzt am Nachbartisch, der Wortführer telefoniert lautstark mit jemandem. Wir können nicht umhin mitzuhören: es geht um Rollrasen und eine Grünpflanze, die darin eingesetzt werden soll. Und wie man das richtig macht. Er werde sich darum kümmern wenn er am Sonntag da sei. Der Ärmste – unentbehrlich, kann nicht mal den Urlaub genießen – dazu ist er zu wichtig. Ich hab‘s im Urlaub weitgehend internet- und telekommunikationsfrei (von ein paar SMS angesehen), und genieße das sehr. Da fällt mir ein: ich weiß immer noch nicht wie die Wahlen in Griechenland ausgegangen sind. Macht nichts – ist jetzt so weit weg…. bloß der Typ telefoniert immer noch. Die Gruppe will nachher auf den Vulkan, steht bei mehreren Gipfel-Agenturen auf der Warteliste. Scheint wohl doch fast ausgebucht.

 

Irgendwann kommen wir ins Gespräch, ich oute mich als Gipfelbezwingerin, empfehle lange Hosen für den Gipfelsturm, und Brille statt Kontaktlinsen. Mist, die hat der eine nicht dabei. Nun meldet sich auch noch ein deutsches Paar vom Nachbartisch – wie das denn wäre wenn man mal müsste? Ähm, keine Ahnung, ich hab alles rausgeschwitzt. Außer am Gipfel – Männer rechts, Frauen links. Na, sie werden es schon irgendwie schaffen. Und zum ersten Mal seit Sonntag präsentiert sich der Gipfel auch weitgehend wolkenfrei. Das freut uns für den Abend!

Ausgestattet mit Stirnlampen, Wanderschuhen und dummerweise nur dünnen Wind-Regenjacken machen wir uns gegen 18 Uhr auf den Weg zum Osservatorio-Ristorante. Wir nehmen wieder den oberen Weg, vorbei an der Piazza und der Kirche San Vincenzo, genießen die Blicke auf Ficogrande und Piscità, haben kykladische Momente angesichts blendend weißer Kaminansammlungen, und fragen uns weiter westlich erneut, wie ein Dreirad-Taxi die Mulattiera-Straße bewältigen kann ohne Achsbruch zu erleiden. Und erneut kommt keines um uns das zu demonstrieren. Dafür ist der Weg in der Abendsonne noch schöner – die blühenden Wegränder, das Meer, der Vulkan über allem. Wir werden das vermissen wenn wir auf Salina sind

Etwa eine Stunde brauchen wir bis zur Osservatorio an der Punta la bronzo. Den Rosselini-Weg hinaufzuwandern bis auf 250 Meter haben wir keine Lust, und sind zu hungrig. So setzen wir uns auf die Terrasse mit dem Vulkangipfel im Blick. Der macht keinen Mucks, das heißt, aus den Schloten raucht es still und unspektakulär vor sich hin. Aber wir haben ja Zeit.

Drei, vier der Tische auf der Terrasse sind besetzt, alle sitzen in Erwartung des Schauspieles, einige mit gezückten Fotoapparaten.

Bestellen das Essen – einen Stromboli-Salat vorab, und Pasta (ein Mal mit Fisch) hinterher. Zwei Coperti schlagen hier mit stolzen fünf Euro zu Buche (Vulcano-View-Zuschlag), die Gesamtrechnung mit vierzig Euro – wir sind hier in Italien. Aber das haben wir vorher gewusst. Der Weißwein (sechs Euro für den halben Liter) ist sehr lecker. Und die Aussicht sowieso unbezahlbar.

 

Wir sitzen und starren zum Vulkan. Da tut sich nix. Dafür ziehen wieder Wolken rein. Mist!

Der Salat kommt. Hinter uns geht die Sonne spektakulär unter. Gut, fotografiere ich halt das wenn der Vulkan sich verhüllt. Mit der verschwindenden Sonne wird es frisch. Wir hätten noch die Fleecejacke mitnehmen sollen. Reingehen? Kommt nicht in Frage! Als die Bedienung die Pasta bringt, haut der Vulkan doch tatsächlich eine Lavafontäne raus. Und die Wolken sind weg. Ein Auge auf dem Teller, ein Auge auf dem Vulkan. Wie das Essen war? Ähm, gut. Doch, wirklich. Es sind noch ein paar Leute gekommen, unter anderem das ältere italienische Paar aus unserem Hotel. Mit dem Taxi. Es geht also doch. Und eine französische Gruppe, die haben wir auch schon gesehen. Die Inselbesucher, die länger bleiben, laufen sich immer wieder über den Weg. Ich mag das.

 

Alle sitzen in Erwartungshaltung da. Fotostative ausgerichtet. Mir schläft der Fotoarm ein. Aus der Entfernung wird das sowieso nichts, also packe ich den Foto mal wieder ein. Die Wolken bleiben weg, aber es kommt nichts. Pech für die Leute auf dem Vulkan – da dürften gerade 80 Leute warten. Mir wird allmählich klar wie viel Glück ich bei meiner Gipfeltour gehabt habe – bestes Wetter, reichlich Eruptionen. Und dass das keineswegs selbstverständlich ist. Franks österreichische Frau hatte das schon erzählt: es gäbe Leute, die wären schon vier, fünf Mal auf dem Gipfel gewesen, und hätten immer Pech gehabt und wenig bis nichts gesehen.

Und dann, endlich, endlich, wir haben gerade das Essen bezahlt und denken an den Rückweg, da steigt eine Feuerfontäne vom Feinsten hoch. Wow! Natürlich bleiben wir jetzt noch ein wenig da, und der Vulkan enttäuscht uns nicht: er legt noch zwei Mal nach, mit grandiosen Feuerwerken. Dann siegt unsere Verfrorenheit über unsere Beharrungsvermögen, und wir machen uns auf den Rückweg, mit der Taschenlampe im Anschlag, denn hier ist es stockfinster. Wieder ist außer uns niemand unterwegs, auch kein Dreirad-Taxi. Und diese Sternehimmel (ich weiß, ich wiederhole mich, aber der Himmel tut es auch).

 

Bis wir an der Piazza sind ist es 22 Uhr vorbei, und wir begegnen den gerade vom Berg herabgestiegenen Vulkanwanderern. Sie scheinen doch auf ihre Kosten gekommen zu sein. Und wir können die abendliche Wanderung zur Sciara del Fuoco nur empfehlen.

Am Donnerstag ist Abreisetag. Um elf Uhr fünfzig wird unser Aliscafo nach Santa Marina Salina gehen (€ 15,50 pro Person). Das Zimmer müssen wir schon um zehn Uhr räumen obwohl das Hotel jetzt unter der Woche nicht mehr so ausgebucht scheint wie am Wochenende. Eine Überraschung beschert uns die Hotelabrechnung – zwei Euro für die 0,5-Liter-Flasche in der Mini-Bar (eine Preisliste lag im Zimmer nirgends aus) – Stromboli ist definitiv eine teurere Insel. Und glücklicherweise haben wir uns überwiegend im Supermarkt mit Wasser eingedeckt (das Leitungswasser ist nur mit Einschränkungen zu empfehlen).

 

Unser Gepäck können wir im Hotel lassen und gehen zum letzten Mal in den Ort hinauf. Die Piazza samt Cafe-Bar, Kirche und Ape wird uns fehlen.

Und vor allem der Vulkan mit seinen Rauchwolken.

Hoffentlich werden wir ihn auch von Salina aus im Blick haben!