Auf den Gran Cratere

Um halb zehn, nach dem Frühstück, geht es los. Der Einstieg ist gut beschildert, die Abzweigung von der Straße führt durch blühende Ginsterbüsche und ist nicht zu verfehlen. Warnschilder sollen die Vulkanbesteiger davon abhalten, den Schwefeldämpfen zu nahe zu kommen – gesundheitsgefährdend. In der ersten Kurve liegt ein Kioskhäuschen, dort muss man den Eintritt zum Vulkan bezahlen – drei Euro Mafiasteuer. Es sind schon einige Leute auf dem Weg aufwärts.

Der Weg ist breit und sandig, man sinkt leicht ein, und rutscht. Wanderschuhe sind gut, aber nicht Pflicht. Alle zweihundert Meter steht ein Schild, das bezeichnet wie weit es noch ist. Manchmal steht eine Holzbank dabei. Hat man etwas Höhe gewonnen so blickt man über den Ort und den Hafen, und weiter nach Vulcanello und die Nachbarinseln. So windig wie gestern ist es nicht mehr, und ein Tragflügelboot liegt am Quai. Sollte morgen kein Problem sein mit unserer Abfahrt. Die Wetterprognosen konnten wir auch schon einem Aushang im Hotel entnehmen.

Der Weg führt südwestwärts bis zu einer Haarnadelkurve, ab hier geht es durch Felsen, die häufig faszinierende Formationen bilden.

Wir lassen uns Zeit die Aussicht zu genießen, die Steine anzugucken, und werden von einer großen deutschsprachigen Gruppe überholt. Viele kommen für einen Tagesausflug von Sizilien oder Lipari hierher, und eine Vulkanbesteigung muss schon sein. Die nächste Gruppe folgt, ebenfalls deutschsprachig, weniger zünftig.

Der Kraterrand hat im Norden eine Höhe von etwa 250 Metern über Meer, entlang des Kraters kann man bis zum 391 Meter hohen Gipfel am Südostrand gehen. Alles sehr zivil im Vergleich zum Stromboli.

Bevor man in den Krater gucken kann kommt eine flache, breite Stufe – es sieht aus wie auf dem Mond: grau und steinig. Vor uns raucht es mächtig, der Führer der Wandergruppe gibt seinen Leuten Instruktionen. Wir haben nun das Panorama mit allen äolischen Inseln vor uns, von Alicudi links bis Stromboli rechts. Dazu keine Wolke am Himmel – schön!

Sette perle
Sette perle

Der unvermeidliche Schwefelgestank steigt uns in die Nase. Es raucht hier aus ein paar Fumarolen rechts von uns.

Über einen Schotterweg gehen wir die letzten Meter direkt hinauf bis zum Kraterrand (ein Weg führt auch südwestlich weg, der ist aber steiler. Und dann liegt die Kraterschüssel vor uns: beeindruckend mit den Erosionsrinnen. Wer unten aber rotglühende Lava erwartet, der wird enttäuscht: eine ebene sandige Fläche füllt den Kraterboden. Ein paar Wagemutige, oder soll man sagen: Verantwortungslose oder Dummköpfe haben darin mit Steinen einen unleserlichen Schriftzug gelegt. Verantwortungslos deshalb, weil das Betreten des Kraterbodens zwar leicht möglich, aber nicht ungefährlich und deshalb verboten ist. Es können sich dort giftige Gase bilden, die geruchslos sind –Kohlenmonoxid zum Beispiel. Trotzdem sehen wir wenig später vier Menschen auf dem Kraterboden. Irgendwann wird man auch hier den Zugang reglementieren wenn es etwas passiert ist.

Entlang des nordöstlichen Kraterrandes steigt weißer Rauch auf. Hier befinden sich unzählige Fumarolen, die den Vulkan auch aus größerer Entfernung rauchend erscheinen lassen. Der östliche Weg zum Gipfel führt mitten durch die Gase – das ist uns suspekt, und ungesund, selbst wenn wir unsere Nase mit einem Tuch abdecken. So komme ich an die schwefelkristallumrahmten Fumarolen nicht auf Fotonähe heran. Aber auch aus der Entfernung kann man die gelben Ablagerungen entlang des Hanges sehen. Der Wind bläst den Rauch nach Nordosten.

 

Die Wandergruppe vermummt sich und strebt auf der Ostseite durch den Schwefelrauch dem Gipfel entgegen. Wir entscheiden uns für die rauchfreie Route über den westlichen Kraterrand, die auch deutlich weniger steil ist.

 

Die Sonne brennt mächtig vom Himmel, es gibt hier oben natürlich keinerlei Schatten. Die oberen, steilen Kraterwände sind von rötlichen und weißen Gesteinsschichten durchzogen, darauf gelbe Ablagerungen. Eine große, glatte Steinbombe liegt am Weg, irgendwann einmal vom Vulkan ausgespuckt. Auf der Südseite sehen wir den alten Calderarand (der zweithöchste Gipfel der Insel, der Monte Saracena, ist 481 Meter hoch und damit höher als der Vulkankrater. Der höchste Inselgipfel Monte Aria ist 500 Meter hoch und liegt im Osten der Insel), es sieht richtig grün aus im Vergleich zur dunkelgrauen Steinwüste, in der wir uns befinden. Dahinter, am Horizont, raucht der Ätna. Wir fühlen uns wie auf einem Balkon der liparischen Inseln.

Der Gipfel des Fossa di Vulcano, wie der Gran Cratere auch heißt, ist relativ schnell erklommen.

Ein Steinhaufen und Mengen von Steinmännchen zieren ihn. Und ein Gipfelpfosten. Zeit für eine kleine Rast. Auch hier sind wir nicht alleine, ein paar Wanderer sind schon da, und die Gruppe ist auch kurz vor dem Gipfel. Auf der Seite, auf der sie heraufkommen, ist es mächtig steil – die Gruppe zieht sich in die Länge, die Mitglieder sind geschlaucht und vielleicht noch schwefelgeschädigt. Na, selbst schuld: wir haben es uns leichter gemacht und es nicht bereut. Dafür klebt der Wanderführer einen Aufkleber auf ein Schild, irgendein Vulkantrekking-Veranstalter.

Junikäfer (oder so ähnlich, Ampedus pomorum evtl., Schnellkäfer) umschwirren uns – die Mistviecher mögen wohl Vulkane, denn die gleiche Plage hatte ich vor zwei Jahren im Mai auf dem Profitis Ilias von Nisyros. Woran mich Vulcano sowieso immer wieder erinnert. Nur ist es auf Nisyros viel gemütlicher und geruhsamer.

Die Insekten verleiden uns den Aufenthalt auf dem Gipfel, und so machen wir uns auf den Rückweg. Auf dem gleichen Weg, auf dem wir gekommen sind, nicht durch den Schwefelqualm, der jetzt noch dichter und gelber ist.

Im unteren Bereich des Weges hat es viele Ziegen, die das Gestrüpp abfressen und dafür fleißig Männchen machen. Wie schmeckt wohl Ziege, die vorher Ginster gefressen hat? Oder ihr Käse? Da stehen die Geißen im wahrsten Wortsinn drauf! Doch, insgesamt erinnert mich Vulcano - trotz der größtenteils stillosen Neuarchitektur – am meisten an die griechischen Ägäisinseln.

 

Es ist kurz vor ein Uhr als wir wieder unten sind. Ich will jetzt unbedingt eine Granita und so gehen wir nicht ins Hotel zurück, sondern vor zum Hafen, und setzen uns dort in die Bar „Faraglione“. Ich nehme dieses Mal eine Erdbeer-Granita – und die schmeckt sehr gut! Zwei Euro fünfzig kostet eine Granita übrigens – und ich werde das Halbgefrorene im Sommer zuhause vermissen! So lecker!

Eine große Truppe Ausflügler, die meisten Italiener, verlassen ein gerade angekommenes größeres Ausflugsschiff und streben der Schlammtherme zu. Da ist heute mehr los als gestern obwohl es außerhalb des Wasser heißer ist als drin. Und nasenbetäubend stinkt! Kaum ein Windhauch verteilt den Odeur. Die Sonne sticht ordentlich, die Sonnenliegen und Schirme kommen zum Einsatz.

Entlang vorsaisonal trostlos aussehenden Hotels gehen wir nach Norden zum schwarzen Sandstrand an der Ponente-Bucht. Gestern noch von den Wellen aufgewühlt verlieren sich heute einige Badegäste auf dem feinen schwarzen Sand. Es hat aber auch angeschwemmten Müll, und, schlimmer: angeschwemmte Quallen. Die Viecher sind hier wohl überall. Und ich hatte gerade überlegt noch ein Bad im Meer zu nehmen. Ich verzichte.

Den Zugang zu unserer Straße entlang der Küste können wir heute problemlos passieren, und so sind wir am frühen Nachmittag wieder am Hotel, faulenzen am Pool, in dem ich mein quallenfreies Bad nachhole. Nett zu beobachten wie zahlreiche Vögel dessen steinverzierten Rand als Tränke und Bad benutzen.

 

Um kurz vor sechs Uhr, als die Wärme des Tages nachlässt, gehen wir nochmals zum Sabbie-Nere-Strand, und weiter auf einer schnurgeraden Straße über Vulcanello. Abgezäuntes, verwildertes Gelände rechts und links der Straße, Bäume und Büsche, Sommerresidenzen, die leicht vernachlässigt aussehen.

Die Straße endet an einem Hubschrauberlandplatz und der teuren Hotelanlage „Therasia Resort Sea Spa“ (Therasia? Hier auf den Äolen? Komisch…). Da ist kein Durchkommen – nur für Gäste. Immerhin kann man beim Heliport einen Blick auf die Küste von Lipari und die vorgelagerten Felsen werfen. Dann wieder auf dem gleichen Weg zurück. Nur über den Strand wollen wir nicht – da kriegt man so viel feinen Sand in die Schuhe. Barfuß wäre eine Option, aber brennen Quallen eigentlich auch noch wenn sie schon sind? Nehmen also stattdessen die sandbedeckte Straße – da geht der Strand dahin! Und mancher braucht schon bald ein geländegängiges Dreirad um nicht drin steckenzubleiben….

Der Koch übertrifft sich an unserem Abschiedsabend selbst. Leider sind noch weniger Gäste da als an den Vorabenden – obwohl doch Freitag und Wochenende ist. Die Krise…. Aber nicht auf dem Teller: das Schwertfischcarpaccio ist göttlich, die Nudeln in Sellerie oder Muscheln, der Fisch in Salz gebacken, das Panna Cotta - alles delikat. So wird einem der Abschied echt schwer gemacht. Johnny gibt uns noch einen Malvasia aus.

 

Müde und satt sinken wir ins Bett. Morgen heißt es Abschied nehmen.

 

 

*

 

Schwefelgeruch weckt uns am Morgen – der Wind muss gedreht habe, bisher war unser Hotel weit genug weg vom „toten Feld“. Um halb zwölf geht unser Aliscafo nach Milazzo – Zeit nach dem Packen noch ein wenig am Pool in der Sonne zu liegen – der Balkon ist dafür definitiv zu schattig. Der Chef bringt uns mit dem Auto zum Hafen, wir wünschen ihm einen krisenlosen Sommer. Die Tickets (knapp 28 Euro für zwei Personen) kaufe ich im Siremar-Büro dort (gestern hatte man sie uns noch nicht verkaufen wollen – das wäre teurer….). Da ist wieder das unfreundliche deutsche Paar, das wir schon von Stromboli und Vulcano kennen – kein Zeichen des Wiedererkennens. Doch, er grinst immerhin leicht verhalten. Wir werden sie in Catania auf dem Flughafen wiedertreffen, und sie werden im gleichen Flieger sitzen. Überschaubare äolische Welt. Auch das französische Paar von der Überfahrt von Lipari ist da, wir plaudern etwas. Sie dürfen noch auf der Insel bleiben.

Und pünktlichst legt das Tragflügelboot „Calypso“ an und ab - gut belegt, kein Fensterplatz für uns. Immerhin ist die dreiviertelstündige Überfahrt weitgehend schaukelfrei.

 

Bei der Ankunft in Milazzo zunächst leicht Orientierungsprobleme. Ich hätte einen Transferbus direkt zum Flughafen in Catania bestellen können, aber das hätte einen Tag vorher erfolgen müssen, und da war ich zu faul. So müssen wir zunächst mit dem Bus nach Messina (Giuntabus heißt die Gesellschaft), und von dort dann zum Flughafen in Catania (mit SAIS). Ich hatte gedacht wir könnten in Milazzo noch gemütlich eine Granita zu uns nehmen und erst den nächsten Bus nehmen. Aber der Hafen im Milazzo ist uns unsympathisch, der Verkehr brandet vorbei, Hundesch… auf dem Gehweg, abgerissene Gestalten treiben sich herum. Willkommen auf Sizilien. Wir finden die Bushaltestelle, und der Bus fährt auch gleich, also nichts wie rein. Fahrtzeit bis Messina etwa fünfzig Minuten, entlang der wuchernden Vororte von Milazzo, den Ätna rechts, dann durch die Ausläufer der Monti Peloritani, schließlich Blick auf die Straße von Messina mit den unermüdlich pendelnden Fähren.

 

In Messina haben wir eine Stunde Aufenthalt. Der Bus fährt direkt dort ab wo wir mit der anderen Linie angekommen sind, die Tickets bekommen wir im Büro (8,90 Euro). Dann kaufen wir zwei Panini an der Bar an der Ecke (üppig belegt nach unseren Wünschen, und mit ein Euro fünfzig pro Stück sehr preiswert), setzen uns in eine halbwegs gepflegte und schattige Anlage mit Kinderspielplatz. Messina ist - Samstagmittag nach zwei Uhr - eine angenehm ruhige Stadt mit breiten Straßen (musste nach dem schweren Erdbeben und Tsunami von 1908 mit über 60.000 Toten und der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg fast komplett neu aufgebaut werden), und wir können etwas durchschnaufen.

 

Um dreiviertel drei fährt der top gepflegte Bus mit mindestens so gepflegtem Fahrer pünktlich los, Gepäck im Fach unten. Auch das ist Sizilien – da kann sich so mancher deutsche Busunternehmer eine Scheibe davon abschneiden. Er hält nochmals im Messina und lädt ein paar Jungs mit Sportsachen ein. Drei Minuten später an einer roten Ampel plötzlich heftiges Gehupe – ein Pkw neben uns bringt noch verspätete Passagiere – eine älteres sizilianisches Paar mit Destination Berlin hätte beinahe den Bus verpasst – waren auf so viel Pünktlichkeit offenbar nicht eingerichtet.

 

Auf der Küstenstraße geht es nach Süden, immer wieder den rauchenden Ätna im Blick, und die schnell breiter werden Straße von Messina. Durch Tunnel und über Brücken durch das Bergland um den Ätna, Giardini Naxos bleibt links und Taormina rechts liegen. An Catania vorbei – bin ich froh, hier nicht übernachten zu müssen – negativste Erinnerungen an einen Aufenthalt 1990.

Kurz nach vier Uhr am Nachmittag sind wir am Flughafen von Catania – viel zu früh, denn unser Flug soll erst um zwanzig nach sieben abheben. Aber der Check-in-Schalter für Stuttgart ist schon geöffnet, wir reihen uns in die kurze Schlange ein. Der Typ (jung, gutaussehend) am Schalter macht aber keine Anstalten, die vorne stehende Kleingruppe, bestehend aus vier Erwachsenen und mehreren Kleinkinder zu bedienen – irgendetwas passt ihm nicht. Stattdessen zeigt er deutlich, wer hier der Chef ist und das Tempo bestimmt. Er lästert noch kurz mit den Kollegen vom Nachbarschalter, die angesichts des vollen Flughafens eigentlich ausgelastet sein müssten. Kein Wort der Erklärung oder Entschuldigung. Flegel!

Bis sich dann doch etwas bewegt vergeht eine halbe Stunde, Einchecken im Zeitlupentempo, kein freundliches Wort. Sowas gibt es noch – auch Italien eine Servicewüste. Na, Germanwings wird mir nach dem Flug ein paar Fragen zum Service stellen, die ich wahrheitsgemäß (=schlecht) beantworten werde. Ich mache mir aber keine Illusionen, dass das an der richtigen Stelle ankommen könnte.

 

Nach einer halben Stunde ist die Kleingruppe dann endlich abgefertigt (wirklich!), auch bei dem Paar vor uns dauert es länger. Wenn das in dem Tempo weitergeht wird die Hälfte der Passagiere ihren Flug verpassen. Aber es ist ja noch reichlich Zeit.

Und zu guter Letzt wird das Flugzeug verspätet eintreffen und folglich mit einer Dreiviertelstunde Verspätung abheben, kurz nach acht Uhr.

Es wird schon dämmerig, und ich habe keine Hoffnung mehr darauf, doch noch einen Blick aus der Luft auf die äolischen Inseln werfen zu können. Noch dazu wo ich auf der falschen Seite zu sitzen scheine – rechts, und der Flieger erst eine große Schleife nach Osten auf das Meer hinaus macht. Dann dreht er, und kurz darauf sehe ich unter mir, ganz knapp – die Pyramide des Stromboli, schon versinkend im Nachtblau.

Und ich hab sofort schon wieder so Heimweh nach dieser unvergesslichen Insel.

 

Ich werde wiederkommen. Unbedingt!

Kann es kaum erwarten.