Akrotiri

Auch das Samstagswetter lässt keine Wünsche offen. Also wird die Wanderausrüstung eingepackt. Theo ist etwas übernächtigt, denn die laute Musik von der Bar unten ließ ihn vor drei Uhr kaum Schlaf finden. Klar, das schöne Wetter mögen auch die Nachtschwärmer, und die Türen der Musikbars sind entsprechend lange offen. So richtig wanderwütig ist er deshalb nicht.

 

Eigentlich wäre ich gerne von Kloster Gouverneto via Katholiko nach Stavros gewandert und wäre dort eingekehrt. Allerdings hat Theo Zweifel, dass wir in Stavros eine Rückfahrtgelegenheit per Anhalter oder Taxi nach Gouverneto bekommen, wo wir das Auto abstellen würden. Und eine offene Taverne. Außerdem wollen wir uns auch nicht hetzen, sondern genießen. Also werden wir wohl nur bis Katholiko und dem Strand dort wandern, und wieder zurück. Der Abstecher nach Stavros geht ja auch mit dem Auto (ja, Mietwagen machen bequem).

 

Beim Auto angelangt, sieht Theo an ihm sofort einen dicker schwarzer Kratzer oberhalb des Tankdeckels. War der gestern schon? Hmm, das wäre uns an dem Auto in seiner weißen Tadellosigkeit doch sicher aufgefallen. Ärgerlich, und gut, dass wir Vollkasko ohne Eigenbeteiligung haben!

 

Wir folgen der Beschilderung zum Flughafen und nach Akrotiri nach Osten aus Chania hinaus. Vor dem Flughafen biegen wir nach links ab, und stehen kurz darauf vor dem Kloster Agia Triada. Der große Parkplatz lässt erahnen was hier manchmal los ist, wir dagegen haben jetzt die Qual der Auswahl. ;-)

 

Das altrosafarbene Kloster ist geöffnet, aber erst mal gibt es eine Liste mit Verhaltensregeln. Für mich ist das kein Problem (zumal knappe Sommerbekleidung trotz des Sonnenscheines nicht angebracht ist), aber Theos Klosterallergie wird durch so etwas gereizt. Das Verbot, Mönche ungefragt abzulichten, wird durch das Nichtanwesendsein der Mönche immerhin deutlich vereinfacht.

Eigentlich ist sogar niemand da, außer einigen der obligatorischen und recht wohlgenährten Klosterkatzen. Der Shop, in dem das selbstproduzierte Olivenöl und Wein verkauft werden sollen, ist geschlossen, im Winter wollen die Mönche offenbar ihre Ruhe.

Im Innenhof gefallen uns vor allem die Zitrusbäume, die voller Früchte hängen. Welcher jetzt der aufgepfropfte Baum mit vier verschiedenen Fruchtsorten ist (laut E. Fohrer, MM-Reiseführer Kreta), können wir aber nicht eruieren - alle sind obsttechnisch nur einsortig.

Beeindruckender ist der baumhohe Weihnachtsstern. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Teile im Schneckentempo wachsen - wie alt wird dieser hier sein?

 

Natürlich besichtigen wir (oder ich?) die Kirche mit der prächtigen Ikonostase auch von innen bevor wir weiter über den Innenhof bummeln und Treppen erklimmen um Aus- und Einblicke zu gewinnen. Viele schöne Fotomotive, und irgendwann huscht doch auch mal ein Mönch vorbei, der seine Einkäufe verstaut. Zwei Briten haben da gerade Theo gefragt, ob es hier keine "monks" gibt. Komisch, Theo, siehst du so aus als ob du da zuständig wärst? Das schöne Doppelporträt von Theo mit einem Engelskopf darf ich hier nicht zeigen - zensiert.

Die Palme hinter der Kirche scheint Opfer des Palmrüsselkäfers geworden zu sein - total kupiert ragt sie phallisch in die Höhe.

Wenn man die Treppen am Tor hochsteigt, hat man von der Klostermauer aus einen herrlichen Blick auf die schneebedeckten Lefka Ori, davor die kahlen Weinreben, unter denen üppig frisches Grün wächst. Ein Fest für Fotografen.

So, wenn wir jetzt noch das Kloster Gouverneto angucken und wandern wollen, dann müssen wir weiter!

Die Asphaltstraße nach Gouverneto ist nach der halben Strecke für Busse gesperrt. Wieso erst jetzt und nicht schon bei Agia Triada? Vermutlich, weil hier erst das Klostergelände beginnt.

 

Von Kloster Gouverneto war zuletzt wenig gastfreundliches zu lesen: 2013 hatte der Abt Autoren von Reiseführern angeschrieben, sie sollten das Klostergelände nicht mehr zum Wandern und Baden empfehlen (s. hier bei Klaus Bötig). Manche Besucher hatten von unfreundlichen Mönchen berichtet, andere widersprochen. Nun wollen wir uns selbst ein Bild machen.

 

Die Verbotsschilder am Tor zum Klostergelände sind mehrsprachig und abschreckend. Verboten sind Rauchen, Fotografieren, Campieren, Picknicken, Baden, Fischen und das Tragen von unschicklicher Kleidung. Nicht nur im Kloster, nein, auf dem ganzen Klostergelände, das sich hinab bis zur Ruine des Kloster Katholiko und zur Küste erstreckt. Ein Zaun sperrt den Zugang dazu deutlich ab.

 

Etwas eingeschüchtert bin ich jetzt schon. Aber ich will mir das Kloster ansehen (im Gegensatz zu Theo, der schon wieder seine Klosterallergie bekommt), und über das Gelände geht es auch zu unserer geplanten Wanderung. Das Kloster schließt außerdem um zwölf Uhr, und das ist in drei Minuten. Schlechtes Timing.

Die Pforte zum Klosterinnenhof ist aber noch offen, ich trete ein und sehe einen jungen Mönch im Gespräch mit einem jungen Griechen. Ich grüße freundlich, er nickt wohlwollend. Puh, erste Probe bestanden. Fotografieren verkneife ich mir nun, und gehe zur Kirchentüre, die nicht abgeschlossen ist. Es ist niemand in der Kirche, die ich nicht so beeindruckend finde. Am besten gefällt mir das auf einem Pult in der rechten Seitenapsis abgestellte Tablett mit Kanne und Bechern. Sieht recht irdisch aus.

 

Wieder draußen ist der Mönch mit seiner Unterhaltung fertig, er fragt mich vorher ich komme. Mit meiner Antwort auf Griechisch und einer kleinen Konversation kann ich bei ihm punkten: er ist sehr freundlich, und erklärt uns dann, dass es zur Bärenhöhle dreißig Minuten sind. Also da dürfen wir schon mal hin, sonst hätte er das nicht gesagt. Hatte mir Zerberus auch anders vorgestellt. ;-)

Ein, zwei Fotos vom Klosterhof und der Kirche mache ich dann doch noch, ehe wir uns verabschieden und auf den Weg zur Küste machen.

 

Durch ein Tor auf der Nordseite des Kloster geht es aus dem eingezäunten Klostergelände über einen kiesigen Platz auf einen schönen, gepflasterten Weg. Rechts auf dem Platz steht ein neu wirkender Gedenkstein für kretische Opfer der Besatzungszeit.

Die Sonne scheint, der entlang eines Tales leicht bergab führende und schön gepflasterte Weg macht die Wanderung zu einem besseren Spaziergang. Ja, so gefällt mir das.

Schon nach einer Viertelstunde erreichen wir eine Ruine, an der vorbei es zur Bärenhöhle geht. Links des breiten, aber niedrige Höhleneinganges steht die kleine Kapelle der Panagia Arkoudiotissa, an der wir mangels Wachsmaterial aber unsere Pflicht zum Kerzenanzünden nicht nachkommen können. Die Höhle ist nicht sehr tief, sie öffnet sich aber zu einem sehr breiten, nicht sehr hohen Saal, in dessen Mitte der einem Bären ähnelnde Tropfstein steht, an den eine kleine Plattform und Stufen angemauert scheinen. Im Hintergrund der Höhle hat es schöne Tropfstein, dazu muss man auch nicht tief eindringen. Ein Taschenlampe schadet trotzdem nicht.

Kühl ist es hier! Im Sommer bestimmt sehr angenehm.

 

Nach der kurzen Besichtigungspause gehen wir weiter. Zwischen den Steinen der Hausruine stehen die schlangenähnlichen Röhren des gemeinen Krummstab, den gab es letzten Januar auf Hydra auch.

Es geht weiter bergab, der Blick auf den Taleinschnitt wird frei. Und da vorne, da geht es zum Strand. Januar ist kein Bademonat, mal sehen ob wir dorthin gehen werden. An einem runden Trockensteingebäude - eine Zisterne? - zickzackt der Weg dann hinab ins Tal. Erst ganz spät wird der Blick auf die Ruinen des Klosters Katholiko frei, zu dem einen steile Treppe führt.

 

Das Kloster ist an den seitlichen Felsen gebaut, eine breite Brücke überspannt mit einem Bogen die davorliegende Klamm. Bevor man das Gebäude mit Kirche erreicht, kommt man an einem Höhleneingang vorbei. In einer Nische links stehen kleine Ikonen. Das ist nun die zweite Höhle, die des Eremiten Ioannis, der hier im 11. Jahrhundert gelebt und von einem Bauern erschossen worden sein soll weil er für ein Tier gehalten wurde. Was dann auch wieder ein - allerdings ziemlich kretisches - Wunder wäre, denn Schusswaffen gab es in Europa frühestens im 13.Jahrhundert. Na, vielleicht war der Eremit auch später dran, wer will das schon so genau wissen. Wobei das dann wieder mit der Entstehungsgeschichte des Kloster Katholiko nicht ganz passt, das das älteste Kloster auf Kreta sein soll (zumindest laut Kreta-Umweltforum).

Auf alle Fälle dürfte der Einsiedler das erste Schusswaffenopfer auf Kreta gewesen sein (aber lange nicht das letzte).

 

Die Höhle ist deutlich schmaler als die Bärenhöhle, ich gehe nur ein Stück hinab. An der Decke hängt einen schlafende Fledermaus - bitte nicht stören! Eine hohe Tropfsteinsäule wächst in die Höhe. 300 Meter sollen die Gänge lang sein. Nichts für mich.

Die Kerze wird dann von Theo in der benachbarten Kapelle des Klosters angezündet (unter Recycling alter Kerzen mangels neuer - bestimmt gilt das nicht...). Auch diese Kapelle ist in den Felsen gehauen, gemauert ist nur die Front. Grüne Algen an den Wänden des Tonnengewölbes - kein gesundes Klima. Aber offiziell sind die Mönch des Klosters Katholiko im 17. Jahrhundert vor den Piraten einige Etagen weiter nach oben geflohen und haben dort Kloster Gouverneto gegründet.

 

Inzwischen ist hier richtig was los: eine Wandergruppe ist das Tal heraufgekommen, sie gehen weiter nach Stavros (worauf wir keine Lust haben). Ein Paar ist uns gefolgt, es geht weiter hinab zum Strand. Der Weg von der breiten Brücke hinab ins Bachbett ist erschwert, man muss etwas klettern. Aber er ist mit Pfeilen markiert. Theo, sollen wir zum Strand hinab? Halb zwei ist es inzwischen, und wir haben etwas Hunger (wir dürfen hier ja nicht picknicken - verboten! Aber wir haben eh nichts dabei. Baden ist unten auch verboten, egal ob in Badeklamotten oder ohne.)

Für den Aufstieg zurück nach Gouverneto soll man laut Merkblatt des Umweltforums eine bis eineinhalb Stunden einrechnen und wir wollen ja noch nach Stavros (mit dem Auto) und dort essen. Wird das zu spät?

Lange Rede, kurzer Sinn: wir gehen nicht zum Strand, sondern wieder hinauf. In einer Dreiviertelstunde sind wir wieder in Gouverneto - rekordverdächtig? Dabei sind wir gar doch ganz gemütlich gewandert. Hach, da sollte mal der Dieter Graf von Graf Editions hier wandern - der würde ganz andere Maßstäbe setzen.

 

Schuhwechsel am Auto, ein Mönch kurvt mit seinem PKW herum. Wäre jetzt nicht heilige Mittagspause? Oder ist man hier auch nur scheinheilig?

 

Stavros liegt Luftlinie nur vier Kilometer von Gouverneto entfernt, aber die Straße macht einen ziemlichen großen Umweg. Bei der Durchfahrt in Chorafakia registrieren wir rechter Hand eine geöffnete Taverna. Gut, falls in Stavros doch nichts offen ist.

Nach einer Kreuzung beeindruckt eine dekorative Briefkastensammlung.

Stavros also. Dort, vor der kühnen Bergkulisse des Vardies, wurde die in den 60ern die Schlussszene des Filmklassikers "Zorba the Greek - Alexis Sorbas" gedreht. Die wundervolle Schlussszene mit der einstürzenden Seilbahn und dem anschließenden "Sirtaki" von Anthony Quinn und Alain Bates, um die sich so viele Mythen ranken. Von wegen typischer griechischer Tanz und so (ich hab mich hier schon mal was dazu geschrieben).

Der Film wurde dreifach oscarprämiert, unter anderem für die beste Kamera an den Kameramann Walter Lassally. Der hat sich wiederum später in Stavros niedergelassen und in der Taverne "Christiana" oft stolz seinen Oscar vorgezeigt. Bis die Taverne am 1. Januar 2012 abbrannte, und der Oscar mit ihr. Shit happens.

Ganz schön viele Mythen für ein Kaff wie Stavros.

 

Dort sehen wir am Samstagsnachmittag doch tatsächlich hartgesotten Badegäste (wir haben den 16. Januar!), die die Streusiedlung ohne historischen Kern nicht ganz so verlassen erscheinen lassen, wie sie das eigentlich ist. Geöffnete Tavernen oder Cafés hier an der sandigen Bucht - Fehlanzeige. Die Badegäste sind mit dem Auto gekommen, und verschwinden auch wieder so. Gut, dass wir nicht hungrig und durstig zu Fuß hergekommen sind.

Theo und ich bummeln entlang der fast runden Bucht. Der Sand ist fein, vom Wind gekämmt und mit Muscheln durchsetzt, das Wasser sehr flach und durch die geschütze Lage vermutlich nicht so kalt wie an anderen Stränden. Der markante Felsen der 340 Meter hohen Vardies ist wirklich eine beeindruckende Kulisse. Und ich wollte ja für Theo hier einen Sirtaki tanzen. Allein, es will hier absolut kein Zorbas-Gefühl aufkommen, das einen zum Tanzen animieren würde. Eher ein Hauch von Nordsee.

Keine Mythos hält dieser januarnüchternen Realität stand.

Und weil es auch keine offene Taverne gibt, fliehen wir hungrig zurück nach Chorafakia zu "Irini". Für 15 Euro bekommen wir dort Karotten-Kraut-Salat, Käsesalat und eine Portion Loukanika, die allesamt gut schmecken. Das Wetter ist so mild, dass wir sogar (heizstrahlerfrei) draußen sitzen können. Am Nachbartisch sitzt eine griechische Familie mit Kleinkindern, die die Tavernenkatzen jagen, und später kommt ein älteres griechisches Ehepaar zum Essen. Griechische Normalität, und sehr angenehm.

 

Zum Sonnenuntergang sind wir dann wieder zurück in Chania. Mit dem Abendessen wird das wieder nichts - die späten Mittagessen sind einfach zu üppig. So bummeln wir nach 21 Uhr durch Chania auf der Suche nach einem geeigneten Lokal für Kleinigkeiten und Getränke. Die Tavernen und Mezedopolia sind alle gut gefüllt, in der Hatzimichali Daliani flanieren Jung und Alt und spätestens um 22 Uhr bekommt man keinen Sitzplatz mehr in einem Lokal. Und auch die heizstrahlerergewärmten, mit Folien abgetrennten Außenplätze sind gut belegt. Wir setzen uns vors "Stis Annas" am Minarett auf ein Bier und eine Limo und genießen den lauen Januarabend. Ok, eine warme Jacke und ein Sitzkissen kann dabei trotzdem nicht schaden. Gibt es auf Kreta eigentlich Glühwein, oder nur heißen Rakomelo?

 

Mal sehen, ob es morgen wirklich regnet, wie leider prognostiziert. Vielleicht haben wir dann mal etwas Zeit für das schöne Chania. Bei Sonne ist das aber trotzdem schöner.