Schon um acht Uhr bin ich beim Frühstück nebenan. Die Sonne scheint, der Wind hat nachgelassen.
Leider noch nicht genug um draußen zu frühstücken. Ich kläre an der Rezeption, dass ich bis Mittwoch bleiben kann. Ein Tag mehr Naxos, immerhin.
Und um halb zehn stehe ich, ausgerüstet mit einem Rückfahrtticket, an der KTEL-Station und warte auf den Bus, der pünktlich abfährt. Wenn ich mir die Mitreisenden so angucken, dann wollen heute alle wandern. In Filoti gibt es einen Stau, weil ein LKW mit Betonpumpe die Hälfte der Straße blockiert und der Bus nicht vorbeikommt. Ich beobachte das voller Ungeduld, denn ich will heute ein lange angepeiltes Ziel erreichen: den Gipfel des Zas. Mit 1.001 (andere schreiben 1.004) Metern Höhe ist er der höchste Berg der Kykladen, und damit einfach ein Muss für Inselwanderer wie mich. Zweimal hatte ich den Gipfel schon geplant, beim ersten Mal kamen heftige Regenfälle dazwischen, beim zweiten Mal Schnee. Heute müsste es klappen.
Trotz dieser für die Kykladen einzigartigen Höhe soll die Besteigung einfach sein, zumindest über die Nordseite von der Kapelle Agia Marina aus, die schon auf fast 600 Metern liegt. Platonas hatte mir zwar die andere Route über die steile Westflanke empfohlen, aber ich habe mich schließlich dagegen entschieden: dann müsste ich auf dem Hinweg erst lange von Filoti zur Aria-Quelle, und auf dem Rückweg von Agia Marina wieder auf der Straße zurück bis Filoti. Außerdem wären es zweihundert Höhenmeter Aufstieg mehr. Nein, ich werde die Gegenrichtung in Angriff nehmen, meine Knie verkraften glücklicherweise auch steile Abstiege.
Endlich kann der Bus die Engstelle passieren, und gegen halb elf entlässt er anderthalb Dutzend potenzieller Zas-Besteiger an der Abzweigung nach Agia Marina. Entlang der Straße bis zur Kapelle Agia Marina, das kenne ich ja schon, und schreite zügig aus, um die anderen Wanderer hinter mir zu lassen. Nur eine blonde junge Frau starte vor mir durch. Ich werde sie morgen beim Kajaken wiedersehen.
Nach zwanzig Minuten erreiche ich Agia Marina, wo einige geparkte Autos darauf deuten, dass es am Berg heute nicht ganz einsam werden dürfte. Eine Übersichtstafel weist nochmal auf die Route hin, und in der Kapelle zünde ich eine Kerze an. Kann nicht schaden, der Obergott gnädig zu stimmen.
Am Anfang laufe ich noch in kleinen Gruppen anderer Wanderer, überwiegend Franzosen. Französisch wird heute die Sprache am Berg sein, wie ich bald merke. Aber sie bleiben dann zurück, ich habe einen guten Rhythmus, den ich nur unterbreche um das sich ständig erweiternde Panorama zu genießen. Zunächst nach Norden, wo meine Wanderung von vorgestern von hier aus auf Miniaturgröße zusammenschrumpft, dann nach Südosten auf die kleinen Kykladen. Es macht mir große Freude, bergauf zu steigen.
Ungefähr eine Stunde nachdem ich Agia Marina verlassen habe, erreiche ich die Hochebene unterhalb des Gipfels. Rechts geht der Weg Richtung Zas-Höhle hinab. Vor mir der von hier aus flach scheinende Gipfel mit den anderen Gipfelstürmern, deren Silhouetten sich vom Himmel abheben. Ich laufe wieder zu einer Gruppe Franzosen auf, die sich über den steilen Abstieg unterhalten. Mhh, vielleicht zu schwierig? Ach, erst mal rauf! Sind nur noch ein paar Minuten, eher weglos über Steine.
Die junge Frau, die vor mit den Berg hinaufgegangen ist, kommt mir schon wieder entgegen. Hey, du bist doch im Urlaub, nicht auf der Flucht! Aber vielleicht ist die Aussicht für jemand, der die nähere und weitere Umgebung nicht schon selbst erlebt und erwandert hat, nicht so interessant?
Pünktlich zu Mittag stehe ich dann auf dem Gipfel, der mit einer eckigen Betonsäule markiert ist. Eineinhalb Stunden seit ich aus dem Bus gestiegen bin, problemlos. Das war wirklich einfach.
Die Aussicht ist genial! Gen Westen fällt der Berg zunächst in einer Steilwand ab, dann geht er in eine steingraue Schräge mit dunkelgrünen Baumtupfen über. Dahinter kann ich die einzelnen Punkte unserer Kajaktour nachvollziehen, und im Dunst die runden Rücken von Santorin, Ios und Co. ausmachen. Die Chora und dahinter Paros auf der anderen Seite, viel klarer. Der Aufstieg hat sich wirklich gelohnt, auch wenn ich schnell von herumschwirrenden Fliegen und vereinzelten Käfer belästigt werde. Und natürlich bin ich nicht alleine hier oben: etwa 20, 25 Leute verteilen sich über der breiten Kuppe, kommen und gehen, lichten sich und andere ab. Dass lautlos ein Geier über uns hinwegsegelt, entgeht den meisten.
Eine Pause mit Vesper habe ich mir jetzt verdient. Aufpassen, dass keines der penetranten Insekten als Ergänzung in den Mund wandern. Aber so schlimm wie damals auf dem Profitis Ilias von Nisyros ist es nicht. Komisch, dass auch Insekten offenbar Gipfel mögen.
Nach einer Dreiviertelstunde geht es dann wieder abwärts. Doch, auch wenn vielleicht steil und nicht so einfach: ich werde den Abstieg gen Westen nehmen. Mit meinem Wanderstock fühle ich mich auch in solchem Gelände ausreichend sicher. Nach einer breiten Wiesenterrasse unterhalb des Sattels geht es nach links und wird felsig. Aber der Weg ist mit roten Punkten ausreichend gut markiert, das gibt Sicherheit. Bergauf würde man diese Markierungen wohl nicht so gut erkennen und sich leichter verlaufen. Negative Erfahrungen dieser Art habe ich schon reichlich gemacht.
Offenbar bin ich die Einzige, die diesen Abstieg gewählt hat, den ich kann niemand vor oder hinter mir ausmachen. Und entgegen kommt zunächst auch niemand. Ich wollte hier auch nicht hinauf, denn es wird immer mal wieder richtig steil und erfordert starke Konzentration auf den Weg. Ein englisches Paar aus meinem Hotel wird mir zwei Tage später erzählen, dass sie umdrehen mussten, da sie den Aufstieg zu steil fanden. Zum Glück habe ich meinen Stock dabei und kann mich immer mal wieder abstützen und absichern.
Schließlich erreiche ich das obere Ende einer Klamm, durch die der Weg nun noch steiler hinab führt. Da muss auch irgendwo die Zas-Höhle sein, weiter unten. Zum ersten Mal kommen mir zwei Wanderer entgegen, die ich kaum aufmuntern kann - es ist noch ein ziemliches Stück zum Gipfel.
Und dann, ziemlich weit unten in der Schlucht, höre ich Stimmen rechts oberhalb, schon beinahe hinter mir. Ich schaue nach und sehen zwei Menschen vor einer Höhle sitzen. Bin ich doch glatt vorbeigegangen. Ob das die Zas-Höhle wäre, frage ich sie, was sie bejahen. Ob es sich lohnen würde, wieder hinaufzusteigen? Sie verneinen - die Höhle wäre vor allem eine Toilette der lokalen Hornviecher und nicht sehr beeindruckend. Ja, hatte nicht eine Ziege Zeus aufgezogen? Passt also.
Ich gehe also weiter bergab, und nun kommen mir immer wieder Leute entgegen, die fragen, wie weit es noch zur Höhle sei. Nicht alle haben geeignetes Schuhwerk für das hiesige Gelände, das auch hier steinreich und lose ist. Aber das gepflasterte untere Stück täuscht eine gute Begehbarkeit vor, nur endet es schnell und wird auf ein paar Metern richtig kriminell. Auch das ein bekanntes griechisches Phänomen. Ich treffe die Französin, mit der ich heute früh im Hotel gefrühstückt habe. Sie hat Knieprobleme und können schlecht wandern, möchte aber bis zur Höhle. Ich warne sie - es wäre nicht einfach und nur begrenzt lohnend. Sie wird dann auch wenig später aufgeben.
Da bin ich dann aber schon unten an der platanenbeschatteten Aria-Quelle angekommen, ein gemauertes Geviert mit Brunnen und Sitzbänken. Ich erfrische mich innerlich und äußerlich, raste kurz auf der Bank.
Bis hierher kann man mit dem Auto fahren, aber der Wanderweg geht weiter unten im Tal nach Filoti. Mir tut es jetzt aber die bequeme Straße, die an
der Agia Irini-Kirche auf die Hauptstraße mündet. Ein Mietwagenfahrer, den ich nahe der Höhle vorher getroffen habe, bietet mir an, mich mitzunehmen. Danke, das ist nett, aber das Stück bis
Filoti schaffe ich jetzt auch gut zu Fuß, auch wenn es sich noch etwas zieht.
Gegen drei Uhr mittags bin im Ortszentrum, setzt mich ins Café "Platanos" und bestelle mir eine hausgemachte Limo und einen Galaktobureko. Das habe ich mir nun wirklich verdient!
Viereinhalb Stunden war ich unterwegs, davon etwas über drei Stunden reine Gehzeit, in der ich 576 Meter auf- und 743 Meter abwärts gegangen bin und 8,9 Kilometer zurückgelegt habe. Kann frau nicht meckern.
Der Bus fährt erst um halb fünf, ich habe also noch genug Zeit.
An den umliegenden Tischen erkenne ich weitere Wanderer, denen ich heute unterwegs begegnet bin. Mit dem Blick des Zas-Insiders grüßen wir uns.
Ein Mann nähert sich in seinem Schrottauto der Bushaltestelle, wartet dort mit laufendem Motor und verpestet die Luft mit Abgasschwaden. Bis eine der Touristinnen sich erhebt und ihn auffordert, den Motor doch bitte abzustellen, was er immerhin auch gleich tut. Hätte er auch alleine merken und machen können.
Ich bezahle acht Euro 50 für Limo und Galaktobureko und schließe noch einen kleinen Ortsbummel durch Filoti an. Ein nettes Dorf, wenn auch nicht ganz so hübsch wie Chalki, da stärker von der Durchfahrtsstraße dominiert. Das nächste Mal werde ich mich wirklich mal hier einquartieren, wenn ich ein bezahlbares Quartier finde. Wenigstens für ein, zwei Nächte. Auch wenn ich die Chora und das "Anixis" sehr gerne mag.
Der Bus kommt pünktlich, und um zehn nach fünf bin ich wieder in der Chora, glücklich und zufrieden.
Am Abend ist dann auch mal Zeit für einen Einkaufsbummel. Noch sind nicht alle Läden geöffnet, aber täglich werden es mehr. Ich kaufe kandierte Zedratschalen für die Cousine, eingeschweißten Graviera für mich in den nächsten Tagen, Pastelli und köstliche weiche Moustokouloura im gut sortierten Supermarkt im Ort an der Straße nach Engares. Morgen möchte ich nochmal wandern, da brauche ich etwas Proviant.
Die Abendstimmung an der Paralia ist wunderschön, auch wenn die Wolken einen glühenden Sonnenuntergang wie gestern verhindern. Weil es mir gestern so gut geschmeckt hat, gehe ich nochmals ins "Meze Meze" und bestelle Salatouri, eine Spezialität der Inseln Paros und Naxos. Gebraucht werden mir gleich zwei Teller, der eine mit gekochtem oder gebeiztem zerpflücktem Fisch mit Endiviensalat und Zwiebeln durchmischt, der andere mit gekochten Kartoffeln, Kapern und Tomaten. Eine sehr reichliche Portion Essen, die mir wieder sehr gut schmeckt.
Und so geht ein weiterer geglückter Tag zu Ende.
*
Auch am nächsten Tag warte ich um 9.30 Uhr wieder auf den Bus Richtung Chalki und Filoti, in Gesellschaft vieler Leute, darunter eine große Wandergruppe. Ein zweiter Bus kommt, ich bekomme noch einen Platz im ersten, aber die Wandergruppe muss sich auf beide Busse verteilen. Mit Verspätung geht es los, über Galanado Richtung Sagri. Die Wanderer wollen oberhalb von Agios Mamas aussteigen, wie ich aufmerksam zur Kenntnis nehme, denn das ist auch mein Ziel heute Mittag. Aber nur unser Bus mit dem Guide hält dort, der andere überholt uns und fährt rasch vorbei. Fluchend beschwert sich der Guide beim Busfahrer - irgendwie muss er ja seine vollständige Gruppe hier an den Start bringen. Wir stehen und es wird palavert. Die Wanderer steigen alle aus, dann fährt unser Bus weiter. Irgendwo bei Damalas kommt uns dann der andere Bus entgegen, er hat nach dem Rückruf offenbar in Chalki gewendet. Beide Busse halten, und nun müssen die Fahrgäste nach Filoti und Apiranthos aus dem anderen Bus in unseren umsteigen, während die übrigen zu Agios Mamas zurückgebracht werden. Alles verläuft ganz entspannt, aber dadurch erreichen wir mit reichlich Verspätung Chalki. Das würde mir eigentlich nichts ausmachen, aber da ich am Abend zur Sonnenuntergangs-Paddeltour eingeladen bin und noch nicht weiß, wann ich dazu bereit sein soll, wäre es gut, ich würde nach meiner Wanderung den früheren Bus nach Chora erwischen. Und der fährt schon um 14 Uhr in Chalki und etwas später bei Agios Mamas weg. Jetzt ist es Viertel elf vorbei, das sind etwa vier Stunden. Müsst schon reichen für die Wanderung Nummer fünf von Chalki über Tsikalario, Apano Kastro, die Potamia-Dörfer bis Agios Mamas, und dann hinauf zur Straße, wo der Bus vorhin nur teilweise gehalten hat. Sonst muss ich eben zur Chora trampen.
Einen Bummel durch Chalki spare ich mir trotzdem, und folge zügig der Wandermarkierung westlich aus dem Ort hinaus. Das Wetter ist heute etwas weniger sonnig als gestern und wird sich im Laufe des Nachmittags weiter eintrüben.
Auf einem gelegentlich etwas überwachsenen Pflasterweg geht es durch die Olivenhaine aus der Tragea-Ebene. Eidechsen flitzen am Wegrand in Mauerritzen. Ich überhole zwei Wandrerinnen, und eine Viertelstunde später vor dem Dorf Tsikalario noch ein Paar. Die weißgetünchte Kirche Agios Stefanos dort soll alt sein, ist aber geschlossen. Davor ein hübsches Waschhaus.
Hinter Tsikalario verändert sich die Landschaft. Große rundliche Felsenbrocken liegen herum und erinnern an Volax auf Tinos. Links geht es zu den alten Gräbern aus geometrischer Zeit, aber viel wird da sicher nicht zu sehen sein. Der kegelige Berg des Apano Kastro steigt vor mir in die Höhe.
Auf einem durch die Felsen, Schopflavendel und Zistrosen führenden Pfad nähere ich mich schnell seinem Fuß während ich oben die Mauern der Burgruine ausmachen kann. Soll ich hinauf? Sieht ja nicht weit aus. Bei der Kapelle Agios Panteleimonas beginnt ein schmaler Fußweg, der sich weiter oben aber etwas verliert. Ich bin erst zu weit rechts, auf einem schmalen Plateau, und versuche, von dort rechtsherum auf den Gipfel zu kommen. Aber das geht nicht, die Wände sind hier fast senkrecht. Also auf der anderen Seite. Oder wieder hinab? Von unten kommen nun zwei Wanderer heran. Nein, ich werde es auf der Südseite probieren. Ein Stück weit geht das gut, aber dann, unterhalb einer Turmruine, wird es wieder steil und geröllig. Die beiden Wanderer, ein englisches Paar, erreichen mich. Ich lasse sie vorbeiziehen und beschließe, dass ich nicht weiter hinaufklettere. Mit mehr Zeit vielleicht, aber so reicht mir die Aussicht von hier aus auch. Und an gestern kommt sie eh nicht ran.
Schnell bin ich wieder unten und folge weiter dem Monopati weiter gen Westen. Von unten sehe ich die Engländer bei dem Versuch, auf der anderen Seite vom Burgkegel herab zu steigen. Ob sie es schaffen, kann ich nicht verfolgen, da bin ich schon weiter. Eine unscheinbare Steinkapelle steht am Wegrand, Agios Andreas. Sie ist unverschlossen und birgt Fresken aus dem 13. Jahrhundert. Witzig, dass auf einer Wand nur noch Füße gemalt sind. War die Kapelle mal ein Turm? Erstaunlich, was Naxos so alles auf Lager hat.
Noch über eine Kuppe, und dann liegt das Potamia-Tal vor mir. Kurz danach erreiche ich Ano Potamia. Im Januar 2019 sind wir hier in der Gegenrichtung gewandert, und dann zu den Kouroi von Melanes abgebogen. Ich folge der Beschilderung und wandere entlang des Baches abwärts, durch Mesa Potamia bis Kato Potamia. Irgendwo hier kommt mir auch die Wandergruppe aus dem Bus entgegen. Mhh, erst hier? Müssten sie nicht schon weiter sein? Na, vielleicht sind sie irgendwo eingekehrt? Ich habe es besser, denn ich kann bergab gehen. Es gibt da ein, zwei recht steile Rampen, die aufwärts ganz gut reinhauen.
Nein, leider hat kein Café, keine Taverne am Wegrand geöffnet, und so raste ich kurz im schattigen Kirchhof von Kato Potamia unter Platanen. 13 Uhr ist es inzwischen.
In Kato Potamia quere ich das Tal, verlasse es nach Westen und folge einem sich durch üppige grüne Wiesen schlängelnden Pfad leicht aufwärts. Und kann wenig später mein Tagesziel ausmachen, die steingraue Kirche Agios Mamas, meines Lieblingsheiligen. Von der Hauptstraße herab aus dem Bus konnte ich sie in den letzten Tagen schon erkennen, so dass meine Neugier geweckt war und ich ihr einen Besuch abstatten wollte. Die byzantinische Kapelle, auch Theoskepasti genannt, stammt aus dem 9. oder 10. Jahrhundert.
Ich bin überrascht, als ich dort zwei Männer an der Fassade arbeiten sehe. Offenbar möchte man das Gotteshaus dem weiteren Verfall entreißen, eine sehr löbliche Absicht. Und die Kirche dient als Materiallager und ist geöffnet, so dass ich sie betreten kann. Außer Andeutungen in der Kuppel gibt es aber keine Fresken mehr hier, ein großes Loch in der Apsis hat zu lange Wind und Wetter Einlass geboten. Trotzdem strahlt das hohe Gebäude die Ruhe und Konzentration der Jahrhunderte aus. Schön!
Ich umrunde es von allen Seiten, als sich ein Solowanderer nähert. Er ist mit dem Kirchenbesuch schneller fertig als ich und steigt bergwärts. Das erinnert mich an den Bus: es ist Viertel vor zwei. Wie lange ich hinauf zur Straße brauche? Besser, ich geh mal los. Mein Vorläufer schreitet ordentlich aus, ich kann ihn immer mal wieder sehen. Es ist weiter als gedacht, und steiler. Ich fange an zu rennen. Bergwärts. Das werde ich morgen noch spüren. Um kurz nach 14 Uhr bin ich an der Straße, wo der Vorläufer ganz entspannt meint, er würde doch nicht auf den Bus warten, sondern zur Küste hinabgehen. Die Busse wären hier so unzuverlässig. Das kann ich eigentlich nicht bestätigen, aber ich habe jetzt reichlich Zeit, darüber nachzudenken, mich zu erholen und die Wander-App zu checken: 9,2 Kilometer in zweieinhalb Stunden reiner Gehzeit, 290 Meter hinauf, 358 hinab. Ungefähr wie ich gedacht hatte.
Der Bus lässt auf sich warten. Ich kann die ferne Kurve, um die er biegen muss, gut einsehen und als um Viertel nach zwei ein Bus um die Ecke biegt, mache ich mich abfahrtbereit, signalisiere, dass ich mitgenommen werden möchte. Aber er fährt abwinkend vorbei. War nicht der Linienbus. In den nächsten Minuten passieren mich weitere Busse, keine verlangsamt auch nur das Tempo. Erst der sechste oder siebte Bus ist dann der richtige und hält auch. Da ist es schon fast halb drei. Und so bin ich gegen drei Uhr wieder in der Chora, kann ausruhen und mich für den Paddeltrip am Abend präparieren. Inzwischen hat sich die Sonne völlig hinter Wolken verzogen, es ist richtig kühl geworden. "San Chimona, wie im Winter" wird Manolis sagen. Erst spät bin ich am Abend zurück, das Abendessen fällt aus - es gab ja Snacks am Ende der Tour.
Auch dieser letzte Naxos-Tag war echt schön. Aber morgen geht es weiter, trotzdem.
*
Frühstücken, packen, das Gepäck unterstellen. Das Fährticket brauche ich auch noch. Dann ist Zeit für einen ausgiebigen Stadtbummel und ein Mittagessen im "Boulamatsis" mit "(Ex-?)Webcam-Blick. Um die österreichische Seglercrew am Nachbartisch zu bedienen ruft die Wirtin erst mal telefonisch sprachkundige Verstärkung: Sohn oder Enkel. Mit mir hat sie es leichter, ich bestelle gekochte Artischocken mit Gemüse, geschmacklich unauffällig, aber reichlich und preiswert. Dazu ein Viertel Wein, das darf jetzt auch mal am Mittag sein. Dabei beobachte ich das Kommen der "Skopelitis" und das rasche Anlegemanöver der großen Seajets-Schnellfähren. Zum Schluss noch die "Blue Star Delos", die für ordentlich Leben an Anleger sorgt. Der Himmel ist grau, der Wind stärker geworden, es hat Wellen. Kein so tolles Reisewetter. Zum Glück hab ich ein richtiges Schiff und keinen Seajet.
Die "Ekaterini P" fährt erst 14 Uhr 30 ab. Um halb zwei holen mich Manolis und Christina im Hotel ab und bringen mich mit meinem Gepäck zum Hafen, wo die "Ekaterina P" wenig später einläuft. 36 Euro hat das Ticket gekostet. Nur ein verhaltener Ansturm der Fahrgäste, die fast alle nach Mykonos wollen.
Wehmütig reise ich ab.
Aber nun kommt neues. Altbekanntes neues. Tinos. Und ich freue mich darauf!