Die versprochene Heizung meines Zimmers ist die Klimaanlage. Aber da das Zimmer klein ist, reicht sie tatsächlich aus, um das Zimmer vorzuheizen ehe ich um halb acht aus dem Bett krieche. Draußen dämmert es. Der Blick durch mein Fenster geht Richtung Südosten und in die Berge. Das Fenster ist vom Typ Guillotine – zum Öffnen muss man den unteren Flügel mit Schwung und Kraft ganz nach oben schieben und halten, dann mit zwei Winkeln und der anderen Hand fixieren. Das Ganze wird dadurch erschwert, dass man für diese Aktion auf dem (ziemlich hohen) französischen Doppelbett knien muss, denn das Fenster ist hinter dem Bett. Zum Schlafen ist mir das zu viel frische und vor allem kalte Luft – mit einem Papiertaschentuchpäckchen kann ich immerhin für einen Spalt frische Luft sorgen. Und höre schon früh die Hähne krähen und die Esel schreien.
Um acht schlurfen Theo und ich halbwach zum Bäcker um uns mit Frühstück und Proviant einzudecken. Sesamkringel, Feta-Paprika-Tasche, Milopitta, und eine leckere Zucchinipitta wandern über die Theke. Die Zimmer sind mit Heißgetränkbausätzen nach Wunsch ausgestattet: Nescafé, Tassenaufsätze mit Filterkaffee, Teebeutel, Dosenmilch. Heißwasserkocher (in das Tablett integriert) ist auch einer da, und so frühstücken wir mit Blick über die erwachende Stadt auf der unteren Terrasse. Da lässt man sich gerne etwas Zeit und beobachtet wie die Sonne den gegenüberliegenden Doppelhügel in goldenes Licht taucht, und es wird halb zehn ehe wir unsere Wanderung beginnen.
Wir wollen zunächst entlang der Küste nach Mandraki wandern, dann eine Zickzackpiste hinauf zum Kloster Agios Nikolaos Thalassinos, und dann über den Sattel auf die Südseite der Insel. Ich hätte dann gerne den Pirgos (557 m) südlich umwandert und wäre zwischen diesem und dem Eros durch und dann nach Hydra-Stadt hinab. Ein ziemliches Stück für den ersten Tag. Theo ist eher nach einer leichteren Variante, und so wollen wir nun bis zur Kapellenansammlung Agios Konstantinos & Eleni und Agios Petros & Pavlos gehen, dann zurück, und zwischen den Klostern Agia Matrona und Agia Triada nach Hydra hinabsteigen (nicht auf Theos Schimpf-und Fluchstrecke allerdings, sondern weiter südlich).
Der Himmel ist wolkenlos, aber es ist noch schattig und frisch als wir die Bastion mit den Statuen am östlichen Hafenausgang umrunden. Es bleibt schattig die zwanzig Minuten bis Mandraki, das sich nicht wirklich als Ort entpuppt, sondern als eine lose Ansammlung von einigen gepflegten Häusern, Kapellen und dem Hotel Miramare zum Abschluss an der kleinen Strandbucht. Sieht so in der winterlichen Verlassenheit wie eine heruntergekommene Badeanstalt aus – wo ist denn eigentlich das Hotel?
Dahinter befindet sich die Meerwasserentsalzungsanlage, von der Yannis auf meine Frage nach der Wasserqualität erzählt hatte (zum Trinken nehme ich das Leitungswasser trotzdem nicht), und dort beginnt auch unser Anstieg in langen Serpentinen auf einer Piste. Wir werden von zwei Autos der Müllabfuhr überholt – Restmüll und Sperrmüll, und dürften damit fünfzig Prozent des hydriotischen Autoverkehrs vor uns haben. Die anderen fünfzig Prozent entfallen auf Feuerwehrautos.
Dass sich hier auch die lokale Müllkippe befindet, erkennen wir bei einem Blick auf den Hang über uns: hier blühen und glänzen Plastikblumen in allen Farben – vom Winde verwehte Plastiktüten. Eine Schande, diese Art der Müllentsorgung. Irgendwie hatte ich vom wohlhabenden Hydra eine andere Lösung erwartet. Aber außer ein paar spinneden Wanderern kommt hier auch niemand her.
Immerhin gibt es auch echte Blumen in blau und violett – vermutlich Kronen-Anemonen, ein paar Traubenhyazinthen, und jede Menge Klee.
Wir wandern gemütlich vor uns hin, ohne Hektik, und brauchen auf der mäandernden Straße fast eine Stunde bis wir auf dem Sattel sind, das Kloster Agios Nikolaos Thalassinos in Blickweite. Aber bis dort wollen wir heute nicht, sondern vorher schon nach Süden abzweigen. Rechts sind schon vorher die beiden anderen Klöster in unser Blickfeld geraten, und in einer grünen Mulde haben wir zwei Sammler von Kräutern oder Chorta gesehen. Erstaunlicherweise gibt es hier keinen Ziegen (vielleicht müssten sie zu viel Plastik fressen).
Auf der Bank an einem hübschen Haus (mit Müllabfuhranschluss) machen wir die erste Rast. Da, am Kloster Agios Nikolaos, huscht eine Frau im Garten herum. Keine Ahnung, ob das Kloster bewohnt ist – die Reiseführerinformation (MM „Peloponnnes“ von Hans-Peter Siebenhaar) über die argosaronischen Inseln ist dünn. Dabei hat man den Eindruck, dass der Autor länger nicht mehr hier war (und auf Spetses dem gängigen Übersetzungsfehler unterliegt und „pine“ statt richtig mit Kiefer mal wieder mit Pinie übersetzt. Und der Unterschied zwischen Zypressen und Zedern scheint ihm auch nicht klar…). Immerhin gibt es einen brauchbaren Insel- und Wanderführer als Pdf online, sogar auf Deutsch: https://app.box.com/s/9lycghowusu7fdvh4ppk
Vor uns liegt der kahle Gipfel des Obori (464 m), und nach Süden fällt die Küste steil zum Meer ab, und erinnert mich an Amorgos. Orte gibt es an der Südküste keine, nur ein paar verstreute Kapellen und Häuser. Zu abseits ist es hier. Und wer auf Hydra wandern will muss ausdauernd sein – oder auf ein teures Sea-Taxi zurückgreifen und nur in einer Richtung wandern. Wir hatten uns von Yannis zur Sicherheit die Telefonnummer eines Sea-Taxis geben lassen, falls uns die Dämmerung überrascht. Zum Glück (und zur Schonung unseres Geldbeutels) haben wir sie nicht gebraucht.
Hinter dem Haus, vor dem wir rasten (das aber leider kein Rasthaus ist) kann man auch zu einem Strand absteigen, dem von Limioniza. Dass ich keine Badeklamotten dabei hatte, hätte da vermutlich niemand gestört. Aber ich will die erklommenen Höhenmeter ungern wieder aufgeben, und so wandern wir auf einem breiten Panoramaweg an der Flanke des Pirgos nur leicht bergab südwärts. Ein paar fotogene Kiefern, ein paar Blümchen, ein Gatter, das Meer strahlt von unten – bestens. Und so verpassen wir auch die erste Abzweigung zu den zwei Doppelkapellen Konstantinos & Eleni und Petros & Pavlos – die wäre bei dem frischen braunen Feld gewesen. Wir passieren die auf einem Plateau über dem Meer liegenden Gotteshäuser samt zwei, drei Häusern oberhalb, und finden auch die zweite in der Karte eingezeichnete Abzweigung über ein steiles Geröllfeld erst auf dem Rückweg. Aber die Kapellen sind hier auf Hydra eh alle zu, keine Chance für Kerzenanzünder.
Bei einem Hof mit bellendem Hund und neugierigen Pferden jenseits eines Gatters ist unser Wendepunkt erreicht. Schade, dass es hier keine Bank hat – da könnte doch mal ein Stifter tätig werden. Mäßig bequem vespern wir, auf zwei Felsbrocken sitzend, und ich werfe noch einen wehmütigen Blick auf den weiteren Wegverlauf parallel zum Meer entlang der Südflanke, dann ansteigend. Ja, ich würde das schon gerne gehen. Aber nicht heute, und nicht jetzt. Nicht übertreiben am ersten Tag. Und es sind auch so schon etwa dreizehn Kilometer Wegstrecke, die wir zurücklegen werden.
Das erste Stück geht also auf dem gleichen Weg zurück, bis zum Haus auf dem Sattel, wo wir auf der Bank noch ein kleines Päuschen einlegen. Dann hinüber Richtung Hydra-Stadt, zwischen dem hochgelegen Kloster Agia Matrona links und dem auf einem Hügel liegenden Agia Triada rechts durch. Dort dann den oberen Weg nach Hydra-Stadt nehmen, er ist nicht zu übersehen, und ausgeschildert.
Der erste Blick auf die im Talkessel liegende Stadt wird frei, und aus der breiten Piste wird ein schmaler und unbequemer Fußpfad. Zwei junge Männer mit Rucksack (Schlafsack, Zelt) kommen uns entgegen, außer Atem. Wohin sie wollen? Makria – weit, auf die andere Inselseite. Na, so genau hatte ich es gar nicht wissen wollen. Und schon sind sie weg. Heute ist Freitag, vermutlich ein Wintercampingwochenende…
Innerhalb von fünf Minuten treffen wir mehr Leute als den ganzen Tag seit wir Mandraki verlassen haben. Erst quert noch ein Jogger (trainiert er für den Hydras-Trail?), dann kommt uns ein freundlicher Eselsreiter entgegen. Er hat definitiv das beste Verkehrsmittel, und den Esel fragt ja niemand.
Ich lausche, ob von hinten – Theo hängt zurück, diese Wegbeschaffenheit ist nicht sein Ding – schon erste Flüche kommen. Aber es geht noch, auch wenn er über „runde Füße“ klagt.
Das ist hier auch der offizielle Wanderweg in den Inselosten, schwarz-gelb markiert. Sogar an einer Ikonostase. Hmm, die BVB-seligen Zeiten sind vorbei, die zweite Liga winkt. Da passt das dann auch irgendwie.
Durch ein schmales Bachbett erreichen wir die hoch ummauerten Kirchen Agia Fotini & Elisabet (ganz schöne große Anlage), dann den Friedhof. Guck ich mir ja eigentlich immer gerne an, aber der Eingang ist auf der unteren Seite. Muss nicht sein.
Schließlich noch die endlose Miaouli-Straße hinab, am Minimarkt unterwegs schnell noch Bier, Limo, Graviera und Nüsse für einen gepflegten Chill-out auf der Dachterrasse einkaufen – das haben wir uns verdient. Gegen 16 Uhr sind wir wieder zurück im „Hydra Icons“, müde und erledigt.
Wo das Zimmermädchen in unseren Zimmern inzwischen nicht untätig war. Betten machen, Bad putzen und Eimer leeren – das ist ja in Ordnung. Allerdings hat sie sich auch bemüßigt gefühlt, unsere Sachen aufzuräumen, in den Schrank, die Schubladen (wo vorhanden), und Theos Notebook zuzuklappen und wegzuräumen. Solche „Übergriffe“ auf unsere privaten Dinge mögen wir beide gar nicht, und weisen Yannis wenig später darauf hin, woraufhin sie zukünftig unterbleiben. Und wir lieber selbst etwas aufräumen - die reduziert-kühle Ästhetik des Zimmers verlangt danach.
Die Dachterrasse haben wir heute für uns alleine, und können sie entsprechend genießen. Dass wir so viel Glück mit Wetter und Quartier haben, können wir gar nicht fassen.
Am Abend probieren wir dann die andere geöffnete Taverne aus, das „Gefira“ hinter dem Fußballplatz. Ziemlich abseits, da würde wir nicht suchen wenn wir nicht wüssten, dass dort ein Lokal ist. Die Zahl der Gäste ist überschaubar. Es gibt Paidakia, und da kann Theo natürlich nicht widerstehen, auch wenn ihn die Frage „vom Lamm oder vom Huhn“ irritiert. Natürlich vom Lamm, was sonst? Ich entscheide mich für Kotopoulo kokinisto, vorab einen Saganakia. So ganz glücklich ist Theo nicht mit den Paidakia, und mein Huhn ist auch nicht so, dass es mir in Erinnerung geblieben wäre. Dafür beläuft sich die Rechnung erneut auf 32 Euro (hätten wir hier nicht 10 Prozent bekommen?)
Morgen ist nochmals früh aufstehen angesagt, denn die zweite Wandertour steht auf dem Programm. Zumindest bei mir. Mal sehen, ob Theo mitkommt, oder lieber seine Füße pflegt.