Monodendri

Am Samstag sind wir wieder me ta podia unterwegs. Wir wollen Dieter Grafs Wanderung 42 machen. Der Gute verwechselt hier offenbar Ost und West, denn in der Beschreibung ist von der „lieblichen Westhälfte von Lipsi“ die Rede. Tatsächlich führt diese Route aber in Lipsis Osten, und ehrlich gesagt: lieblich ist da auch nicht viel. Aber davon später.

Unser erstes Ziel ist Monodendri, ein einsamer Baum an der Ostküste. Um dorthin zu kommen verlassen wir Lipsi-Ort nach Osten, und zwar auf der Straße vorbei am Kindergarten, in dessen Garten die Statue einer Mutter mit Kind steht. Es geht durch lose Wohnbebauung bergauf über einen niedrigen Sattel, auf dem einen blaukuppelige Kapelle (Agios Ioannis Prodromos) steht und unsere Route eine Straße kreuzt. Oben weist uns sogar ein Schild den richtigen Weg.

Hier endet die Besiedelung, nun geht es über karge Landschaft zunächst nach Norden, später nach Osten. Abgeerntete braune Felder, auf denen Ziegen die letzten Reste abfressen. Dazwischen riesige Zypressen, und flache buschige Mulden – Wacholder, Steineichen, Macchia, erodierter Boden. Interessant, aber alles andere als lieblich. Dann eine riesige eingezäunte Müllkippe, die zum Himmel stinkt. Abgestellte Kühlschränke und Herde davor, zerfetzte Plastiktüten in der Umgebung. Daneben ein Schweinestall, eines der großen schwarz-weiß gefleckten Tiere guckt heraus. Ob es auch was vom Müll abkriegt? Panagia mou – nichts wie weg!

 

Der Blick geht nun über die Küste hinaus zu den vorgelagerten Felseninseln Makri, Megalo und Mikro Aspronisi. Vereinzelte Segelboote ankern dort. Wieder kommt eine Kapelle ins Blickfeld, neu und unverputzt. Steinplatten lagern dort, gekrönt von einem Tavernenstuhl - der Boden soll wohl neu gepflastert werden. Dann wieder braune abgeerntete Felder bevor die Gegend unbewirtschaftet wird, steinig, dornig. Die Straße ist schon vorher in eine Piste übergegangen, nun endet sie hier, nur ein schmales Monopati führt zur Küste, wo wir den einsamen Baum schon sehen können. Ein paar Drahttore müssen wir überwinden, bissige Teile!

In einem kleinen Umweg geht es zum hohen Ufer, geschichtete Felsenkanten ragen ins Meer, teilen steinige Strände ab. Niemand ist da. Nur zwei Steinmännchen zeigen, dass das nicht immer so ist: Monodendri gilt als der inoffizielle FKK-Strand von Lipsi – abgelegen genug ist er ja, und nur zu Fuß oder Boot zu erreichen. Das filtert.

 

Wir streben ein Stück nach Norden, wo auf einem flachen, gelb-weißen Felsenkap der einsame Baum steht. Die Schichtung des Gesteines erinnert uns an Koufonissi. Vor dem Kap tut sich ein weiterer Strand auf, und auch dahinter. Kein feiner Sand: grobe Bröckelsteine und Kies – Badeschuhe empfohlen!

Es ist halb zwölf, und die Sonne brennt herab. Wir flüchten uns in den mickrigen Schatten des einsamen, namensgebenden Wacholderbäumchens. Das Kap ist gestuft in verschiedene hohe Plateaus, zu unseren Füßen führt eines ins Wasser. Im Meer lauern Felsenbrocken, so dass ich zwar auf Badekleidung verzichte, nicht aber auf Badeschuhe. Das Wasser ist so herrlich, wie überhaupt dieser Ort eine unglaubliche Ausstrahlung hat.

Schön, ihn so einsam genießen zu dürfen!

Kaum gedacht sehen wir zwei Menschen oben auf dem Weg herabkommen. Sie wählen aber wohl den vorderen Strand aus, wollen auch ungestört sein. Wir werden sie nicht wiedersehen.

In Sonne und Wind werde ich allmählich trocken während die Mutter Steine sucht.

 

Nach einer Stunde Aufenthalt geht es dann weiter. In der Terrain-Karte ist kein Weg eingezeichnet, aber laut Dieter Graf gibt es einen schmalen Fußweg, der oberhalb der Küste nach Süden führt. Beim untersten Drahttor beginnt er, und wir finden ihn auch gleich. Über Felsen und flache Macchia geht es, ab und zu führt ein Tor durch Steinmauern. Unser nächstes Ziel können wir nun schon sehen: die Halbinsel Tourkomnima, die nur durch einen schmalen, strand- und tamariskengesäumten Landstreifen mit der Hauptinsel verbunden ist. Eine kleine Kapelle vervollkommnet das Idyll.

Aber zunächst passieren wir einen weiteren, felsigen und vollkommen schattenlosen Strand. Laufen in ein kleines Tal hinab, müssen den Weg etwas suchen. Gelegentlich helfen rote Markierungen dabei.

Noch ein einsamer schattenloser Kiesstrand. Von ihm aus führt der Weg zu einem Hügel hinauf, und endet an der brusthohen Mauer und dem darauf gezogenen Zaun eines neu gebauten Landsitzes. Ja toll!

Links, an der steilen Küste, ist der Weg abgebrochen – ein Versuch könnte leicht im Absturz enden. Rechts drängen zahllose Zäune und Mauern uns immer weiter ab vom Ziel. Und nun? Zurück wollen wir auf keinen Fall, wo es doch nur noch ein Katzensprung bis zum erfrischenden Bad ist.

 

Ich sehe mir den wegversperrenden Zaun jetzt genauer an: man kann ihn öffnen und über die Mauer klettern. Nicht ganz einfach, aber machbar. Und so gelangen wir über das Gelände (schicker Landsitz übrigens, wie etliche andere, die wir noch während dieser Wanderung sehen werden) auf eine Piste und zum Halbinselstrand Tourkomnima.

 

Ein Paar sonnt sich dort, wir ziehen den Schatten der Tamarisken vor. Vesperpause. Baden später im warmen seichten Wasser – man schaffte es kaum über den Nabel hinein. Noch ein paar Leute kommen zum Plantschen und Schnorcheln. Einer harpuniert einen Oktopus, klopft ihn auf den Felsen weich. Gesprächsthema für die nächste Stunde.

Wir machen noch ein kleines Nickerchen. Sehen uns dann die schnuckelige Agios-Nikolaos-Kapelle an, unterhalb derer noch ein menschenleerer Strand liegt.

Irgendwann nehmen wir dann das letzte Wegstück in Angriff. Es führt oberhalb des Xirokambos-Strandes zunächst nach Süden. Touristenquartiere werden hier gebaut – EU-subventioniert. Das haben wir schon in Lipsi-Ort gesehen, direkt neben unserer Unterkunft entsteht Vergleichbares. Muss der Tourismus auf Lipsi noch gefördert werden? Mir scheint, es gibt schon reichlich Mietbares für Feriengäste. Sollen es mal nicht übertreiben.

Wir suchen uns von den einzelnen Ferienhäusern, die sich hier großzügig verteilen, dasjenige aus, das uns am besten gefallen würde. Meerblick muss schon sein. 

 

Alle Häuser sehen jetzt unbewohnt aus – auf Lipsi ist die Saison kurz, im August, wenn die Italiener kommen, muss aber alles ausgebucht sein. Apropos Italiener: eine Enttäuschung hat Lipsi für mich: obwohl es genau die richtige Größe dafür hat und auch genug italienischen Einfluss, habe ich auf dem Eiland kein einziges Dreirad gesehen! Ein trikyklofreies Paradies – was ein Jammer!

Nun, Strände hat es aber reichlich: von oben werfen wir einen Blick auf den fast menschenleeren Chochlakoura-Strand (die Tamarisken, die man dort gepflanzt hat, sind noch recht klein) bevor wir ins Inselinnere abbiegen. An einer Straßenkreuzung hat das jemand mit der Mülltrennung nicht richtig verstanden (oder zu Griechisch): ein großer Berg Plastikmüll liegt dort. Es ist noch ein langer Weg, in Krisenzeit vermutlich länger denn je.

 

Die Straße führt durch ein fruchtbares Tal mit Weinbergen. Auch auf Lipsi hat man sich auf den eigenen Weinanbau rückbesonnen, leider haben wir aber keinen einheimischen Wein probieren können. Und inmitten der Felder liegt die Kirche Panagia tou Charou, der die wundertätige lilienaufblühenden Ikone in der Mitropolis von Lipsi-Ort entstammt. Das flache dreischiffige Gebäude mit zwei krönenden Glockentürmchen ist sehr hübsch, und geöffnet. Im Inneren ist es eher schlicht. Eine Kopie der Ikone hat man noch dort, das Original kehrt nur noch zum Panigiri am 23. Juli hierher zurück.

Nun müssen wir einen letzten, sonnendurchglühten Bergsattel bezwingen, eher wir Lipsi-Ort wieder vor uns liegen sehen. Die Aussicht auf einer Erfrischung treibt uns voran. Gegen halb fünf Uhr fallen wir in der Café-Bäckerei Kaïri an der Hafenplatia ein, wo es zwei Radlern und eines Galaktobureko bedarf um uns wieder zu regenerieren und uns heimzuschleppen.

 

Lipsi ist eine flache Insel, unter anderem deshalb hatte ich sie als Urlaubsdestination für den Herbst ausgesucht (die äolischen Steigungen des Frühjahrs hatten die Mutter sehr geschlaucht). Aber bei unjahreszeitlichen Temperaturen über 30°C wird auch das Flache beschwerlich.

Der Vollmond steht am Abend über der Mitropolis von Lipsi und taucht alles in romantisches Licht. Wir gönnen uns vor dem Essen einen Ouzo in der Ouzeri „The Rock“ vis à vis vom Yachtanleger. Es sind immer noch viele Segelboote und Yachten im Hafen von Lipsi – zu wenig Wind, kein Segelwetter. Aber insgesamt scheinen mir diesen September mehr Boote unterwegs zu sein als in den Jahren zuvor. Haben sich vielleicht alle im Frühjahr nicht so recht nach Griechenland getraut und holen es jetzt im Herbst nach. Entsprechend voll ist die Ouzeri (und auch die Konkurrenz „Sofoklis“), aber wir bekommen noch zwei freie Plätze, und zwei Ouza mit leckeren Mezedes (fünf Euro zusammen.)

So gut eingestimmt ziehen wir später zu „Manolis“ in die Altstadt hinauf, wo es heute weniger voll ist. Aber die Tagesessen – Lachanodolmades und Hühnchen mit Zitronenkartoffeln – lassen keine Wünsche offen (außer, dass unsere Kapazitätsgrenze zu früh erschöpft ist). Knapp 23 Euro beträgt die Rechnung – faire Preise.

 

Und wieder haben wir einen schönen Tag auf Lipsi genossen.

Vielleicht sollte ich hier nicht zu laute Hymnen singen? Also, in der Nacht hat es wieder mehr Stechmücken.

Morgen ist schon Sonntag...