Was am Ende übrig blieb ...

Früh legt die "Aqua Blue" auf ihrer Fahrt nach Kavala gegenüber am neuen Hafen an. Ich hoffe, dass ich sie beim nächsten Umlauf übermorgen nehmen kann. Und stelle bei der Gelegenheit fest, dass sich ihr Fahrplan geändert hat: schon am Nachmittag statt am späten Abend wird sie ab Ai Strati nach Kavala fahren. Gut zu wissen, und gut, weil es mir eine Nacht auf der Fähre erspart. Dafür muss ich noch das Hotel in Kavala buchen.

Und was für ein Schiff liegt da vor der Küste vor Anker? Es ist das Kreuzfahrtschiff "Sea Dream II", das ich vor Tagen schon in Kavala gesehen haben. Ein exklusiver Cruiser für maximal 112 Passagiere bei 95 Personen Besatzung - dieses luxuriöse Vergnügen hat seinen Preis: ab 6.000 Euro für eine achttägige Kreuzfahrt durch die Ägäis, natürlich nur bei Doppelbelegung der Kabine. Für die Einzelkabinen muss man fast das Doppelte rechnen. Wir beobachten das Ausschiffen einiger Gäste, die direkt in einen Bus verfrachtet werden. Was man ihnen von Limnos wohl zeigen wird? Dass dienstags Museen und Ausgrabungen geschlossen sind, dürfte bei einer derart zahlungskräftigen Klientel kaum ein Hindernis darstellen. Sind wir neidisch? Nein, nicht wirklich - das Ganze ist völlig jenseits unserer Vorstellung.

Ich unternehme eine kleine Fotorunde noch vor dem Frühstück - das Wetter ist prächtig heute.

 

Theo hat gepackt, bezahlt und ausgecheckt. Um Viertel nach zehn fahren wir am alten Fähranleger los, nur um nach fünf Minuten und mitten in Myrina nochmals zurückkehren zu müssen, weil Theo vergessen hat, den Zimmerschlüssel abzugeben. Ich werde kurz hektisch, aber ohne Grund:eine halbe Stunde reicht auf der Straße über Agios Dimitrios gut zum Flughafen, den wir um zehn vor elf erreichen. Limnos ist ein Provinzflughafen, der in der Nachsaison nur innergriechisch von Olympic und Skyexpress angeflogen wird, im Sommer aber offenbar auch von Skandinavien und Ljubljana. Jetzt verlieren sich die wenigen Passagiere in der großen Abflughalle. Ich verabschiede mich von Theo, der über Athen morgen zurück in die Heimat fliegen wird. Es waren schöne Tage zusammen und hat Spaß gemacht. Komm gut heim!

So, und wohin nun? Ich habe mich für die Ostküste entschieden, für die Salzseen von Chortarolimni und Asprolimni und die Surf-Bucht von Keros. Dabei verliere ich mich zunächst im Straßenwirrwarr um Varos und Repanidi - irgendwie ähneln sich die Dörfer. Dann lande ich in Romanou, zweige über Komi nach Kalliopi ab und erreiche über eine - mal wieder mäßige Piste - die weite, sandige Bucht von Keros. Und staune, als ich das Auto an einem Parkplatz bei einer Strandbar abstelle: zum ersten Mal auf Limnos sehe ich richtig touristische Infrastruktur. Keine Hotels oder größeren Gebäude zwar, aber die provisorisch wirkenden Bretterbuden von Strandbars und Surf-Clubs mit den unvermeidlichen Sonnenschirmen und den heute wieder im heftigeren Wind flatternden Fähnchen, die sich mit gebührendem Abstand zum Ufer aufreihen. Ein paar Sonnenliegen hat es auch noch. Und die bunten Schirme der Kite-Surfer, die übers Wasser der weiten Bucht flitzen. In den flachen Dünen hinter dem Strand, an dessen Ufersaum sich trockenes Seegras häuft und Windsegel aller Formate und Farben liegen, verteilen sich Wohnmobile und Campingbusse. Hier ist noch richtig etwas los!

Das Ganze ist sehr weitläufig und ich beschließe, entlang der Bucht nach Westen zu gehen bis zur Kapelle, die kurz vor dem Kap Keros auf dem hohen Ufer zu sehen ist.

 

Links liegt bald der ausgetrocknete Asprolimni, aus dem kleinen Buden wie Toilettenhäuschen hervorstehen: Beobachtungsstände für Vögel, mutmaße ich. Im Gegensatz zum weißen Salzsee von Alyki ist der Asprolimni aber nur eine grüngraubraune Feuchtwiese, hinter der sich in der Ferne weitere Windsegel am Himmel abzeichnen. Scheint hier ja ein echtes Surferparadies zu sein.

Wasservögel kann ich aber leider keine erkennen. Nur die unvermeidlichen Nebelkrähen. Zu spät im Jahr, oder zu viel Rummel.

Verblühte Strandlilien bilden Büschel im Sand, dazwischen und im flachen Wasser lagern kleine Boote. Eine schöne und irgendwie auch wilde Uferlandschaft.

Nach vierzig Minuten erreiche ich die Kapelle am felsigen Kap Keros. Sie ist der Agia Paraskevi geweiht und offen. Mal wieder ein guter Zeitpunkt um ein paar Kerzen anzuzünden und auf der Bank unter den Arkaden der Kapelle innezuhalten und ein Fazit des bisherigen Urlaubes zu ziehen. Ein Auto nähert sich, parkt hinter der Kapelle. Ein Mann entsteigt ihm, grüßt mit einem Kopfnicken, bringt Öl für die Lampen und verharrt im Gebet. Ich lasse ihn alleine, schlendere weiter bis zum etwas erhöhten Kap-Ende, von dem mal einen guten Blick über die Bucht bis zum Inselsüdosten hat. Auf der anderen Seite, nördlich des Kap, stehen noch mehr Campingmobile, die aber verlassen wirken. Die Bewohner sind bestimmt windgetrieben auf dem Wasser unterwegs.

Zu meinem Füßen erblicke ich im Schilf plötzlich ein stählernes Gestell: es ist ein ausrangierter Panzer, das zugewachsenen Rohr Richtung Türkei gerichtet. Offenbar hat man die limnischen Küsten großzügig mit diesem Schrott versehen, denn auch auf Samothraki bei Paläopolis gibt es vergleichbares, wie Wolfgang gerade berichtet hatte. Jetzt hätte ich angesichts der bunten Surfer doch beinahe mal vergessen, dass Limnos Militärgebiet ist. Die flitzen immer noch durch die Bucht, freuen sich am starken Wind. Und ich bummle gemütlich wieder zurück zum Auto.

Es ist nun Viertel nach eins, Zeit, sich Gedanken über das Mittagessen zu machen. Dafür habe ich mir das Lokal "Menelaos" ausgeguckt. Es liegt ein ziemliches Stück entfernt, in Diapori an dem schmalen Isthmus, der die Fakos-Halbinsel im Süden mit Limnos verbindet. Über Kalliopi und Repanidi, dann am Flughafen vorbei, und Kallithea erreiche ich Portiano. Weiter Richtung Kontias, bis ein Hinweisschild links auf die Ouzerie "Menelaos" verweist. Als wir vor ein paar Tagen hier vorbeigekommen sind, ist mir das Schild mit dem für eine Taverne ungewöhnlichen Namen aufgefallen, erst später haben ich dann den Tipp für das Lokal gelesen. Dann hoffe ich mal, dass es geöffnet ist.

 

Diapori ist nicht wirklich ein Ort. Ein kleiner Naturhafen mit schnuckeligen Kaikia drängt sich an der Westbucht des Isthmus, ein lange Sandstrand erstreckt sich nördlich davon. Die Tische der Ouzeri liegen verlassen im Schatten unter Bäumen etwas zurückgesetzt vom Ufer, nur eine korpulente Frau sitzt dort. "Never trust a skinny cook" - traue keinem mageren Koch - steht auf einem Schild über der Türe ins Haus. Ist sie der Koch?Ja, es wäre geöffnet, sagt sie mir, und räumt bereitwillig den Tisch, als ich nach einem windgeschützten Platz gucke - der Wind hat zugelegt und ist kühl. Zwei Tische weiter telefoniert sie nun auf Englisch.

Jetzt erscheint der Koch, ein fröhlicher älterer Mann. Meneloas? Nein, Stavros heißt er. Auch er ist sehr ordentlich im Futter, dann muss das Essen hier ja wirklich gut sein. Ich frage ihn, was es so gibt, und er kontert, was ich denn gerne hätte. Mir steht der Sinn nach einem griechischen Salat, und vielleicht Kavourmas? Er nickt. Aber bitte nur einen ganz kleinen Salatoula, parakalo.

Der kommt wenig später, zum Glück wirklich nur eine halbe Portion, denn wenig später wird er gefolgt von einem großen Teller mit Omelette, durchsetzt mit dicken Fleischbrocken. Eine eigenwillige Interpretation von Kavourmas - ich hatte eigentlich Wurststücke erwartet, aber habe auch wenig Erfahrung mit diesem Gericht, das mir hier dennoch ausgezeichnet schmeckt. Die Frau des Hauses hat inzwischen ihr Telefonat beendet und deckt ihren Tisch für zwei - auch für die Gastgeber ist es Zeit zum Mittagessen.

Ein junges Paar parkt sein Auto, setzt sich an einen der Tavernentische. Sie sind wählerisch, lassen sich ausgiebig beraten. Wahrscheinlich kommt hier niemand zufällig vorbei, denn wer will schon auf die Fakos-Halbinsel? Und die Badesaison ist beendet, auch wenn ich eine ältere Dame zögerlich ins Meer steigen sehe.

Ich bezahle 16 Euro 50 und schlendere dann etwas um den kleinen Hafen herum, unschlüssig ob ich hier baden soll. Es gibt leider keine Umkleidekabine, aber ein paar Angler. Und ich mag mich nicht im Wind und vor deren Augen aus meinen Stiefeln und Klamotten schälen und den Bikini anziehen, Besser, ich suche mir etwas abgelegeneres.

Zunächst aber fahre ich auf die Fakos-Halbinsel. 319 Meter hoch ist sie, und sieht unbelebt und abweisend aus. Abweisend auch die beiden Pisten, die entlang der Küsten führen. Viehzüchter sollen auf der Halbinsel leben, limnische Cowboys, kechagiades genannt. Aber natürlich haust auch hier das Militär auf den Aussichtsposten der Gipfel. Schon nach wenigen Metern Fahrt wird mir klar, dass es hier nichts Sehenswertes gibt, das mit dem Auto leicht zu erreichen wäre. Auf der anderen Seite könnte ich mal wieder dem Militär ins Auge fallen, und auf eine neuerliche Begegnung mit der Polizei hab ich echt keine Lust!

Ich drehe also um und fahre leicht planlos nach Kontias, wo die Windmühlen bei blauem Himmel gleich etwas freundlicher aussehen, aber gleichwohl nicht zum längeren Halt verlocken. Auch nicht der Strand von Nevgatis. In Thanos erkenne ich, dass die verwirrende Verkehrsführung mit verwinkelten Einbahnstraßen und Ampeln Absicht ist und lasse mich die zwei Kilometer hinab zum Strand leiten. Eine weite, sandige Bucht, wieder mal. Ich parke bei der Baracke einer Strandbar, die aber gerade von einigen Männer winterfest gemacht wird. Wer ist Herbst unterwegs ist, muss diese Endsaisonstimmung aushalten können. Und das kühle Wasser, das gerade noch zwanzig Grad hat. Flach geht es hinein, immerhin ein bißchen windgeschützt liegt der Strand, der sich lange um die Bucht zieht. Aber ein Genussbad wird das jetzt auch nicht, und am Rande im schönen Sand lauern kleine trockene Dornen. Es ist fünf Uhr am Nachmittag, ganz flach lege ich mich an den Strand, aber Sonne und Wind trocknen nicht, sondern machen frösteln. Ich habe diese nordägäische Herbstwetter falsch eingeschätzt. Gut zum Wandern oder Spaziergehen, schlecht zum Baden.

 

Wieder hinauf nach Thanos, ein Kaffee wäre gut. Da ist so eine sehr steile, einspurige Passage mit Ampel, wirklich verblüffend. Oben eine kleine Platia, aber kein freier Parkplatz. Und so erleidet Thanos das gleiche Schicksal wie die meisten Dörfer auf Limnos und bleibt von mir unbesucht. Zurück nach Myrina.

Bei Platys tanke ich für zehn Euro. Heute bin ich nochmal hundert Kilometer gefahren, insgesamt 451 Kilometer für 50 Euro Sprit. Ich gebe das Auto am Abend zurück, angenehm problemlos.

Zum Sonnenuntergang erklimme ich nochmals die Burg, bis zum Leuchtturm am Westende. Auch jetzt kann ich kein Damwild entdecken. Aber es gibt eine schöne Stimmung, die Sonne taucht Burg, Felsen und Stadt in ein sanftes, erst gelbes, dann rosa Abendlicht. Der Berg Athos ist nur ein Hauch im Dunst des Westens, in den der Sonnenball leuchtend eintaucht. Schön!

Im letzten Tageslicht klettere ich wieder vom Burgberg.

Am Hafen ist der Fischkutter "Panagia M" eingetroffen. Gelegenheit, mir den Fischverkauf von Nahem anzusehen. Das Angebot ist ganz ordentlich, ein Mann packt die gewünschten Fische in Tüten, wiegt und ruft einer jungen Frau - seiner Tochter? - den Preis zu, denn diese direkt kassiert und die verkaufte Beute über die Reling reicht. Außer den potentiellen Fischkäufern interessiert sich auch eine gelbgetigerte Katze für das Angebot. Der Verkäufer wirft ihr ein-, zweimal einen kleinen Fisch hin, wenn sie sich den Styropor-Boxen mit dem Fisch zu gierig nähert. Hatte Theo nicht gestern gesagt, diese Scampi auf seinem Teller kämen aus garantiert aus Thailand? Da hat er die Vielfalt der hiesigen Ägäis offenbar unterschätzt, denn im Angebot sind auch diese kleinen Garnelen. Ich bin ja eher kein Freund von Schalentieren. Hunger habe ich nach dem späten und üppigen Mittagessen auch keinen, und drehe nur noch ein Runde durch die Altstadt. Kaufe bein Zaccharoplastio ein paar Probierexemplare der lokalen Süßigkeit, "Venizelika" genannt.Köstliche Kalorienbömbchen aus Nüssen oder Mandeln, Schokolade und Likör, mit weißem oder dunklem Fondant überzogen. Schmeckt nach mehr.

Danach reicht mir ein Tsip auf dem Balkon als Abendessen.

 

*

 

Am Morgen packe ich meinen Trolley ehe ich zum Frühstücken an den OTE-Platz gehe, wo ich mir eine schöne Bougatza zum Nescafé gönne. Und mir auffällt, dass diese merkwürdige Frau mich verfolgt (siehe "Aller schlechten Dinge sind drei."). Einigermaßen verstört kaufe danach ich im Ticketbüro am Alten Hafen meine Fahrkarte für die "Aqua Blue" von Agios Efstratios nach Kavala übermorgen und bekomme bezüglich der Lokalfähre "Aiolis" nach Ai Strati die Auskunft, dass es die Tickets nur dort an Bord gibt. Die Fähre ist schon am Morgen gekommen und soll um planmäßig um 14.30 Uhr abfahren. Da habe ich noch reichlich Zeit. Ich räume und bezahle das Zimmer, deponiere mein Gepäck im Hotel, und schleiche mich nach hinten hinaus aus dem Hotel, direkt zur Burg hoch. Wo ich mich inzwischen paranoid überall überwacht fühle - bestimmt sind hier Kameras und so ...

Aber bei sonnigem Wetter mit wenig Wind ist es hier oben schön und ich kann die gefühlte Umklammerung abschütteln. Anschließend noch ein Stadtbummel - ich brauche noch mal ein paar Venizelika. Hätte ich gewußt,dass es auf Ai Strati keinen Bäcker mehr gibt, hätte ich auch noch etwas Brot oder ähnlichen Proviant eingekauft, die Auswahl ist groß und köstlich. Dann eine Gyrospitta als Mittagessen. Meine Verfolgerin ist nicht mehr zu sehen, bestimmt hat der griechische Geheimdienst schon erfahren, dass ich am Mittag abreise. Und wird mich dann auf Ai Strati im Auge behalten ...

Am Mittag hole ich mein Gepäck und ziehe gemütlich hinüber zum neuen Hafen.

Auf zu neuen Uferrn