Englische Woche, Tag drei

Heute ist griechischer Nationalfeiertag: Ochi-Tag. Schon gestern war eine Theatervorführung, bei der Rods Tochter beteiligt war. Heute gibt es die obligatorische Parade der Schülerinnen und Schüler. Weil ich solchen patriotischen Gesten wenig abgewinnen kann, stört es mich nicht, dass wir keine Zeit zum Zuschauen haben werden. Denn das Wetter ist sonnig, und da geht es natürlich wieder auf Wasser.

Es sind die letzten Paddeltage für diese Saison für Rod, der seit April fast täglich im Kajak gesessen ist. Im September und im Oktober war er jeweils an zwei Tagen nicht im Boot. Und auch wenn es für die Gäste Vergnügen ist, er das sichtbar gerne macht, und auch nicht immer alleine wie jetzt, so ist es doch ein Knochenjob.

Am Dienstag ist Schluß, und auch Petrinela freut sich, dann endlich wieder mehr Zeit für die Familie zu haben. Sie kümmert sich nicht nur um die Vermietung der eigenen Zimmer, sondern auch die ihrer Schwester und von anderen Verwandten, und macht da alles selbst. Dazu das Kafenio, das zwar nur ein paar Stunden täglich geöffnet ist, aber trotzdem Zeit braucht. Sie wolle sich auch überhaupt nicht beklagen, sagt sie, der Laden laufe zum Glück - lieber zu viel Arbeit als zu wenig.

Und das verdiente Geld muss ja über den einnahmelosen Winter reichen. Für eine Reise nach Australien. Und für Rods Kajak-Urlaub auf den Äolischen Inseln, den er in zwei Wochen mit Paddelfreunden antreten wird (wobei der preiswert ist wenn man campt und paddelt). Vulcano und Stromboli und vielleicht noch mehr, je nach Wetter - das ist wirklich toll dort, Rod, kann ich nur sehr empfehlen! Noch dazu mit Kajaks. Hoffentlich ist das Wetter halbwegs ... ich drücke die Daumen!

 

Aber noch sind wir auf Milos. Wobei: nicht mehr lange, denn heute soll es nach Kimolos gehen. Der Wind bläst aus Westen und soll am Nachmittag nachlassen. Das wäre gut für den Rückweg.

Tja, als ich im Mai auf Kimolos festsaß, dachte ich: nächstes Mal bringst du dein Boot mit.

Und so mache ich es heute. :-)

 

Zunächst fahren wir aber nach Pollonia, wo wir die Kajaks am Nordende des Strandes zu Wasser lassen. Auf der Terrasse der Kapelle Agia Paraskevi oberhalb des Fähranlegers drängen sich die Leute, dort findet gerade der Gottesdienst zum Nationalfeiertag statt. Ohne Kirche geht es in Griechenland bei offiziellen Anlässen selten.

Weil es noch morgendlich frisch ist, ziehen wir alle die Regenjacken an. Bloß Rod ist hartgesotten genug und verzichtet. Uns wird es dann auch prompt auf der ersten Wegstrecke gut warm werden.

 

Wir überqueren den Kanal von Pollonia, haben dabei Schiebewind. Angenehm paddeln so. Weiter geht es entlang der Südküste von Kimolos mit ihren Stränden und Felsenfarben. Schön.

Unser erstes Ziel ist die Bucht von Goupa nordöstlich des Hafenortes Psathi. Dort liegt die Fähre "Panagia Faneromeni", die sich im Mai meinen Ärger zugezogen hat. Beziehungsweise deren Kapitän. Heute ist auch nur das Ersatzboot, das Kaiki "Kapetan Kostas", unterwegs. Vielleicht zu viel Wind? Oder schon Winterschlaf? Oder wegen des Feiertages?

 

Nach etwa eineinhalb Stunden erreichen wir Goupa mit seinen typischen Bootshäusern. Und den wunderschönen farbigen Kieselsteinen. Die Morgenpause findet heute mal nicht am Strand statt - da gibt es nur einen schneller Bananenimbiss- , sondern wir gehen hinauf nach Chorio auf einen Kaffee.

Und so zieht unser Grüppchen wenig später bergwärts, erschreckt am Friedhof ein paar Griechen, die sich dem Feiertag entsprechend deutlich dezenter gekleidet haben als wir. In kurzen Hosen möchte ich auch die Hauptkirche Panagia Odigitrias nicht betreten, in die der Pappas uns hereinbittet. Hätte doch einen Rock mitnehmen sollen.

Vorbei am archäologischen Museum, vor dem ein Gruppe Einheimischer sitzt und den sonnigen Feiertag genießt, führt uns Rod zum Kastro. Das sieht immer noch so vernachlässigt aus wie vor sechs Jahren, ja vielleicht noch schlimmer. Schade, aber immerhin die Katzen fühlen sich wohl hier. Und der etwas verwirrt wirkende Herr, der uns anspricht.

Netterweise führt uns Rod dann vorbei an der unverputzten Agios-Ioannis-Chrissostomos-Kirche zum "Kali Kardia", wo wir unseren Kaffee trinken werden. Das "Kali Kardia" hat inzwischen Apostolis' Sohn übernommen und zu einer Taverne ausgebaut, wie ich schon im September von Flo erfahren hatte. Die Zimmer im oberen Stock, von uns wohlgeschätztes, zentrales und preiswertes Quartier, braucht er fürs Personal und vermietet sie daher nicht mehr. Sehr schade, und gut, dass ich sie im Mai doch nicht in Anspruch nehmen musste.

Die Juke-Box ist aber noch da, auch wenn sie woanders steht und das Anschlusskabel müde darüber hängt.

 

Hoffentlich bleibt das Lokal Treffpunkt der einheimischen Senioren und damit ein "Kali Kardia", ein gutes Herz. Bei Apostolis und seinen Eltern konnte daran kein Zweifel aufkommen, jetzt wirkt es etwas steril und leer. Nur drei Männer sitzen beim Tavli-Spiel an einem der Tische. Aber wir bekommen unseren Frappé, Cappuccino oder Elleniko, je nach Gusto.

Zeit, wieder aufs Wasser zu gehen.

Von der Sonne verwöhnt, zieht nun keiner mehr die Regenjacke drüber als wir die Kajaks zu Wasser lassen. Die Mittagspause soll auf Kimolos stattfinden, am Enias- Strand. Zuvor machen wir aber noch einen Abstecher zur vorgelagerten Felseninsel Agios Efstathios. Ein schroffer Felsen, unbewohnt, und nur mit der namensgebenden Kapelle und einem Leuchtturm bestückt. Rod navigiert uns östlich daran vorbei, und wenig später sehen wir warum: die hohe Steilküste bildet einen halbrunden Kessel, der einen kleinen Strand umschließt. Im Sommer wäre das hier ein herrlicher und kühler Rastplatz, meint Rod. Jetzt aber nicht, denn der Strand liegt im Schatten der Steinwände und ohne Sonne merkt man den Herbst doch deutlich wenn man nicht in Bewegung ist. Aber die hellen, steilen Wände mit ihrer rostroten Äderung sind mal wieder eine der geologischen Überraschungen, die die Inseln hier en masse bereit halten. Langweilig wird es da nie. Und wir können mal wieder durch Tunnel und um zerklüftete Felsentürme paddeln.

 

Von hier Kurs nach Westen. Der Westwind hat sich noch nicht gelegt und bereitet uns - für mich völlig überraschend - heftige Gischt und Spritzwasser im Gegenwind. Hoppla, da steht nochmals eine Runde Nässe an. Trotzdem macht es Spaß! Wäre aber trotzdem gut wenn der Wind drehen oder nachlassen würde ehe wir wieder nach Milos übersetzen, sonst wird es anstrengend. Kimolos gibt seine Gäste nicht gerne wieder her.

 

Um Dreiviertel drei legen wir am Strand von Enias (auch Hippie Beach) an. Kaum sind die Kajaks an Land, streben Rachel, Mike und ich nahezu synchron ins Hinterland - der Frappé von vorhin drängt mit Macht. Großes Gelächter, aber ein Kajak hat kein Bordtoilette.

Gegen Nässe und Kühle hilft meine Windjacke. Baden will trotz der Sonne heute keiner.

 

Auch dieser Strand hat wieder so wundervolle farbige Kieselsteine! Ich werde nicht müde, sie zu bewundern. Und die ausgewaschene Küste!

Im Hinterland blüht nach dem Regen von neulich schon zart ein gelbes Kraut, Alant vermutlich.

 

Im Schatten einer Bootsgarage baut Rod das Picknick auf. Boah, bin ich hungrig!

Es ist heute meine letzte Paddeltour, und auch für Carey und Bill, und Rosemary und Jeremy ist das der Fall, die morgen abreisen werden. Wehmut schleicht sich ein. Rachel und Mike wollten eigentlich auch noch einen paddelfreien Tag einlegen um sich Milos etwas anzusehen, aber sie können es nicht lassen, und werden auch die beiden letzten Saisontage ins Kajak sitzen. Ich hätte schon Lust auf mehr, will aber auch noch etwas Land sehen. Zumal Rod morgen nach Kleftiko möchte, wo ich im Mai schon war. Er wird die Pläne noch ändern und morgen zu den Akradies-Inseln fahren (Wetter- und Windprognosen können schnell wechseln) und Kleftiko auf den letzten Tag legen. Aber es ist trotzdem in Ordnung für mich. Nicht übertreiben, und dafür wiederkommen. Dass ich das will, steht felsenfest.

Der Wind ist inzwischen wirklich abgeebbt, und vielleicht ist Rod sogar etwas enttäuscht als der Rückweg nach Milos deutlich sanfter verläuft als befürchtet. Wir haben vorsichtshalber alle die Regenjacken angezogen, aber es wäre auch ohne gegangen. Rod und ich sind inzwischen ein eingespieltes Team geworden, das synchron die Paddel schwenkt.

Die Sonne versteckt sich hinter Schleierwolken und produziert rosaschillernde Lichtspiele an deren Rand. Schön!

Zwischen Milos und Kimolos lassen wir ein Segelschiff passieren. Es ist die "Eleni", das Ausflugsschiff meiner Mai-Vermieterin, mit der ich damals um die Insel gefahren bin. Sie hat den Feiertag und das schöne Wetter auch für eine Ausflugsfahrt mit Gästen genutzt. Gegenseitiges Winken, auch wenn ich natürlich dort nicht erkannt werden kann.

 

Um fünf Uhr sind wir dann wieder in Pollonia. Das Örtchen liegt in nachmittäglicher Feiertagsstille. Der Ochi-Tag wird wohl nicht als Volksfest mit Musik und Tanz begangen.

Ein letztes Mal die Kajaks an Land ziehen, aufladen. Regenjacken, Schwimmwesten, Paddel verstauen. Der Himmel sieht auch traurig aus.

Zurück nach Triovasalos, den Anhänger abstellen.

Ob man hier oben ein Mietauto bekommen würde, frage ich Rod. Er überlegt kurz. Nein, aber er könne mir eines organisieren. Ein kurzes Telefonat - in zwanzig Minuten würde er mich nach Adamas bringen, da macht der Autoverleiher geschwind sein Büro auf. Hoppla, so schnell musste es gar nicht gehen, morgen hätte ja auch gereicht. Aber passt schon, und nach einer schnellen Dusche fahren wir hinab nach Adamas. Wie lange ich das Auto wollte, fragt Rod, und hat natürlich völlig recht als er vorschlägt, ich solle es bis Montag nehmen und am Flughafen zurückgeben, wo der Verleiher auch ein Büro hat. Ein Taxi dorthin kostet auch schon 18 Euro.

Trotzdem finde ich die 50 Euro für einen Skoda Citigo bei Milosrent zunächst etwas teuer - ich hatte ja nur für einen Tag geplant. Klar, jetzt sind es fast zwei, und natürlich kennt auch der Verleiher die Taxipreise. Ich bekomme schließlich den Freundschaftspreis von 40 Euro bis Montagmittag. Danke!

 

Mit einem Stift durchkreuzt der Verleiher auf einer Landkarte den Westen von Milos, und die Straße zu den Schwefelminen: dorthin dürfte ich nicht fahren! Ich erinnere mich, dass das vor zehn Jahren auch schon so war. Allerdings sind die Grenzen fließend - die asphaltierte Straße endet bei Agia Marina, aber darf ich auch hinab nach Embourios? Oder das untere Stück der Zufahrt zum Profitis Ilias? Mal sehen, ich frag lieber nicht. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

 

Das Auto parke ich in Triovasalos an der Straße. Jetzt muss ich mich beeilen, die Anderen scharren schon mit den Hufen fürs Abendessen. Ich wäre gerne mal ins "Glaronissia" in Tripiti, aber das ist zu weit weg, und so gehen wir wieder ins "Belivanis". Ann und Steve sind heute auch dabei, sie erzählen, dass sie vor Milos an den Meteora-Klöstern waren zum Klettern. Das soll dort demnächst verboten werden, und sie wollten die Gelegenheit noch nutzen. Ja, sie haben die Figur von Kletterern - kein Gramm zu viel, und Steve hat mich beeindruckt als er ein Kajak alleine geschultert hat. Auch sonst sind sie viel in der Welt herumgekommen. Interessant.

 

Im "Belivanis" ist heute noch mehr los als sonst - Feiertag eben. Und Samstag. Die Warteschlange reicht bis zur Türe. Ich bestelle gebratene Lammleber während Rachel zur Abwechslung wieder Paidakia nimmt - die seien einfach zu gut.

Bill erzählt, er hat Rod eine nette Skizze zu Stromboli gezeichnet. Wie ich waren Carey und Bill schon mal dort - Vulkanfaszinierte eben.

Mit der Gesamtrechnung fürs Essen, das haben jetzt auch alle gelernt, und das passt.

Danach werden noch diverse Geldautomaten zwecks Barabhebung gesucht (nicht alle sind beleuchtet was die Sache schwierig macht) damit die Zimmerrechnung, wie man das in Griechenland am liebsten hat, in bar bezahlt werden kann.

Zum Schluss gibt es einen Absacker in einer gegenüberliegenden Bar. Der Tsipuro ist von der ganz rauhen Sorte, die Ouzotrinker sind besser dran.

 

Wir haben einen netten letzten Abend - morgen wird unsere Parea schrumpfen. Bill und Carey nehmen die Speedrunner-Fähre am Mittag, Jeremy und Rosemary den Flieger nach Athen. Und ich werde vom Profitis Ilias aus winken. Hoffentlich.

 

Und nicht vergessen: in der Nacht werden die Uhren auf Winterzeit gestellt. Eine Stunde länger Schlafen. Und abends früh dunkel. :-(