In die Berge

Unser erste Ausflug führt uns am Freitag in der Berge, wir müssen schließlich das schöne Wetter nutzen. Irgendwann am Mittag wollen wir dabei die Taverne "Dounias" in Drakona ansteuern, die mir empfohlen wurde. Aber jetzt, nach dem selbstfabrizierten Frühstück mit Nescafé, frischen Brötchen, frischgepresstem Orangensaft, Graviera, Butter, Erdbeermarmelade und Honig sind wir erst mal versorgt. Theo hat noch einen Liter Ziegenmilch erstanden - Erinnerungen ans Frühstück auf Karpathos (und in der Erinnerung wird ja so manches verklärt), aber nach einem Probeschluck meinerseits darf er das alleine trinken.

 

Westlich aus Chania hinaus folgen wir der Beschilderung nach Omalos. Ob wir so weit fahren? Tha doume.

 

Die Vororte von Chania lösen sich allmählich in Orangenplantagen auf. Orange zwischen grün - noch dominieren die frischen Farben. Weiter oben wird sich das ändern.

Wie das halt (leider) so ist wenn man mit dem Auto unterwegs ist, fährt man an manchen interessanten Dingen und Orten einfach so vorbei. Wir haben die "Kreta-Bibel" ja nicht als Roadbook vor uns, nach dem wir anhalten. Jetzt wollen wir lieber erst mal Land gewinnen. Über Agia fahren wir nach Fournes (der botanische Park ist im Winter geschlossen), dahinter wird die Straße kurvig und steigt an. Aber alles bestens ausgebaut - schließlich fahren hier ab Mai die Busse der Samaria-Wanderer nach Omalos, und da darf nichts im Wege stehen.

 

Am Ortseingang von Lakki endet der Asphalt, die rauhe Straßenoberfläche bremst uns ab. Oder ist es die Ansicht des hübschen Dorfes mit der dominierenden Kirche? Ein Fotostopp muss sein, auch weil hier wieder Wiesen mit nickendem Sauerklee blühen. Ein kleiner Wuschelhund hebt konsequent sein Bein an allen vier Rädern unseres Autos - ganz schön ergiebig, die Hunde hier.

Könnte sogar sein, dass in Lakki eine Taverne geöffnet war. Die nächsten Tage werden unseren Blick dafür schärfen, aber wir wollen ja nachher nach Drakona zum Essen, und nach (hoffentlich) zuverlässiger Auskunft hat das nur dienstags zu. Auch im Winter.

 

Mit dem hinteren Ortsschild wird die Straße wieder gut. Komisch, hat man hier eine innerörtliche Verkehrsberuhigung beschlossen, oder wollte man sich finanziell an der Sanierung der Straße nicht beteiligen? Die Einwohner von Lakki sind ja traditionell aufsässig gegen die Obrigkeit.

 

Beim nächste Fotohalt zwei Kurven später braust dann ein Feuerwehrauto an uns vorbei. Tatsächlich: da vorne steigen zwei dünne Rauchsäulen auf. Dem Klang von Motorsägen in der Ferne kann man allerdings entnehmen, dass da gezielte Brandstifter am Werk sind. Die Feuerwehrmänner halten aber trotzdem, und gucken nach dem Rechten. Alles unter Kontrolle.

Ein paar Kurven weiter oben sieht man dann weit über die Landschaft bis zur Küste nach Chania. Dahinter die Akrotiri-Halbinsel mit der prägnanten Silhouette der Vardies. In der Nähe dominieren Terrassen in Fels und Olivgrün. Terrassen - ob hier wirklich etwas angebaut wurde, wie auf den Kykladen? Hier hat man doch Platz, sollte man denken. Und unten wächst alles üppig. Tja, ungerechte Verteilung.

An der Passhöhe zur Omalos-Hochebene (Profitis Zacharias - endlich mal eine Alternative zu Ilias) steht ein hübsches Ikonostasi. Dahinter eine betonierte Fläche, zum Regenauffangen? Frisch ist es hier oben auf über tausend Metern Höhe. Die Wolken kochen über die Bergkämme, kein freier Blick auf die Gipfel der Lefka Ori. Aber die Hochebene ist schneefrei, liegt wie ein Teller unter uns. Da werden wir doch mal einen Blick auf die Samaria-Schlucht werfen und nach Xyloskala fahren.

 

Die Weihnachtsdeko im Gegenlicht in Xyloskala zwingt zur Vollbremsung. Hey, cool! Nur die Mülltonne stört die feierliche Optik. Wer hier oben auf 1200 Metern wohl Weihnachten feiert wenn fett Schnee liegt?* Und die Deko geht am Haus weiter, mit einer Reihe beleuchtbarer Weihnachtsbäume. Wir zeigen uns beeindruckt. Im Hintergrund werkeln ein paar Leute, sonst haben wir außer Autofahrern die letzte Zeit niemand gesehen. Und jetzt kommt auch noch ein LKW, drängt am mitten auf der Straße stehenden  Auto vorbei. Konnte ich ja nicht wisse, dass hier so ein Verkehr herrscht. Signomi!

 

Hey Theo, hast du Lust, mal eben in die Samaria hinabzusteigen? Da ist heute auch garantiert kein Gedränge. Nein, hat Theo nicht. Oder zum Gingilos? Oh nöö. Also lassen wir das für heute. ;-) Mit dem Mietwagen wird man auf Kreta vom Wanderer zum Piloten. Bloß kein Stress. Ja, ich weiß, ich war auch schon ehrgeiziger. Kreta ist zu groß zum Wandern.

Wir fahren einmal rund um die Omalos und Theo fragt flachsend, ob es auch Opalos gibt. Ich schätze, eher Menschenlos: die verstreut liegen Siedlung wirkt verlassen, gerade ein paar Schafe zwischen den Häusern zeugen von Leben. Und ich lerne, dass ein Fiat Bravo weniger Bodenfreiheit hat als ein Fiat Panda. Gut zu wissen, dass Steine in Kartoffelgröße besser nicht überfahren werden wenn es sich vermeiden lässt.

 

Nach der Omalos-Runde geht es wieder auf dem gleichen Weg hinab nach Norden. In Lakki soll es ein Freiheitsdenkmal geben, drei Männer in kretischer Tracht übereinander zu Erinnerung an die hier besonders aufmüpfigen Kreter, die gegen Besatzer aus aller Herren Länder gekämpft haben. Wir halten unterhalb der Hauptkirche, die offen ist. Eine Frau legt gerade eine lange Lunte um das Gotteshaus, will sie es in die Luft sprengen? Nein, das sind die ersten Vorbereitungen für das Agios-Antonis-Panigiri am Sonntag. Fähnchenschmuck oder so.

 

Bei der Kirche steht ein Gedenkstein an nach Mauthausen verschleppte Kreter. Man trifft hier oft auf Erinnerungen an die Katochí, die Besatzung.

 

Und wo ist nun das Freiheitsdenkmal?

 

Manchmal ist man blind: unser Auto hat direkt davor geparkt, aber die mastengleiche Statue haben wir doch glatt übersehen. Den Wald vor Bäumen nicht, tsstsstss... ein ungewöhnliches Mahnmal übrigens, und besonders hübsch ist der Faltenwurf der Vrakes.

 

Ab Lakki werden wir nun den Straßenzustand der in unseren Karten weiß eingezeichneten Straßen testen, denn wir wollen die Abkürzung nach Meskla nehmen. In meiner Terrain-Karte "Western Crete" von 2015 sind weiße Straßen mit "smooth dirt road/befahrbarer Feldweg" ausgewiesen, und auf griechischen Inseln fahre ich so etwas normalerweise nicht, weil ich den Ausdruck "befahrbar" anders definiere als ein Grieche. Hier hingegen erweisen sich unsere Bedenken als völlig überflüssig, denn die Straße ist zwar nicht immer sehr breit und auch schön kurvig, aber durchgehend asphaltiert.

 

Also kurven wir nach Meskla hinab, das ein hübsch in einer Talsenke gelegenes und grünes Dorf mit einer überdimensionierten Kirche im Zuckerbäckerstil ist. Die ältere, kleine Kapelle davor ist geschlossen, die große auch. Also überlegen wir uns, wer hier mit Grapefruits Boule gespielt hat. Da wäre ein glatter Boden statt des gemusterten Pflasters aber geeigneter. Wahrscheinlich eine lokale Variante. ;-)

Inzwischen ist es halb zwei, und wir haben Hunger. Wehe, die Taverne in Drakona hat doch zu!

Über Zourva geht es auf einer schönen Panoramastraße nach Osten, die Landschaft wird grüner. Bevor wir Therisso erreichen, biegen wir rechts Richtung Drakona ab, und stehen kurz darauf vor einem Baum mitten auf der Straße. Brav und wie auf dem Verkehrsschild verzeichnet passieren wir ih rechts - wir sind ja keine Geisterfahrer! Ein Herz für Bäume hat man auch, wie schön!

Trotz einer unklaren Abzweigungsbezeichnung (links fahren!) erreichen wir zehn Minuten später die Taverne "Dounias", vor der ein Außenherd vielversprechend raucht.

 

Der Wirt, Stelios ist auch gerade draußen zugange, und zeigt uns den Inhalt des Topfes: geschmortes Zicklein. Riecht gut, sieht aber nach viel Fett und Knochen aus.

 

In der Gaststube sind drei Tische belegt, alle von Touristen. Stelios hat viele Stammgäste. Wir dürfen dann gleich in die Küche und in die Töpfe gucken. Das Fleisch in einem Topf definiert Stelios als "Schwein, das erschossen wurde". Wildschwein? Egal, wir bestellen eine Portion, außerdem Fava und Lachanodolmades, die mit einem Klecks Joghurt daherkommen. Die beiden letzteren sind etwas fad (Stelios hat definitiv keinen Liebeskummer), aber das Schwein ist köstlich! Unsere Getränkebestellung (Bier) findet nicht Stelios Gefallen, er offeriert uns seinen selbstgemachten Wein. Ja, brauchbar, aber muss nicht. Kein Problem für Stelios, dann eben mia bira.

 

Wir kämpfen mit der Portionsgröße (das dunkle, grobe Bauernbrot hat die Größe von Holzscheiten), als der Wirt uns noch einen Teller mit Bohnensalat hinstellt, und schließlich einen Testteller vom Zicklein. Nein danke, Stelios, das können wir wirklich nicht mehr essen.

 

Es gehen und kommen Gäste, Franzosen, Niederländer - Überwinterer aus dem Norden wissen, wo man um diese Jahres- und Tageszeit auf dem Land etwas zum Essen bekommt. Und das lebende Zicklein, das draußen auf einem Stuhl sitzt, weiß, dass es das eigentlich nicht darf, und springt hinab sowie ich mich mit dem Fotoapparat nähere.

Die Rechnung fällt mit 23 Euro mehr als günstig aus. Was hier wohl in der Saison los ist?

Nach Raki und Elleniko bin ich wieder halbwegs fahrfähig, es geht auf dem Sträßlein mit dem Baum zurück nach Therisso (einige überdimensionierte, nun aber geschlossene Tavernen lassen darauf schließen, dass die Chanioten hier gerne feiern), und dann durch die Therisso-Schlucht. Die ist jetzt im Winter und am späteren Nachmittag nicht so beeindruckend: die Bäume unbelaubt, das Licht düster - das kennen wir doch aus der Heimat.

Irgendwie sind Schluchten sowieso nicht so mein Fall, zu horizontbegrenzend einengend.

Noch bei Tageslicht erreichen wir Chania, tun uns erneut schwer mit der Parkplatzsuche. Stehen schließlich links der Straße in der Sifaka. Kein guter Platz, wie wir morgen sehen werden.

Das Abendessen kann heute ausfallen. Aber es ist Freitag, und da wollen wir wenigstens auf ein Getränk und einen kleine Happen irgendwo hinein. Wir gehen entlang der Uferpromenade, heute nach Osten. Da ist deutlich mehr geöffnet als in der westlichen Altstadt. Gefällt uns alles nicht so richtig mit den Lokalen - zu edel, zu cafémäßig, zu geschäftig, zu marktschreierisch. Am Rakadiko "Chalkina" registrieren wir ein Plakat, das Live-Musik für Sonntagabend ankündigt. Gut zu wissen!

 

Am östlichen Ende des alten Hafens gehen wir schließlich in die zweite Reihe. Das Restaurant "Chrissostomos", hatte das nicht jemand empfohlen? Soll fleischlastig sein, das ist jetzt nicht unser Gusto.

Theo schlägt dann irgendwann vor, in "Chalkina" zurückzukehren. Auch wenn es die Live-Musik erst am Sonntag gibt. Gute Idee.

 

Im Wintergarten-Vorraum darf geraucht werden (drinnen aber auch) und die Heizstrahler grillieren einen durch. Drinnen ist es besser, und noch ein kleiner Tisch frei, vor den Lyra-Modellen, wir bestellen Dakos und gefüllte Pilze. Das Dakos ist definitiv zu wenig durchgeweicht (das macht der "Grüne Turm" in Böblingen um Längen besser), und die Pilze sind auch nicht Theos Geschmack. Aber das macht mir überhaupt nichts aus, denn auf der Bühne neben uns haben inzwischen vier junge Musiker Platz genommen, und mit Lyra, Laouto, Gitarre und Trommel angefangen zu musizieren.

Hey, da gibt es ja heute schon Live-Musik, super!

Giannis Gdontakis (Γιαννης Γδοντακης) heißt der Lyraspieler, kann ich später dem vorher übersehenen Plakat vor der Türe entnehmen. Morgen tritt er hier nochmals auf. (Hier ein Video aus dem Chalkina, aber nicht von mir)

 

Wie es sich für griechische Musik gehört, ist sie in einer Lautstärke, die eine weitere Unterhaltung unmöglich macht. Es sei denn, man kommuniziert via Whatsapp wie die junge Parea am Nachbartisch. Jeder ein elektronische Spielzeug vor sich, kein Blickkontakt. Ich bin zu alt für diesen Sch... und Theo hat noch nicht mal ein Händy.

 

Die Musiker laufen sich warm und werden immer besser, klatschend angefeuert von zwei bärtigen Jungs, ihren Fans, die sie mit alkoholischen Getränken versorgen. Gefällt mir, was sie spielen.

Theo, wie findest du das? THEO, WIE FINDEST DU DAS? BITTE? HAB ICH JETZT NCHT VERSTANDEN! Wir reden später.

 

Zum Tanzen ist leider kein Platz. Dabei spielen die einen Chaniotiko nach dem anderen.

 

Zuhören und gucken macht auch Spaß. Die Bude ist voll mit jungem Publikum, wir heben den Altersschnitt deutlich. Die geschmeidigen Kellner, die ihre vollen Tablettes geschickt balancieren. Die haarigen Zuhörer - auf Kreta trägt man Vollbart auch ohne Hipster zu sein. Und man hat dichtes Haar, auch oben auf dem Kopf. Hoorig, hoorig, hoorig isch dr Kreter.

 

Die Kreterinnen sind eher klein, unscheinbar und kompakt. Zumindest hier. Aber gut, Haare haben sie auch, und im Gegensatz zu Athen oder Stuttgart ist Griechin hier eher nicht blondiert.

Es ist nach Mitternacht, als Theo deutliche Ermüdungserscheinungen zeigt und wir gehen. (Ich hätte es schon noch etwas ausgehalten.) Da weiß er noch nicht, dass er noch die halbe Nacht Musik haben wird. Nicht live, und nicht kretisch, aber laut und von der Bar unten. Ich schlafe einen Stock höher und habe noch die Dachterrasse dazwischen, das dämpft. Es hat alles Vor- und Nachteile. :-)

 

Wenn das Wetter morgen noch schön ist, wollen wir etwas wandern.

 

 

* Die Kreter kommen nicht zum Weihnachten feiern auf die Omalos, sagt Ulli, die auf Kreta lebt. Sondern sie fahren hierher wenn Schnee liegt, bauen Schneemänner und genießen das kalte Weiß.

Wie wäre es dann mal mit ne Langlauflopie? ;-)

Und war nicht Costa Cordalis einst bei olympischen Winterspielen für Griechenland im Langlauf am Start?

 


Theo ist schneller als ich, und hat inzwischen schon fünf (fünf!) Seiten von unserer Reise fertig. Er muss ja auch nicht chronologisch arbeiten, und ist witzig und originell.

Hier seine Kretareise im Januar 2016: Theo, der Inselwesten im Januar

 

Soll ich weiterschreiben?

Na, schon wegen der Ausgewogenheit. Chauffeure sollen ja auch mal zu Wort kommen. :-) Erst recht wenn es Frauen sind.