Von Chania nach Kissamos

Pläne ändern sich, und Anreisen sind manchmal anstrengend. Als ich im November den Aegean-Flug nach Chania über Athen gebucht hatte, hatte ich noch gedacht, ich würde im Mai an Kretas Küsten entlang paddeln. Da hatte sich dann geändert, aber nach Chania wollte ich trotzdem. Der Flug war preiswert gewesen - da nahm ich die Ankunft in Athen gegen ein Uhr nachts in Kauf, schlug mir die Nacht im Flughafen um die Ohren (liebe Aegean Airlines, eure Vouchers für Lounges, die man dann doch nicht in Anspruch nehmen darf, könnt ihr euch zukünftig in die Haare schmieren!), und flog am Morgen nach Chania weiter. Mit Blick auf die Kykladen - die würden dann schon später noch kommen. Beziehungsweise ich dorthin. Drei Wochen Urlaub bieten viele Möglichkeiten.

 

Den Bus nach Chania um Viertel nach neun erwischte ich gerade noch (2,50), und mein Superior-Zimmer im zentral gelegenen Hotel "Archontiki" war auch schon bezugsfertig. 41 Euro - da kann frau echt nicht meckern. Noch dazu mit Zugang zu einer großen Dachterrasse und Blick über die Stadt. Die leere Gebäudehülle gegenüber, das ist die Markthalle, die komplett renoviert wird. Das wird noch länger dauern, bis die Agora wieder öffnen wird. Wenn überhaupt jemals, unkt meine Wirtin.

Die Sonne scheint, ein frischer Wind weht über die Stadt, und nach einer schöpferischen Pause geht es auf zum Stadtbummel. Es ist erst der 27. April und Chania brummt schon von Touristen. Nach dem angenehmen Januaraufenthalt 2016 hatte ich das ganz vergessen. Und die Lefka Ori waren damals wirklich weiß, während heute nur noch ein paar Schneereste die Gipfelkette sprenkeln. Es war zu trocken im Winter, und zu warm im März. Dafür wird sich das Thermometer die nächsten Wochen nur selten über die 20-Grad Marke bewegen lassen. Was mir als Aktivurlauberin ja durchaus passt.

 

Ich lasse mich ein wenig treiben, kehre schließlich früh im "Tamam" ein: ein richtiges Frühstück hatte ich gar nicht. Dakos und Auberginensalat schmecken, der Service ist superschnell, und netterweise gibt es am frühen Mittag auch noch keinen Ratschi aufs Haus, sondern eine Stückchen Baklava. 15 Euro - Kreta ist preiswerter als die Kykladen, wie ich noch merken werde.

Ich hab keine Lust, mich hier weiter zu tummeln, und nach einem Abstecher ins Hotel beschließe ich, dem Grab von Mikis Theodorakis in Galatas, einem Vorort von Chania, einen Besuch abzustatten. Ich recherchiere, wie ich da hinkomme. Mit dem städtischen Bus müsste man es klappen, ab Busbahnhof. Dort schickt man mich aber zur Haltestelle an der Platia 1866. Gut, ist nicht weit weg, aber der Bus Nr. 15 nach Agios Antonios fährt leider nicht dort ab. Sondern doch am Busbahnhof, an der Haltestelle außerhalb der Umzäunung, in der Zymprakakidon Straße. Und er fährt nur stündlich, so dass ich ihn gerade verpasst habe. Egal, das Ticket habe ich mit jetzt schon aus dem Automaten gelassen (bis Agios Antonios kostet es 1,60 wenn man es am Automaten kauft, und 2,50 im Bus), dann warte ich eben. Habe es ja nicht eilig. Um halb sechs fährt der Bus dann wirklich, westlich aus Chania hinaus. Nach zwanzig Minuten ruft der Fahrer "Agios Antonios". In einer Stunde sei er wieder da, antwortet er auf meine Frage nach der Rückfahrt. Sollte reichen. Der Friedhof ist an der Kreuzung ausgeschildert, nach zehn Minuten erreiche ich ihn auf der aufwärts führenden Straße zu Fuß.

 

Das Grab von Mikis Theodorakis ist schlicht. So schlicht, dass ich es in dem typischen Gräber- und Blumenmeer erst mal übersehe, obwohl es großflächig ist. Ein Quader aus Marmor auf einem Marmorsockel in einer Umrandung mit Kieseln, nie beschattet (da im Norden) von einem Orangenbaum. Auf dem Würfel nur der Schriftzug des Namens. Jetzt hab ich nicht mal eine Blume dabei, um dem großen Komponisten, Freiheitskämpfer und Menschen meine Referenz zu erweisen. Keine Blume ziert das Grabmal, nur ein mit einer Blume bemalter Kieselstein und der Schrift "ΑΘΑΝΑΤΟΣ" - unsterblich. Das ist er über seinen Tod hinaus, seine Werke vor allem, die mir immer wieder Gänsehaut verursachen. Ein Meister fürwahr, ein großer Meister.  

Ich sitze noch etwas auf der Bank an der Kapelle und sinne. Geschäftig werden um mich herum Gräber gerichtet und Laub gekehrt. In neun Tagen ist Ostern.

 

Schlendere dann wieder hinab nach Galatas, warte auf den Bus, der pünktlich kommt. Er fährt einen Schlenker über die Küste (Kalamaki, Panorama) nach Chania zurück, und offensichtlich stürzt sich die Dorfjugend schon ins Nachtleben, denn der Bus wird gut voll. An der Küste kommen noch Touristen dazu. Um halb acht bin ich wieder im Quartier.

Zum Abendessen suche das "Oinopoieío" (sprich Inopiío) in der Chatzimichali Daliani auf. Mit Theo war ich damals hier (auch dieser Chania-Besuch wird sich mit zahlreichen Erinnerungenan ihn füllen), und es hat ihm geschmeckt (was gar nicht so häufig vorkam). Die Tische draußen sind alle belegt, aber ich nehme auch gerne einen drinnen. Ich verzichte auf Vorspeisen - entweder zwei Vor- oder eine Hauptspeise ist mein Motto für den Abend, und wenn ich mich nicht daran halte, werde ich prompt mit zu großen Portionen überfordert. Bei den Lachanodolmades kann ich nicht nein sagen, und bekomme zwei dicke Krautwickel in Avgolémono serviert. Das Karäffchen Raki danach brauche ich, und dann ruft unerbittlich das Bett. Da die Live-Musik im "Ta Chalkina" etwas unmotiviert vor sich hinklimpert, verpasse ich bei der Schleife zur Paralia auch nichts mehr.

 

*

 

Ich bin froh, dass ich am sonnigen Sonntagmorgen nicht den Bus um acht Uhr dreißig ab Chania zum Hafen von Kissamos nehmen muss, wie es mein ursprünglicher Plan vorgesehen hatte. Mein für zwei Nächte gebuchtes Quartier auf Antikythira habe ich vorgestern angesichts der prognostizierten Windsituation am Montag und Dienstag wieder abbestellt. Zu groß die Bedenken, vor Ostern wetter- und streikbedingt auf der Kleininsel hängenzubleiben und dann kein Passage zu meiner nächsten Destination zu bekommen, an der ich am Karsamstag sein muss. In der Karwoche herrscht Reiseverkehr hoch zehn, da ist kein Platz für Spontanität. Vielleicht klappt wenigstens  ein Tagesausflug am Mittwoch. Wenn der Wind nachlässt, und die "Sporades Star" beziehungsweise der Hafen in Kissamos nicht bestreikt werden. Mittwoch ist nämlich der 1. Mai. Auch wenn die Regierung den Feiertag dieses Jahr offiziell auf den 7. Mai verschoben hat (was das lange Osterwochenende zusätzlich verlängert), haben die Gewerkschaften angekündigt, wie immer und traditionell am Protomagia zu "feiern, demonstrieren, fordern und streiken". Prompt wurden Fährpläne geändert oder storniert, auch auf Kreta. Aber noch nicht in Kissamos. Dorthin werde ich daher heute dennoch fahren, und vier Nächte dort bleiben.

 

Die Frühstücksgepflogenheiten im Hotel "Archontiki" sind etwas seltsam: für acht Euro kann man eine von drei Variationen bestellen, die man dann im Frühstückraum als Mitnahmepaket serviert bekommt. Relikt aus Corona-Zeiten? Muss man aber zwei Tage vorher bestellen, und das habe ich nicht. Ich habe noch ein schönes Tsoureki und ein paar gestern gekaufte Lichnarakia. Den Kaffee dazu bekomme ich im Frühstücksraum gratis, wie überhaupt die Wirtsfamilie sehr freundlich ist. Erst um elf Uhr muss ich das Zimmer verlassen. So frühstücke ich auf meiner Dachterrasse in der Sonne, packe dann meine Sachen zusammen und drehe noch eine Runde durch die Altstadt. Ein frischgepresster Orangensaft - vier Euro sind hier ein eher günstiger Preis - in dem Café neben der Byzantinischen Sammlung in der Theotokopoulou. 2008 haben Mama und ich dort in einem winzigen Zimmer in der "Casa del'Amore" gewohnt. Gibt es nicht mehr, und selbst das Haus kann ich nicht mehr sicher bestimmen.

 

Dann entlang der Paralia durch die schon wieder sehr lebendig werdende Stadt bis zu den Arsenalen. Weiter reicht die Zeit nicht, um 11 Uhr fährt mein Bus. Aber ein schneller Blick in die Mitropolis-Kirche. Es ist Palmsonntag, und der Gottesdienst in Gange. Will ich nicht stören.

Der Busbahnhof ist nahe meinem Hotel, und um Viertel vor elf kaufe ich mein Ticket nach Kissamos für fünf Euro zehn. Das Gepäck unten in den halbleeren Bus, und pünktlich geht es los. An der endlosen Strandmeile bis Tavronitis sammeln wir noch ein paar Fahrgäste ein, Urlauber und Kreter. Eine Gruppe Briten möchte nach Máleme auf den deutschen Soldatenfriedhof. Ich erinnere mich an einen kalten, aber sonnige Januartag dort, und fahre gerne weiter. Ab Kolymbari geht's ins Hinterland der Rodopou-Halbinsel. Alles noch frühlingshaft grün, und ich überlege, ob ich jemals im Frühjahr auf Kreta war. 1995, war das im Mai? Lange her.

Um zehn nach zwölf hält der Bus an der Platia Venizelou in Kissamos. Endstation denke ich, und steige aus. Was aber nicht stimmt - die Busstation von Kissamos (auch Kastelli Kissamou) ist noch einen Kilometer weiter westlich, was näher an meinem Hotel gewesen wäre. Macht aber nichts.

 

Die Platia macht einen belebten Eindruck, ich ziehe meinen Trollay aber durch die Gassen zur westlichen Paralia.

Das "Nautilos Bay Hotel" ist mein Ziel, und mein Quartier für die nächsten Tage. Es liegt an einem noch wasserführenden, froschquakenden Bachlauf mit Gänsen, Enten und einem Seidenreiher, direkt am östlichen Ende des Sandstrandes Mavro Molo, und sieht sehr gepflegt aus. Offenbar hat es gerade erst geöffnet und noch wenige Gäste, denn die Wirtin fragt, ob ich morgen frühstücken möchte. Ja schon. Zwölf Euro kostet das Frühstücksbuffet zusätzlich zu den 51 Euro für das Zimmer mit partiellem Meerblick im zweiten Stock. Ein riesiges und geschmackvoll eingerichtetes Zimmer mit Kochecke und großem Balkon zur Ostseite. Da wird die nächsten Tage der Wind vehement herblasen und den Aufenthalt draußen ungemütlich machen. Mir aber doch egal, ich bin eh unterwegs. Mit meiner Hotelwahl bin ich sehr zufrieden, und werde es bleiben. Falls ich mal ein paar faule Tage auf Kreta verbringen möchte (höchst unwahrscheinlich allerdings), wäre das hier ein geeigneter Ort.

Der Sandstrand vor dem Haus ist mit zwei Dutzend Schirmen und Liegen bestückt, die wohl zum Hotel gehören. Noch blütenlose Dünen-Trichternarzissen, vulgo Strandlilien, wachsen am Rand. Weiter hinten schimmert es violett vom Strandflieder. Die Taverne (auch Strand) nebenan hat noch nicht geöffnet, der Wind hat zugelegt und treibt weiße Wellen ans Ufer. Ob ich mal eine Badeprobe mache? Später vielleicht.

 

Wenig darauf quere ich den Bachlauf über Felsen an der Mündung und gehe entlang des Ufer, vorbei am eingezäunte Sportplatz, nach Osten. Nach kurzer Zeit erreiche ich die "Tavernenmeile". Die hellblauen Stühle der "Taverna Sunset" unter zwei Tamarisken sind noch leer, das Lokal hat noch nicht geöffnet. Aber im "1860", im "Pyxida" und im "To Kelari" sitzen Leute, und im Café "Babel" sowieso. Vor dem "Breeze" werde ich sogar angequatscht als ich einen Blick auf die Karte werfen möchte. Was ich gar nicht mag - solche Lokale besuche ich dann eher nicht...

 

Dahinter beginnt der lange Strand. Der Wind hat zugelegt, die milchiggrünen Wellen branden mit Wucht. Keine Badenden im Wasser. Zu kühl, Wasser und Luft.

Ich möchte aber auch in den Ort hinein, der ein ganzes Stück oberhalb der Paralia liegt, und nehme eine der Straßen rechts hinauf, fünf Minuten. Erreichen einen ersten Platz, die Platia Tzanakaki, mit Eiscafé, Archangelos-Kirchlein, Läden, Reisebüro, Autoverleiher,  Café-Restaurant und  Archäologischen Museum. Alles sehr belebt, die Leute genießen den Sonntag bei passendem Wetter. Ich suche aber das Reisebüro von Balos Travel, und das liegt am nächsten Platz, der Platia Venizelou, wo das Bus gehalten hat. Leider hat Balos Travel sonntags geschlossen, was blöd ist, denn ich wäre gerne morgen per Bootsausflug nach Gramvousa und Balos gefahren. Oder hätte mich nach den dort angebotenen Kajaktouren erkundigt. Werde ich eben mal online anfragen. Wenn bei dem stärker werdenden Wind überhaupt ein Boot fährt. Ein Kajak sicher nicht.

 

Spontan besuche ich dann das archäologische Museum, das sich in einem alten venezianischen Gebäude befindet und noch bis 15:30 Uhr offen hat. Vier Euro kostet der Eintritt, und er lohnt sich. Gezeigt werden Exponate von der minoischen bis in die römische Zeit, Schwerpunkt sind hellenistische Funde aus Falassarna und Polirriniá. Am schönsten sind aber die römischen Mosaiken aus Kissamos selbst: aus dem 2. und 3. Jahrhundert stammt ein riesiges Mosaik, das Jagd- und Ritualszenen um den Gott Dionysos zeigt. Wunderschön ist das kleinere Mosaik mit drei die Jahreszeiten darstellenden Göttinnen in der Mitte und den Gesichtern der vier Jahreszeiten in den Ecken. Der Winter gefällt mir besonders, ein Mensch mit einem federartigen schwarzen Schleier vor dem Gesicht, gegen die Kälte. Fotografieren ist verboten, und ich halte mich schweren Herzens daran. Ja, auch Kreta kann kalt sein.

Das Gebäude selbst steht auch auf antiken Überresten, die man unter der Treppe sichtbar erhalten hat.

 

Inzwischen ist es 14 Uhr vorbei, und ich habe Hunger. Zurück an der Paralia entscheide ich mich fürs "Pyxida" und zwei köstlichen Vorspeisen : Apaki mit Kartoffelwürfeln, und viererlei Pittakia: Fenchel, Spinat,  Frühlingszwiebeln und Myzithra. Das Wasser wird hier in einer Karaffe gratis serviert - sehr löblich und viel zu selten praktiziert. Mit Brot und einem Viertel Wein bezahle ich 21 Euro und bin sehr zufrieden. Natürlich gibt es auch hier noch Dessert und Tsikoudia aufs Haus.

Später bummel ich noch am Mavros-Molos-Strand entlang nach Westen und zurück, ehe ich mich an dessen östlichem Ende trotz Wellen ins Meer traue. Das Wasser ist flach und immerhin 19° warm. In den nächsten drei Wochen werden Meer-Messungen nicht viel mehr ergeben.

Weil es so flach ist, und die Wellen kräftig, werde ich beinahe auf die Felsen am Kap getrieben.

 

Inzwischen habe ich übers Internet bei Balos-Travel für morgen eine Bootstour nach Gramvoussa und Balos gebucht. Trotz Windstärke sechs, würde gefahren. Mit Zubringer ab Kissamos kostet das 45 Euro (ohne 38), zu bezahlen im Bus. Die Anfrage beim Sea-Kayak-Veranstalter wird auch prompt beantwortet: frühesten am Mittwoch gibt es eine Tour, vorher ist es zu windig. Na, für Mittwoch habe ich andere Pläne. Aber mal sehen.

 

Hungrig bin ich am Abend nicht mehr, aber ich gehe nochmals in den Ort hinein um etwas Proviant für morgen zu kaufen, ein paar der Läden an der Durchgangsstraße haben am Sonntagabend geöffnet. Das Eiscafé an der Platia verführt mich dann noch zu zwei Kugeln Eis für vier Euro. Kann man empfehlen.

 

Als weniger günstig erweist sich später dann die Ausrichtung meines Zimmers zum lokalen Sportplatz hin. Ich bin schon im Bett, als dort das Flutlicht angeworfen wird und lautstark Sport getrieben wird. Grundsätzlich ja gut, aber wann geht die Dorfjugend eigentlich ins Bett? Es dürfte nach Mitternacht sein als es wieder ruhig und dunkel wird. Hoffentlich keine allabendliche Sache.

Morgen dann also die Bootstour. Ich bin gespannt.