Wie es letztendlich zu der Entscheidung für Kythira gekommen ist, kann ich mich nicht mehr erinnern. Eigentlich hatten wir Frankreich für den Herbsturlaub in Erwägung gezogen, wegen der ständigen Streikereien in Griechenland. Andererseits war es im Mai auf den Dodekanes so wunderschön. Dann kam das Merian-Heft „Kreta“ und der Wunsch, die Weißen Berge wiederzusehen. Aber nur Kreta? Och… gibt es da nicht was inselmäßiges, das dort in der Nähe liegt?
Es gibt. Kythira und Antikythira.
Ich glaube, Theo war schuld als er erwähnte, dass man von Athen nach Kythira fliegen kann.
Fliegen statt Fähre fahren? Mhmm, geht das?
Muss man sich nach Kythera nicht einschiffen?
Man muss, wenn man den Rokokomaler Jean-Antoine Watteau und seine Zeitgenossen fragt und in den Hafen der Liebe schiffen möchte. „Einschiffung nach Kythera“ benannte Watteau drei seiner Gemälde, und gemeint war im 18. Jahrhundert die Insel der Liebe, die Insel der Afrodite – Kythera! (Wer jetzt Zypern gedacht hat, liegt nicht ganz falsch, die größere Insel hat in unserer Wahrnehmung gewonnen. Dennoch gilt auch Kythira als Geburts- bzw. Landungsort der schaumgeborenen Schönheitsgöttin).
Nun ist das mit dem Einschiffen von der Peloponnes aus überhaupt kein Problem, denn täglich verkehrt ein größere Fähre, die „Porfyrousa“ zwischen Neapoli/Lakonien und Diakofti, dem Hafen von Kythira. Von Piräus aus ist es schwieriger, aber nicht unmöglich, dank der uns von den Dodekanes wohlbekannten und geschätzten „Vitsentzos Kornaros“ der LANE-Lines. Zwei bis drei Mal die Woche steuert sie über Kythira nach Kreta, braucht fast sieben Stunden nach Diakofti dafür ohne vorher woanders anzulegen.
Passte uns nur fahrplantechnisch gar nicht in den Kram.
Und der Hafen der Liebe war auch nicht soo dringend erwünscht…
Dann eben der Flieger, Olympic Air fliegt fast täglich von Athen nach Kythira, 70 Euro pro Person, nicht wirklich ein Preisschlager, aber gerade noch im Rahmen. Dank eines frühen Fluges mit Germanwings ab Stuttgart sogar ohne Zwischenübernachtung in Athen möglich, Ankunft in Athen um 9.30 Uhr, Weiterflug um 12 Uhr. Den Rückflug nach Stuttgart buche ich ab Iraklio.
Kythira also. Weniger profunde Kenner der griechischen Inselwelt müssen erst mal nachgucken wo das ist. Kythira gehört historisch zu den ionischen Inseln (dank Venedig), verwaltungstechnisch aber zu Piräus, also Attika. Dabei liegt die Insel nur einen größeren Katzensprung vom östlichen Finger der Peloponnes (Lakonien), entfernt und drei Fährstunden nördlich von Westkreta.
Eine Insel zwischen allen Stühlen.
Ich liebe sowas.
Außerdem soll Kythira (auf Griechisch τα Κύθηρα, also Plural sächlich, warum auch immer…) noch eine eher ursprünglich gebliebene Insel sein (das Magazin GEO Spezial „Griechische Inseln“ von 2002 empfiehlt Kythira neben Skyros und Syros unter der Rubrik „Urgriechisch“), geprägt von etwas Landwirtschaft und mit Kykladenflair. Klingt vielversprechend. Italiener kommen gerne im Sommer (wohin in Griechenland kommen sie eigentlich nicht?), und im Ausland, vor allem in Australien (= Big Kythera, hier ein Link: www.kythera-family.net ) soll es zwanzig Mal so viele Kythirer (Kythirioten?), vielmehr Nachkommen von Kythirern geben wie auf Kythira (da sind es gut 3.000) – alle ausgewandert (kennen wir in kleinerem Umfang auch von Kastellorizo, Karpathos, Kassos – immer diese K-Inseln). Im August kommen sie zu Besuch, dann ist die Insel komplett ausgebucht. Nun, wir kommen im September und hoffen auf Ruhe und Nachsaison. Aber nicht zu sehr – kein Erikoussa-Problem bitte!
Natürlich habe ich auch mit einem Besuch der Insel Antikythira geliebäugelt, irgendwie muss man seine Nissomanie ja ausleben. Aber die Fährverbindungen sind nicht so toll, kommen nächtens an oder erlauben nur einen halbstündigen Aufenthalt (das ist selbst mir als Inselsüchtige zu wenig), und ob von den 50 Bewohnern einer in der Nach-Nachsaison noch ein Bett für uns hat? Oder es überhaupt etwas zu essen gibt? Der Hafen ist durch seine Nordlage außerdem den Winden sehr ausgesetzt, was leicht dazu führen kann, dass die Fähre nicht anlegen kann. Den Ausschlag gegen Antikythira gab aber letztendlich die Entscheidung, uns am 24. September das große Panigiri in Panagia Myrtidiotissa auf Kythira anzusehen. Wenn wir anschließend noch etwas von Kreta haben wollten (und das wollten wir, auch wenn eine Woche da sowieso viel zu wenig ist), dann fiel Antikythira eben flach. (Kleiner Tipp am Rand: von Kastelli/Kissamos aus erlaubte der Fährplan der „Vitsentzos Kornaros“ 2010 donnerstags einen Tagesausflug nach Antikythira!)
Oberflächliche Informationen über Kythira gibt es im Internet reichlich (zig Kythira-Sites in allen Schreibvarianten, sehr verwirrend, brauchbar unter anderem diese hier http://www.kythera.gr/ ), in Reiseführern aber kaum. Ich hab ein paar Seiten aus dem Michael-Müller „Peloponnes“ kopiert (im MM „Griechische Inseln“ kommt Kythira nicht vor, zu unwichtig? Kein schlechtes Zeichen!), und für die Sehenswürdigkeiten den uralten „Griechische Inseln 2 – Westägäis“ von Schroeder/ Lehmann gefunden. Außerdem hab ich von Theo die Skaï-Karte „Kythira“ (2009) geschenkt bekommen (danke, Theo!!), die erweist sich als sehr gut und hat auf der Rückseite ebenfalls Hinweise (in Griechisch und Englisch) und sogar einige spärliche Wandertipps.
Erfahren hab ich ebenfalls, dass es so gut wie keine öffentlichen Busse auf Kythira gibt. Ohne fahrbaren Untersatz kann man Kythira vergessen, die Insel ist immerhin 280 Quadratkilometer groß, knapp 20 Kilometer breit und 30 Kilometer lang. Ein Mietauto muss also her. Auf der Seite http://www.kythira.info finde ich eine Liste der Anbieter und miete einen Fiat Panda für 20 Euro am Tag (ohne Kasko-Versicherung, ist dort nicht möglich) bei Drakakis (bei Active hätte ich für Vollkasko mit 450 Euro Eigenbeteiligung 10 Euro am Tag extra gezahlt, Panagiotis hat auch keine Vollkasko-Versicherung). Das Auto bekommen wir an den Flughafen gebracht und können es am Hafen zurückgeben, kein Problem. Anzahlung oder so ist auch nicht nötig.
Es kann los gehen.
Der Flieger landet pünktlich in Athen, der Flug mit Germanwings war ok, das im „Best“-Tarif enthaltenen Schokocroissant war allerdings kein Highlight (das Muffin auf dem Rückflug war die bessere Wahl, das Knäckebrot ist auch gruselig), aber Hauptsache, günstig dort. Das Gepäck ist schnell da, wir flitzen zum Check-In für den Weiterflug, wollen Theo am Gate treffen. Das klappt, aber die Zeit ist knapp, reicht kaum für ein Pläuschchen. Theo im Skaï-Karten-Kauf-Rausch, hoffentlich lassen sie ihn auf Leros wieder gehen…. ;-)
Die Propellermaschine nach Kythira ist gut belegt, aber nicht voll (das wären 35 Plätze). Ich hab einen Fensterplatz auf der linken Seite, mit Blick auf Lavrio, Makronisos und Agios Giorgos, und später in der Ferne die Kykladen, Kithnos, Serifos, Milos. Weil es im Flugzeug recht laut ist und der Druckausgleich nicht funktioniert (die Flughöhe ist ja nicht hoch) ist der Flug eher unangenehm. Schade....
Für ein Getränk und Nüsschen reicht die Zeit allemal.
Einen Blick auf den Hafen in Diakofti kann ich werfen, und auf die grüne Macchia-Oberfläche, dann landen wir nach einer Dreiviertelstunde Flug auf Kythira. Zu Fuß zum Flughafengebäude, da gibt es doch tatsächlich ein funktionierendes Gepäckband, da schau an, und die Trolleys sind auch gleich da.
Ebenso eine Dame vom Mietwagenverleiher, schnell die Formalitäten, der Tank ist voll (es war ja wieder von LKW-Streiks die Rede gewesen, hatte schon Befürchtungen gehabt benzintechnisch auf dem Trockenen zu sitzen), wir sollen Bescheid sagen wann und wo wir das Auto zurückgeben wollen (in der Nacht von Freitag auf Samstag am Hafen), ein Büro des Verleihers ist in Livadi unweit von Chora, unserem geplanten Standquartier.
Als wir losfahren, sind die meisten anderen Leute schon weg und wir alleine. Die Straße ist leer, sie führt zunächst auf einer kargen und kaum besiedelten Hochebene nach Westen und trifft in der Inselmitte auf die Hauptverkehrsachse Potamos – Chora, der wir nach Süden folgen. Nun reihen sich Weiler an Weiler, viele Orte haben endlose Namen, die mit Vorliebe auf –adika oder -anika enden: Friligianika, Aroniadika, Kondolianika, Kalisperianika, Logothetianika. Venezianisches Erbe oder ionische Gewohnheit? Wir kennen das vom Vorjahr auf Othoni und Paxos. Die Anzahl der Dörfer überrascht uns, tatsächlich gibt es auf Kythira über fünfzig Ortschaften, auf die sich die rund dreitausend Einwohner verteilen. Und die meisten Dörfer liegen auf der Hochebene im Inselinneren, nur wenige befinden sich an der Küste.
Wir wollen nach Chora, das ganz im Süden auf einem Felsen liegt, 150 Meter über dem Meer. Vom Inselhauptort versprechen wir uns kykladisches Flair, griechisches Leben (Hauptort eben, geöffnete Tavernen) und eine schöne Aussicht (auf die alte Burg und das Meer). Etwa 25 Kilometer sind es vom Flughafen dorthin, wir lassen uns Zeit und die Insel auf uns wirken. Das Wetter ist toll, fast schon zu warm, wir müssen uns erst noch akklimatisieren. Der erste Eindruck: Kythira ist mit keiner anderen Insel vergleichbar die wir kennen. Eher erinnern uns die hohe Phyrgana, die Felsen, die Vegetation an Südfrankreich. Der Straßenbelag samt Löchern ist aber echt griechisch.
Beim ersten Fahren zieht sich die Strecke durch die Hochebene bis Livadi, so viele Eindrücke. Ab Livadi wird die Straße schmaler, geht leicht abwärts, schlängelt sich an einem Felsen entlang durch ein Tälchen. Dann sind wir in Chora und parken am Ortseingang an der Platia, Quartiersuche steht an.
Im Vorfeld hatte ich einige Quartiere angefragt, das schicke „Lolovos“ war uns aber mit 70 Euro zu teuer, dito das Hotel „Margarita“. Brauchbar erschien mir „Papadonikos Rooms“, die Telefonnummer hab ich für alle Fälle dabei. Von der Platia geht eine schmale Straße Richtung Kastro, wir folgen ihr, vorbei an einem Café, einigen Souvenirläden und einem Supermarkt. Dann durch ein Tor, eine Kirche, noch ein Tor. Keine Hinweise auf Zimmervermietung. Kurz vor der Burg kehren wir um – da ist nix. So was.
In einer Seitengasse dann eine sehr schöne Appartementanlage: „Corte O“, aber niemand da, sehen unbewohnt aus. Eine Telefonnummer, ich rufe an: es ist alles ausgebucht! Wo sind dann bloß die Leute? Hätte aber vermutlich eh unser Budget überschritten.
Wir suchen weiter, stoßen auf die Anlage „Papadonikos“ – sieht schön aus, mit Burgblick, wie ich wollte. Auch hier niemand da, samstagnachmittags um 14 Uhr. Ich rufe bei der Telefonnummer an, es meldet sich niemand. Daneben liegen die Zimmer „Kastelli“, auch sehr nett anzusehen. Am Eingang steht ein Telefon, ein altes mit Wählscheibe, und eine Telefonnummer, die man anrufen soll. Ein Anrufbeantworter nennt eine weitere Telefonnummer, auf Griechisch, so schnell hab ich weder was zu schreiben noch verstehe ich die Nummer. Nochmals also, die Nummer mitschreiben, anrufen – Unverständliches schallt aus dem Hörer. Mhh, und nun? Wir stehen noch ratlos herum als plötzlich mein Handy klingelt. Unbekannte Nummer – wer ruft denn nun an? Ein Grieche ist am Apparat, ich hätte ihn angerufen. Wir würden ein Zimmer suchen in Chora, wären jetzt dort. Er komme gleich, fünf Minuten. Kurz darauf ist er mit dem Motorroller da, stellt sich als Stavros vor (mit ihm hatte ich eMails ausgetauscht) und zeigt uns ein zweckmäßiges Zimmer (nicht in der Anlage, da wäre alles voll) mit Kochecke und riesiger Terrasse ganz oben im Ort. 35 Euro pro Nacht soll es kosten, wenn wir länger als vier Nächte bleiben, dann 30 Euro. Wir wollen bis Freitag bleiben, also sechs Nächte, und sind einverstanden. Von der Dachterrasse hat man einen tollen Blick auf die Burg, genau was ich wollte. Und von der Straße nach Kapsali können wir recht nahe an das Haus herfahren, vor dem Haus des Metropoliten sollen wir parken, bei den Fahnen. Das Leitungswasser könnten wir übrigens gut trinken, sagt uns Stavros noch.
Wir holen Auto und Gepäck, richten uns häuslich ein und liegen erst mal ein wenig ab, zollen der kurzen Nacht Tribut.
Später fahren wir nach Kapsali hinunter, wollen ans Meer. Es ist nur ein Katzensprung, zwei Kilometer laut Karte, geht aber gut bergab. Wir parken das Auto und gehen nach links, landen an östlichen der beiden Buchten. Hier ist eine kleine Marina mit Fischerbötchen, rechts hinter der nächsten Bucht wächst der Burgberg von Chora empor mit der Ruine drauf, sieht sehr eindrucksvoll aus! Weiter rechts in einer Felsenwand zwei weiße Häuschen, verbunden mit einer weiß getünchten Treppe: die Höhlenkapelle des heiligen Johannes. Da wollen wir mal rauf, aber nicht heute…. Hinter dem Fischerhafen liegt ein merkwürdiges sandgelbes Gebäudeensemble mit üppig bewachsenem Innenhof, erinnert an eine Karawanserei. Leider kann ich nicht feststellen um was es sich handelt, ein ehemaliges Kloster womöglich? (Inzwischen weiss ich es: es handelt sich um eine ehemalige Leprastation.)
Einmal bis zum Ende des Anlegers, dann wieder zurück, und zur anderen Bucht. Zwischen beiden Buchten liegt ein Doppelhügel mit Leuchtturm und Kapelle drauf, sehr malerisch.
Der Strand sieht sehr schön aus, grobsandig, mit Sonnenliegen in Maßen, dahinter jede Menge Tavernen und Cafés die Paralia entlang. Entspannte Samstagnachmittagsatmosphäre. Kaffee wäre nicht schlecht, und weil es im „Sirokali“ auch Galaktobureko gibt, muss das natürlich auch noch sein. Lecker!
Vor der Bucht, vielleicht vier, fünf Kilometer im Meer entfernt liegt ein markanter hoher Felsen, das „Ei“ (to avgo). Eine große Höhle soll sich darin befinden, mit dem Boot kommt man eventuell hin.
Wir wundern uns gerade, dass so viele aufgetakelte Leute an uns vorbei nach Osten streben, dann merken wir: bei der Kapelle findet eine Feier statt, Taufe oder Hochzeit. Das sehen wir uns später noch von nahem an. Es handelt sich um eine Hochzeit, das Brautpaar kommt gerade mit dem Auto, wandert hinauf zur Kapelle. Da wollen wir doch lieber nicht stören, und fahren wieder nach Chora hinauf.
Auf dem Balkon genießen wir bei Abendrot unseren Ouzo und den Blick auf die Burg und über die Dächer der Chora. Dann geht es auf Tavernensuche. Eine Pizzeria „Belvedere“ wird überall beworben, und an der Taverne „Zorbas“ sind wir vorhin vorbeigekommen. Das scheint es auch gewesen zu sein, an der Platia gibt es nur zwei Kafenia/Cafés, nichts für den größeren Hunger.
Also ins „Zorbas“. Obwohl es noch warm ist, sitzen wir lieber rein, es zieht durch die Gasse. Leider ist die Taverne ein Psistaria und auf der Karte stehen neben den obligatorischen Vorspeisen nur Gerichte vom Grill. Schade, wo wir Geschmortes aus dem Ofen so lieben. Der Tomatensalat, der Käsesalat, die Seftalies (zypriotische Hackfleischwürste ähnlich Cevapcici) und die Loukanika sind aber sehr gut, genauso der Rotwein, und mit 24 Euro Endrechnung liegt alles preislich sehr im Rahmen. (An dieser Stelle muss ich mal loswerden, dass das Berechnen des Gedeckes seit einigen Jahren in Griechenland verboten ist. Berechnet werden darf lediglich das Brot, die Preise liegen meiner Erfahrung nach zwischen 60 Cent und einem Euro pro Person. Da darf es dann auch ruhig mal Nachschlag sein wenn das Brot nicht reicht). Am Nachbartisch doch auch noch ausländische Touristen, und eine Parea Einheimischer, die wir die nächsten Abende hier oder in der anderen Taverne wiedersehen werden. Essenstechnisch ist Kythira/Chora klein….
Das Kastro ist abends angestrahlt, und unten in Kapsali zeichnen sich die Buchten als Lichterreihen ab. Musik dringt herauf, bestimmt von der Hochzeit. Wir sind aber sooo müde, können den Dachterrassenblick nicht lange genießen, der Schlaf übermannt uns.
Und morgen können wir nicht lange schlafen, wir wollen nämlich nach Potamos auf den Markt.