Kallithea + Archangelos

Es ist noch nass draußen am Samstagmorgen. Ich war beim Bäcker und habe frische Spanakopitta und Schokoladenkekse gekauft, die unser Frühstück bereichern. Geht es uns gut!

Dann machen wir uns an die Tagesplanung: zuerst zum Wochenmarkt am Friedhof in der südlichen Neustadt. Danach nach Kallithea, Archangelos und vielleicht Epta Piges. Mal sehen, wie sich das zeitlich ausgeht.

 

Wir müssen etwas suchen bis wir den Markt im Stadtviertel Agios Nikolaos am Leof. Kallitheas finden. Viele Straßen hier sind Einbahnstraßen, und zuerst sind wir auch nicht südlich genug. Dann ist Parken aber kein Problem, wir stellen das Auto gegenüber den Kriegsgräbern aus dem Zweiten Weltkrieg ab.

Der Wochenmarkt hier ist wesentlich größer als der am Koskinou-Tor, und samstags strömen auch die Leute. Bei der Auswahl an frischem Fisch und Gemüse ist es schon fast schade, dass wir uns nicht selbst verpflegen und hier einkaufen können. Auch die Berge an Orangen, Zitronen und anderen Zitrusfrüchten - kinderkopfgroße Zedratzitronen und knubbelige Bergamotten - beeindrucken uns. Bei manchem Angebot rätseln wir, um was es sich handelt, und müssen nachfragen. Etwa bei den fingerlangen Avocados, die uns an kleine Gurken erinnert haben. Ein Glas mit Thymian-Honig von Chalki wandert in meine Tasche, ein gutes Mitbringsel. Und bei der Herkunft von Chalki kann man auch sicher sein, dass es wirklich Thymian ist - sonst wächst dort nicht viel.

Plötzlich erblicke ich ein Stück vor mir eine Frau in Karpathos-Tracht. Ja, klar, die Karpathioten verbringen die Winter oft im lebendigeren Rhodos, viele haben hier Zweitwohnungen. Und kenne ich diese großgewachsenen Frau nicht? Sie ist älter geworden, die Haare, soweit unter dem Kopftuch sichtbar, grauer. Aber wenn das nicht Rigopoula ist? Und den Gatten hat sie auch dabei. Ich bin zu schüchtern, sie anzusprechen, und ärgere mich wenig später darüber. Natürlich erkennt sie mich nicht mehr - es ist 15 Jahre her, dass wir bei ihr gewohnt haben. Und ohne ihr etatmäßiges Umfeld, in dem immer alle "wiedererkannt" werden, und man nicht weiß, ob das einfach geschäftiger Routine entspringt, oder tatsächlichem Wiedererkennen geschuldet ist. Ich muss unbedingt mal wieder nach Karpathos, denke ich.

Die Nähe zu Kreta drückt sich in einem Stand aus, der Öl, Tsikoudia und Honig verkauft. Und offenbar mögen auch die Rhodier Schnecken, denn diese sind ebenfalls im Angebot. Hier fällt uns der Verzicht leicht. Und bei den Wühltischen mit Klamotten.

 

Nach dem Marktbummel bewundern wir zunächst die beiden Männer, die Scheiben eines großen Baumstammes zu einem Ape-Dreirad rollen und verladen. Dann sehen wir uns noch die Kriegsgräber an. Immer die jungen Leute (hier überwiegend aus Australien), die den Größenwahn der Alten ausbaden müssen. Fürchterlich. Und die Menschheit wird nicht klüger.

 

Von der Südstadt nach Kallithea ist es nun nur noch ein Katzensprung. Die Sonne hat sich endgültig gegen die Wolken durchgesetzt. Wir stellen das Auto nahe der Einfahrt zu den Thermen von Kallithea ab, wo sich eine große Schar erwartungsvoller Katzen versammelt hat - sie werden hier gefüttert. Eine schwarze Katze beschließt, uns in die Thermen zu begleiten und meine Fotos zu akzentuieren.

 

Die Kallithea-Therme wurden Ende der 1920-Jahre von den Italienern (natürlich, Architekt Pietro Lombardi) gebaut, und zwar im orientalischen Stil (oder was man sich darunter vorstellte). Man kann sich schon fragen, ob die Einheimischen in dem letzten hundert Jahren auch mal etwas besonderes erbaut haben außer hässlichen Großhotels. Die sechs schwefelhaltige Heilquellen - gut gegen Rheuma, Nieren- und Blasenleiden sowie chronische Verstopfung - waren schon in der Antike bekannt, wurden aber durch ein Bombardement im Zweiten Weltkrieg leider verschüttet. Danach dienten die Ruinen als Filmkulissen ("Die Kanonen von Navarone") und gammelten später vor sich hin. Zu Beginn der 2000er-Jahre entschloss man sich, die Thermengebäude zu renovieren, 2007 wurden sie wiedereröffnet, allerdings nur als Gebäudeanlage, nicht als Spa. Wer baden will, muss an den nahen Strand, der natürlich mit entsprechender Infrastruktur versehen ist.

Schade, wir hätten auch ohne Verdauungsbeschwerden gerne etwas heilend-wärmende Wellness genossen (man muss das Wasser ja nicht zwingend trinken), aber dass die Thermen nicht mehr in Betrieb sind, wussten wir natürlich vorher.

 

Das schmucke Tor zur Anlage ist geöffnet, die Anlage hat trotz Nichtbetriebes Öffnungszeiten und kostet den Wintereintritt von zwei Euro 50. Der junge Mann vom Tickethäuschen ist irgendwo in der Nähe beschäftigt und eilt herbei um zu kassieren. Wir sind wohl die einzigen Besucher heute, von den Katzen abgesehen, die gratis reindürfen.

 

Vom Brunnenrondell mit dem doppelten Eingangstor geht es über Kieselsteinmosaikboden (Chochlaki) in Stufen hinab Richtung Meer. Hier trifft man auf ein hübsches weißes Pavillon mit einem blauen Sternenhimmel. Im Becken am Boden steht aber das Regenwasser. Oder ist es ein Rest Thermalwasser? Ich verzichte auf eine Geschmacksprobe, und der Wasserstand reicht allenfalls zum Fußbad.

 

Dahinter liegt in einer hübschen und palmenbestandenen Parkanlage eine schmale Felsenbucht, deren Ränder in der Saison mit Schirmen und Liegen bestanden sind. Das Meer sieht heute kalt aus, und ich verschiebe mein sowieso nicht für heute ernst gemeintes Badevorhaben.

Durch den Park gehen wir zum Hauptgebäude auf der südlichen Anhöhe hinauf. Ein flaches weißes Gebäude mit runden Grundriss und voller Arkaden, Durchbrüchen, Brunnen und Räumen. Wunderschön das Schuppenmuster (oder sind es Busen?) auf dem Chochlaki-Boden. Die schwarze Katze, die sich zwischenzeitlich mit einer anderen gezofft hat, setzt hübsche Akzente darauf.

 

Fotos an den Wänden der Rotonde zeigen historische Aufnahmen aus den Zeiten des Faschismus, als Kallithea ein mondäner Kurort war. Eine Videoprojektion zeigt die Präsenz der Thermen im Filmen, Serien und der Werbung. Ja, das ist wirklich eine erstklassige Kulisse, die uns gut gefällt.

Und offenbar als Hochzeitsort gut gebucht ist: ein Raum enthält alleine fünf verschiedene Traubogen. Vermutlich muss früh buchen, wer hier heiraten will.

Wir lassen uns vom Ambiente verzaubern und schlendern durch die lichtdurchfluteten Räume. Schön, diese ohne Bade- und Hochzeitsrummel erleben und sehen zu können.

Es ist dann schon Mittag geworden. Wir verlassen die Thermen und drehen eine Schleife durch Koskinou, dessen neoklassizistische Häuser interessant sein sollen. Erschließen sich aber nicht im auto-flüchtigen Besuch, und so fahren wir zügig weiter nach Archangelos, und ein Stück darüber hinaus. Wir würden nämlich gerne vom südlich gelegenen Berg Profitis Ilias (516 m, nicht zu verwechseln mit dem bei Salakos) einen Blick auf Stadt und Küste werfen. In meiner Anavasi-Karte (Ausgabe 2019) ist die Straße durchgehend befestigt eingezeichnet, aber tatsächlich ist das nicht der Fall: schon nach ein paar hundert Metern endet die Ausbaustecke und geht in einen Feldweg über. Wir fahren nicht weiter, bewundern und fotografieren aber die endlich gesichteten Kronen-Anemonen, ehe wir umkehren. Dann eben rein nach Archangelos, dem zweitgrößten Ort auf Rhodos (7500 Einwohner), wo sich deshalb auch ein geöffnetes Speiselokal finden müsste. Vorher möchten wir aber noch hoch zum Johanniterkastell, dass den Ort überragt. Wir folgen mit dem Wagen der Ausschilderung, stellen ihn schließlich ab bevor wir aus dem Ort wieder herauskommen, und gehen zu Fuß weiter.

Eine gute Wahl, den am Weg hinauf finde ich so zwei wunderbare Dreiräder, die offenbar einem PASOK-Anhänger gehören. Oder gehörten, denn die Beschriftung bezieht sich auf Andreas Papandreou 1974, und das ist ja schon eine Weile hier. Passend, dass dem Fahrzeug die hintere Achse fehlt. Womit es strenggenommen gar kein Dreirad mehr ist ...

Zur Burgruine ist es nun nicht mehr weit. Auch sie wurde, wie viele rhodischen Festungen, an der Stelle einer antiken Akropolis erbaut, im 15. Jahrhundert.

Hoch über dem Ort prangt auf der Außenmauer neben dem Wappen der Orsini und einem riesigen Kreuz groß ein "OXI". Es soll während der Militärdiktatur dort angebracht worden sein, und wird seitdem regelmäßig erneuert. Nach einer anderen Version wurde der Schriftzug erst nach der Junta angebracht, als die Griechen im November 1974 darüber abstimmten, ob sie in einer Monarchie oder einer Demokratie leben wollten. Was 70 Prozent mit einem Votum für die Demokratie entschieden.

 

Von der Burg selber steht wenig mehr als die Außenhülle. Die ziegelgedeckte Kapelle Agios Ioannis kauert sich in den Boden hinter der Mauer, und ist geöffnet. Ihre Glocke, die an einer Art Galgen über dem Eingangstor baumelt, ist aus einer Granate angefertigt.

Ich gehe auf der leicht ansteigenden und grasgrünen Plattform zum hinteren Teil der Burg, zwänge mich durch einen schmaler Ausstieg und habe so einen Blick auf eine Hochebene, die von schroffen Bergrändern zur Küste hin begrenzt wird. Barbara ist inzwischen zur Aussichtsplattform nahe dem Eingangstor gestiegen. Schöne Aussicht über Archangelos und das Hinterland.

So, und nun braucht mein Magen dringend etwas zu essen! Auf den Treppenstufen steigen wir ins Ortzentrum hinab, Wegmarke ist der filigrane weiße Turm der Archangelos-Kirche. Der Erzengel Michael ist Namensgeber des Ortes und der Kirche aus dem Jahr 1845. Die leider verschlossen ist - Mittagspause. Der Kieselsteinmosaikboden des Kirchhofes ist leicht grünlich überwachsen, aber das Motiv eines Ebers gefällt mir trotzdem.

 

Die Taverne "Mavrios" ist nicht weit entfernt, geöffnet, und auch tagsüber von Einheimischen frequentiert, die uns mit einem grüßenden Kopfnicken zur Kenntnis nehmen. Der Wirt ist nicht so recht zufrieden damit, dass wir uns nur für einen griechischen Salat und Pommes entscheiden, aber als wir den Salat serviert bekommen, sind wir froh über unsere Wahl: Es scheint ein inselinterner Wettbewerb stattzufinden, wer den größten griechischen Salat anbietet. Und der hier liegt gut im Rennen. Die Portion Pommes will da nicht nachstehen, so dass wir das Bauernbrot fast unberührt lassen müssen. Mit 16 Euro für Essen und zwei Limos liegt das Lokal auch preislich gut. Und wir können entspannt das Treiben in dem lebhaften Ort beobachten. Etwa das komplizierte Einparken eines LKW, der den gegenüberliegenden Supermarkt versorgt.

Sollen wir nun noch wandern? Nach Epta Piges? Hin und zurück wären das zehn Kilometer - etwas viel für einen fortgeschrittenen Winternachmittag. Also fahren wir mit dem Auto hin. Auf der Hauptstraße nach Norden bis Kolymbia, dann links noch ein paar Kilometer durch den Wald.

Epta Piges ist in der Saison ein gefragtes Ausflugsziel, und in heißen Sommern ist es hier bestimmt eine erquickende Oase: Ein im Wald liegender Bachlauf, der mehr oder weniger dezent aus mehreren Quellen gespeist wird. Prompt hat es auch hier wieder reichlich Pfauen (und Gänse), und die Taverne hat heute, am Samstag, auch geöffnet.

Als Mitteleuropäerin empfinde ich das Ensemble von Wald und Bach als wenig spektakulär, aber wir machen uns auf die Suche nach den sieben Quellen. Teilweise sind sie durchnummeriert, aber nicht alle sind mit Sicherheit bestimmbar.

Dann folgen wir dem Bachlauf, der nach kurzer Zeit kanalisiert wird und in einem 182 Meter langen Tunnel verschwindet. Man könnte gefahrlos durchwaten, aber so nasse Füße brauchen wir dann doch nicht. So steigen wir über einen Hügel und entdecken auf der anderen Seite einen blaugrünen Stausee, in den der Tunnel mündet. Oder vielmehr das Wasser. Auch hier waren wieder die Italiener in den 1920ern tätig, bauten Tunnel und Stausee und bewässerten damit die fruchtbare Ebene von Kolymbia. Wir gönnen uns einen Elliniko in der Taverne "Epta Piges", die mit mehreren Kühlschränken mit dry aged Fleisch beeindruckt. Mich allerdings eher negativ, aber ich bin ja auch kein Gourmet.

Für die Rückfahrt wählen wir eine Route im Landesinneren, über Archipoli und Psinthos. Am Anfang verläuft die Straße im Wald, aber hinter Psinthos wird es offener, kärger. Auch die Auswirkung eines Waldbrandes im August 2021 sind noch zu sehen. Weil es hier auch eine Kaserne gibt, traue ich mich nur verhalten zu fotografieren, aber wir bekommen kein Militär zu Gesicht. Dafür wieder Damwild im Gebüsch am Straßenrand, dieses Mal ein Hirsch.

Über Maritsa landen wir schlussendlich wieder an der Westküstenstraße und nach halb sechs wieder in Rhodos-Stadt. 102 Kilometer haben wir dem Tacho heute hinzugefügt.

Die Restaurantauswahl fällt uns inzwischen etwa schwer - etwa Neues tut sich nicht auf. So gehen wir ins "Avli", wo wir am ersten Abend vor einer Woche schon waren. Es ist ähnlich viel los. Wir bestellen Schweinefleisch süß-sauer, Fenchelpitta und Zucchinibällchen. Ist in Ordnung ohne herausragend zu sein.

Und morgen ist dann schon unser letzter Tag mit Auto. Ich will nochmal Richtung Süden.