Das Panigiri bei Chrissopigi

Um Viertel nach vier stehe ich vorne an der Platia, wo der Bus nach Kamares abfährt. Ein älteres Paar wartet dort, und ein dicker SUV mit verspiegelten Scheiben. Zwei junge Frauen in Tracht verschwinden Richtung Steno. Sonst passiert nichts.

 

Es wird halb fünf, da kommen noch ein paar Leute. Alle ziemlich herausgeputzt. Und ein Touristenpaar in kurzen Hosen. Und die Polizei im Auto. Eine Frau bringt zwei Laibe Artos-Brot.

 

Und dann kommt auch der Bus. Er hält direkt vor mir. Ich frage den Busfahrer, ob er nach Kamares fährt, und er bejaht. Ich steige ein, setze mich in die erste Reihe.

Dummerweise ist mir völlig entgangen, dass auch eine Prozession mit der Chrissopigi-Ikone angekommen ist und mit dem Bus talwärts will.  Alles drängt in den Bus, die Ikone auch, und ihr gebührt logischerweise die erste Reihe. Und ich komme da nicht mehr raus und nach hinten, wie es sich gehört. Peinlich, peinlich.

Ich rutsche schnell rüber und ein korpulente Frau mit edler Seidenbluse setzt sich neben mich, die blumengeschmückte Ikone im Schoß. Die weitere Prozession folgt: Pappades unter Gesang, Kinder mit Vortragkreuzen, Männer mit Fahnen, Frauen mit Brot. Schnell ist der Bus rappelvoll, und es geht talwärts. Das Polizeiauto mit Blaulicht voraus, und alles mit den Tonspur des Kirchengesanges, der vor allem von einem Pappas kommt, der in der Reihe hinter mir sitzt.

Ich versuche, mich während der zehnminütigen Fahrt so unsichtbar wie möglich zu machen.

In Kamares hält der Bus am Ortseingang, und ich kann aus ihm flüchten. Nach der Prozession natürlich.

Und nachdem sich der Prozessionszug wieder aufgestellt hat, geht er vor zur Hauptkirche Agios Georgios an der Paralia, in der die Ikone samt Anhang verschwindet. Diverse Männer von der Marine in Uniform sind auch dabei, und halb Kamares und Sifnos.

Ich treffe Dimitrios, der mir das umfangreiche geistliche Personal erklärt: der Abt von Kloster Vrisses, ein Mönch vom Kloster Theologos, zahlreiche Pappades - klar, bei 365 Kirchen braucht man die. Und die ganz hohen Geistlichen, die kommen erst noch mit der Fähre: Der Metropolit von Syros mit diversem Gefolge. Ein Metropolit kommt selten allein, und er wird auch noch andere hohen Geistliche mitbringen. Da ich mich mit griechischer Geistlichkeit wenig auskenne, entgehen mir die Details.

 

Nun warten wir aber auf die Fähre, den "Speedrunner 3" von Aegean Speed Lines. Das Schiff gehört der Reederfamilie Vernik/cos-Eugenides, die sich auf Sifnos zugehörig fühlt und auch das Luxushotel "Elies Resort" in Vathy betreibt. Da ist es natürlich Ehrensache, dass der "Speedrunner 3" auch dieses Jahr der Überbringer der Ikone sein wird. Das Ganze findet aber durchaus im Rahmen einer Linienfahrt statt, auch wenn der Fährplan für diesen Tag entsprechend geändert wurde und der Kurs heute ausnahmsweise schon in Milos endet.

 

Dimitrios und ich erklimmen das Wartehäuschen am Fähranleger als der "Speedrunner 3" mit etwas Verspätung um die Ecke biegt und eine sehr große Zahl an Passagieren an Land entlässt.

Darunter, mit respektvollem Abstand zu den normalen Reisenden, auch zahlreiche "Schwarzkittel" samt den bischöflichen PKW. Das wartende Dutzend Kleriker in windaufgebauschten Gewändern gibt ein schönes Bild ab. Und das sind noch gar nicht alle, denn von rechts nähert sich nun der Zug mit der Ikone und nochmals sieben oder acht Geistlichen, festlich geschmückt mit Stolen.

 

Vorne am Anleger treffen die beiden Gruppen aufeinander. Große Begrüßung, dann wird die Ikone von der Pangiras-Familie an einen der Geistlichen - den Metropoliten? - übergeben. Nun geht es an Bord, wo die Ikone erneut weitergegeben wird, an einen Herren der Besatzung. Bestimmt der Kapitän. Viel Ehre.

 

Die Familie des Pangiras geht mit zwei oder drei Geistlichen und den fahnentragenden Kinder und weiteren VIPs an Bord, und die Fähre legt ab. Umkreist vom Motorboot des unermüdlichen Töpfers und Frauenhelden Adonis, der mich leider nicht auf seinem Boot mitnehmen wollte, wie Dimitrios vorgeschlagen hatte. Der Schwerenöter wollte sich und mich nicht in Verlegenheit bringen ("in nine months, you will get baby") und täuscht technische Probleme an seinem Boot vor. Auch recht.

Nun muss ich mich sputen, damit der Bus hinüber zur Panagia Chrissopigi nicht ohne mich fährt. Ich ergattere noch einen Stehplatz, und dann steht der Bus erst mal im Stau der Prozession, die nun zu einer auf vier Rädern wurde. Immerhin ist es windstill heute. Letztes Jahr konnte die Ikone nicht auf Schiff weil es zu stürmisch war.

 

Fast eine halbe Stunde brauchen wir auf die andere Inselseite, fast ein Wettlauf, denn der schnelle Speedrunner hat Sifnos' Süden schon umrundet und nähert sich der Klosterinsel.

Aufregung im Bus - es wird doch noch reichen?

Alles drängt nun schnellstmöglich hinaus.

 

Die Fähre fährt gerade hinter der Panagia Chrissopigi vorbei, mit einem guten Dutzend kleiner Boote im Schlepptau. Die Menschen drängen sich am Ufer, die Fähre schießt Leuchtraketen ab, über uns kreist eine Drohne.

Der Speedrunner dreht bei, umwimmelt von den Bötchen wie ein Glucke von ihren Küken, an Land werden Glocken geläutet, auf dem Schiff gehupt, es ist ein vollendetes Spektakel.

Es dauert dann etwas, bis an der Seite des Schiffes über eine Leiter die Ikone samt VIPs erscheint und auf ein großes Kaiki gebracht wird. Nochmals Böller, Glockenläuten, Schiffshupen - Feiern auf Griechisch!

Eine Blaskapelle der Marine ist auch zugange.

 

Das Kaiki fährt eine Runde um die Fähre und dann zu der Treppe, die von der Kirche der Panagia Chrissopigi zum Ufer hinabführt, auf der die Gemeinde mit den Geistlichen wartet. Die Fähre hat ihre Dienste getan und dreht letztmalig hupend ab, Kurs auf Milos. Halb sieben ist es inzwischen.

Auf der mit einem Teppich belegten Plattform hinter der Kirche der Panagia Chrissopigi findet nun der Gottesdienst statt. Die Ikone wurde an der Seite der Plattform aufgebaut, unter einem Baldachin, und eingerahmt von den beiden jungen Frauen in Tracht. Die Griechen werden hier alle vorbeidefilieren und die Ikone küssen, viele Sifnier werden im Laufe des Abends extra deshalb hierherkommen.

 

Auf der Plattform sind die Pappades in zwei Reihen aufgebaut: auf der einen Seite die Metropoliten (glaube ich zumindest) in drei Holzthronen (nein, nicht -drohnen), der mittlere (Metropolit und Thron) besonders schön. Gegenüber stehen die anderen Geistlichen, nun alle im Festornat. An der Stirnseite eine übergroße Reproduktion der Ikone, flankiert von den Vorsängern, und gegenüber die weltlichen Promis, Bürgermeister und Co.. Und die Gemeinde überall wo sie Platz findet. Und auch den Platz wechseln. Griechische Gottesdienste sind ja eh immer ein Kommen und Gehen.

Das Ganze dauert ziemlich lange. Gesänge unterschiedlicher Stimmlagen, nicht jeder ist der große Sänger, für den er sich hält. Aber das ist ja auch kein Konzert, sondern ein Gottesdienst.

 

Irgendwann wird dann der Tisch mit dem geweihten Brot gebracht und in die Mitte der Plattform gestellt. Und bei der Gelegenheit ist die kontaktfreudige Klosterkatze mitgekommen. Sie macht es sich zu Füßen des linken Metropoliten gemütlich und veranstaltet erst mal eine ausgiebige Katzenwäsche. Der Metropolit findet das, den bösen Blicken nach zu schließen, nicht so toll. Aber die Katze ist gegen böse Blicke immun. Nach der Wäsche rollt sie sich fröhlich hin und her, um dann eine zweite Ganzkörperwäsche anzuschließen. Da bleibt dem Geistlichen nur Ignoranz bis sich die Katze freiwillig trollt.

Die Sonne steht schon tief als der Gottesdienst dem Ende entgegen geht. Es gibt noch Reden, aber meine Geduld ist allmählich erschöpft und ich schlendere über die Klosterinsel. Überall sitzen die Leute und schwätzen. Deswegen ist man ja eigentlich gekommen. Da sind meine Vermieter, die sich freuen, mich zu sehen. "Tou chronou" wünschen sie mir, was mich zunächst irritiert, der ich "Chronia polla" erwartet hatte. Aber dieses "tou chronou" wird hier heute hundertfach ausgesprochen: nächstes Jahr. Gerne, ich werde sehen was sich machen lässt.

 

Aus großen Körben wird das geweihte Brot Artos verteilt. Es schmeckt süßlich und gut. Ich hab inzwischen auch echt Hunger, aber im Speisesaal werden nach Ende des offiziellen Teiles zuerst die Geistlichen und Promis bewirtet. Da heißt es warten. Die Musikkapelle hat sich verdünnisiert, und zu meiner Enttäuschung gibt es keine Live-Musik. So wenig wie jemand Wein ausschenkt. Also nehme ich noch ein Stück Artos, das einem geradezu aufgedrängt wird. Wer es mitnehmen will, bekommt gleich eine Plastiktüte dazu.

Wo ist eigentlich Dimitrios mit seinen Sprachschülern? Wahrscheinlich sind sie irgendwo essen, denn wer hier beim Panigiri essen möchte, der muss lange warten. Ich hab aber sonst nichts zu tun und reihe mich in die Schlange ein, die eher ein Haufen ist, von dem man nicht sieht, wie viele Menschen   noch um die Ecke am Eingang warten. Und blöderweise müssen immer wieder Toilettengänger durch, da die WC auch hier sind. Ein junger Franzose beschwert sich, bekommt aber postwendend die Antwort der Begleitung, dass er hat in ein Restaurant gehen soll wenn es ihm nicht passt. Recht so!

 

Ich schätze, dass ich über eine Dreiviertelstunde und drei Türöffnungen warten muss, bis ich endlich in den langen Speiseraum darf. Etwa dreißig Leute haben Platz an der langen Tafel. Es ist warm hier, und riecht nach Kichererbsensuppe. Von der habe ich schon einen Teller am Platz stehen bevor ich sitze. Nun heißt es reinhauen. Schmeckt sehr gut!

Ausgeschenkt wird dazu ein bernsteinfarbener Weißwein auf großen sifniotischen Krügen, mit einem Aroma von Sherry - vermutlich ein einheimisches Produkt. Mein Nachbar sorgt dafür, dass mein Glas immer voll ist - siga siga geht hier nicht. Nur das Mädchen mir gegenüber scheint nicht so auf Revithosoupa zu stehen, und alkoholfreie Getränke gibt es natürlich auch nicht. Nicht mal Wasser.

 

Kaum ist die Suppe gegessen, kommt der zweite Gang: geschmortes Lammfleisch mit Kartoffeln. Dazwischen wird immer wieder ein besteckklappernden Toast auf den Pangiras ausgebracht. Den kostet so ein Panigiri richtig viel Geld, 20.000 Euro können da schon zusammenkommen, meinte Dimitrios. Na, da klapper ich doch gerne. Danke!

 

Gerade mal etwas über eine Viertelstunde hat das wohlschmeckende und schweißtreibende Fast-Food gedauert. Ich bin froh, wieder draußen an der frischen Nachtluft zu sein. Halb elf ist es schon. Und da ist ja auch Dimitrios, der doch nicht Essen war (im Gegensatz zu seinen Schülern) und sich jetzt hungrig in die Reihe der Wartenden einreiht. Ich warne ihn vor der langen Wartezeit, aber er hat Glück: die Schlange hat sich inzwischen deutlich verkürzt.

Und ich habe genug gesehen. Nach einer Runde zum Taufstein, der jetzt natürlich nicht mehr mit Plastik verhüllt ist, gehe ich zum Bus, der dreiviertel gefüllt am Parkplatz wartet und kurz darauf hochfährt nach Apollonia. Jetzt werden auch die 1,80 Fahrtgebühr fällig, die ich gerne zahle.

 

Ein interessantes Erlebnis war dieses Fest. Und sehr griechisch.

 

Morgen findet noch ein Zug mit der Ikone durch die Dörfer statt. Und am Abend ein Konzert.

Aber ich will nochmals wandern. Ohne Ikone. Im Süden.