Heiliges Chaos und ganz viele Taubenhäuser

 

Wieder Tinos – nach 10 Jahren.

 

Tinos war meine erste griechische Insel. Nein, streng genommen waren dies Korfu und Kreta, aber im Rahmen einer Griechenlandrundreise blieb hier nur jeweils 1 Tag Zeit, und deshalb zählen sie nicht wirklich.

Aber über entfernt verwandtschaftliche Beziehungen war Tinos schon früh in mein Bewußtsein gerückt und eröffnete vor gut 16 Jahren den Reigen der zu sammelnden griechischen Inseln. 14 Tage, pauschal im Tinos Beach Hotel damals, weitgehend vom Meltemi verweht, und dennoch, die Saat war gelegt. Danach noch 2 weitere Besuche auf der Insel der Windes und der Maria. Auch schon wieder 10 Jahre her. Nun also wieder ein paar Tage Tinos im Anschluss an einen Andros-Aufenthalt, der die Kykladensammlung komplettierte.

 

Mit der „Superferry II“ (Andros-Tinos EUR 8,-)  der Blue Star Ferries ging die Anfahrt die Westküste von Tinos entlang. Eine Siedlung westlich von Kionia – Agios Romanos - sorgte für Verwirrung – sie muss erst in den letzten 10 Jahren entstanden sein, früher gab es da nichts. Dann die Ankunft im Hafen, jetzt noch weiter draußen, der ortsnahe Anleger wird nur noch für die kleinen Schnellfähren genutzt. Großzügig die Hafenanlage, und bei mehreren Fährankünften trotzdem schon wieder zu klein, vielleicht wird deshalb schon wieder gebaut?

 

Die Zimmervermieter sind aufdringlich wie sonst nur auf Naxos, fast mit Gewalt muss man sich einen Weg an ihnen vorbei bahnen. Nein, wir wollen kein Zimmer, sondern uns etwas im Inselinneren suchen und deshalb gleich ein Auto mieten. Bei Vidalis bekommen wir einen Chevrolet Matiz für 30 Euro am Tag (scheint hier teurer als auf Andros zu sein), für 3 Tage, damit sind wir unabhängig. Das Auto wäre vollgetankt, was aber nicht stimmt, denn der Tankdeckel war nicht richtig zu und ein wenig Sprit hat sich schon verflüchtigt. Was wir aber erst etliche Kilometer später am penetranten Benzingeruch merken. Die nette Dame in der Autovermietung hatte uns leider nicht weiterhelfen können was Quartiere im Inselinneren betrifft – die Saison geht dem Ende zu, da schließen viele Unterkünfte. In Kionia, Agios Sostis, Agios Ioannis und natürlich Tinos-Stadt würden wir aber sicher etwas finden.

Die Autovermieterin weist und noch auf den starken Wind hin, wir sollten vorsichtig sein beim Öffnen der Autotüren, da sie schnell von einer Böe erfasst würden. Ich antworte, dass uns der Wind nichts ausmacht, wir sind ihn von Andros schon gewohnt. Woraufhin sie antwortet, „I love you“ – Klagen über den Wind gehören auf Tinos anscheinend dazu.

 

Wir fahren erst nach Kionia, das sich baumäßig auch ganz schön entwickelt hat. Sieht aber recht verriegelt aus, wir hatten mehr an ein nettes Dorf im Hinterland gedacht und fahren deshalb auf der neuen Umgehungsstraße hinauf nach Tripotamos, weiter nach Arnados, wo die Straße aber wegen Bauarbeiten gesperrt ist.

Also wieder hinunter nach Triandaros, dem netten renovierten Dorf, in dem ein bekannter deutscher Talkmaster und Hobbykoch seine Ferienwohnsitz haben soll. Unser Magen knurrt, und es trifft sich gut, dass dort die Taverne geöffnet ist, im Gegensatz zu der in Kechrouvouniou. Zucchinibällchen und Gigantes sättigen uns, dann ein Bummel durch das gepflegte Dorf mit dem imposanten Tordurchgängen, die wir an den nächsten Tagen noch in vielen Dörfern Tinos’ bewundern können. Und die schönen Brunnen. Nett hier, aber ein Übernachtungsquartier finden wir nicht. Und beschließen deshalb, die weitere Suche im Inselinneren abzubrechen und nach Agios Sostis zu fahren, hier müssten doch noch Hotels geöffnet sein. Schnell sind wir unten und nehmen eine der Pisten Richtung Meer. Ein toller Strand, aber beim Verlassen des Autos wird uns schnell klar, dass ein Aufenthalt hier mit dem ständigen unfreiwilligen Verzehr von Sand verbunden wäre – das scheint hier das Windloch des sowieso schon windigen Insel Tinos zu sein! Der Wind hat den Zugang zu kleinen Kirche schon mit Sand bedeckt, hier kommt der Strand zum Menschen.... Und für jede Fahrt zum Essen oder Bummeln nach Tinos-Stadt auf der mäßigen Piste – ach nee!

 

Dann eben doch nach Chora, wo wir am westlichen Ortsrand im den „Studios Athos“ eine sehr zufriedenstellende Unterkunft bekommen. Mit Küche kostet das DZ 30 Euro (sind sogar 3 Betten) pro Nacht, die Zimmer sind angenehm großzügig und sauber – eine gute Wahl. Letztendlich hätten wir das einfacher haben können, denn der Vermieter vom „Athos“ war bestimmt bei den aufdringlichen Zimmervermietern dabei. Aber wir haben auch schon was von der Insel gesehen.

Nach einer Verschnaufpause bummeln wir hinüber in die Stadt, vorbei am imposanten Hafen, dem Platz mit dem Markt und den zweiten Platz vor zur Basargasse, von uns immer „Devotionaliengasse“ genannt, weil es dort alles gibt was des Pilgers Herz begehrt: Kerzen, Votivgaben, Plastikfläschchen, Weihrauch, Ikonen, Silberschmuck, Andenkenkitsch, süße Spezialitäten von Tinos (Halvadopittes  und Loukoumia) und und und. So unter der Woche hält sich der Andrang aber in Grenzen, am Samstag wird es hier ganz anders zugehen.

 

Schließlich sind wir oben bei der Wallfahrtskirche „Panagia Evangelistria“. Die Kirche ist nicht so alt, sie stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, keine Anlage, die mir wirklich gefällt. Sie ist fast komplett aus Marmor gebaut, kein Wunder, haben doch Tinos und die nicht weit entfernten Inseln Naxos und Paros davon Massen und vom Feinsten zu bieten. Diese Kirche ist der wichtigste Wallfahrtsort der orthodoxen Kirche Griechenlands. Der Grund dafür ist eine wundertätige Marienikone, die der Apostel Lukas gemalt haben soll und die die Nonne Pelagia nach einem Traum 1822 gefunden hat. Das Auffinden der Kirche im griechischen Freiheitskampf gegen die Türken galt damals als ein wichtiges Zeichen für den baldigen Sieg. Anlässlich der Marien-Feste am 25. März (Mariä Verkündigung) und 15. August (Mariä Entschlafung) kommen jährlich Zehntausende von orthodoxen Wallfahrern hierher, die Stadt ist total überfüllt.

 

Jetzt findet gerade ein Gottesdienst statt, als der kurz darauf vorbei ist betreten auch wir die Kirche. Wir fühlen uns fremd und ausgesprochen als gaffende Touristen, wissen nicht wohin, stehen im Weg. Die Kirche ist prächtig ausgestattet, überall Votivgaben, Leuchter, Ampeln. Die wundertätige Ikone befindet sich gleich links unter einem goldenen Rahmen, der kaum noch eine Blick auf die Ikone zulässt. Unablässig geküsst von den Gläubigen. Daneben unzählige Kerzen, deren Brenndauer eine Minute kaum übersteigt, dann werden sie von den Zuständigen abgeräumt und dem Kreislauf Kerze-Wachs-Kerze-Wachs zugeführt. Große Kerzen kommen überhaupt nicht in die Kirche, bei ihnen wird am unteren Eingang zur Kirche der Docht abgeschnitten, damit gelten sie wohl als gestiftet und angezündet, auch wenn sie das wohl nie werden. Ob die Kerzenzieher jeweils nur einen neuen Docht an die Kerzen montieren?

Die Luft ist dick und warm, weihrauchgeschwängert, wir halten es nicht lange aus. Die Atmosphäre ist – wie so oft in griechischen Kirchen und Gottesdiensten – wenig bewegend oder stimmungsvoll. Eine Etage tiefer fließt noch die heilige Quelle  – ob das „Heil(ig)wasser“ auch prophylaktisch wirkt? Und wenn man nicht daran glaubt? Und ich haben meine Trinkflasche nicht dabei....

 

Die Sonne geht unter als wir die Kirche verlassen. Wir müssen noch ein wenig einkaufen für das Frühstück. Butter in kleinen Portionen ist nicht zu bekommen, da steigen wir eben wieder auf Joghurt um, ein guter Ersatz unter Honig oder Marmelade. Einen guten Tsipourro von Tinos gibt es, und natürlich Ouzo, den wir wenig später auf unserem Zimmer genießen – leider nicht auf dem Balkon, denn dort weht der Wind zu stark.

 

Zum Abendessen fahren wir dann hinüber nach Kionia, ins „Tsambia“. Bei unserem ersten Aufenthalt vor Jahren unser Lieblingsrestaurant, aber wohl mit anderem Pächter. Jetzt ist eine Schweizerin die Wirtin, ihr Mann kocht. Wir sind die einzigen Gäste – Nachsaison und unter der Woche - und verlassen uns auf ihre Empfehlung, nehmen einen Salat nach Art des Hauses – einfach göttlich, wir träumen jetzt noch davon! Danach eine dicke Kichererbsensuppe, Keftedes und Käsebällchen - mhhh! Fünf Sterne gibt es von uns dafür. Zur Verdauuung bekommen wir ein Fläschchen mit Honigraki („Rakomelo“) von Amorgos spendiert. Satt und zufrieden fallen wir wenig später ins Bett.

 

Am nächsten Tag hat der Wind nicht nachgelassen. Kein Wetter für den Exomburgo. Also fahren wir über Tripotamos zunächst nach Tarambados, wo es in einem Tal eine Ansammlung der schönsten Taubentürme gibt. Aber auch das Dorf – das am Vormittag völlig ausgestorben ist – ist hübsch. Wieder die beeindruckenden Tore, Durchgänge, dann hinunter in ein fruchtbares Tal mit Granatapfelbäumen, Feigen, Zitronen. Und natürlich Taubenhäuser – oder heißen sie Taubentürme?

Zuerst waren wir aber noch in einer Kapelle – katholisch, wie der fehlenden Ikonostase und dem Altar zu entnehmen ist. Ein großer Teil der Dorfbevölkerung auf Tinos – DEM orthodoxen Wallfahrtsort – ist nämlich katholisch! Erbe der Venezianer. Aber auch in der katholischen Kapelle gibt es eine Nebenraum, der Kisten mit menschlichen Gebeinen enthält, ein Beinhaus. Hier überwiegt wohl die lokale Tradition...

Unten bei den Taubenhäusern gerate ich in einen kurzen Fotorausch. Nicht weit entfernt sieht man den Exomburgo hinaufwachsen, einen Felskegel, auf dem die Venezianer eine uneinnehmbare Festung errichtet hatten. Er soll morgen unser Ziel sein.

Wir bummeln noch bei den Taubenhäusern herum, dann zurück zum Auto und die Höhenstraße nach Westen entlang. Immer wieder schöne Ausblicke auf die Küste hinunter, auf die Reste eines alten Pirgos, eine hübsche Kapelle, einen faszinierenden ausgehöhlten, 3 Meter großen runden Stein. Hinüber nach Syros. Eine Fähre zieht unten vorbei.

 

Kardiani ist unser nächstes Ziel. Ein am Hang gelegenes, weißes Dorf, wie die meisten auf Tinos und den Kykladen. Als ob es das nur auf Santorin gäbe! Nur haben wir es hier fast für uns alleine. Marmor dominiert die Bauweise. Die für Tinos typischen Oberlichter, bei denen ich jedes Mal überlege, wo ich so eines in meiner Wohnung wohl unterbringen könnte – wenn es den Transport heil übersteht.

 

Fruchtbare Täler an der Seite des Dorfes. Brunnen, Kanäle, Tordurchgänge. Üppige Gärten, Feigenduft. Auch so können die Kykladen sein, wir haben es schon auf Andros kaum geglaubt. Bezaubernd das Relief in einem Brunnen unter der vorderen großen Kirche (auch katholisch) mit einer Maria, die das Jesuskind mit einem Löffel füttert! Leider hat das Kafenion an einem kleinen Platz geschlossen. Vorsicht, da kommt ein Mann mit einem Esel! Das Grautier trägt Baumaterial, wird gefolgt von zwei schubkarrenschiebenden Männern. Deshalb auf den Stufen überall die Holzlatten – damit man mit den beladenen Karren die Treppen überwinden kann. Eine Plackerei! Und die Wege von der Baumateriallieferung zur Baustelle sind weit.... Ein sympathisches Dorf, sauber, gepflegt. Aber Übernachtungsmöglichkeiten – Fehlanzeige. Da muss man schon Eigentum erwerben, nicht die schlechteste Idee!

Dagegen ist das nächste Dorf, Isternia, nicht annähernd so schön. Es wirkt verlassen, kalt, was auch durch den leichten Dunst kommen kann, Nebel, der über den Bergrücken zieht. Weiter oben werden die Häuser neuer, gepflegter, belebter. Eine große Kirche. Dann auch wieder Bauarbeiter, sie haben es leichter, die Transportwege sind kürzer. Wer in Isternia wohnt, arbeitet vor allem in den nahen Marmorbrüchen. An der Küste unterhalb von Isternia liegt der Ort Ormos Isterniou, von der Fähre aus haben wir die Pensionen und Hotel gesehen. Jetzt, in der Nachsaison, ist dort sicher der Hund begraben, wir sparen uns den Abstecher  hinunter.

 

Über einen Bergrücken, an einem merkwürdigen Ensemble von Kapelle im Zuckerbäckerstil, einer Art Leuchtturm und Windmühle vorbei, gelangen wir auf die andere Seite der Insel, nähern uns dem Marmorbildhauerdorf Pirgos. Wir parken am Platz bei der Bushaltestelle (Auch aus Marmor, natürlich. Wenn ich daran denke, dass sich bei mir daheim in der Nachbarschaft die Stadt Sindelfingen seit Jahrzehnten dafür rechtfertigen muss, dass sie in finanziell üppigen Zeiten Zebrastreifen aus Marmor anfertigen ließ – dabei halten die ewig und sind so letztendlich günstiger - sind eben doch Schwaben ;-)  ) und bummeln hinein in die Gassen, vorbei am Bildhauermuseum, dem berühmtesten Sohn der Insel und des Ortes gewidmet, Giannoulis Chalepas.

Rechts zwei Werkstätten mit Marmorprodukten: runde und halbrunde Oberlichter, Brunnen, kleine und  große Reliefe. Wenn man auf Tinos ein Haus einrichtet, kann man darauf eigentlich nicht verzichten. Das mit dem Haus hebe ich mir für später auf. Schließlich gelangen wir an die wunderbare Platia mit dem großen Brunnenhaus – beliebtes Fotomotiv.

Wir haben Hunger, aber das Zaccharoplastion, das mit dem „besten Galaktobureko“ wirbt, macht gerade zu, der Ausflugsbus fährt wohl gleich wieder weiter. Zum Glück hat daneben die Snack-Bar „Alexandra“ noch offen, hier wird mit dem „traditionellen hausgemachten Galaktobureko“ geworben. Nach einem eher mäßigen Choriatiki Salata passt der auch noch wunderbar und schmeckt wirklich gut!

Pirgos kennen wir von den vergangenen Tinos-Aufenthalten noch ganz gut, aber der Besuch des Friedhofes ist ein Muss. Ein Schaufenster tiniotischer Bildhauerkunst, sogar die Knochenhäuser der Familien sind hier kleine marmorne Schreine, „Osteothiki“ steht darauf, was man mit „Knochenkiste“ übersetzen könnte. Am oberen Rand des Friedhofes, neben der Kapelle, steht ein Haus, das mit Knochen gefüllt ist. Zumindest sieht man durch ein Oberlichtfenster die Knochen, ein Schädel schaut malerisch-morbide hinaus. Memento mori! Ein Totentanz der tiniotischen Art.

 

Die Läden sind nun alle geschlossen, ebenso die Museen, aber das macht nichts. Wir gehen zurück zum Auto und stellen dort fest, dass jemand darin war! Tücken der fehlenden Zentralverriegelung! Vermutlich haben wir eine Türe unverschlossen gelassen und jemand (Ein Kind?) hat die Gelegenheit genutzt, die Trinkflasche auf Inhalt zu überprüfen (und nicht wieder richtig zuzumachen), den Reiseführer hinunterzuwerfen und den Tankdeckel mittels Hebel im Cockpit zu öffnen – das fällt mir als erstes auf. Ein Schreck am Nachmittag – gut, dass wir keine Wertsachen im Auto hatten, obwohl ich nicht an einen Dieb glaube. Von einigen herumstehenden Leuten fühle ich mich beobachtet – wissen sie etwas was ich nicht weiß? Wir machen dass wir wegkommen, aus der Trinkflasche trinken wir dann doch lieber nicht mehr.

 

Unser Ziel ist nun Ormos Panormou, das ich nur noch sehr ungenau in Erinnerung habe. Unten ist inzwischen auch der Ausflugsbus angekommen, die Griechinnen und Griechen sitzen in den diversen Taverne, der Strand ist fast leer. Nein, da ist jemand im Wasser. Und die Bucht ist viel windgeschützter und sauberer als ich es in Erinnerung habe. Sogar eine Umkleidkabine und eine funktionierende Dusche gibt es! Wenn das keine Einladung zum Baden ist! Schnell bin ich im Wasser, es hat angenehme 23°C wie mein Badethermometer zeigt (Ja, lacht nur, ich habe es immer dabei, verlasse mich nicht auf gefühlte Temperaturen!). Wunderbar ist es, das Wasser...

Anschließend ein Bummel die Bucht entlang, vorbei an einem kleinen Haus direkt am Strand mit zig Katzen und Kätzchen, die von einer freundlichen Frau gerade gefüttert werden. Ihr Mann hat etwas weiter vorne seine Reusen kontrolliert und neu ausgelegt, gespannt beobachtet von den Katzen.

 

Eine Piste führt wohl zu einem weiteren Badeplatz, aber so weit gehen wir dann doch nicht. Unten an den Felsen beobachten wir einen Kormoran – erstaunlich, wie lange der tauchen kann! Kommt immer ganz woanders raus als wir vermutet haben...

 

Für die Rückfahrt Richtung Tinos-Stadt nehmen wir ab Pirgos/Isternia die neue, gut asphaltierte, östliche Küstenstraße. Abenteuerlich und mit wunderbarer Aussicht schlängelt sie sich durch felsiges, weitgehend unbewohntes Gelände. Auf der Straße tummeln sich Ziegen, Schafe und sogar Esel, die nur ungern den Weg frei machen. In Aetofolia lege ich eine kurze Gedenkminute an "Tinosfan"  ein.

Kato Klisma ist der nächste größere Ort. Hier ist ein breites, fruchtbares Tal, das unten in Kolimbithra in das Meer mündet. Falls Tinos je einen Flughafen bekommen sollte, wäre hier der einzige geeignete Ort dafür – schade um das Tal. Nur gut, dass moderne Schnellfähren solche Überlegungen überflüssig machen – in 2 Stunden von Rafina oder Piräus nach Tinos ist doch auch nicht schlecht.

 

Wir nehmen dort die Straße nach Süden, zur westlichen Küstenstraße. Weiter oben sehen wir an einer Kapelle in der Pampa eine Menge Leute. Dort muss eine Panigiri stattfinden, welchen Namenstag haben wir denn heute? 3. Oktober? Dionisios? Na, egal, ist nichts für uns heute. Dafür fahren wir aber noch Agios Romanos hinunter, d.h. da verpassen wir die richtige Straße und fahren oberhalb vorbei. Nach ein paar lausigen, löchrigen Metern kommen wir in Kionia heraus, am „Tinos Beach Hotel“. Ein wenig Nostalgie, aber schöner geworden ist der Kasten auch nicht. In der Taverne im Hotel hab ich damals bei einem griechischen Abend (der wirklich griechisch war, denn die Gäste waren fast nur Griechen) gedacht, dass ich die Tänze lernen möchte... Wir umrunden das Hotel, schauen hinauf nach Ktikados, wo wir damals hinaufgewandert sind, unsere erste Kykladenwanderung, alles Weg und nichts, nur Terrassen, kein Karte oder so, kein Griechisch, aber auch niemand zum Fragen. Die Verwandtschaft von Tinos machte keine Schritt abseits der Straßen wegen der vielen Schlangen, gut dass wir das nicht wussten. Allerdings waren in GR Begegnungen mit lebendigen Schlangen trotz vieler Wanderungen selten, sie verkrümeln sich beizeiten. Gut!

Nach einem Einkaufsbummel in Tinos (Ich muss unbedingt in dem Laden „Margarita“ vorbeisehen, wo es die hübschen Miniaturoberlichter, -taubenhäuser, den Weihnachtsbaumschmuck von Tinos Ceramics gibt. Optimale Mitbringsel, die hübschen Sachen gefallen mir) nehmen wir das Abendessen heute in der Stadt ein. Schwer aufdringlich, die Türsteher, oder wie soll man die Anpreiser nennen? Kenne ich sonst nur von Touri-Orten wie Rhodos oder Santorin. Auf Tinos war es aber schon vor Jahren so und hat sich nicht geändert. Muss an den Wallfahrern liegen.

Wir erkundigen uns auch nach den Fährverbindungen für den Samstag, am Nachmittag geht eine Fähre, optimal. Den hilfsbereiten, perfekt Deutsch sprechenden „Mariner“ an der Hafenfront scheint es nicht mehr zu geben, oder er ist zum normalen Reisebüro geworden. Schade. Wir landen zum Essen schließlich im „Aithrio“ – gute Durchschnittskost, mit Zugabe vom Haus, das kommt wohl allmählich in Mode. Pappsatt wanken wir heimwärts.

 

Unsere Hoffnung darauf, dass der Wind nachlässt, wird enttäuscht: er bläst unverdrossen. Vom Zimmer aus beobachten wir das Kommen der Fähre „Panagia Tinou“ von Andros: Sie tut sich schwer mit dem Anlegen, dreht noch eine Runde, dann scheint sie aufzugeben, dreht wieder ab, Richtung Kionia. Ja, so was! Sie muss doch weiter nach Syros? Dann sehen wir den Grund: sie muss einer anderen Fähre den Vortritt lassen (das Gleiche haben wir im Frühjahr vor Ios erlebt). Obwohl es ja eigentlich zwei Anlegestellen gibt. Als die andere Fähre weg ist, schafft sie endlich das Anlegemanöver. Hat sie eben wieder eine gute halbe Stunde Verspätung, bis Santorin oder Anafi wird es sicher eine Stunde oder mehr werden.

 

Nachdem heute für uns die letzte Möglichkeit ist, den Exomburgo zu besteigen, lassen wir uns auch vom Wind nicht abhalten. Er wird uns schon nicht wegblasen, so Leichtgewichte sind wir schließlich nicht... Mit dem Auto fahren wir hinauf nach Tripotamos, parken hinter der Kreuzung und nehmen den guten Fußweg aufwärts, ist sogar ausgeschildert. Der Wind ist gar nicht so schlimm, aber wir sind auch noch im Windschatten. Leider ist es ziemlich dunstig heute, sonst könnte man die weite Aussicht genießen, die aber leider nur bis Tinos-Stadt reicht, das weit unter uns liegt.

 

Nach einer knappen halben Stunde sind wir am katholischen Kloster Ieras Kardias, das sehen wir uns nachher an. Nach ein paar weiteren Metern aufwärts kommt man aus dem Windschatten heraus – hoppla! Nun windet es aber mächtig! Zwei Wanderer mit Stöcken kommen uns entgegen, man grüßt sich. Wahrscheinlich zieht es auch heute wieder nur Ausländer auf den Berg, kein Grieche ist so blöd, schon gar nicht bei dem Wind. Und kalt ist der Wind, muss ich jetzt nach Griechenland auch Handschuhe mitnehmen? In diesem Sitz des Windgottes wohl schon! Am heftigsten ist es beim Eingang in die Ruine, alle Fotos verwackelt, halt’ da mal den Fotoapparat ruhig! Schließlich am „Gipfelkreuz“, ich bekommen Ohrenschmerzen (soll ich die zukünftige Expeditionsausrüstung auch noch um Ohrenschützer erweitern? Gefühlte –10°C...)

Wir flüchten in den Windschatten des Sockels vom Gipfelkreuz, da kann man es gerade noch aushalten. Und genießen den Blick. Naxos kann man nur erahnen, schnell eine SMS an "Arion", der gerade dort ist. Auf der anderen Seite gucken wir nur kurz hinunter – der Wind! Nach 20 Minuten sind wir trotz des Windschattens durchgefroren und machen uns klamm an den Abstieg.

Das Kloster ist leider zu, wir rütteln an der Türe. Wie wir uns abwenden kommt aus dem Nebengebäude ein Mann: ob wir die Kirche sehen wollten? Ja, schon. Der Mann – kein Mönch – kommt mit einem dicken Schlüsselbund, hat aber nicht den richtigen Schlüssel für die Türe. Das würde nichts machen, es gäbe einen Weg durch die Gebäude. Wir sind ein wenig verwundert: Was ist das denn für ein Typ? Hat die Schlüssel, kennt sich aber nicht aus. Und sieht auch eher weltlich aus... und ist da nicht eine leichte Alkoholfahne? Durch das Seitengebäude und mehrere große Zimmer führt er uns in die Kirche, die mich an französische Kirchen erinnert: groß, zugig, etwas klassizistisch, künstliche Blumen und so, etwas vernachlässigt. Natürlich katholisch und ohne Ikonostase. Wir kommen ins Gespräch mit dem Mann. Er heißt Lorenzo, ist von Syros und gerade für eine Woche zu Gast im Kloster (d.h., er ist alleine da). Morgen findet in Aetofolia eine Taufe statt, er ist eingeladen und schon vorher für ein paar Tage vorbeigekommen, wohnt im Kloster, das aber keine Mönche mehr hat. Was denn dann mit den vielen Räumen passieren würde? Manchmal wären Kinder hier, so was wie Schullandheim...

Lorenzo ist wohl ein wenig einsam und sehr gesprächig. Ob wir einen Raki wollten? Eine 1,5-Liter-Flasche hat er da stehen, daher seine Fahne. Nun, warum nicht.... Meine Mutter und ich unterhalten uns auf Deutsch (ich übersetze was er gesagt hat), was ihm sehr gefällt - Deutsch gefällt ihm! Nach einer Weile verabschieden wir uns, ungern lässt er uns nur ziehen, aber es kommen gerade neue Besucher, es wird ihm schon nicht langweilig werden.

 

Unten beim Auto sind wir dann schnell, und durch den Raki ist uns auch wieder warm geworden. Die Weiterfahrt führt mit der Kirche ums Dorf (vielmehr mehrere Dörfer) nach Falatados, wo ich in der Taverne „Lefkes“ am Ortseingang das Restaurant wiedererkenne in dem ich vor Jahren mit der Verwandtschaft war und dann doch lieber nicht von der Froutalia (oder heisst sie nur Fourtalia? Habe beide Varianten gefunden) probiert habe. Falatados ist im Gegensatz zu den gestern besuchten Dörfern äußerst lebendig, aber nicht ganz so herausgeputzt.

 

Uns zieht es aber weiter nach Volax, dem kleinen Dorf im Steinmeer. Schon von der Straßenkreuzung aus sieht man die riesigen runden Steine mit denen die Landschaft übersät ist. Zwei bis vier Meter haben die Riesenmurmeln im Durchmesser! In dem Dörfchen sind manche Häuser sogar auf oder an die Steine gebaut. Etwas düster wirkt das ja bei dem heute bedeckten Himmel schon - ein Gegensatz zu den lichten Marmordörfern an der Westküste. Eine Frau mit imponierendem Gesäß (Irgendwie in der Form an die Steine hier angeglichen...) sieht in der kleinen Kirche nach dem Rechten, wir trauen uns nicht hinein. Den Korbflechter oder seine Ruten entdecken wir leider nicht, das Museum hat auch zu. Aber zum Glück nicht die Taverne „O Rokos“. Wir sind fast die einzigen Gäste (ein Paar sitzt am Nachbartisch, die haben wir doch schon gestern in Pirgos gesehen?), bestellen griechischen Salat und Krautwickel in Zitronensauce – sehr lecker! Da hält doch plötzlich ein Bus auf dem Platz vor dem kleinen Open-Air-Theater und eine Reisegesellschaft stürmt das Lokal. Es ist wieder einer der Ausflugsbusse von Tinos Tours, die auf Tinos täglich auf mehreren Touren unterwegs zu sein scheinen. Aus dem Bus ins Lokal – es sind eindeutig Griechen! Eine inhomogene Gesellschaft, Großstädterinnen und Landfrauen, Junge und Alte, herausgeputzt und leger. Es wird bestellt was die Küche hergibt, aber die Frau hinter uns zieht doch tatsächlich ihr Vesperbrot heraus! Und nicht zum ersten Mal fällt uns auf, dass das Essen mit geschlossenem Mund in Griechenland nicht unbedingt üblich ist....

Jetzt hab ich Lust zum Baden und der Michael-Müller-Führer „Kykladen“ verspricht den „schönsten Strand der Nordküste“ bei Ormos Kolymbithra, nicht weit entfernt. Der Ausdruck „Nordküste“ hätte mich schon misstrauisch machen müssen, denn Norden heißt hier auf den Kykladen: ungeschützt dem starken Wind ausgesetzt, und damit: angeschwemmter Müll und Dreck. Vor Jahren hab ich von oben auf den Strand hinuntergeguckt und war von der Badequalität nicht überzeugt. Aber das ist ja lange her.

Wir stellen das Auto an der Straße oberhalb vom Strand ab und schauen hinunter: rechts ist ein kleiner Strand mit Sonnenliegen und –schirmen, das muss ja nicht sein. Links zieht sich der schöne Strandstrand mehrere hundert Meter hin, mit einem Süßwassersee (oder ist es ein Fluß?) und Schilf dahinter. Unter uns das Wasser, verziert mit Plastiktüten, Wasserflaschen und Schmodder. Kein Mensch dort. Ganz am anderen Ende des Strandes, links, müsste man aber gut baden können, da ist es windgeschützt und kein Unrat im Wasser. Schnell die Treppen hinunter, den Strand entlang, ich will ins Wasser! Den Meeressaum entlang merken wir nach zehn Metern, dass den ganze Strand von kleinen Öl- und Teertropfen gesäumt ist. Schweinerei hoch zehn, denn unsere Schuhe haben bereits ordentlich etwas abbekommen! Meine hellen Sneakers sind mit dunklen Flecken verziert. Sch...! (Nein, Teer!) Wir schlagen uns vorsichtig bis ans andere Ende der Bucht durch, aber beim Versuch, das Handtuch irgendwo hinzulegen ohne es mit Teer zu versauen, scheitern wir.

 

Die Badelust ist weg, komplett. Alle Klamotten wären nachher mit Teer versaut. Dafür putzen wir auf den Felsen sitzend so gut es geht unsere Schuhe, eine zähe Angelegenheit! Barfuss machen wir uns auf den Rückweg, reinigen später auf der Treppe unsere Füße mit Sonnencreme. Beobachten dabei in dem Süßwasserteich hinter dem Strand einige Sumpfschildkröten, die auf Steinen sitzen, sich bei Annäherungen unsererseits aber schleunigst verziehen.

Nach einer knappen Stunde zurück beim Auto: außer Ärger und dauerhaft gezeichneten Schuhen nichts gewesen. Ein Mann mit Gummistiefeln, Stock und Umhängetasche kommt daher, pfeift, wohl seinen Ziegen. Auf der anderen Seite der Bucht rührt sich aber nichts. Er steigt die Treppe hinunter, am Strand entlang. Mit Gummistiefeln, das scheint mir die optimale Ausrüstung für diesen Strand zu sein.

 

Was nun? Ich würde noch gerne zum Kloster Vourniotissa fahren, aber in Agapi streikt die Begleiterin. Die Straße sei zu schlecht, und da steht auch mal wieder ein Pferd im Weg, höchst unwillig, dieselbe zu verlassen. So fahren wir wieder aufwärts, machen noch einen Abstecher nach Xinara bevor wir beschließen, in Ktikados noch einen Kaffee zu trinken. Die Taverne „Drosia“ sieht leider zu aus, auch sonst ist nichts, wir haben mal wieder Pech. Dann kommt aber ein Mann vorbei, ob wir in die Taverne wollten? Es sei offen, wir sollen reingehen. Auf der Tavernenterrasse haben wir einen schönen Ausblick hinunter nach Kionia, ist gar nicht so weit. Das fruchtbare, terrassierte Tal ist gesäumt von einigen Taubenhausruinen. Genießen die Abendstimung bei einem griechischen Kaffee, süß natürlich. Hier ein Haus, das würde mir gefallen. Mit Blick nach Syros und die vorüberziehenden Fähren. Eigentlich sollten wir hier bleiben zum Abendessen, aber wir sind noch nicht hungrig. Oder später wieder hinauffahren?

 

Wir gehen dann doch wieder, fahren zurück nach Tinos-Stadt, nicht ohne vorher noch zu tanken. Mykonos ist ganz nahe, die Häuser dort werden von der tief stehenden Sonne angestrahlt. Ist das dicht be(zer)siedelt! Erschreckend! Mykonos – einmal und nicht wieder. Tinos ist um Längen besser!

 

Später haben wir dann doch wieder Hunger und gehen in Tinos-Stadt ins „Epinion“ . Entgegen der Aussage im MM-Führer gibt es auch dort einen „Werber“, also einen mehr oder weniger aufdringlichen Menschen, der versucht, uns in das Lokal zu locken. Na, wir wollten ja eh rein und die (laut MM) Bällchen aus „verschiedenen Hackfleischsorten“ probieren. Wie viele verschiedenen Hackfleischsorten es wohl auf einer griechischen Insel gibt? Gemeint sind aber Bällchen aus Kichererbsen („Revithokeftedes“), Zucchini („Kolokithokeftedes“), Fenchel („Marathokeftedes“) oder Tomaten („Tomatokeftedes“). Ganz normale aus Fleisch gibt es auch noch... Wir entscheiden uns für die aus Zucchini und Tomaten, bekommen üppige Portionen, sehr lecker. Hier scheinen v.a. Deutsche oder Deutschsprachige zu verkehren – ungewohnt auf Tinos. Auch hier eine Zugabe aufs Haus. Schon wieder zu viel gegessen.

Am Samstag müssen wir abreisen. Aber erst am Nachmittag, wir haben also noch Zeit. Weil unsere Vorräte aufgebraucht sind, müssen wir in der Stadt frühstücken. Da können wir gleich das Auto zurückgeben, fahren mit dem Auto rein in die Stadt. Keine gute Idee! Kein Parkplatz zu finden, Verkehrschaos pur! Denn es kommt eine Fähre nach der anderen, spuckt Hunderte von Leute aus. Obwohl der neue Anleger wirklich großzügig angelegt ist, gibt es Engstellen am Palada-Platz und etwas weiter vorne bei der Umrundung zum alten Hafen. Eine Fehlkonstruktion. Wir parken jwd, bekommen an der Hafenpromenade (falscher Ausdruck, denn eine richtige Promenade zum Flanieren wie z.B. auf Naxos gibt es leider nicht) ein mäßiges Frühstück mit hartgeröstetem, bröckeligem Toast-Zwieback. Die Tischnachbarn hauen sich Loukoumades mit Honig übergossen rein, die von Tinos sollen ja besonders gut sein (Wegen des Honigs von Tinos, der ebenfalls der beste sein soll...) Selten so viele wohlgenährte Menschen gesehen (um den Ausdruck „fett“ zu vermeiden).  Mir als Frühstück zu heftig.

 

Die Stadt brodelt, summt. Und der Wind hat aufgehört! Das ist jetzt schon das dritte Mal, dass wir am Abreisetag auf Tinos keinen Wind haben. Gemein! Wir geben das Auto zurück, es wird quasi „warm“ sofort weitervermietet. Kein Mietwagen mehr zu bekommen in der Stadt. Taufen und Hochzeiten im Hinterland, Wochenendpilger und -touristen haben diesen Engpass verursacht.

 

Am Hafen zwei Fähren nebeneinander von denen endlos Menschen quellen, Busse holen Gruppen ab, Gewimmel. Kein Wunder müssen wir unser Zimmer bis zum Mittag räumen, es wird bestimmt gleich wieder vermietet. Es ist kein hoher Feiertag, keine Ferien. Nur ganz normale Samstagswahnsinn auf Tinos.

Wir gehen hinüber zur Wallfahrtsstraße. Auf der rechten Seite ist mit völlig abgewetztem Teppichboden eine schmale Spur gelegt, auf der Pilger auf Händen und Knien hinauf zur Panagia-Kirche gehen. Das zieht sich, sind gut 500 Meter, bergauf, kaum Schatten je weiter der Tag gen Mittag fortschreitet. Die hier „rutschen“ haben ein Gelübde abgelegt, hoffen auf Heilung oder tun Buße. Auch ein paar Männer sind darunter, aber die Frauen sind die Mehrheit. Die Männer betreten dabei, halten die Kerzen und tun manchmal so als ob sie nicht dazugehören. Alle Alterklassen. Manche haben sich unten im Hafen mit Knieschonern ausgerüstet, die dann doch mehr stören als helfen. In Rock und Strumpfhosen. Ich bin hin und hergerissen zwischen Unverständnis und Rührung.

 

Früher gab es manchmal Frauen, die, kaum dass sie vom Schiff waren, sofort auf allen Vieren losgezogen sind – nicht ganz ungefährlich im Straßenverkehr! Da der neue Hafenanleger so weit weg ist, gibt es das wohl nicht mehr. Wir gehen ebenfalls aufwärts zur Kirche. Über den Platz führt kein Teppichboden mehr, aber letztendlich handelt es sich sowieso nur um eine Art moralische Unterstützung, und ein Leitsystem. Vor dem äußeren Tor der Kirchenanlage stauen sich die Pilger. Hier muss man seine großen Kerzen abliefern, seitlich und ohne Kerzen kommen wir aber problemlos rein – und sind perplex: die ganze rechte Treppe hoch stauen sich die Leute, die in die Kirche wollen. Das kann Stunden dauern bis man da drin ist. Gegen die von oben knallenden Sonne werden Schirme verteilt, die oben dann hinuntergeworfen werden und von Kirchenangestellten eingesammelt und neu verteilt werden.

Ab und zu drängt sich ein Pilger oder ein Pilgerin auf Händen und Knien in die stehende Menschenmasse und verschwindet darin. Oder ruht sich auf den Stufen erst mal aus. Manche nehmen auch die linken Treppe, kennen wohl einen Seiteneingang – löblich nach der Schinderei! Eigentlich wollten wir ja auch noch Mal in die Kirche gucken, aber wir verzichten dann doch. Sehen uns dafür die Gemälde in der Pinakothek an. Warm hier drin, und schwül-muffig. In einem anderen Raum kostbare Teile des Kirchenschatzes. Unermesslich reich ist die orthodoxe Kirche auf Tinos, da kann so mancher Pappas auf einem anderen Eiland nur von träumen...

Wir müssen zurück in die Pension, bis 13 Uhr müssen wir das Zimmer geräumt haben, dürfen aber unser Gepäck dort lassen bis zur Abreise. Wir müssen schon für den Flug packen, also alle gefährlichen und flüssigen Gegenstände in den Trolley. Dann ziehen wir nochmals los, haben Hunger. In den Tavernen sind alle Plätze im Freien und im Schatten belegt. Wahnsinn! Ich möchte nicht wissen was hier an Mariä Entschlafung los ist.... Zum Glück finden wir etwas abseits noch etwas, in einem Innenhof bei „Lefteris“. An einem langen Tisch eine Großfamilie, drei oder vier Generationen. Bestellt wird was die Karte hergibt. Als ob es morgen nichts mehr gäbe. Hinterher sieht es aus wie ein Schlachtfeld, volle Teller wandern in dem Müll. Nichts für die Schwabenseele, die nur bestellt was sie auch isst: Griechischen Salat und Skordalja, dazu Bier und Limo für Radler.

 

Zum Baden am Strand vor unserer Pension bleibt leider keine Zeit mehr, schade, denn das Wasser ist wunderbar lau. Wir werden von unseren Vermietern noch auf eine Limonade und Chalvadopittes eingeladen, er bringt uns zum Schiff. Ich bin etwas unruhig, wir wollen unsere Fähre, die „Penelope A“ um 16 Uhr nicht verpassen. Der Vermieter wirft einen Blick nach draußen, Hektik kommt auf: sie ist schon da! Gut 15 Minuten vor der Abfahrtszeit, die auf den Ticket steht. Rasch alle und alles in den Bus, und die paar Meter runter zum Hafen. Schnell durch das Gatter wo Leute schon auf die nächste Fähre warten, großes Gedränge, das Schiff ist schon gut gefüllt. Wir bekommen noch einen wunderbaren Platz auf Deck, und ganz so schnell ist die Fähre dann doch nicht weg, es muss noch etliches verladen werden. Ganz am Schluss kommen noch 2 Menschen gerannt – gerade noch geschafft! Mit Wehmut verlasse ich Tinos – ich komme bestimmt wieder!

 

Dann sind wir für 4 Stunden wieder alleine unter Griechen. Unter vielen Griechen. Fahren die Küste von Tinos, danach Andros entlang. Liefern uns eine Wettfahrt mit 3 Bussen, die Küste von Andros entlang. Die Busse brauchen tatsächlich genauso lange wie die Fähre. Aber dann stehen sie am Hafen von Gavrion, die Reisegesellschaft drinnen, und warten auf das nächste Schiff.

Den Sonnenuntergang erleben wir zwischen Evia und Attika. Sind leicht desorientiert als wir gegen 20 Uhr in Rafina ankommen. Große Hektik wieder bis alle vom Schiff und versorgt sind.

Hungrig sind wir eigentlich nicht, sollten aber noch etwas Zeit in Rafina verbringen. Ziehen hinauf auf die Platia, die gesäumt ist mit Souflaki- und Gyrosbuden. Hier tobt das ungeschminkte griechische Samstag-Abend-Athen-Vorort-Leben. Wir bestellen nur ein paar Spieße und Retsina, und beobachten: Die Gyros-Schneider, die im Akkord arbeiten. Die Familien, die sich Berge von Fleisch bestellen. Die Jugend, die cool mit den Handys telefoniert. Die Organisation des Schnellrestaurants (Wobei: schnell? Uns drängt niemand). Laut ist es, natürlich. Später verlagern wir uns weiter nach unten, an die Hafenpromenade. In eine Cafe-Bar. Griechischer Kaffee? Fehlanzeige! Obwohl er auf der Karte steht.... Auch kein Frappé oder Cappuccino. Also noch ein Wein, ein roter dieses Mal. Kommt saukalt aus dem Kühlschrank. Macht uns nicht wirklich müde.

Aber nun doch ab zum Flughafen. Am Taxistand frage ich den ersten Fahrer wie viel es zum Flughafen kostet. Er will 25 Euro. Das ist doch schon eine Verbesserung zu den 40 Euro der Hinfahrt, aber immer noch 5 Euro über Tarif. Wir stimmen zu, und er ist verblüfft. Jetzt? Zum Flughafen? Wo wir doch noch so nett den Abend hier in Rafina verbringen könnten.... Eher wiederwillig fährt er uns dann doch. Smalltalk unterwegs. Woher wir kämen? Ob wir öfters auf den Inseln unterwegs wären? Was den Reiz für uns ausmachen würde? Meine Griechischkenntnisse sind ab Ende, aber es geht auch auf Englisch. Um Mitternacht sind wir auf dem Flughafen, suchen uns einen Sitzplatz in der Ankunftebene. Diese mörderisch unbequemen Armlehnen! Und dann haben wir noch die Raucherecke erwischt, wo sich die halbe Nacht griechische und  albanische Männer lautstark unterhalten. Das kostenlose Internet-Terminal ist weg, Pech. Aber oben finde ich noch ein freies, surfe. Schlafen ist nicht. „Please do not leave your luggage unattended“ – alle 10 (gefühlten 3) Minuten. Schließlich rollte ich meine Fleece-Strandmatte auf dem kalten Marmorboden aus, strecke mich lang und komme noch zu knapp 2 Stunden Schlaf. Warum gibt es keine bezahlbaren Hotels am Flughafen? Nur das sauteure Sofitel, für 3 oder 4 Stunden schlechten Schlaf definitiv zu teuer! Eine Marktlücke?

 

Wir sind froh als wir gegen 5 Uhr einchecken können. Hab nicht mal Lust, noch in dem CD-Laden zu stöbern, die laute Techno-Musik dort ist einfach grässlich um diese unchristliche Zeit. Bin völlig verwettert. Noch ein Tee in der Bar, Sicherheitskontrollen, Bus, Flieger. Es gibt sogar eine deutsche Zeitung! Todmüde im Sitz. Pennen bis Thessaloniki, dort wird es hell. Eine knappe Stunde Zwischenhalt. Nervt. Will heim. Bin grätig. Nie wieder Aegean – bis zum nächsten Mal (Die Preise sind schwer zu toppen!). Um 10 Uhr MEZ dann in Stuttgart. Strahlendes Wetter. Wenigstens!

 

erlebt im Oktober 2007