Go West - nach Chorio

Die Grillen sind so laut. Verdammt laut. So ein Viech muss in der Wohnung sein. Im Bad, aber ich hab keine Lust auf nächtliche Grillenjagd. Mache lieber die Badezimmertüre zu. Das dämpft den Schall etwas.

Schnaken hat es auch noch.

 

Das Wetter ist endlich so wie wir uns das vorgestellt haben. Frühstück auf dem Balkon – wespenumschwärmt, scheint hier ja eine echtes Insektendorado! Wir wollen wandern, aber vorher kommt die Fähre, die „Alexandros K“, und das wollen wir uns nicht entgehen lassen. Und sie kommt früher als gedacht, schon kurz nach 11 Uhr taucht sie im Blickfeld auf, trötet laut und vernehmlich. Mhh, da scheint sie auch die Route geändert zu haben, fährt die Ringroute und nicht hin und rück über Mathraki. Fährpläne sind hier Makulatur...

Die „Alexandros K“ (jetzt auch hier bei marinetraffic) ist schon fast ne richtige Fähre: Sie kann auch Autos und LKW transportieren – zumindest zwei oder drei... Die obligatorische Entladehektik. Zwei nagelneue, knallrote Schubkarren für den „Baumarkt“ der Insel (eine dunkle Höhle neben der Hafenpolizei). Mit einem kleinen Gabelstapler wird Baumaterial abgeladen: Fenster, Türen, Dachziegel. Als alles unten ist, beginnt das Verladen: zwei PKW (unser Nachbar von der „Locanda“ reist ab – Ende des Saison. Mhh, wie hat er dann bis Ende Oktober geöffnet?), ein LKW. Der geht haarscharf noch drauf, etwas länger, und die Klappe ließe sich nicht mehr schließen. Nach einer guten halbe Stunde ist alles drauf was muss, die Fähre zwitschert wieder ab, die nächste kommt in drei Tagen.

Und wir gehen auf Tour. Im Rother Wanderführer „Korfu“ (von Christian Geith) kommen doch tatsächlich auch Wanderungen auf den diapontischen Inseln, auf jeder eine. Die auf Othoni ist rot eingestuft, mittelschwer, 300 Höhenmeter, reine Gehzeit 2 Stunden 15 Minuten. Von Ammos, dem heutigen Hauptort, geht es aufwärts nach Nordwest, vorbei am höchsten Inselberg, dem Merovigli (oder Fano – alles hat zig Namen hier, italienische, griechische), 393 Meter hoch (oder 408 Meter laut wikipedia (nicht mehr, hab's korrigiert), da behauptet auch jede Quelle etwas anderes...), zunächst zur Kirche Panagia und weiter nach Chorio, dem ehemaligen Hauptort der Insel. Unser Vermieter drückt mir noch einen kopierten Inselplan in die Hände und erklärt mir den Weg inklusive Abkürzungen – ein Novum in Griechenland, bisher stießen unsere Wanderpläne stets auf Unverständnis bei Einheimischen. Außerdem erzählt er, dass er ein Haus in Chorio hat, in der gleiche Farbe wie das Haus unten in Ammos. Na, da werden wir mal gucken...

 

Am westlichen Ende des Strandes geht es ins Inselinnere. Zuerst auf der Straße nach Vitsentsiatika (einem der Dörfer, na ja, Weiler) und in der ersten Kehre auf einem schönen Fußweg leicht bergan, zwischen Wacholder und Zypressen, weiter oben dann Olivenbäume. So lichte Olivenhaine mit einem märchenhaften Licht – wir sind das einfach nicht gewohnt aus der kargen Ägäis, und wir sind bezaubert. Gelegentlich Steinhäuser dazwischen in unterschiedlichen Verfallszuständen. Selten Ausblicke auf eine Landschaft, die eher an Schwarzwald, Alpen oder Südfrankreich erinnern als an Griechenland. Bei den schwarzen Kötteln am Boden denken wir zuerst an Schafe – aber wir sehen oder hören keine. Es hat keine – die Köttel sind Oliven. Gestutzte Bäume wechseln ab mit hochgewachsenen, schlanken. Die löchrigen Stämme geisterhaft. Wir begegnen niemandem. Duftender Salbei säumt den Weg, wir pflücken welchen, riechen daran und bekommen Appetit auf Leberwurst: es ist Majoran!

Nach einer Dreiviertelstunde treffen wir auf die Straße, die die Insel in einer großen Schleife durchzieht. Das gelbe alte Schulgebäude vergammelt. Der Hof daneben ist belebt, immerhin, Hühner, Puten. Ein kleines Steinhaus dahinter, rustikal, einfach, für die Erntearbeiter? Über einem Hügel sehen wir den Campanile der Panagia-Kirche. Sonst sind Ausblicke rar, Bäume versperren die Sichte. Die Netze für die Olivenernte liegen schon bereit.

 

Weiter leicht bergauf, der Boden nun bedeckt von Brombeerhecken, die Beeren aber vertrocknet, wir kommen zu spät. Kein Durchkommen abseits des Weges. Wenn es hier brennt.... Alpenveilchen dazwischen in Scharen. Das erinnert uns an Kea. Wir kürzen die Straße wieder ab, und sehen plötzlich eine Kirche ein gutes Stück über uns – weiter weg als gedacht. Mhh. Bis wird merken: das ist die Georgskirche von Chorio, die Panagia-Kirche ist direkt hier, die Schotterstraße hinauf. Der Glockenturm steht extra, der Zugang zur Kirche führt durch das Tor in ihm. Endlich freier Blick, hinüber nach Mathraki, und Korfu dahinter, im Dunst. Die Wälder von Othoni davor. Auf der anderen Seite ein Straßenkringel, eine Motorsäge kreischt – veredelt da jemand Olivenbäume nach schlechter Ernte?

Die Kirche ist verschlossen, wir suchen und finden den Schlüssel, gehen hinein. Unspektakuläres Inneres. Rot-weiss-karierter Boden, bunte Glasfenster. Kerzen anzünden und singen.

Auf dem Friedhof wieder die bekannten Namen. Neben den Gräbern, einfach in den Wald geworfen, die Abfälle: Kränze, Plastikblumen, Schleifen, Kerzenhülsen. Umweltferkel! Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich muss an Richis Vorhang denken - was ein Glück, dass es hier nicht so viel Verpackungsmüll gibt wie in Deutschland...

 

Durch eine waldige Mulde kürzen wir die Straßenschleife nach Chorio ab – die Straße geht noch über Dafni. Schöne Namen haben die Weiler hier: Damaskatika, Kasimatika, Mastoratika, Papadatika. Endlich finden wir Brombeeren, die noch nicht vertrocknet sind – und schlagen uns den Bauch voll.

Und dann stehen wir in Chorio. Einen Laden oder ein Taverne haben wir nicht erwartet (gibt es nicht), aber auch nicht diese gepflegten Häuschen und grünen Gärten: Feigen, Kornelkirschen, Walnüsse, Trauben. Das Dorf liegt auf einer Hochebene, weiträumig von Felsenmauern umgeben, vom Meer aus kaum sichtbar, sicher vor Angreifern der Vergangenheit.

Die Kirche von Agios Georgios thront etwas darüber, mit ihrem weißen Turm und den kykladisch anmutenden Toren gefällt sie uns besser als die Panagia-Kirche. Und der Blick von hier ist noch besser, er reicht über die Panagia-Kirche bis zum Ostende Othonis mit dem weißen Leuchtturm und weiter hinaus nach Erikoussa.

Es wird auch hier gebaut. In einem halbfertigen Haus steht ein Zelt – ging das Geld aus, oder wohnt hier der Albaner auf der Baustelle? Daneben ein Stilleben ins Weiß und Rot – eine zackige Mauer und Geranien, Ferienhaus eines nach USA-Ausgewanderten?

An einer Ansammlung von Baracken (Garagen?) mit verschiedenfarbigen Toren vorbei wandern wir weiter nach Westen, aus Chorio hinaus. Rechts die Telekommunikationsmasten der OTE. Hinter einem tumulusartigen Hügel, der an die Toskana erinnert, dann die Steilküste: Man würde hier Italien sehen wenn es klar genug wäre. 69 Kilometer sollen es sein bis zum Kap Otranto. Unten locken zwei kleine weiße Strände und türkises Meer – nein, nicht wirklich.

Und wir wandern den gleichen Weg zurück wie wir hergekommen sind. Nur kurz vor Ammos gehen wir hinauf zur Straße, weil man dort einen schönen Blick auf die Bucht von Ammos (und ein verrostendes LKW-Wrack) hat.

Ein einzelnes Segelboot liegt dort, es wird heute auch das einzige bleiben. Nix los.

 

Die beiden roten Schubkarren stehen in Ammos vor einem dunklen Türeingang – der Farben- und Handwerkerbedarf. Die Türe ist immer offen, wir sehen nie jemand drin. Es muss aber ab und zu jemand da sein, und die Nachfrage nach Schubkarren ist auch vorhanden: Schon am nächsten Tag steht nur noch eine da, und am übernächsten Tag ist auch sie verkauft.

Wir gönnen uns nach der Wanderung ein kühles Radler - vorsorglich am Vortag eingekauft, denn Laden und Taverne haben noch zu. Schwimmen geh ich auch noch. Und abends in die einzige Taverne, griechischer Salat, Tsatsiki und Kalamares stehen heute auf der Karte. Es ist weniger los. Die Segler haben sich nicht in die Taverne verirrt, vorhin sind sie noch durch den Ort geschlendert.

Der Wirt der Taverne fragt uns, ob wir am übernächsten Tag mit dem Boot zum White Beach/Aspri Ammos wollen. Er könne uns hinfahren. Ja, warum eigentlich nicht? Da wäre auch noch die Höhle der Kalypso, kann man bestimmt auch hin oder hineinschippern. Und warum nicht morgen? Da muss er nach Korfu, etwas holen. Klar, mit dem eigenen Boot ist er nicht von Fähren abhängig.

 

Früh sind wir wieder im Zimmer. Die Grille ist inzwischen in die Küche vorgedrungen, gibt ein Konzert hinter dem Kühlschrank. Wir verbarrikadieren den Spalt unter der Schlafzimmertüre um ihre nächtliche Annäherung zu verhindern. Unser Wirt telefoniert lautstark nebenan, er hört nicht mehr so gut, das Telefonklingeln hat er zigfach verstärkt damit es ihm nicht entgeht.

 

*

 

Den nächsten Tag verbummeln wir. Morgens einkaufen, wir brauchen Brot. Aber Brot ist alle – neues kommt erst am Freitag, mit der Fähre. Nur, dass wir mit der abreisen wollen. Wir haben noch ein kleines Päckchen Vollkornbrot, eiserne Reserve, mitgebracht aus der Heimat für solche Fälle. Wir werden schon nicht hungern.

Es ist direkt heiß heute. Könnte nach Vitsentsiatika hinauf, bin aber zu faul. Fotografiere im Ort herum, die Straße hinauf – der Ort geht weiter als man denkt. Warum ist eine Flasche Retsina auf einem Hausgiebel einzementiert?

Eine Krankenstation gibt es auch. Am Avlakia-Hafen wird fleißig gebaut, ein recht kräftiger Grieche führt die Aufsicht, wir kennen ihn von der Taverne, wo er abends immer mindestens für zwei isst. Ein Kaiki läuft ein in den Hafen mit der schmalen Durchfahrt, es bringt Fisch. Es hat viel weniger Fischer hier als gedacht...

Am Nachmittag gehen wir beide an den Strand zum Baden. Auch die Mutter traut sich ins Meer, es ist so herrlich. Ein Segelboot (englische Flagge) liegt ganz rechts in der Bucht. Ein österreichisches Boot kommt noch. Mit dem Ankern ist es schwierig in der sandigen Bucht, und an den Anleger trauen sie sich nicht, es könnte ja eine Fähre kommen. Irgendwie haben sie ihr Boot dann fixiert, kommen an Land. Fragen uns als einzige sichtbare Lebewesen (außer dem Hund vom Baumarkt) ob es hier eine Taverne gibt. Wir können bejahen, verweisen aber auf das fehlende Brot des Ladens. Nein, Brot hätten sie genug. Sie kämen von Erikoussa, da wäre gar nix mehr geöffnet, nur wenn das Ausflugsboot von Korfu kommt gäbe es in den Tavernen etwas zu essen. Oh, das klingt aber gar nicht gut...

Wir wollen mal in der Heimat anrufen, an der Platia stehen zwei Telefonzellen. Alleine, die eine funktioniert gar nicht, und bei der anderen geht der Neuner nicht – wie ersetzt man die 9 der deutschen Vorwahl? Dann eben nicht, für Notfälle gibt es ja das Mobiltelefon, wird schon alles in Ordnung sein.

Am Abend wird es in der Bucht noch richtig voll, wir zählen fünf Segelboote. Nicht alle Besatzungen kommen an Land, die Österreicher treffen wir aber in der Taverne, natürlich, und weil sie schon gegessen haben als wir kommen, geben sie uns ihre ganze Ladung Brot, die sie nicht gebraucht haben (und bringen uns auf die Idee, auch unser restliches Brot einzupacken. Nein, wir sind sonst keine Essensmitnehmer, aber bei akutem Brotnotstand...). Sie wollen weiter nach Mathraki, Paleokastritsa und Paxos, vielleicht sehen wir uns wieder?

Ansonsten Engländer, Franzosen und eine größere multinationale Crew, die wir nicht so recht einsortieren können. Da brummt die Taverne ordentlich!

Vor dem Hauptgang gönnen wir uns heute einen Ouzo mit Meze, die leckeren Mezeteller haben wir in den letzten Tagen schon bewundert, und der Ouzo kommt, wie es sich gehört, halbvollen in einem Wasserglas daher. Danach ist die gebratene Leber sehr zu empfehlen, und das gestern schon für heute versprochene Bifteki. Für Entschlussschwache ist Othoni wirklich zu empfehlen, sowohl was die Tavernen- als auch was die Essensauswahl betrifft. Und man kennt inzwischen die Einheimischen, die sich hier allabendlich einfinden, auch der Kapo der Hafen-Baustelle isst heute Abend wieder für zwei.

 

Mit dem Tavernenwirt vereinbaren wir den Bootstrip für den nächsten Tag, 10.30 Uhr. Dann können wir am Nachmittag noch zum Leuchtturm - es wird uns doch tatsächlich die Zeit knapp auf dem 10 Quadratkilometern!

 

Zurück in der Villa Botsoli ist die Grille inzwischen ins Schlafzimmer vorgedrungen. Bei aller Toleranz für Musiker – das geht zu weit! Erste Einfangversuch misslingen – das Viech hat Geländevorteile, nutze die Bettpfosten als Deckung. Endlich wird es mit einem langen Besen auf den Balkon manövriert und über die Brüstung verabschiedet – da grillt es sich besser!

Und wir genießen die Ruhe, na ja, so Meeresbrandung kann ganz schön laut sein!

 

Was morgen kommt?