Um den Pelineo nach Chios-Stadt, Piräus, Athen und heim

In der Nacht ist es sehr stürmisch, wir müssen irgendwann die Balkontüre schließen. Mit dem um den gestrigen Braten erweiterten Frühstück (leider ohne Marmorkuchen) verbrauchen wir unsere letzten Lebensmittelvorräte und packen unser Gepäck ins Auto. Gegen zehn Uhr starten wir dann Richtung Nordosten. Schon nach wenigen Kilometern warten das erste Tagesziel, das ehemalige Kloster Moundon bei dem Dorf Diefcha. Wir sehen den Campanile unterhalb der Straße und parken das Auto oben. Da die Straße breit genug ist hätten wir auch gut hinab fahren können – eine weite Serpentine macht den Weg länger als gedacht, und gibt keinen abkürzenden Fußweg.

 

Das Kloster Moundon ist dem heiligen Johannes dem Täufer (Ioannis Prodromos, eigentlich der „Wegbereiter“) geweiht, stammt aus dem 16. Jahrhundert (oder wurde 1574 renoviert) und ist nicht mehr bewohnt, hat aber regelmäßige Öffnungszeiten - im Sommer. Jetzt ist es natürlich zu, und auch von außen kann man nicht viel erkennen. Eine beeindruckende Bibliothek soll zum Kloster gehören, das nach Nea Moni das wichtigste Kloster von Chios sein soll, und das von den Osmanen 1822 zerstört, aber später wieder aufgebaut wurde.

Schade, dass es zu ist! So versuchen wir so ein paar bessere Blicke zu erhaschen, aber die hohen Mauern verhindern das weitgehend.

Weiterfahrt nach Norden entlang dem Hang des Pelineo. Die Gegend wird karger und kahler, die Straße steigt bis auf fünfhundert Meter bei Fyta und Spartounda an. Riesige Schäferhunde begleiten bellend unsere Passage von Fyta und verdrängen jeden Gedanken an einen Fotostopp. Kurz darauf blockieren Ziegen die Straße, lassen uns unwillig durch.

Der Blick nach Norden reicht über braunverbrannte Erosionstäler über das Meer bis Lesvos.

 

Ab Kambia wird es wieder waldiger, hier stehen zahlreiche Kirschbäume. Die Straße wird schmaler, ein Mal sogar so schmal, dass wir Bedenken haben ob wir noch richtig sind. Sind wir aber – wo hätten wir denn auch abzweigen sollen? Vor eineinhalb Wochen sind wir mit der Fähre die Küste entlang gefahren – von unten sah die Region belebter aus als sie jetzt ist. Auch in Viki ist alles im Herbstschlaf.

 

Giósonas ist unsere letzte Bademöglichkeit in diesem Urlaub. Die Strände sind völlig verlassen, die Brandung ist stark, das Meer sieht kalt aus. Und den Weg von der Straße hinab finden wir auch nicht. Dann eben nicht.

In Kato Kardamyla (auch Marmaro) an der Küste mit einem kleinen Hafen ist dafür richtig was los - Kleinstadtleben. Eine Windmühle und zwei Bronzeplastiken eines kardamylotischen Seemannes und einer Kardamylotin von Thanasis Apartis verteilen sich entlang der beschaulichen Uferpromenade, im Café sitzen junge Leute.

Nach einem Nescafé geht es weiter hinauf in den alten Ort (Ano) Kardamyla, drei Kilometer weiter im Landesinneren, überragt vom markanten Gipfel des „Gria“ (= alte Frau). An der platanenschattigen Platia mit einem schönen Kafenio stellen wir das Auto ab, wenden uns aber erst in die falsche Richtung an einem Glockentürmchen vorbei. Da kommen wir nicht weiter, das alte Dorf liegt jenseits eines Tales. Wieder zurück und nun der Beschilderung „Spilia“ (so heißt der obere Ortsteil, wobei ich keine Höhlen gesehen habe) aufwärts folgen.

 

Kardamyla war seit dem achtzehnten Jahrhundert eine Seefahrerstadt – viele Reederfamilien stammen von hier, und auch die Reederinsel Inousses wurde von hier aus besiedelt. Natürlich wohnt man heute nicht mehr auf der griechischen Mutterinsel Chios, sondern in Athen oder im Ausland. Zunächst war man in sichereren Zeiten aber zu Küste hinabgezogen, nach Marmaro. Und viele der Häuser vor allem weiter oben im Ort verfielen. Inzwischen hat man einige zu Touristenquartieren ausgebaut (z.B. die Spilia-Studios, im Oktober alle schon geschlossen) und dem Verfall etwas Einhalt geboten.

 

Ein Bummel durch den Ort macht Spaß, nicht nur wegen der reifen Weintrauben. Am oberen Ortsrand gibt es ein paar Stufen wie ein kleines Theater, und der Blick zum Gria ist auch schön. Wenn wir noch etwas Zeit auf Chios hätten, ich wollte hinauf und die Reste des Kastros besichtigen. Der Fußweg führt aber nicht von Kardamylia aus hinauf, sondern von der Südseite auf der anderen Bergseite.

Weiter führt die Tour nach Süden zum Fischerort Langada, der hübsch in einer Bucht und an einem Flusslauf liegt. Von hier aus kann man mit dem Sea-Taxi nach Inousses hinüberfahren. Ein Fußgängersteg spannt sich über die Mündung des Krikelis-Flusses, an dem in ruhigem Wasser zahlreiche Kaikia liegen. Ein echtes Idyll!

Entlang der Paralia reiht sich Laden an Café an Lokal, aber fast alle sind geschlossen – ob nur tagesüber, oder montags, oder weil wir Oktober haben – keine Ahnung. Die Fischtaverne „O Passas“ hat aber geöffnet, und wir bestellen Angourotomatasalata und Atherines – gebratene Minifische. Ein Viertel Weißwein dazu, und Wasser. Keine fünfzehn Euro beträgt die Rechnung. Satt werden bei dem Berg Fischlein nicht nur wir, sondern auch die zahlreichen Katzen.

 

Ein gemächliches Treiben ist das hier – ein Bootstaxi kommt von Inousses und setzt Passagiere ab, die dann erst mal eine kleine Ewigkeit auf ihren Abholer warten müssen. Vom Ufer und von Booten wird geangelt, und etwas weiter vorne schnorchelt jemand. Jetzt irgendwo ein Nickerchen wäre nett, denn bis Chios-Stadt haben wir nicht mehr weit. Wir hängen noch etwas in der Taverne ab und schlendern entlang des Ufers.

Kurz vor Vrondatos liegt an der Küste unterhalb der Straße das Kloster Panagia Myrtidiotissa Mirsinidiou. Entgegen der Beschreibung im Reiseführer ist es geöffnet (geschlossen von 13 bis 16/17 Uhr je nach Jahreszeit), aber wir sind nicht vorschriftsmäßig mit Rock oder Kleid ausgerüstet. Trauen uns trotzdem hinein – ein Mönch ist zugange mit einem Handwerker. Er würdigt uns kaum eines Blickes, lässt uns aber trotz unseres unpassenden Outfits einen Blick in die geöffnete Kirche werfen. Das Kloster ist aus dem Jahr 1897 und war während des Zweiten Weltkrieges ein Versteck von Widerstandskämpfern.

Die Schatten sind schon lange geworden, wir frösteln bei dem großen Kreuz und dem Friedhof unterhalb der Klosteranlage. Da hat es auch einen schönen Badeplatz, aber das ist nun schon zu spät.

Bei Homers Stein wollen wir noch vorbeigucken. Zu früh halte ich und lande beim Grab von Ioannis (John) Psycharis in einer kleinen Anlage über der Küste. Der Philologe und Schriftsteller lebte überwiegend in Frankreich (+ 1929 in Paris) und setzte sich für die Dimotiki (= Volkssprache, im Gegensatz zur Katharevousa = „reine“ (Hoch-)Sprache) als Amtssprache Griechenlands ein. Auf eigenen Wunsch wurde er auf Chios begraben.

 

Am Ortseingang von Vrondatos soll sich dann der Stein des Homer, der sogenannte „Daskalopetra“ befinden. Der „Stein des Lehrers“ ist eine quaderförmige Erhebung, aus einer steinernen Plattform herausgehauen. Homer soll hier seine Schüler unterrichtet haben, was sich touristisch hervorragend vermarkten lässt, wie man an den zahlreichen – jetzt leeren - Parkplätzen und der großen Taverne sieht. Tatsächlich war die Anlage wohl Teil eines Kybele-Heiligtums aus archaischer Zeit.

 

Letzter Stopp auf dem Weg nach Chios-Stadt sind die vier Windmühlen in Vrondatos. Ein Muss für jeden Fotografen, und auch ich schaffe es, die Mühlen so abzulichten, dass man die vollkommen unromantische Umgebung - vielbefahrene Straße, großer Supermarkt, herumliegender Müll, kaputte Uferpromenade – nicht im Bild sieht.

Es lebe das Traum-Trug-Bild….

Bei Chios Economy Rent a Car an der Paralia geben wir das Auto zurück. 469 Kilometer sind wir in den acht Tagen gefahren. Eigentlich mag ich Inseln, die man ohne Auto erkunden kann, lieber (kleine Inseln halt). Aber das Geld war gut angelegt, wir konnten viel ansehen ohne dass es in Fahrstress ausgeartet ist. Die zwei Standquartiere in Mesta und Volissos waren dabei von Vorteil.

Bis 21 Uhr können wir unser Gepäck beim Autoverleiher noch lassen. Nebenan kaufen wir die Fährtickets für die „Blue Star Patmos“ – das neueste Schiff der Blue-Star-Flotte. 39 Euro kostet die Deckpassage, der Angestellte rät zu Air-Seats weil das Schiff voll würde. Da hat man einen festen nummerierten Sitz. Wir lassen uns überreden. Um 23.10 Uhr fährt das Schiff, noch vier Stunden Zeit.

 

Ich brauche dringend einen Ouzo – die frittierten Fischlein vom Nachmittag liegen mir noch im Magen. Der Mutter geht es ähnlich.

Im Kafenio am Busbahnhof werden wir fündig. Danach ein Bummel durch das schon nächtliche Chios-Stadt. Immer noch drei Stunden. Wir holen das Gepäck und installieren uns in der Ouzeri „Tsivaeri“ am nördlichen Hafenanleger. Hunger haben wir immer noch keinen. Nur beim Ouzo sitzen? Nein, das geht ja nicht, außerdem ist es unser letztes griechische Abendessen für dieses Saison. Wir bestellen eine Mezedes-Platte zum Ouzo, und werden mit fettigen Häppchen eingedeckt: frittierte Teigtaschen, Zucchinikeftedes, Oktopus, Saganaki. Spätestens als ein Tellerchen mit frittierten Fischchen kommt geben wir auf. Die einzige anwesende Katze weiß gar nicht wie ihr geschieht, aber nach anfänglichem Misstrauen schlägt sie sich den Bauch voll. Der Rest wird eingepackt und beglückt später weitere Katzen draußen.

 

Bis halb elf sitzen wir dort, und glauben, nie wieder etwas essen zu können. Am Anleger ist schon ordentlich was los – Passagiere, LKW, Aufleger, PKW. Um dreiviertel elf biegt die „Blue Star Patmos“, von Lesvos kommend, um die Ecke und legt pünktlich an. Von der Rolltreppe und im Gewühl lassen wir uns verführen, unsere Trolleys mit nach oben zu nehmen. Eine Fehler – die Gepäckaufbewahrung, so es sie gibt, ist unten, und da kommen wir nun nicht mehr hin.

Das Schiff ist wirklich ganz schön voll, und ob wir ein gemütliches Plätzchen in der Deck-Klasse gefunden hätten? Auf Deck ist es kalt, aber wir warten die pünktliche Abfahrt natürlich ab, sehen zu wie das Hafenbecken von Chios allmählich im Dunkel verschwindet.

Dann zu unseren Sitzen. Die sind durchaus breit und bequem (für Rückenschläfer), aber fast alle Plätze sind belegt, auch der Nebensitz. Im Gang steht das Gepäck, die Luft ist käsefußgeschwängert (nein, an mir liegt es nicht: ich lasse meine Schuhe an), in der Nacht brüllt immer wieder ein Kleinkind, gelegentlich begleitet von der Mutter, die es zum Schweigen animieren möchte. Dazu Geschnarche, Gebelle und andere nächtliche Geräusche.

Kurz: die Nacht verbringen wir alles andere als komfortabel. Das nächste Mal gibt es eine Kabine, oder doch Holzklasse auf Deck.

 

Selten habe ich Piräus so sehnsüchtig erwartet, leicht gerädert. Gegen sieben Uhr am Morgen laufen wir dort ein, ein paar fette Kreuzfahrtschiffe flankieren die Einfahrt. Und darüber ein glutroter Morgenhimmel.

Mit der Metro fahren wir nach Monastiraki – unser Rückflug ist erst am Nachmittag. Die Gepäckfächer dort sind natürlich alle voll, aber dank Richis Tipp haben wir eine Alternative: das Hotel „Phivos“ ein paar Meter weiter nördlich hat eine Gepäckaufbewahrung (drei Euro pro Gepäckstück).

 

Das frühmorgendliche Athen hat was: die Gassen sind leer, es ist ruhig, die Plätze werden abgespritzt Zwei Stunden später werden wir Monastiraki kaum wiedererkennen.

Frühstück im „Metropol“ gegenüber der Mitropolis-Kirche. Athen wird allmählich wach. Durch die Hermes-Straße zum Syntagma-Platz, wo vor dem Parlamentsgebäude und dem Grabmal des unbekannten Soldaten das Schauspiel „Touristen und Evzonen“ in vollem Gange ist.

Ein Soldat ohne Tracht mit blauem Barett achtet darauf, dass niemand die bewegungslosen Evzonen anfasst oder ärgert: und da hat er durchaus einiges zu tun. Als er sich bei der Wachablösung mit dem Kollegen verquatscht und nicht auf seinen Schutzbefohlenen achtet, muss der sich Aufmerksamkeit verschaffen indem er das Gewehr lautstark auf den Boden knallt. Das sorgt dann auch für den nötigen Abstand zu den aufdringlichen Touristen (und, ja, auch griechische Touristen können aufdringlich sein).

Schließlich lassen wir uns im Kafenio „I Orea Ellas“ in der Ifestou nieder. Am späten Vormittag ist in hier von der Krise nichts zu spüren. Touristen aus aller Herren Länder flanieren und gönnen sich gegenüber einen „frozen yogurt“, und die Einheimischen schleppen ihre Einkäufe durch die Gegend oder trinken lieber einen Frappé im Kafenio.

 

Und wir müssen uns allmählich von Athen und Griechenland verabschieden. Mit der Metro fahren wir zum Flughafen, checken ein (treffen dort Awi :-) , sie fliegt mit uns) und heben mit Aegean Airlines pünktlich via Thessaloniki nach Stuttgart ab.

 

Gut zweieinhalb Wochen waren wir in der Ostägäis, haben die Inseln 63 bis 65 (bzw. 62 bis 64 die Mutter) „gesammelt“, und schöne Strände, historische Orte und faszinierende Landschaften erlebt. Vor allem aber haben wir überall freundliche und hilfsbereite Menschen getroffen, die für uns dieses Land so bereisenswert machen.

 

Der nächste Griechenland-Urlaub ist schon gebucht. :-)