Herbsttage

Der Abend endete mit Wetterleuchten über dem Meer, und in den frühen Morgenstunden geht ein Gewitter über Kefalonia nieder, verbunden mit ordentlichen Regenfällen. Auch nach Sonnenaufgang regnet es weiter, aber das Schlimmste scheint schon vorbei zu sein, glücklicherweise ohne auch nur annähernd die befürchtete Heftigkeit erreicht zu haben.

Ich wohne und faulenze am Vormittag, und verpacke mich gegen Mittag wasserdicht, packe außerdem den Schirm ein, und breche zu einem Spaziergang auf. Der Regen hat aufgehört, und schon nach wenige Minuten reiße ich die Regenjacke von mir - Atmungsaktivität funktioniert nur bei Temperaturgefälle zwischen innen und außen, und es ist immer noch oder schon wieder warm, so dass ich schnell schwitze. Dann lieber Nässe von außen.

 

Ich gehe entlang der wenig befahrenen Straße nach Westen. Olivenhaine und abgeerntete Felder rechts und links der Straße. Bevor ich rechts nach Karavados abbiege, überholt mich hupend der Jeep mit Se und Ole auf dem Weg zum Flughafen.
Karavados ist ein etwas größerer Ort, nur wenig vom Tourismus berührt liegt er leicht verschlafen zwischen den beiden Hauptstraßen unter- und oberhalb. Ein Kafenio und einen Mini-Markt kann ich ausmachen, aber keinen Bäcker. An der Kirche mit größerem Friedhof vorbei wähle ich die Nebenstraße hinauf Richtung oberer Hauptstraße. Ruinen einstöckiger Häuser säumen die Straße und offenbaren ihr Innenleben mit maroden Tischen und Kommoden. Verlassen beim letzten Erdbeben? Sturm? Oder aus anderen Gründen?

Die Straße schlängelt sich weiter durch Olivenbäume, dahinter ragen dunkle Zypressensäulen in die Höhe. Der immer noch wolkenschwergraue Himmel verleiht dem Ganzen eine leicht apokalyptische Stimmung. Hinter mir ragt ein kegelförmiger Hügel in die Höhe, ähnlich dem, der etwas weiter westlich das Kastro trägt. Vor dem Weiler Agia Kyriaki biege ich rechts auf einen Feldweg ein und erreiche schließlich Mousata. Das Dorf hängt unterhalb der Hauptstraße, auf der ich nun weiter nach Osten gehe. Aber nicht weit, denn rechter Hand stoße ich auf den Bäcker "Triti Genia". Zeit für einen Imbiss. Die Fleischpitta und die Limo verspeise ich direkt am Tischchen vor dem Lokal, die Milopittakia und die Tomatencräcker wandern für später in den Rucksack.

 

Die obere Hauptstraße ist auch eine Panoramastraße mit balkonartigem Blick über Trapezaki und den Livathos bis zum Kastro. Damit auch ein perfekter Platz für eine Feuerwache. Immer noch Brandsaison.

Nach zweieinhalb Stunden und gut neun Kilometern erreiche ich Vlachata, den größten Ort der Gegend. Es ist gerade Schulschluss, und überall strömen die Schüler und abholenden Fahrzeuge, vom Motorroller bis zum Schulbus.

Nun wird es Zeit zum Abstieg nach Trapezaki, das ich unter mir ausmachen kann. Im weiten Zickzack führt die Straße hinab, und nun entdecke ich auch die kurze Meile mit Supermärkten und Restaurants wieder, in der ich am ersten Tag war. Auf der Zwischenebene zwischen oberer und unterer Hauptstraße bin ich dort später gar nicht mehr vorbeigekommen.
Kurz vor drei Uhr bin ich wieder im Quartier. Mit 11,4 Kilometern war das meine längste Wanderung in diesem Urlaub, wobei die Höhenunterschiede mit 140 Metern noch überschaubar waren.

Am Abend habe ich keinen Tisch im "Gefiri" bestellt, und so gehe ich zur Abwechslung nochmal ins "Veramente", wo man nicht warten muss. Der Humus und die Soufla sind ausgezeichnet, aber nicht von der geschmacklichen Raffinesse wie gegenüber.

Und morgen muss ich wieder früh raus, denn schon um Viertel nach acht ist Abfahrt in der Kajak-Basis, wie Pavlos per Mail gemeldet hat. Es geht weit, nach Agia Kyriaki. Von dort mit dem Kajak nach Fteri. Ich freue mich sehr!

 

*

 

Das Wetter hat sich gemacht, und es verspricht ein schöner Tag zu werden, auch wenn die Herbstboten, Wind und Wolken, nicht mehr zu übersehen sind. Aber gut, wir haben den 28. September. Da darf das.

Nur Se und ich machen uns heute auf die lange Fahrt. Gelegenheit, sich intensiv über Kefalonia zu unterhalten. Wir werden an dem kleinen Hafen von Agia Kyriaki, den ich schon kenne, noch ein Paar aus Florida treffen, und uns zu viert auf die Tour machen.

Als wir nach halb zehn dort ankommen, warten die Amerikaner schon. Wir laden die Kajaks an der Rampe des Hafens ab, dann parkt Se den Wagen mit Trailer weiter entfernt. Sonst bekomme er Ärger mit der Wirtin des nahen Fischlokales. Das möchte er natürlich nicht.

 

Ich darf schon raus aufs Wasser und warte in dem kleinen Hafen, bis die Amerikaner im Doppel und Se auch fertig sind. Dann geht es entlang der Küste nach Norden. Wir passieren den Strand von Vouti mit Taverne und Sonnenschirmen. Nun, am Vormittag, ist kaum etwas los dort. Dann wird die Küste steil, es geht Rockhopping ums Kap Agianniou. Eine tolle Kulisse!

Die vertikale Felsenwand zu unserer Linken wird stark von horizontalen Felsenbändern untergliedert. Als diese nicht mehr parallel zum Meeresoberfläche verlaufen, sondern absinken, haben wir plötzlich das starke Gefühl, das Meer mit uns darauf würde bergan steigen, und wir aufwärts paddeln. Eine optische Täuschung natürlich, aber sehr real und komisch.

Das Wasser hat hier wieder diese leicht milchige Trübe, die das Türkis leuchten lässt.

Aus einer kleinen Spalte im Felsen spritzt das Wasser hoch. Se führt uns dorthin und lässt sich bespritzen. Einzeln oder vielmehr bootsweise tun wir es ihm nach und können diese Naturdusche genießen. Cool!

 

Bis zu unserem ersten Halt am Strand von Fteri ist es nun nicht mehr weit. Ein weiter Talkessel öffnet sich zu dem tiefen, weißen Strand, vielleicht zweihundert Meter lang und ähnlich tief. Er wird vom Dunkelgrün der Macchia eingerahmt. Wir ziehen unsere Kajaks am westlichen Ende an Land, müssen dabei auf die Brandung aufpassen, und darauf, dass das Meer gleich recht tief wird. Se landet als erster und hilft uns beim Ausstieg, und es klappt kenterfrei.

Fteri ist einer der schönsten Strände von Kefalonia. Da er nur zu Fuß oder inzwischen mit dem Taxiboot zu erreichen ist, verteilen sich lediglich rund zwei Dutzend Badegäste wie Inselchen auf der weiten Kiesfläche des Strandhinterlandes. Auch Taverne oder Schirme gibt es glücklicherweise nicht, alles naturbelassen.

 

Das Wasser hat sich durch das gestrige Schlechtwetter leicht abgekühlt, hat aber immer noch angenehme 23 Grad und lässt sich herrlich schwimmen. Danach gibt es Kekse als Snack, und Entspannung und Gespräche über Fauna und Flora in Florida, wo der Amerikaner in einer NATO-Basis für genau diese Natur zuständig ist, und von Begegnungen mit Seekühen erzählen kann. Da kommt auch Se ins Staunen.

Unser Weg führt uns dann weiter nach Norden, zunächst vorbei an weiteren weißen Kiesstrandstreifen, die von weißen Steilwänden überragte werden. Sehr genial, und ich finde die Dramaturgie meiner Paddeltouren sehr gelungen, mit Steigerung von Tag zu Tag. Morgen ist mein letzter Urlaubstag, und ich werde nicht mehr ins Kajak steigen. Ein guter Höhe- und Schlußpunkt heute,

 

Die Mittagsrats legen wir am Strand von Amidi ein. Er liegt im Abschluss eines Taleinschnittes und ist ebenfalls nur zu Fuß oder per Boot zugänglich. Zu weit für die Taxiboote, und offenbar auch für Fußgänger, denn wir sind alleine hier. Die Kiesel sind grauer, der Strand kürzer, aber im Schatten von Bäumen findet sich zu unserer Überraschung eine komplette Garnitur von Tisch mit Stühlen, und sogar einer großen Kühlbox. Se richtet dort unseren Mittagstisch an, und erklärt, dass ein Fischer diesen Platz eingerichtet hätte, um hier mit Tagesgästen nach einem Fischereitrip zu speisen. Und er den Platz auch benutzen dürfe.

Der Himmel hat sich etwas zugezogen, und der Wind ist wechselhaft, dreht immer wieder. Wir werden doch nicht noch nass werden? Das wäre kein Problem, mein Se, aber der Wind könnte weiter auffrischen, und uns beim Rückweg entgegenwehen. Statt die Bucht abzuschneiden, würden wir doch besser wie auf dem Hinweg nahe der Küste bleiben, was aber länger dauere.

 

Und so machen wir es dann auch, als wir wieder zurückkajaken. Auf dem letzten Stück wird es etwas mühsam, und ich bin durchaus müde, als wir gegen drei Uhr wieder im Hafen von Agia Kyriaki anladen. Aber positiv müde, erfüllt von der tollen Tagestour.

Se ist wirklich ein ausgezeichneter und sehr sympathischer Guide. Es hat Spaß gemacht, mit ihm (und Kollege Haris) unterwegs zu sein. Danke, Se!

Gemütlich packen wir Kajaks und Zubehör wieder auf den Anhänger, verabschieden uns von den Amerikanern, und fahren die lange Strecke entlang der Bucht von Livadi wieder zurück in die Kajak-Basis, wo ich meine Drybag zurückgebe, und mich herzlich von Se verabschiede, dessen Saison nun auch dem Ende entgegen geht. Noch drei, vier Tagestouren. Vielleicht sieht man sich mal wieder.

 

Im "Boho" darf ich den Frappé heute noch um ein köstliches Karamell-Eis ergänzen. Ich kontaktiere meinen Vermieter wegen der Bezahlung des Apartments, und wegen eines Taxis am Abreisetag. Er wird morgen Vormittag um zehn vorbeikommen.

 

Das Kaninchen mit kretischer Pasta, das ich am Abend im "Gefiri" zu mir nehme, ist so köstlich und die kulinarische Krönung alles bisher auf der Insel Gegessenen. Sogar auf einen Tisch musste ich nicht warten, da ich einen der Plätze ohne Überdachung wähle, auf die Gefahr hin, von drohenden Regen nass zu werden. Aber der Regen hat ein Einsehen, und kommt erst in der Nacht. Da habe ich längst mein Kaninchen und den Wein bezahlt - preiswerte 19 Euro für das kulinarische Highlight - und einen Tisch für morgen Abend reserviert. Denn natürlich werde ich mein Abschiedsessen im "Gefiri" einnehmen.

 

*

 

Der Balkon ist nass, und so muss ich meine letztes gemütliches Frühstück nach drinnen verlegen. Aber die Sonne scheint schon wieder. Um zehn Uhr kommt Michael/Michalis, und ich bezahle mein Zimmer. Außerdem bestellt er mir gleich telefonisch ein Taxi für morgen Vormittag, acht Uhr. Die Fahrt würde 30 Euro kosten. Ich versäume, ihn nach der Telefonnummer das Fahrers zu fragen, was ich morgen noch sehr bereuen werde.

Danach packe ich die Badesachen ein und gehe durch die dschungelartige Vegetation mit knallvioletten Winden hinab zum Kanali-Strand, wo es ziemliche Wellen hat. Ich bade trotzdem, sonnenbade auch etwas. Es ist schon wieder warm. Eigentlich wollte ich entlang der Küste zum Trapezaki-Strand gehen, aber die Brandung scheint den Weg an den Engstellen abzuschneiden oder mindestens sehr nass zu gestalten. So nehme ich gegen Mittag die andere Richtung nach Lourdata.

Wellen und Wind gestern haben die meisten der Balance-Steinen abgeräumt, nur ein paar stehen noch hartnäckig auf einem großen Brocken.

 

Etwas weiter, schon kurz vor Lourdata, fallen mir nun etwas zurückgesetzt am Strand die mit Stöcken und rot-weißen Baustellenbändern markierten Schildkrötengelege auf. Ich würde sehr gerne einmal miterleben, wenn die Tierchen schlüpfen, aber da muss man Glück haben, und zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Besser, man lässt die Gelege in Ruhe.

 

Direkt über dem kleinen Hafen von Lourdata liegt die Taverne "Lithero", deren Stühle zu Verweilen einladen. Ich komme der Einladung nach, werde aber von einer Frau, die dort zugange ist, ignoriert. Da ich der einzige Gast bin, ist wohl mittags doch nicht geöffnet. Im "Lourdas Mare" einen knappen halben Kilometer serviert man mir aber gerne Kalamaria und ein Viertel Weißwein mit Blick auf den Strand. Wenn jetzt der Bus um halb drei noch zurück fahren würde ... er tut es nicht, oder zumindest nicht ab der Paralia, sondern bestenfalls oben im Ort. Ohne mich.

So wähle ich erneut den Weg entlang des Strandes und den schweißtreibenden Aufstieg durch den Dschungel. Gut, dass ich einen Pool haben, in dem ich mich danach nochmals erfrischen kann, ehe ich beginne, meine Sachen zusammenzupacken.

Zum Festmahl wird das Abendessen im "Gefiri". Heute entscheide ich mich gegen eine Haupt- und für zwei Vorspeisen. Die Fava wird in einer interessante Kombination mit Hering serviert, und die Ceviche ist nicht wie erwartet am Stück, sondern mit Gemüse durchmischt, aber zum Niederknien. Eine Kugel ausgezeichnetes Eis und ein Gläschen Raki danach runden das Menü ab. Mit 27 Euro kostet das Ganze etwas mehr als gewohnt, aber keinen Cent zu viel. Erfüllt von göttlichen Speisen wird mir der Abschied von der Insel schwer.

 

*

 

Am Morgen um acht habe ich dann noch eine Schreckstunde. Der bestellte Taxifahrer kommt nämlich nicht. Ich warte zehn Minuten und versuche dann vergeblich, Michael anzurufen: er geht nicht dran. Im Internet recherchiere ich ein Taxiunternehmen, aber der Wagen muss erst aus Argostoli kommen, was zwanzig Minuten dauert. Ich warte so lange, aber auch dieses Taxi kommt nicht. Der Rückruf ergibt: nein, meine Bestellung sei nicht also solche angekommen. Und jetzt wäre viel los, da dauere die Anfahrt eine halbe Stunde. Ich weiß nicht genau, wie lange es zum Flughafen dauert, schätze etwa eine Viertelstunde, und dann wird es verdammt knapp. Ob ich einen der Gäste frage? Es stehen drei, vier Mietwagen vor dem Haus.

 

Da taucht das Zimmermädchen in meinem Blickfeld auf. Es ist vor einigen Minuten mit dem Auto gekommen, und dann irgendwo verschwunden. Ich erkläre ihr auf Griechisch meine Problemlage, und sie ist netterweise bereit, mich zum Flughafen zu fahren. Während der zwanzigminütigen Fahrt erfahre ich, dass Sara aus Albanien ist, aber schon lange hier in Vlachata lebt und zwei kleine Kinder hat. Im Winter sei Trapezaki ausgestorben und es schwer, Arbeit zu finden.

Während der Fahrt ruft Michael auf meinem Handy an, der natürlich sein Zimmermädchen bei ihrer angestammten Arbeit vermisst, aber ihr den Dienst für mich schwer versagen kann, da er ja schließlich das Taxi mit dem unzuverlässigen Fahrer reserviert hat. Und ich lasse mir zukünftig immer die Telefonnummer des Taxifahrers geben!

Um Viertel nach neun, halb zehn, erreichen wir den Flughafen rechtzeitig, und ich runde die veranschlagten 30 Euro Taxikosten großzügig auf, was Sara zunächst ablehnt, aber mit dem Verweis auf die Kinder und den kommenden Winter schließlich doch nimmt. Efcharisto Sara! Ke kalo chimona!

 

Und so endet aufgeregt ein entspannter und abwechslungsreicher Urlaub. Kefalonia war ganz anders als erwartet: blauer, bunter, wärmer. Aber auch geordneter und distanzierter. Es war schön, aber etwas hat mir gefehlt.

Das ionische Meer ist halt doch die falsche Seite Griechenlands ... ;-)