Heiße Septembertage

 

Auf DEM Balkon muss man einfach frühstücken! Auch wenn wir heute eher noch improvisieren – mit dem Panorama schmeckt der Frühstückskaffee doppelt gut. Selbst wenn es nur Nes ist.

Es ist warm heute, der Wind kommt von Süd. Wir packen Badeklamotten ein und ziehen Röcke an, denn wir wollen – ich weiß nicht zum wievielten Mal – ins Kloster Chozoviotissa. Bis wir fertig sind mit Frühstücken – ich musste erst Brot beim Bäcker holen (der liegt neben der Taverne „Nikos“) - ist es zehn Uhr vorbei. Die tolle Straße, die sich auf vierhundert Meter über dem Meer anhebt, führt uns von Egiali vorbei an Agios Pavlos – da wurde ziemlich gebaut – bis zu den Höhen des Profitis Ilias. Vor zwanzig Jahren, als ich das erste Mal auf Amorgos war, war diese Straße eine Schotterpiste, nur mit dem Jeep befahrbar. Bus gab es da natürlich keinen, und so sind wir in Katapola und Chora geblieben. Wir, das waren damals bei meinem ersten richtigen Inselhüpfen meine Kollegin Stefanie und ich. Sie, die Stickerin, und ich, die Weberin. Was sie wohl heute macht? Der Kontakt ist schon lange abgebrochen…

 

Natürlich muss man immer noch auf die Ziegen aufpassen, die sich mit Vorliebe auf der Straße aufhalten. Jetzt liegen sie aber im schmalen Schatten der Leitplanken und Felsvorsprünge.

In Chora nur ein schneller Fotostopp, wir wollen später zurückkommen. Die Kurven hinab zum Klosterparkplatz, von einem halbe Dutzend Mietmopeds in breiter Phalanx belegt. Bis 13 Uhr ist das Kloster offen, dann ab 17 Uhr wieder bis 19 Uhr.

Wie gesagt: es ist warm, und schon nach wenigen Metern auf dem der Sonne ausgesetzten Weg schwitzen wir. Schön langsam gehen, aber nach einer Viertelstunde am Kloster suche ich den spärlichen Schatten eines dürren Bäumchens während ich auf die Mutter warte.

Heute ist lebhafter Betrieb auf dem Weg zum und vom Kloster, am Zaun vor der Pforte hängen Leihröcke und –hosen. Die brauchen wir nicht (und auch kein Handtuch wie letztes Mal) – wir sind ordentlich berockt und schulterbedeckt. In gebückter Haltung zum niedrigen Tor hinein, die schmale steile Treppe hinauf. Im ersten Stock sitzt Abt Spiridon, freundlich lächelnd, und putzt grüne Bohnen. Er fragt nach dem Woher, und es entsteht ein profanes Gespräch über Bohnengerichte in Deutschland und Griechenland. Auch nett! Drei Mönche leben noch im Kloster, einen davon treffen wir oben in der Kirche. Die Luft ist drückend, aber draußen gleißt die Sonne.

 

Wir freuen uns auf die Erfrischung unten im Saloni unter den Blicken finster dreinschauender Freiheitshelden und Äbte. Loukoumia, Rakómelo und Wasser – über letzteres freuen wir uns am meisten. Ein kanadisches Paar schwitzt solidarisch, sie wollen zu Fuß nach Egiali, sehen aber jetzt schon fertig aus. Karte haben sie keine, ich erkläre kurz den Weg, der eigentlich nicht anstrengend ist, aber in der Wärme heute? Ein Amerikaner erzählt wortreich von seiner Odyssee nach Amorgos – Einreise ohne Visum über die Türkei nach Samos, dort wurde er zurückgeschickt bis Bulgarien („which I had to do“). Er ist nicht angetan von Griechenland, beschwert sich über den schlechten Service und den veralteten Busfahrplan an der Klosterpforte. Vielleicht seine erste Griechenland-Erfahrung? Auf alle Fälle hängen dort am Parkplatz die Telefonnummern von fünf Taxifahrern, und zwei gemütliche Sessel zum Warten stehen auch da. Er nimmt aber lieber den Fußweg aufwärts nach Chora, und wir die Straße hinab nach Agia Anna.

Nach einem kühlen Bad steht unser Sinn, aber das war zu optimistisch – der schmale Strand unterm Kloster mit der spektakulären Big-Blue-Ansicht ist gut belegt, zwischen den Felsen braucht man Badeschuhe, und schon die paar Meter hinauf zum Auto lassen den Schweiß wieder strömen.

Gibt es heute keinen kühlen Ort auf der Insel?

Doch, müßte es geben, und der ist unser nächstes Ziel. 

Chora lassen wir erneut (und nicht zum letzten Mal heute) rechts liegen, denn unser Ziel ist das Restaurant „Anemolithi“ oben auf dem Sattel bei Kamari. Haben wir uns dort im April im kalten Wind einst fast die Ohren abgefroren, so ist das nun hoffentlich ein wundervoll luftiger Ort.

Das Lokal samt angegliederten Studios ist geöffnet, und wir sind – mal wieder – die einzigen Gäste.

Dieses Mal auf der Terrasse. Fünf Jahre gehen nicht spurlos vorbei, erst recht in dieser ausgesetzten Lage: Alles hat etwas Patina angesetzt, wirkt nicht mehr so frisch, aber immer noch liebe- und geschmackvoll dekoriert. Unser Wirt (und Koch) heute ist der nette Besitzer, den wir vom Supermarkt von Katapola kennen. Ob da in den letzten Jahren ein paar Träume geplatzt sind? Er wirkt etwas desillusioniert und müde, im August läuft der Laden aber (was nicht reichen kann). Wir bestellen ein Omelett mit Käse und Kartoffeln und einen Amorgos-Salat, beides kommt reichlich und sehr köstlich daher (dieser Amorgos-Käse, ist der gut!). Das kühle Radler und die Frische der Luft tun das Ihrige – wir versacken dösend, und die Schweißbäche trocknen. Wenn ich im August auf Amorgos sein müsste, dann würde ich diesen Ort der Entschleunigung als Quartier wählen.

 

Im westlich liegenden Korakas-Gipfel hängen Wolken. Der wäre ja auch noch ein Ziel. Es gibt noch viel zu entdecken auf Amorgos, auch nach acht Besuchen. Aber nun lockt – nach dem entgangenen Badespaß von Agia Anna, die nahe Bucht von Mouros.

Die Kurven hinab künden schon die vielen Fahrzeuge auf dem Parkplatz davon, dass hier mit der Einsamkeit des Inselsattels nicht zu rechnen ist. Ich hatte den Strand von Mouros größer in Erinnerung, aber wir waren damals auch am späteren Nachmittag und im Oktober da, und alleine. Nun ist es fast schwierig einen Platz für das Badetuch zu finden, der feine Kies ist brüllend heiß, und die Hitze lässt auch direkt nach dem Bad (Vorsicht, Im Wasser hat es große Steinplatten) die Betriebstemperatur wieder steigen. Ohne Schatten geht hier heute nichts.

Wir treten die Flucht an, zum zweiten Mal heute völlig durchgeschwitzt. Das in der Sonne stehende Auto ist zum Backofen mutiert.


An der Ormos Mourou soll 1956 der Tsunami nach dem Erdbeben südlich von Amorgos  zwanzig Meter hoch gewesen sein! Einen interessanten Artikel (auf Englisch) dazu gibt es hier: http://www.earth.northwestern.edu/people/emile/PDF/EAO202.pdf

Zum Glück ist die Südküste von Amorgos unbewohnt, an der Nordküste war der Tsunami nur noch ein bis zwei Meter hoch. An die gelegentlich kolportierten 50 Toten von Amorgos glaube ich daher nicht - das scheint mir eher die Zahl der Erdbebenopfer auf Santorin zu sein.

Wir verschieben den Besuch der Chora auf einen der nächsten Tage (es gibt ja noch den Bus) und fahren mit einem Tankstopp hinab nach Katapola. Der Ort an der Bucht liegt samt den müden Katzen ruhig in der mittäglichen Siesta, aber die Segler sorgen für etwas Hafenkino. Die Bäckerei hat leider geschlossen, keine Ahnung wann sie wieder öffnet. Dito der Laden mit hübschen T-Shirts und Amorgos-Souvenirs, und der Buchladen.

Ein Frappé an der Platia bringt unsere Lebensgeister zurück, wir drehen eine Runde zur Panagia Katapolianí. Es ist immer noch nett hier, aber wir bedauern nicht, dass wir dieses Mal in Langada wohnen.

Hinüber nach Xilokeratidi. Die Enten am Ufer sind noch da, der schmale Strand in der Bucht ist aufgeräumt, es baden sogar Leute. Enttäuschung beim Blick auf das erste Lokal rechts: aus der Psarotaverna, meinem ersten Quartier auf Amorgos (nein, nicht im Lokal, sondern im ersten Stock darüber) ist ein Café namens „Diosmarini“ geworden. Jetzt geschlossen. Auch sonst hat das Viertel optisch aufgerüstet. Aber im „The Big Blue“ läuft noch jeden Abend der berühmte Film – zeitgemäß auf großem Flachbildschirm.

Die Abendstimmung ist schön, und auf dem Rückweg hat dann der Bäcker geöffnet (ab 18 Uhr), so dass wir doch noch zu den leckeren Koulourakia kommen, die es hier in selten gesehener Auswahl gibt. Und nebenan im Foto-Laden zu Postkarten samt Briefmarken.

Und dann müssen wir uns auf den Rückweg machen - um 19 Uhr müssen wir das Auto in Egiali zurückgeben.

Wo ist nur die Zeit geblieben? 


Im Abendlicht ist die Ansicht der Chora, sind die Silhouetten der Hügel und Berge noch schöner.

Thomas begutachtet das Auto – alles bestens. An meinen Personalausweis muss ich ihn noch erinnern. Nun haben wir noch etwas Zeit bis der Bus um Dreiviertelacht hinauf nach Langada fährt.

Die Sonne geht unter, und mit der obligatorischen Verspätung kommt die „Skopelitis“ um die Ecke. Es verlassen nur wenige Leute das Schiff, aber ein Pickup mit aufgeladenem Esel ist darunter. Vielleicht war er zum Urlaub auf Donoussa? Ein fröhlich eine Weinflasche schwenkender, braungebrannter und barfüßiger Grieche geht an Bord – er fährt nach Katapola. Es hat lange Bastbündel dabei, vermutlich ein reisender Stuhlflechter. Wir werden ihn in Katapola und Naxos wiedersehen.

IEin Euro sechzig kostet die Busfahrt nach Langada hinauf. Außer uns möchte nur noch ein junger Mann mit, und ab morgen wird der Fahrplan weiter ausgedünnt: dann entfällt der letzte Tagesumlauf von Katapola über Chora, Egiali nach Tholaria und Langada, letzte Fahrtmöglichkeit dann schon um 16.30 Uhr. Es wird Winter - ab 10. Oktober fährt dann nur doch der Schulbus.

Wir sind noch so satt vom Mittag, dass wir heute nicht essen gehen, sondern auf unserem Balkon eine Kleinigkeit essen werden. Dazu brauchen wir noch einen Wein. Der Minimarkt ist diesbezüglich übersichtlich ausgestattet, unsere Frage nach Retsina wird mit dem Verweis auf eine inseleigene Produktion in der 1,5-Liter-Plastikflasche erwidert. Etwas viel, aber dann probieren wir den doch gerne aus. Das hell-bernsteinfarbene Gesöff ist herb und schmeckt leicht nach Sherry, ist aber trinkbar.

Und der Abend auf dem Balkon ist wunderbar lau.


Der Wind soll morgen noch von Süden wehen was weiter für schwüle Wärme sorgen wird. Ab Mittwoch kommt dann der gewohnte Nordwind, den ich beim Wandern schätze, und so verschiebe ich die Stavros-Wanderung auf Mittwoch.

Morgen wird mal nur gefaulenzt.


*

 

In der Nacht hören wir Gäste kommen. Bisher sind wir die einzigen Urlauber in den Amaranto-Studios. Wie sich herausstellt ist es der der Onkel von Thanasis, der für ein paar Tage zu Besuch gekommen ist. Was sich für uns noch als günstig erweisen wird. Später wird ein junges französisches Paar für eine oder zwei Nächte im Studio nebenan wohnen. Sonst läuft hier nicht mehr viel.

 

Es ist nicht mehr ganz so warm wie gestern, trotzdem bedauern wir die englische Wandertruppe, die am Haus vorbei bergwärts zieht (Auf den Machos? Oder auf dem oberen Weg nach Theologos und Stavros?). Wir kennen sie von der Fähre, mit ihrem großgewachsenen, trotzdem ziemlich bauchbewehrten englisch-griechischen Guide.

 

Wir entspannen auf dem Balkon. Die Pausenklingel der naheliegenden Schule schallt herüber, und dann die Schreie der spielenden Kinder. Schön, dass es hier noch so viele Kinder gibt.

261 Einwohner hat Langada, das in der Census-Statistik 2011 unter dem offiziellen Namen „Aegiali“ geführt wird. Der Strand-Ort, den wir mit diesem Namen verbinden, heißt eigentlich „Ormos Aegialis“, also der Ankerplatz von Aegiali.

 

Ich mache eine Fotorunde durch den Ort. Gerate in eine größere französische Gruppe, die durch den Ort geführt wird. Die Kirche ist trotzdem geschlossen. Also treppab. Gegenüber von „Nikos“ gibt es einen Laden namens „Iamata“, der Kräuter und Naturkosmetik verkauft, und jetzt offen hat. Nicht ganz billig, die Produkte, und ich kann mich nicht entscheiden was ich nehmen soll. Thomas aus Berlin hatte mir erzählt, dass er eine Führung durch die Destillerie miterlebt hat, was sehr interessant gewesen sei.

 

In der nächsten Gasse muss ich Platz machen: ein Mann mit Packesel reitet vorbei. Das ist hier nicht als touristische Attraktion gedacht, sondern einfach das beste Transportmittel. Wie überhaupt Langada ein gepflegter Ort ist (von der vielen Hundsch…e in den Gassen mal abgesehen) ohne geputzt oder künstlich zu wirken. Die perfekte Mischung für ruhesuchende Nissomanen.

Zum Mittagessen gehen wir in die Taverne „Loza“ an der Platia, bestellen Fava und Choriatiki Salata. Die Fava ist eher unterdurchschnittlich, aber der Wirt Dimitri erzählt vom Leben auf der Insel – er bleibt auch im Winter hier. Und er weist uns darauf hin, dass am Freitag (26. September) an der Kirche Agios Ioannis Theologos ein Panigiri stattfindet. Da würde ich ja gerne hin – soll ich die Wanderung verschieben? Aber wenn das Fest ist komme ich nicht weiter bis Stavros, und das ist diesen Urlaub mein erklärtes Ziel. Außerdem geht es bis Theologos ganz schön rauf – etwas heftig für die Mutter, die sich heute noch ärgert, dass sie vor fünf Jahren nur bis Varvara-Kapelle ist. Mal sehen.

Am Nachmittag überkommt mich die Badelust und ich marschiere – heute mit Bergstiefeln - nach Ormos Egialis hinab. Es hat ziemlich Wellen, und den ersten Badeversuch breche ich am mittleren Strandabschnitt breche ich ab – im Wasser liegen Felsen. Fünfzig Meter weiter am Strand steht eine Gruppe Leute um etwas herum. Was ist da los? Eine große tote Karettschildkröte liegt dort. Ich sehe keine äußerliche Verletzung, aber sicher ist sie hier verendet, und nicht angetrieben worden.

Wie schade, wie traurig!

 

Ich bade im sandigeren Bereich näher am Ort, und trete mir irgendwo am Strand Teer in den Fuß. Na super – Amorgos ist wirklich keine Badeinsel! Also besteige ich den Bus nach Langada wenig später barfuß, die Stiefel in der Hand, und putze mir die klebrige Sauerei mit Sonnencreme auf den Stufen vor der Wohnung ab.

Und danach genießen wir den Sonnenuntergang auf dem Balkon. Heute diesig-verschleiert – da ist noch Luft nach oben. Wie schön, dass wir morgen nicht abreisen müssen.

Ach ja, essen gehen wir auch noch. Treffen in den Gassen eine auf eine Hochzeitsgesellschaft samt Musikern.

Dann gehen wir ins „Loudaros“ unter den blühenden Bougainvileen. Wir sind die einzigen Gäste, und es gibt nur Sachen vom Grill, und fasolia. Grüne Bohnen als Vorspeise (da haben wir von gestern vom Kloster noch Lust drauf) und Souvlakia und eine würzige Loukaniko als Hauptspeise – gut! Und für 21 Euro das Ganze – kann man nicht meckern.

Sagte ich schon, dass uns Langada gefällt?


Morgen möchte ich zur Kreuz-Kapelle. Und weiter?