Es war 1990 im Mai. Ich hatte gerade das Studium geschmissen und reichlich Zeit, aber wenig Geld. Und ich war auf dem Trümmer-und-Archäologie-Trip. Ausgrabungen? Museen? Her damit! Griechenland kannte ich von der Schule, na ja, oder auch nicht, war ja etwas her. Aber Olympia, Delphi, Athen, Mykene – das klang wie Musik in meinen Ohren.
Einfach losziehen traute ich mich nicht, alleine schon gar nicht. Aber da gab es doch so organisierte Busreisen, „Rotel-Tours“ genannt (gibt es immer noch). Reise Nr. 34 - drei Wochen Griechenland für knapp 1.500 Mark, inklusive Halbpension, Einzelzimmer und Führungen. Nun, wer Rotel-Tours - Untertitel: das "rollende Hotel" - kennt, weiß: das Einzelzimmer ist 65 x 90 x 185 cm groß, hat ein kleines Fenster auf der Kopfseite, ähnelt dem Grab einer etruskischen Nekropole, und befindet sich auf Rädern. Ein Bus zieht den Anhänger mit den Schlafkojen, das ganze Gefährt ist gut 20 Meter lang!
Drei Stockwerke übereinander, zwölf „Zimmer“ nebeneinander (es gibt auch "Doppelzimmer"), 5 Millimeter dicke, vielmehr dünne Wände dazwischen. Das Abendessen bestand aus Eintopf, meist Suppe, mit Brot (für die Verpflegung ist der Busfahrer zuständig), gelegentlich angereichert mit Schmelzkäse oder einer Dose Fisch. Massencamping sozusagen. Aber optimal für wissensbegierige Einzelreisende (und von der Spartanern hatte ich auch schon gehört).
Na ja, ich war jung, und hatte wenig Geld.
Also gebucht.
Die Reise ging über Italien (Gardasee, Loreto, Castel del Monte) in drei Tagen nach Brindisi, Einschiffung am Abend nach Korfu, Ankunft am Morgen dort, nach feuchtfröhlicher Nacht auf der Fähre und meiner ersten Bekanntschaft mit der herben Tochter Griechenlands namens Retsina.
Korfu war also meine erster Griechenlandkontakt. Die Reiseleiterin Gisela brachte mir auch die ersten griechischen Worte bei: „Sigá sigá“, was sie übersetzte mit „no net hudla“ (dabei war sie Badenerin, nicht Schwäbin). Korfu mit dem Achilleion (grässlich), einer Kumquat-Likör-Verkostung (nicht schlecht), und Baden in Paleokastritsa (ok). Kerkyra und ein Blick auf Mäuseinsel gehörten natürlich auch dazu, schließlich Übernachtung in Dasia auf dem Campingplatz, gemeinsam mit Glühwürmchen und Schnaken (die Stiche von Loreto hatten gerade aufgehört zu jucken).
Nach Wiederholung hat Korfu bis heute nicht geschrieen. Ich war noch nicht inselsüchtig. Auch der Tag auf Kreta führte da nicht dazu. Aber schön der Reihe nach: Klassisches Programm (Ausgrabungen, Museen, Klöster) durch halb Griechenland: Von Igumenitsa nach Ioannina, über den Katara-Pass nach Kastraki, Meteoraklöster. Via Lamia und Thermopylen nach Athen. Zwei Tage dort, und Kap Sunion durfte natürlich auch nicht fehlen.
Nachts nach Kreta, dort in Iraklion, Marktgasse, Archäologisches Museum, Knossos, in den Süden nach Matala (der schlimmste Sonnenbrand meines Lebens), in Festos über den Zaun geguckt. Sonst nur geschlafen, die Nacht war kurz und im kretischen Bus funktionierte die Klimaanlage – im Gegensatz zu „unserem“ Bus. Nachts wieder zurück nach Athen. Ein Tag Kreta. Absurd.
Weiter auf die Peloponnes: Korinth, Epidauros, Tolon. Mykene, Nauplia. Durch Arkadien („Et in Arcadia ego“) nach Olympia. Rion – Antirion. Bis der Bus mit seinem langen Anhänger immer verladen war. Bis man durch die Käffer kam mit dem Langteil.
Delphi. Am beeindruckendsten für mich. Wieder nach Norden, Platamon. Thessaloniki.
Grenze Evzoni, Großeinkauf am Duty Free.
Noch in einer knappen Wochen durch Jugoslawien zurück, via Skopje, Titograd (mangels anderer Getränke wurde die 1-Liter-Flasche Ouzo 12 vom Duty-Free vernichtet, erstaunlich dass daraus keine lebenslange Ouzo-Allergie entstand), Kotor, Dubrovnik, Mostar, Split. Trogir, Plitwitzer Seen. Vor dem Balkankrieg. Maribor, Graz, Oberaich, wo wir uns von unseren rollenden Betten trennten.
Wenn ich das heute lese, denke ich: Wahnsinn! Das reinste Roadmovie ...
Dazu noch die Rotel-Umstände: Nächtliches Schnarchen auf allen Seiten, auch lautstark artikulierte Albträume. Abfahrt um 8 Uhr hieß aufstehen um 6 Uhr. Der Hänger wackelte schon vorher. Vorsicht beim Aussteigen aus der Kabine (ich hatte oben), damit man dem Untermann nicht auf den Kopf oder Rücken stieg.
Derart viel gesehen und unterwegs gewesen. Der Festlandsbedarf für die nächsten Jahrzehnte gestillt.
Aber es waren ein paar sehr nette Leute in der Gruppe (Peter aus Diedorf , Paul aus Lauf, Edith aus Berlin, Hape und Bertha aus Stuttgart), und wir hatten viel Spaß. Rotel-Tours hat auch Vorteile, gerade für Einzelreisende. (Im Jahr drauf war ich mit Rotel noch in Sizilien, da war die Gruppe leider nichts, und das war es dann mit Rotel für mich. Aber viele Rotel-Reisende tun es immer wieder, 20, 30 Reisen sind keine Seltenheit. Und es sind überdurchschnittlich viele ältere Leute so unterwegs! Man reist halt immer mit dem eigenen Bett :-) )
Die griechische Saat war gelegt.
Bis sie aufging, verging noch etwas Zeit:
Ein Jahr später schlug die Mutter vor, wir sollten doch mal Urlaub auf Tinos machen. Tinos kannten wir von den Postkarten der Verwandtschaft, es klang so vertraut. Und ein Reiseveranstalter, Top Travel aus München (gibt es nicht mehr), hatte Tinos im Programm. Wir waren beide noch nie geflogen und hatten noch nie eine Pauschalreise gemacht (wenn ich Rotel nicht mitzähle). Der Flug ging von München nach Athen, mit Übernachtung auf Hin- und Rückweg dort, dann mit der Fähre. Es ging reichlich viel schief, wir hatten keine Ahnung, verwechselten Abfahrts- mit Abholzeiten, und hatten 14 schöne (und sehr windige) Julitage auf Tinos.
Kykladen? Der Name war danach Musik in meinen Ohren!
Und so wollten wir zwei Jahre später nach Santorin, denn von der spektakulären Vulkaninsel hatten wir gehört und gesehen.Wieder pauschal, mit ISTS (gibt es auch nicht mehr) nach Oia, zwei Wochen „Oia Village“ mit Caldera-Blick im September. Drei Monate vorher hatte ich kurzfristig eine Woche Urlaub, alleine, und fand einen billigen Flug nach – Santorin! Griechenland, so hatte ich gehört, ist auch für alleinreisende Frauen kein Problem, die Infrastruktur ist auf Spontanität ausgerichtet. Also gebucht und geflogen, und weil ich ja im Herbst wieder nach Santorin kommen würde, nach zwei Tagen nach Naxos weitergehoppt.
Und dort habe ich mich infiziert. Dort wurde ich süchtig.
Seither ist kein Jahr ohne griechische Inseln vergangen.
Die erste richtige Inselhopping-Tour fand im September 1994 statt. Mit einer Freundin, wieder Nurflug nach Santorin ("Campingflug" hieß das damals noch, mit imaginären Hotel-Vouchers), drei Wochen Zeit. Naxos, Amorgos, Paros, Sifnos, Milos, Santorin. Mit Rucksack und ohne vorher etwas gebucht zu haben außer dem Flug. Und dem Michael-Müller-Reiseführer „Kykladen“, 2. Auflage 1992 im Gepäck. Da stand alles drin was wir wissen mussten.
Genial. Ich liebte es. Es war genau meine Art zu reisen.
Danach ein paar Mal alleine unterwegs. Irgendwann habe ich dann die Mutter überredet und infiziert. Danach hüpften wir fast zwei Jahrzehnte gemeinsam, die Tante und die Cousine waren auch manchmal mit dabei. Mit achtzig fühlte sich die Mutter zu alt dafür, und so bin ich seither meist solo, manchmal mit der Cousine oder mit Theo unterwegs, oder treffe unterwegs Bekannte.
Geblieben ist die Qual der Wahl: Welche Inseln? Was Neues? Oder eine Wiederholung? Entdecker- oder Wiedersehensfreude? Und seit 2017 auch ab und zu ins Kajak.
Andere Länder haben es seither schwer, sich als Urlaubsziel durchzusetzen. Dabei sind Frankreich, Italien oder die Schweiz ja auch nicht schlecht. Eigentlich.
Aber: Keine Fähren, kein Meer, keine Tiefenentspannung. Ok, die italienischen Inseln nehme ich jetzt mal aus.
Aber kein griechischer Mikrokosmos.
Dann eben doch wieder griechische Inseln! Für immer - για πάντα!