Das Wetter kann sich schnell ändern auf den Äolen. Bei schönstem Wetter sind wir nach dem Frühstück den Treppenweg nach Porto hinabgestiegen. Der Blick zum Doppelberg von Salina ist klar, das Aliscafo prescht in einer weißen Bugwelle hinüber.
Hier auf Filicudi hat noch niemand die Stufen gezählt, wir gehen gemütlich und sind in einer Viertelstunde unten am Anleger. Eine schnelle Bestandsaufnahme: es gibt die Ristorante-Bar "Da Nino sul mare" mit mäßig aufmerksamer Bedienung, einer Theke mit süßen und salzigen Kleinigkeiten und einem kleinen Shop mit Büchern über die Insel. Außerdem zwei Minimärkte, eine Apotheke, einen Briefkasten (nach acht Wochen sind die dort eingeworfenen Postkarten schließlich doch noch in Deutschland angekommen), eine Ticketagentur, und einen langen, mit Holzbooten bestückten Großkieselstrand der unbequemen Sorte, der bis zum Beginn des bis zum Capo Graziano reicht.
Fast aus heiterem Himmel beginnt es zu regnen, erst wenig, dann ein heftiger Guss, den wir unter einem Blätterdach abwarten, am Mini-Kreisverkehr mit der skurrilen Marinaio-Celeste-Statue (Himmelsseemann? Oder himmlischer Seemann?). Gut, wir wollten hier sowieso nicht baden, sondern auf der anderen Inselseite.
Zunächst aber geht es zum Capo Graziano, wozu wir erst die Straße nehmen und dann in der Haarnadelkurve auf den Fußweg zur Ausgrabung abbiegen. Ein gepflasterter Weg entlang der Küste zum Aussichtspunkt Machine ist wegen Steinschlag offiziell gesperrt, aber wir wollen sowieso aufwärts. Allerdings ist der steile und schmale Weg zum auf hundert Metern gelegenen Siedlungsplateau nicht in bestem Zustand, und durch den frischen Regen auch noch recht rutschig. Die Mutter verzichtet und bleibt unten, ich steige alleine hinauf.
Nach zehn Minuten erreiche ich das Plateau mit den zwanzig runden Fundamentmauern, die auf die bronzezeitliche Siedlung (ca. 2200–1700 v. Chr.) hinweisen. Es gibt einen ausführlichen Wikipedia-Artikel und jeder Reiseführer über die äolischen Inseln behandelt die Stätte, und wer keine Unterlagen dabei hat: es gibt vor Ort auch zwei Tafeln mit Erklärungen (in Italienisch und Englisch).
Ich bin vor allem beeindruckt von der Lage (die bei der frühen Besiedlung eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte): vor mir eröffnet sich ein Panoramablick auf Filicudi mit dem Monte Fossa delle Felci, davor rechts Valdichiesa und Porto, und der niedrige Hügel bei Rocca di Ciauli. Links aus der Ferne grüßt Alicudi. In dem Moment beschließe ich, dass ich hier unbedingt auf den Gipfel möchte, auch wenn der MM-Reiseführer von Thomas Schröder vor der Alleinbesteigung warnt.
Verstreut über der Siedlungsterrasse, das noch siebzig Meter höhere Kap schützend im Rücken, liegen die halbmeter- bis meterhohen, runden Steinkreise, mit leuchtendgelben Flechten überwachsen. So eingerahmt von grünen Büschen und Terrassenmauern wirkt das Ganze wie Land Art. Hat was.
Ich möchte gerne noch weiter hinauf bis auf den Gipfel, muss aber nach ein paar Meter passen, weil der undeutliche Naturweg zu nass und rutschig ist. So beobachte ich lieber ein Segelboot, das im Schutz des Kaps ankert (falls das möglich ist - das Meer wird hier schnell tief) und einen Schwimmer, der vor dort Richtung Land schwimmt. Filicudi bietet Seglern geschütztere Stellen als Alicudi.
Vorsichtig steige ich wieder zur Mutter hinab. Unser nächstes Ziel ist le Punte, dort soll der schönste Inselstrand sein. Le Punte liegt an der südliche Seite der Landzunge, die Filicudi und Capo Graziano verbindet, und ist nur einen Katzensprung von hier entfernt. Wir folgen der Straße bis zum E-Werk, gegenüber biegt ein gepflasterter Weg ab, zunächst unter Pinien (ja, wirklich) und dann entlang einer imposanten Natursteinmauer (große runde Steine gibt es hier wirklich genug!) zum gesuchten Kieselstrand.
Es ist niemand da, was uns mit Freude erfüllt. Allerdings kommt der Wind von Süden und führt zu einer starken Brandung. Gleichzeitig ist das Ufer ziemlich steil, so dass man vermutlich nicht leicht wieder aus dem Wasser kommt, auch wenn die Kiesel hier nur Tennisballgröße haben. Mit leichtem Donnern werden die schwarzen Steine vom Meer an Land geworfen, mit rollendem Murmeln kullern sie beim Rückzug des Meeres zurück. Schön....
Wobei: ich würde gerne baden, trau mich aber nicht so recht. Und die Mutter bestärkt mich darin.
So sitzen wir auf den großen glatten Felsen, schauen aufs Meer, wo die "Isola di Stromboli" von Alicudi kommt, und stocken ein vorhandenes Steinmännchen auf. Soll ich, oder soll ich nicht?
Die Entscheidung wird mir durch deutsche Touristen abgekommen, die auf dem Fußweg kommen. Offenbar hat in Porto ein Ausflugsboot angelegt, anders ist die plötzliche Strandinvasion nicht zu erklären.
Ein älteres Ehepaar mit bayrischem Dialekt ist den Anderen vorausgeeilt und glaubt, sich auf den Felsen direkt neben uns setzen zu müssen. Nicht dass nicht sonst noch genug Felsen da wären.... Der Mann will unbedingt ins Wasser, die Frau zieht ein verbales Gegenprogramm ab, das dem meiner Mutter ähnelt. Nur lauter. Allerdings hat sie keinen Erfolg - badeschlappenbewehrt geht er ins Wasser, wird gleich von den Wellen untergebuttert. Prustend taucht er wieder auf, sucht seine Schlappen. Kalt ist das Wasser ja nicht, auch wenn es heute kühl-grau aussieht. So, und nun soll die Gattin ihm bitte wieder aus dem Wasser helfen, was sich mangels der Reichweite ihrer Arme und der Steilheit des Ufers schwierig gestaltet. Sollen wir warten bis beide im Wasser liegen? Nein, wir sind nett und reichen der Frau ein stabiles Schilfrohr, mit dem sie ihren unbelehrbaren Gatten aus dem Wasser ziehen kann.
Wir suchen das Weite. Auf dem Weg zurück zur Straße, diese hundert Meter hinauf, und dann rechts auf einen Fußweg, der entlang des Hügels und durch Weinberge direkt hinauf nach Rocca di Ciauli führt. Mit schönem Blick auf Porto, wo gerade ein Tragflügelboot angeschossen kommt, und das Capo Graziano.
Filicudi ist grüner und heller als Alicudi, nicht so abweisend. Gefällt uns.
Am späteren Nachmittag, das Meer liegt ganz ruhig da und die Abendstimmung ist wunderschön. Ich unternehme eine Fotorunde auf der Straße Richtung Valdichiesa. Nach fünfhundert Metern macht die Straße in einer Haarnadelkurve, nach zweihundert Metern eine weitere. Hier will ich zurück zum Quartier, ein Weg führt in der richtigen Richtung, endet aber an einem Haus. Irgendwie haben ich den richtigen Weg verpasst. Ein breiter Weg lockt mich weiter vom Ziel ab, und schlussendlich komme ich nach diversen Umwegen am Ortseingang von Valdichiesa heraus, das sich über mehrere Ebenen weiter hinauf erstreckt.
Ich gehe aber rechts hinunter und befinde mich unvermittelt in einem großen Schwarm fliegender Ameisen. Die Luft ist voll davon, und schnell bin ich es auch: Sie sind überall - in den Haaren, im Nacken, im Gesicht, in den Ohren. Hektische Abwehrbewegungen, aber letztendlich hilft nur wilde Flucht, eine Treppe hinab vorbei an schönen äolischen Häusern. Noch über ein schmales Tal, dann erreiche ich die Straße wieder in der untersten Haarnadelkurve. Die Ameisen sind etwas weniger geworden, zwei entgegenkommende Fußgänger betrachten mein Gefuchtel mit Interesse. Ich presche die Straße entlang zurück, leicht hysterisch. Ich hasse Insektenschwärme! In unserem Zimmer werden wir nachher überall die abgeschüttelten oder ausgekämmten Insektenleichen finden. Brrrr.....
Und wie auf Alicudi haben wir vor dem Sonnenuntergang auch auf unserer wunderschönen filicudischen Terrasse ein Stechmückenproblem... wenn ich mal wiederkomme , werde ich Insektenschutzmittel mitbringen! Hätten wir heute in der Apotheke bestimmt kaufen können, aber da war uns die Mückendichte noch nicht so präsent.
Zu Abend essen wir in der "Villa la Rosa".
Und wenn das Wetter mitmacht, dann gehe ich morgen auf den Gipfel.