Egnoussa

 

Am Samstagvormittag machen wir uns auf den Weg ins Seefahrtsmuseum. Es hat tatsächlich geöffnet. Im Treppenhaus hängen Bilder von Schiffen der inoussiotischen Flotte, sauber bezeichnet. Das eigentliche Museum ist im ersten Stock, die Theke zum Verkauf der Eintrittskarten ist aber verwaist. Wir drücken uns in den unbeleuchteten Räumen herum bis uns ein Mann bemerkt, der in einem Büro arbeitet. Er ruft laut nach dem Wächter. Der ältere Mann (Fortinas?) eilt dann auch  irgendwann herbei und verkauft uns zwei Eintrittskarten zu jeweils 1,50 Euro. Dann macht er das Licht in den Ausstellungsräumen an. Die ganze Zeit kaut er schmatzend auf etwas herum (Mastix?), es klingt wie eine gluckernde Quelle. Bei diesem Hintergrundgeräusch – er folgt uns durch die Ausstellung – ist es schwer, sich auf die Exponate zu konzentrieren. Aber das Museum ist interessant, zeigt es doch die Geschichte der griechischen Handelsschifffahrt – speziell der von Inousses - seit 1800 mit zahlreichen Grafiken, Bildern, Fotografien, Schiffmodellen und nautischen Instrumenten. Die Beschriftungen sind auch auf Englisch, und selbst wenn da einige Fachbegriffe auftauchen, die man nur erahnen kann – ein Besuch dieses Museums lohnt unbedingt. Die liebevoll und aufwendig erstellten Schiffsmodelle beeindrucken uns am meisten, und die Aquarelle mit Seeszenen.

Nach dem Besuch wollen wir am Fährhafen vorne die Fahrtzeiten für den nächsten Tag eruieren. Plötzlich ist die Sonntagsabfahrt in meiner Openseas-App nicht mehr zu finden – nur noch wenn man sie als Rückfahrt eingibt, und das kann ja eigentlich nicht sein. Am Anleger steht eine Verkaufsbude. Die ist zwar unbesetzt, aber der Fährplan hängt aus (gültig ab 1.10. bis 31.5.2014 übrigens, samt Sonderfahrten an den Feiertagen.). Und da steht es dann Schwarz auf Weiß: keine Fähre am Sonntag. Am Sonntag ist zwar noch September (der 29.), aber ich erinnere mich dann, im Touristenbüro von Chios den Fährplan mitgenommen zu haben. Den für September. Keine Fahrt am Sonntag.

Tja, da müssen wir halt bis Montag bleiben wenn wir uns kein Sea-Taxi leisten wollen. Da werfen wir halt unserer Vermieterin nochmals 65 Euro für eine weitere Nacht in den Rachen. Es gibt schlimmeres.

Am Kiosk gönnen wir uns ein Eis am Stil (merkwürdigen Geschmacksrichtung – Cassis). Jetzt ist hier direkt etwas los – ein paar Jugendliche kleben Plakate für das nächste Fußballspiel von „Panoinoussios“. Hmm, sollen wir uns mal ein Spiel in der Lemos-Arena angucken?

Am Hafen liegt ein Bauschild – der griechische Staat zusammen mit der EU hat 2007 bis 2013 für 1,2 Millionen den Hafen von Inousses ausgebaut. Da wollten wohl die Herren Reeder nicht mitbezahlen...

 

Östlich des Hafens hat es in einem versteckten Winkel noch einen kleinen Strand mit drei Sonnenschirmen und Umkleidehäuschen. Eine Frau badet tatsächlich dort. Das Wasser wäre herrlich, sagt sie. Mhh, baden möchte ich schon, aber nicht so direkt im Ort. Der Hang darüber grün von den Blättern der Sonnenflügel.

 

Wir gehen entlang der Straße hinauf in das Oberdorf. Hausruinen mit Holzbalkonen zeugen von früherem Prunk. Schade, dass sie verfallen. Aber man investiert hier lieber in modernen Beton als in geschmackvolles aus der Jahrhundertwende. Wie man an  einem versteckten edel-chic-modernen Haus sieht, das über dem Hafen thront, die Terrasse mit einer hohen Glaswand vom Wind geschützt (an der sich sicher regelmäßig Vögel das Genick brechen).

Siesta auf dem Balkon. Als die Fähre gegen drei Uhr kommt gehe ich nochmals zum Hafen hinab. Man sieht die „Oinoussai III“ erst recht spät wenn sie um die Ecke der Agios-Panteleimonas-Insel biegt. Aber dann ist sie schnell da, und wird von zahlreichen Menschen erwartet: da kommen offensichtlich viele Wochenendbesucher, und einiges an Material muss auch abgeladen werden. Der Bäcker holt Säcke mit Mehl, ein junger Mann große Tüten mit Hundefutter. Ich frag schnell noch ein Besatzungsmitglied ob die Fähre morgen wirklich nicht fährt. Nein, erst am Montag wieder. Wenige Minuten später hat sich der Spuk am Hafen aufgelöst, alles versinkt wieder in der Nachmittagsruhe.

Ich gehe entlang des Friedhofshügels und am Stadion vorbei zum Kakopetria-Strand. Ein Stufenweg führt hinab, fünf Sonnenschirme stehen zur Verfügung. Ein Pärchen liegt lieber bei den Felsen, sonst ist niemand da, ich hab die freie Schirm-Auswahl. Der Strand besteht aus einem Kies-Sand-Gemisch, es geht schnell tiefer hinein. Das Meer ist warm, 23°C, und die Meeresoberfläche liegt ganz glatt. So kann ich die gro0ßen Fische beobachten, die mich umschwimmen. Es sind ausgewachsene Geißbrassen und Streifenbrassen – kein Vergleich zum juvenilen Nachwuchs, der uns auf Psara angeknabbert hat. Hier muss das nicht wirklich sein. Ich bleibe lang im Meer weil es so schön ist.

Es muss nicht immer Sandstrand sein.

 

Man sieht gut hinüber zur Pateras-Insel mit der Kirche Agios Sotiras. Davor die Tris Ierarches-Kirche beim der Seehandelsakademie – der Meereskanal dazwischen ist von hier aus nicht zu sehen, alles scheint zusammengewachsen. Nach Südwesten hin begrenzt die graublaue Mauer von Chios den Horizont. Chios muss einen Tag länger auf uns warten, aber wir werden noch genug Zeit dort haben – Vorteil des ausgefallenen Ai-Stratis-Besuches.

Am Abend sind wir wieder am Hafen: wir essen heute im „Palio Telonio“. Hier geht es vornehmer zu als oben im „Tsoumpari“, sowohl von der Ausstattung als auch von den Gästen. Heute am Samstagabend hat es einige Gesellschaften mit Einheimischen oder Wochenendbesuchern an den Nachbartischen – da ist die Familie mit mehreren Kleinkindern einschließlich Nanny, oder die gut gekleideten jungen Leute, die sich eine große Pikilía zum Ouzo bestellen. Ein paar Segler sind auch da. So hat der Hafen tatsächlich abends etwas Flair.

Das Tirokafteri ist eher nicht so der Hit (da mit Mayonnaise), aber das Kleftiko lässt keine Wünsche offen, und der offene Rotwein ist süffig. Schließlich brauchen wir zur Verdauung noch einen Tsipurro – bis wir wieder in bergaufwärts in unser Quartier klettern. Die Luft ist so warm und mild – wunderschön!

 

*

 

Das Läuten der nahen Kirchenglocken holt uns schon um sieben Uhr aus dem Schlaf – immer dieser typische Rhythmus – drei Schläge – Pause - nochmals drei – Pause - und dann sieben, ehe das ganze wieder von vorne losgeht. Heute ist Sonntag. Wir drehen uns nochmals im Bett um, erst ab dreiviertel acht ist der Gesang des Pappas und der anderen in der Kirche dann nicht mehr zu überhören. Der Gottesdienst dauert bis nach zehn Uhr, und wir nutzen das Ende um einen Blick in die Kirche Agios Nikolaos zu werfen. Die ist wirklich sehr prächtig ausgemalt und reich ausgestattet, auf allen Ikonen, Leuchtern und geschnitzten Möbeln prangen die Namen der bekannten Reederfamilien.

Die Mesnerin will uns aber schnell wieder draußen haben, mit dem Staubsauger jagt sie unbarmherzig die letzten Kirchgänger (chic gekleidete Familien, die das Gespräch mit dem Pappas suchen) und uns hinaus. Neben der Kirche steht ein großes Gebäude, die frühere Schule und das heutige Kulturzentrum – finanziell ausgestattet von verschiedenen Lemos-Familien.

Es ist immer noch sehr warm. Trotzdem möchte ich noch ein wenig den Inselosten erkunden, und die Mutter kommt dann doch mit. Wir nehmen die Straße, die nach Osten aus dem Ort führt. Da steht doch tatsächlich ein Esel am Wegrand – ein Verkehrsmittel, das wir auf Egnoussa als letztes vermutet hätten. Die Straße führt weit oberhalb der Küste zunächst in einen östlichen Ortsteil von Inoussa (auf der Inousses-Karte wird die Gegend als Provatina bezeichnet), dann zur Bucht von Agios Ioannis. Ein schöner Strand mit den für Inoussa obligatorischen geflochtenen Sonnenschirmen und einer Hausruine – schattenspendende Bäume gibt es nicht. Zwei Männer baden dort. Am Pounta-Kap westlich davon befindet sich ein kleiner Anleger für Fischerboote.

 

Wir lassen den Strand unter uns liegen und wenden uns auf der Serpentinenstraße nach Nordosten. Ein verlottertes Würfelhäuschen war mal die Tankstelle der Insel – oder ist es immer noch? Wer braucht hier auch schon Benzin außer für ein Boot?

Vor uns liegt ein schönes grünes Tal mit großen Kiefern und Feigenbäumen – ob der Inselwesten vor dem Brand 2012 auch so war? Vermutlich. Ein paar zerfallende Auto- und Bootswracks dazwischen. Die Straße führt aufwärts, die Natur wird kärger und steiniger, was offensichtlich mit den Ziegen zusammenhängt, die hier verstärkt auftauchen.

Die Sonne knallt herab, wir schwitzen.

Die Landschaft ist nun weiter oben völlig kahlgefressen, denn oberhalb der Straße hat es einen großen Ziegenhof, dessen glöckchenbehängtes Hornvieh sich hier auf der Hochebene tummelt. Der Blick reicht von der Kreuzung zum Hubschrauberlandeplatz und nach Osten zum hügeligen Aspalathrokambos (Ginsterfeld?). Dahinter liegen die zahlreichen Halbinseln, Inseln und Inselchen, die Inousses den Pluralnamen gegeben haben. Von hier aus lässt sich schwer sagen wo die eine Insel aufhört und die andere anfängt. Die mit 2,5 Quadratkilometern größte der Inseln heißt Pasas oder Panagia, ist unbewohnt und hat am Ostkap einen Leuchtturm.

 

Wir beschließen, dass es uns zu warm und zu weit ist um weiterzuwandern und wir einfach hier noch etwas bleiben auch wenn es an Schatten oder einer bequemen Sitzmöglichkeit fehlt. Von hinten unterbricht ein glucksendes Geräusch die Stille. Was das denn? Wir suchen und suchen irritiert bis wir feststellen: es ist ein erregter Ziegenbock, der eine (zickende) Ziege bedrängt. Die kollernden Geräusche sind zu komisch, wir werden zu Voyeuren des Paarungsverhaltens inoussitischer Ziegen. Zum Ziel kommt der arme Bock aber nicht, weshalb es sich frustriert ein neues Opfer seiner Lust sucht, und das Procedere von vorne beginnt.

Wir wandern wieder zurück in unsere Unterkunft, genießen  dabei die neuen Perspektiven auf dem Rückweg. Später gehen wir nochmals zum Kakopetria-Strand, der am Sonntagsnachmittag etwas stärker frequentiert ist – wir müssen ihn mit zwei weiteren Paaren teilen. Aber der Strand ist wunderschön. Was wir da noch nicht wissen: es wird unser letztes Baden in diesem Urlaub sein, denn das Wetter wird umschlagen.

 

Auf dem Rückweg kehren wir auf einen Ouzo mit Mezedes im „Paleo Teloneo“ ein. Heute in der frühen Abendstimmung ist der Hafen belebt und wirkt stimmungsvoll. Taxiboote pendeln nach Chios, ein paar Segelyachten haben festgemacht, und ein witziges Hausboot Marke Eigenstrick namens „Sea Turtle“. Ja, das wäre auch so meine Vorstellung vom See-Nomadentum.

Die Sonne  geht hinter Chios‘ Bergen unter, übergießt den Hafen und die Inselchen mit einem warmen Goldton. Schön.

 

Die kleine Pikilía zum Ouzo macht uns satter als wir wollten. Da haben wir dann später im „Tsoumpari“ eigentlich keinen Hunger mehr. Na, für einen Pastizio und einen Salat reicht es doch noch. Heute hat es nur wenige Gäste, die Wirtin setzt sich für einen Plausch zu uns. Im Winter ist sie immer einige Wochen in Athen, da hat sie eine Wohnung. Ich frage sie nach der Krise, speziell in Athen. Krise, welche Krise?

Mhh, auf Inousses ist vieles anders als im Rest Griechenlands.

 

*

 

Um Viertel nach sieben am Montag bringt uns Despina mit dem Auto hinab zum Hafen. Nun sind es doch vier Nächte geworden, die wir geblieben sind. Rabatt gibt es aber keinen, wir müssen 260 Euro abdrücken. Die Gier unserer Wirtin ist aber im Grunde unser einziges Negativerlebnis auf Egnoussa.

 

Die Fährtickets kaufen wir vor der Abfahrt in der kleinen Bude am Anleger. Eos, die rosenfingrige Morgenröte (die ist uns viel lieber als die „goldene Morgenröte“, die gerade über alle Bildschirme in Griechenland flimmert – immerhin wegen Verhaftungen), greift schon nach den Bergen von Chios und verwandelt sie in eine märchenhafte Kulisse für den Hafen von Inousses. Pünktlich legt die Fähre ab, wieder sehr gut belegt. Die Wirtin vom „Tsoumpari“ ist auch unter den Passagieren, sie muss auf Chios für die Taverne einkaufen.

Vorbei an den Reeder-Inseln samt Kirchen und der Gorgone auf dem Felsen geht der Kurs südwärts.

Eine Stunde bis Chios.

Eine neue Insel, viel größer als die bisherigen. Eigentlich zu groß für meinen Geschmack.

Aber Chios muss besonders sein. Wir sind gespannt...