Einmal rund um Kalymnos

Mit dem Halbstundenboot um halb zehn Uhr setzen wir nach Myrties/Kalymnos über. Heute ist der erste Oktober - ob die Busfahrpläne nun Änderungen unterliegen? Ich konnte es nicht in Erfahrung bringen, aber heute brauchen wir auch ein Auto, keinen Bus.

 

Direkt an der Ecke des Bootsanlegers ist ein Autoverleiher namens Kalymnos Rent/AVIS, und wir mieten für stolze 37 Euro einen Kia Picanto. Dann geht es los Richtung Pothia.

Vor dem Ort biegen wir nach rechts ab, denn das Kloster Agios Savvas ist unser erstes Ziel. Es liegt über Pothia, und der Blick von hier über die Stadt, die das breite Tal füllt, ist beeindruckend. Samt der dauerrauchenden Mülldeponie im Osten, dem weiten Hafen und den grauen Felsenwänden, durch die sich gegenüber gut sichtbar der italienische Weg schlängelt, den ich in diesem Urlaub unbedingt noch begehen möchte.

Das Kloster selbst ist eine am Hang gelegene Ansammlung von Kirchen und Kapellen, zu denen eine steile Straße hinaufführt. Wir parken unten und gehen, ordnungsgemäß mit Rock bekleidet, auf der Straße hinauf. Dort sehen wir zunächst niemanden, das Gelände wirkt verlassen, die große Hauptkirche ist verschlossen. Komisch irgendwie. Das Kloster ist relativ neu, es wurde erst 1912 gegründet, der heilige Savvas hat es gegründet und lebte bis zu seinem Tod 1948 hier.

Gegenüber der Hauptkirche bemerken wir dann den offenen Eingang zum eigentlichen Kloster, das aus zahlreichen niedrigen Gebäuden und Kapellen besteht. Einige Nonnen sollen hier leben. Die, die in dem Raum an der Pforte sitzt, übersieht uns aber und bietet uns auch nichts an. So schauen wir uns zunächst die Zelle an, in der der Heilige lebte, dann eine weitere, die voller Weihegeschenke ist - Lampen, Schiffsmodelle, Pokale. Kapelle? Ja, ist auch irgendwo. Waren wird da jetzt drin? Glaube nicht...

 

Insgesamt fühlen wir uns nicht so recht wohl hier, und gehen schnell wieder.

Nächstes Ziel ist der südliche Küstenort Vlichadia mit dem von Panormitis empfohlenen maritimen Museum, etwa drei Kilometer vom Kloster entfernt. Das an einer Bucht liegende Dorf ist nicht groß und zuletzt offenbar vor allem dank den Bedürfnissen des Tourismus' gewachsen: Tavernen und Ferienquartiere bestimmen das Bild, der Strand sieht aber ganz gut aus, auch wenn wir sogar hier in einer Ecke einen Stapel gebrauchte Schwimmwesten liegen sehen: untrüglicher Beweise dafür, dass auch hier Flüchtlinge ankommen. In Pothia hatten wir vor zwei Tagen keine mehr gesehen.

Es ist Nachsaison und wenig los, das Museio Thalassinon Evrimaton Stavros Valsamidis, ein breites flaches Gebäude in zweiter Reihe macht einen geschlossenen Eindruck. Ein Touristenpaar, auch Deutsche, möchte es ebenfalls besuchen, und wie wir da so verloren herumstehen, kommt von der benachbarten Taverne ein Mann mit dem Schlüssel herüber und öffnet uns das Museum. Zwei oder drei Euro bezahlen wir Eintritt pro Person, bekommen einen kleinen Faltprospekt in die Hand gedrückt, und dann erklärt uns der Mann noch, dass alle 17.000 Stücke des Museum von einem einzigen Mann gefunden worden seien: von dem Schwammtaucher Stavros Valsamidis, geboren 1948, der das Privatmuseum gebaut hat.

 

Dann betreten wir die heiligen Hallen. Das Museum besteht aus drei, vier großen Räumen voller Vitrinen, der erste Eindruck ist durchaus überwältigend: Dutzende Schwämme aller Art und Größe, Tausenden von Muscheln, aber auch antike Figuren, Hunderte von präparierte Fischen, und in einem Nebenraum Übrigbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg: ein Flugzeugpropeller, Granaten, ein Flugzeugrad, Radios. Alles vom Boden des Meeres getaucht, und schon in seiner Vielzahl beeindruckend. Einige alte Fotografien ergänzen das Ganze. Man kann sich diese vielen Fundstücke gar nicht im Detail ansehen, wird von der schieren Fülle erschlagen.

 

Modernen museologischen Ansprüchen kann das Museum aber nicht standhalten: die meisten Vitrinen sind zuzementiert, die Exponate darin verstaubt oder teilweise umgefallen oder abgestürzt, manche Vitrinenscheiben sind kaputt, vor allem die präparierten Fische dünsten einen Moder aus, der uns gruseln macht. Einmal eingerichtet staubt die durchaus sehenswerte Kollektion nun vor sich hin, und die Erben (ich weiß nicht, ob Stavros Valsamidis noch lebt) können eigentlich nur hoffen, dass ein Brand oder ein Erdbeben dem Ganze einmal den Garaus macht bevor es der Zahn der Zeit notwendig macht, hier Renovierungen vorzunehmen. Oder man wartet, bis alles verfällt, wie eine Art untermeerisches Dornröschenschloss...

Erschlagen und mit trockenem Hals tauchen wir nach einer halben Stunde wieder auf ans Tageslicht. Bedanken uns beim Tavernenwirt, und suchen erneut das Weite.

 

Kalymnos kann einen mit seinen Extremen schon überfordern. Und dabei wollen wir gar nicht klettern.

 

Durch das einbahnstraßengesteuerte Pothia durch fahren wir weiter nach Vathy, genauer: den Hafen Rina, der das Tal von Vathy zur Küste hin abschließt. Nehmen unterwegs einen kleinen Jungen mit, der sich per Autostopp den Rückweg von der Schule durch das Mandarinental verkürzen möchte. Er ist etwas schüchtern, hat sich das Trampen aber immerhin getraut, und kommandiert uns auch zum richtigen Halt. Nett.

 

Wir parken an einem Parkplatz am Ortseingang und gehen die paar Meter vorbei an Souvenirgeschäften (die unvermeidlichen Schwämme, aber auch Honig - natürlich der beste... - Muschelkram und ähnlicher Schnickschnack) zum Meer, das hier tief in einer Fjordbucht liegt, eingerahmt von steilen Felsenwänden. Aber kein bißchen einsam: am Anleger drängeln sich die Segelboote, vorne liegt das Ausflugsboot "Odyssey", ein hölzerner Zweimaster, die Gäste verteilen sich auf die Tavernen, Cafés und Läden wie ein (umworbener) Spuk, der in einer Stunde schon wieder vorbei ist. Schicksal der Ausflugsorte überall auf der Welt.

 

Wir haben Durst und kehren ganz vorne am Anleger auf einen frischgepressten Orangensaft in ein Café ein. Hier haben wir alles im Blick: die badenden Tagesausflügler (es gibt hier keinen Strand, aber eine Einstiegstelle von einer Plattform in das klar-grüne Wasser), die Auseinandersetzungen der Segler - der amerikanisch-griechischer Katamaran hat sich breit gemacht und fürchtet nun, dass ein kleines Segelboot unter österreichischer Flagge gegen seinen Corpus schlägt. Aber die abstandhaltenden Vertäuungsversuche der Österreicher sind nicht von Erfolg gekrönt, und weitere Segelboote drängen in den sicheren, aber auch räumlich sehr begrenzten Hafen. Da muss erst das Ausflugsschiff weg, aber das denkt nicht daran. Immerhin gibt es einen Zuständigen, der die Boote einweist, aber wenn voll, dann voll.

 

Das Ganze ist also Hafenkino vom feinsten, und nicht zum ersten Mal bin ich froh, nicht mit einem Boot unterwegs zu sein.

Bei einem der Stände kaufen wir dann noch ein Körbchen frische Feigen ehe wir über den Berg weiterfahren. Seit einigen Jahren gibt es ein Straße, die vom Vathy-Tal über einen dreihundert Meter hohen Pass hinüber auf die Westseite in die Bucht von Arginonta führt.

 

Die Straße führt dabei in zwei langen Serpentinen hinauf, durch ausgesprochen felsiges Gelände. Und immer wenn sich am Straßenrand eine Ansammlung von Motorrollern und Mietautos befindet, dann hängen deren Entleiher über uns vertikal in den Felsen. Es sind ganz schön viele Kletterer unterwegs, und die Bewohner von Kalymnos sollten dem Entdecker ihrer Insel als Climbing-Hotspot jeden Tag eine dicke Kerze zum Dank anzünden.Schön, wenn man nicht mehr selbst den Hals riskieren muss um Geld zu verdienen (wie als Schwammtaucher), sondern andere freiwillig Geld dafür ausgeben, dies selbst zu tun. Aber die Kletterer auf Kalymnos sind gut organisiert, es gibt sogar einen Rettungsdienst, für den man eine Versicherung abschließen kann. So viel Netz und doppelter Boden muss bei aller Risikobereitschaft schon sein. Und das Schöne: die Kletterer kommen sogar im November und März, wenn sich sonst kaum Touristen nach Griechenland verirren. Da wären sogar zwei dicke Kerzen am Tag angemessen, oder?

 

Arginonta ist nur eine kleine Siedlung, die zahlreichen Kletterstellen der nahen Umgebung haben aber zu einem größeren Aufkommen von Pensionen und Apartments geführt. Badeurlauber werden direkt in der Bucht fündig, sonst dominiert hier die Steilküste in den Farben Steingrau, Steinbraun und Ockergrau. Wir folgen der Küstenstraße nach Nordwesten bis Emborios, wo sie endet. Hier wollen wir einkehren, und uns den abgelegenen Ort ansehen.

Emborios ist überschaubar und nett, hat entlang des schmalen Uferstreifens eine üppige Tamariskenreihe, westlich des Anlegers mit Tavernen und Cafés dahinter, die ihren Gästen auch Sonnenliegen und -schirme zur Verfügung stellen. Östlich etwas mehr naturbelassener Strand im Schatten der Bäume.

Nach Westen endet der Ort, der neben den Tavernen vor allem aus Pensionen besteht, bei einer weißen Kirche, die mal wieder geschlossen ist. Ein Stück weiter soll noch eine Taverne sein, das ist uns aber jetzt zu weit.

 

Die vorgelagerte Insel Kalavros schließt die Bucht fast ab, und weiter draußen ragen die imposanten Felsenwände von Kalymnos und Telendos empor und sorgt für Binnengefühle. Einige ankerende Segelboote und Kaikia vervollkommnen das Idyll. Ja, als Ruhesuchender kann man es hier aushalten.

 

Wir kehren bei Captain Kostas ein, wo als Tagesessen gegrillter Schwert- oder Thunfisch zur Auswahl steht. Wir nehmen von jedem eine Portion und müssen - bei wachsendem Hunger, denn es ist inzwischen drei Uhr - recht lange warten bis das Essen kommt. Aber der gegrillte Fisch, dessen Portionen je mit zehn Euro zu Buche schlagen, ist ausgezeichnet. Ein Teller Trauben, frischgekauft bei fliegenden Händler, gibt es als Dreingabe auch noch. Ich glaube, das Abendessen wird heute wieder ausfallen müssen....

 

Danach würden wir uns am liebsten noch etwas für ein Verdauungsschläfchen an den Strand legen. Dann wäre der Tag aber gelaufen, und so halten wir uns lieber wach, beobachten die anderen Gäste: urlaubende Rentner und zahlreiche Kletterer, die nun zum Tagesschluss hier eintröpfeln. Schon ein spezielles Publikum auf Kalymnos, aber die Saison geht dank ihnen deutlich länger als auf anderen vergleichbaren Inseln.

Emborios
Emborios

Gegen vier Uhr sitzen wir dann wieder im Auto und fahren auf der Küstenstraße zurück bis nach drei Kilometern links eine steile Straße abzweigt, die Straße nach Palionisos. Da wollen wir nun noch hin.

 

Die Straße windet sich in engen Serpentinen auf zweihundert Meter Höhe hinauf und ist mit Steinen übersät - Aufpassen ist angesagt. Auch wegen der Ziegen, die sich weiter darauf tummeln.

 

Auf der Passhöhe liegt die Kirchenanlage Stavros, gut eingezäunt.

Nun geht es nach Norden weniger steil bergab, links liegt die Sykati-Bucht in der Abendsonne, dahinter ist die Insel Leros mit den weiß leuchtenden Häusern von Panteli zu sehen. Unsere Straße führt aber nach rechts, ihr befestigter Aggregatszustand endet ein Stück oberhalb der Palionisos-Bucht bei einem angebundenen großen Teddybären. Hier soll laut Klaus Bötig (Dumont-Reiseführer "Kos, Nissyros, Kalymnos, etc", Auflage 2010) schon seit Jahren von einem Griechen namens Nikolas in der Saison eine Taverne betrieben worden sein, inmitten im Niemandsland und am Ende einer Schotterpiste. 2008 wurden die Wünsche des Gastwirtes erhört und die Zufahrtsstraße asphaltiert. Da wollen wir nun mal vorbeisehen. Nur: wen Gott strafen will, dem erfüllt er seine Wünsche - der gute Nikolas hat jetzt nämlich ein Problem: Dank der Straßenerschließung ist er nicht mehr das einzige Haus am Platz und seine Taverne "Paradise" liegt benachteiligt zweihundert Meter vom Strand entfernt in einem Olivenhain. Direkt am Strand konkurrieren nun drei weitere Cafés und Tavernen um die Tagesgäste und Segler, zahlreiche Hinweisschilder preisen sie und die großen Parkplätze an.

 

Also muss er ein Auge auf Neuankömmlinge haben und sie abfangen. Natürlich entgehen auch wir seiner Aufmerksamkeit nicht und Nikolas, früher Lehrer, jetzt im Ruhestand, spricht uns auf Deutsch an. Er hat sich einige Sprachen selbst beigebracht und drückt uns eine Kopie mit einer Skizze über sein Lokal in die Hände. Wir versprechen, dass wir nachher auf einen Kaffee wiederkommen wenn wir am Strand waren. Er sieht seine Felle davon schwimmen, denn noch wissen wir ja nicht, dass es am Strand inzwischen weitere Restaurationsmöglichkeiten gibt. Aber wir werden es natürlich sehen.

 

Auf einer Lotterpiste, die wir unserem Mietauto nie zumuten würden, und vorbei an einem riesigen eingezäunten Parkplatz, der erahnen lässt, dass im Hochsommer alle Tavernen gebraucht werden könnten, gehen wir vor zum Strand. Ob die vielen Zäune hier dem Konkurrenzkampf geschuldet sind? Oder damit die Ziegen nicht auf die parkenden Autos klettern?

Vor uns liegt eine wunderschönen weite Bucht mit Kiesstrand, sie ist bis zum Horizont von den Bergen eingerahmt. Schirme und Liegen gibt es im Sommer wohl auch, jetzt liegen sie im Hinterland. Links am Ufer die Taverne Ilias (mit Wasserrutsche!), rechts die Kalidonis-Beach-Bar, darüber die Taverne Kalidonis. Noch weiter oben eine Kapelle (Petros ke Pavlos) mit einigen Gräbern.

 

Auf dem Wasser ruhen ein paar Segelboote und am Strand eine Handvoll Strandlieger. Nur einer hier arbeitet: ein Fischer mit seinen Netzen.

Keine Ahnung ob die Lokale noch geöffnet sind, wir sind ja satt. Wir strecken uns etwas auf den harten Kies aus und beobachten die unvermeidlichen Enten, die hier in einer schwarzen Variante vorkommen. Das Wetter ist heute auch wieder so wunderbar und wolkenlos.

 

Schon schön hier, und für Kalymnos irgendwie überraschend.

Natürlich kehren wir auf dem Rückweg bei Nikolas auf einen Elliniko ein. Er stopft gerade angeritzte grüne Oliven in Plastikflaschen und erklärt uns genau, wie das funktioniert mit dem Konservieren, und wie gut die schmecken würden. Dann legte er einen Stapel dicke Fotoalben vor uns auf den Tisch, von sich und seinen Gästen. Er erzählt und erzählt, wir verstehen längst nicht alles, auch wenn sein Deutsch recht brauchbar ist. Seine Frau im Hintergrund versucht vergeblich, ihn etwas zu bremsen. Und wir haben es nach dem Kaffee schließlich schwer, uns loszumachen und bergwärts zu fahren. Aber es wird Zeit.

In der Abendsonne und mit einigen Fotostopps, unter anderem an der hochsicherheitsmäßig eingezäunten Stavros-Kirche - vor was haben die so Angst hier? - wechseln wir wieder auf die andere Inselseite und fahren entlang der Küste über Arginonta nach Kastelli, einem ins Meer ragenden Felsenkap mit den Resten einer namensgebenden Festung.

 

Ab hier sind wir dann wieder an der Touristenküste. Armeos besteht nur aus ein paar größeren stufenförmigen Hotels an der Küste, in Massouri wird es heftiger. Den Durchgangsverkehr versucht man mit einer Einbahnstraßenregelung zu zähmen, die untere Straße darf man nur in Nord-Süd-Richtung benutzen. Viele Fußgänger, noch mehr Kletterer auf Motorrollern: ein junges, mobiles und lautes Publikum. Wir sind froh, dass wir es auf Telendos so ruhig und entspannt haben.

 

Nach dem Tanken in Elies drehen wir noch eine Schleife nach Melitsachas, um uns diese Ecke anzusehen, wo uns Gabi eine Pension empfohlen hatte. Hier scheint die Saison beendet, die Ecke wirkt traurig und verlassen. Nein, wir haben alles richtig gemacht.

 

Zufrieden geben wir das Auto zurück und setzen mit dem nächsten Halbstundenboot nach Telendos über.

Den Abend genießen wir bei Retsina, Feigen und Knabberzeug auf dem Balkon. Und sehen, dass auf den gegenüberliegenden Kletterfelsen auch im Dunkeln noch Menschen unterwegs sind: immer wieder blinken die Stirnlampen auf. Es ist ein wunderbar milder Abend nach einem Tag voller Eindrücke.

 

Morgen wollen wir dann wieder etwas ruhiger angehen lassen und nochmals etwas wandern, auf Kalymnos.