Von Ost nach West

Heute ist der 1. Mai. Die Fähren streiken (teilweise), die frischen Stefánia (Maikränze) hängen an den Türen.

Wer erst jetzt eine Fährpassage Richtung Athen für die Tage nach Ostern buchen möchte, der muss früh aufstehen: alle Fähren sind ausgebucht, nur noch für die "Flyingcat" morgens um sieben Uhr hat es freie Plätze. Pech für Theo, da wird er früh aufstehen müssen (wir auch, aber das wissen wir noch nicht). Morgen Mittag nach Poros zu kommen ist aber kein Problem.

Eigentlich viel zu spät (kurz vor elf Uhr) nehmen wir ein Boot-Taxi zu Ledeza-Bucht. 35 Euro kostet es, eine Viertelstunde ist es unterwegs ehe es uns am Anleger der von hohen Felsen eingerahmten Bucht absetzt. Eine Tüte Müllsäcke soll ich noch in einem Häuschen am Anleger ablegen – Nachschub für die Nonnen des Klosters Zourvas oben?

Die Bucht ist als Badeplatz ungeeignet – zu steinig, zu steil, und das Wasser ist dreckig. Aber wir wollen ja aufwärts.

 

Da führt ein wunderbarer Treppenweg hinauf wie ich selten einen gesehen – gepflastert und mit Steinbänke – es ist eine wahre Freude! Außerdem ist es auch noch relativ schattig, und so sind die 160 Höhenmeter dreißig Minuten später ganz gemütlich bewältigt. Mit ausreichend Pausen um hinauf und hinab zu gucken.

Dann noch zehn Minuten nach Osten, und wir stehen vor der Pforte des Klosters, das offiziell „Ιερά Μονή Γενεσίου της Θεοτόκου Ζούρβας“ heißt (Heiliges Kloster der Geburt des Gottesmutter von Zourvas), aber einfach nur Kloster Zourvas genannt wird.

Die Pforte ist zu, und wir sind erst etwas schüchtern bis sich meine Mutter ein Herz fasst und den Türklopfer betätigt. Schließlich wollen wir schon rein, jetzt wo wir da sind.

Und es wird uns aufgetan, von einer jungen Frau in Zivil, die uns in den weitläufigen Innenhof führt. Nun sind wir alle behost, was bei Theo nicht ausmacht, von uns Frauen aber einen sittsamen Überrock verlangt. Wir bekommen welche leihweise, wobei meinen vorher ein Elefant getragen haben muss – XXXXL, fast passt er zwei Mal um meine Taille. Mustermäßig hatte er sicher ein Vorleben als Bettüberzug.

Einige Nonnen huschen im Hintergrund herum, eine kommt aus der Kirche, eine andere läutet die Glocke zum Mittagsmahl. Von der „Volontärin“ bekommen wir Wasser, griechischen Kaffee, Trockengebäck und aluverpackte Schokopralinen gereicht. Dann verschwindet sie, und wir bleiben alleine. Wahrscheinlich haben wir das Kloster gerade noch vor der Siesta erreicht – ein paar Minuten später hätte niemand mehr geöffnet.

 

Wir sitzen und warten. Die Pralinen sind sehr gut, Kaffee und Wasser auch. Wir warten. Gehen können wir jetzt auch nicht mehr.

Nach einer halben Stunde ist das Mittagsmahl der Nonnen beendet und die Volontärin kommt und öffnet uns die Kirche, die wirklich schön ausgemalt ist. Wir fühlen uns sehr beobachtet und irgendwie unwohl. Nicht dass wir irgendetwas anstellen wollten, aber wir sind nun mal nicht orthodox.

Nachdem ich eine Spende ein die Kasse in der Kirche gesteckt habe, dürfen wir wieder hinaus und die Röcke abwerfen. Wo ist eigentlich Theo? Fragt mich auch die Volontärin (bzw. nach meinem Vater), die gar keine ist, sondern aus Athen, wohin sie morgen wieder zurückkehren wird. Einkehrwochen in Kloster Zourvas? Sicher möglich wenn man rechten Glaubens ist. Sind wir nicht, und sie muss auch keine Angst haben, dass Theo bleiben will, er ist kein so Kloster-Fan, und taucht schnell wieder auf.

Als sich die Klostertüre hinter uns schließt ist es schon zehn vor eins. Nicht die optimale Tageszeit um eine längere Wanderung ohne Schatten in Angriff zu nehmen. Aber wir haben keine Wahl, und gestärkt sind wir ja jetzt auch.

 

Der schmale Weg verläuft weitgehend auf einer Höhe, ist gelb-schwarz bezeichnet und führt entlang einer Steinmauer, ist also nicht zu verfehlen. Auch steinig, und es steht allerlei Kratzzeug am Rande. Man muss schon nach unten gucken, und um die Aussicht zu genießen bleibt man besser stehen. Aber die Aussicht ist toll!

Steine und Phrygana, dazwischen vereinzelt Blümchen, später auch mal niedrige Bäume. Eine weite Fläche muss vor einigen Jahren einem Brand zum Opfer gefallen sein (ich vermute mal 2007) – mehrere Kilometer lange immer wieder verkohlte Stümpfe, nackte Buschskelette, kahle Hänge. Oben am Berg klingeln irgendwo die Ziegen, weit weg.

 

In einem Taleinschnitt, den wir hinauf müssen, stehen ein paar neu angepflanzte Feigenbäumchen, geschützt mit soliden Drahtzäunen. Hier im kargen Osten der Insel hat es das Wachsende nicht leicht sich durchzusetzen, da muss geholfen werden.

 

Gegen halb drei (wir sind um dreiviertel eins am Kloster weg) erreichen wir die Kapelle Profitis Ilias, die auf einem kleine Hügel liegt, eine Katzen-Kapelle als Wegweiser hat, und mit ihrem schattigen Vordach der perfekte Rastplatz ist. Netterweise gibt es sogar ein Tischchen dort.

 

Die Sonne knallt inzwischen wieder so heftig herunter, es wird heute über dreißig Grad geben. Am ersten Mai! Nach einem Stündchen Rast müssen wir aber doch weiter, wir haben erst die Hälfte - es ist also noch ein gutes Stück.

Der hohe Sonnenstand, der schmale Weg, die kratzige Macchia daneben – der Weg zieht sich, und ich lege einen Zahn zu. Will endlich in den Schatten. Aber immer noch verbrannte Baumgerüste, und ein Mal ein verfallender Hof, der Vordergrund distelblütenübersät.

 

Insgesamt dürfte die Wanderung etwa zehn Kilometer lang sein, aber sie fühlt sich länger an. Unser Endziel ist noch nicht in Sicht, Hydra-Stadt versteckt sich in einer Bucht. Aber dafür mehrere Klöster: Agios Nikolaos Thalassinos (Frauenkloster, noch eine Nonne soll dort leben), Agia Matrona (Nonnenkloster), Agia Triada (geschlossenes Mönchskloster) und ganz oben in der Ferne Profitis Ilias (Mönchskloster). Dann noch das Kloster der heiligen Evpraxia (Nonnenkloster). So viele (teilweise noch bewohnte) Klöster auf so engem Raum gibt es sonst wohl nur in Meteora und dem Athos.

 

Als nächstes erreiche ich das Nikolaos-Kloster und warte im schmalen Schatten gegenüber bis die Begleiter nachkommen – mein Tempo war zu schnell. Warum ich so rennen würde? Mhh, ich will gerne aus der Sonne.

Anklopfen am Kloster? Nein, muss nicht sein. Kein Kaffee bitte.

Eine kleine Stein-Ikonostase gegenüber, von dort sieht man schon in die Bucht von Mandraki hinab. Und ein paar Meter weiter, auf dem Sattel, sieht man auf die Inselsüdseite und das Meer dahinter, mit einem Frachter darin. Ein paar verstreute Häuser verteilen sich hier.

Der Weg ist jetzt wieder breit, und wir könnten alternativ nach Mandraki hinab, in Serpentinen, auf einem breiten Weg, fast schon eine Piste. Ohne Autos? Vielleicht kommt die Müllanfuhr ab und zu und entsorgt den Klostermüll. Wir entscheiden uns dagegen - wollen lieber den kürzesten Weg. Was wir (vor allem Theo) später bereuen werden.

 

Überall säumen weiße Insektengespinste den Weg in der Phrygana – keine Ahnung was das ist.

Der Weg führt entlang eines Hanges, oben liegt das Matrona-Kloster, vor uns das auf einer Bergkuppe sehr malerisch und toskana-like Agia Triada. Und dann werden wir überholt. Von einem überbreiten Eselsgespann: vorne der Reiter, dahinter an der Leine das Lasttier mit einem Metallgestell auf dem Rücken. Man hat es nicht eilig, gemächlich zuckelt das Duo vor uns her und wird den weiteren Weg vor uns erfreulicherweise von Spinnennetzen und –fäden bereinigen.

 

Bei zwei Windmühlenstümpfen auf einem Hügel meint Theo, wir könnten da auch außen herum gehen. Was wir dann auch tun, aber deshalb den eigentlich geplanten – mutmaßlich besseren Weg - etwas weiter südlich hinab nach Hydra verpassen. Rechts zeigt ein Wegweiser nach Mandraki, aber wir halten uns weiter auf dem breiteren Weg, der nach Westen führt.

Unweit der Kapelle Agios Stavros liegt uns dann die Bucht von Hydra zu Füßen, und die Insel Dokos dahinter – eine unglaublicher Anblick! Kreisrund erscheint das Hafenbecken von hier aus, umrahmt von weiß-terrakottafarbenen Häusern. Wunderschön!

Zur linken Hand der Berg mit dem Kloster des Profitis Ilias, an seinem Fuß der Friedhof – auf dem geplanten Weg wären wir eigentlich dort vorbeigekommen. Aber nun sind wir weiter östlich, und der breite Weg verwandelt sich eine ausgewaschene, steinige und steile Rinne, die Theos Fuß mächtig zusetzt und ihn zu heftigen Flüchen über die (mangelnde) Qualität dieses Monopati veranlasst.

Ich bin zwar von der Sonne auch ganz schön geschafft, aber das nahe Ziel vor Augen bremst mich nur noch die schlechte Wegbeschaffenheit. Ich scheuche ein Küken auf (Steinhuhn?), das zwischen den Steinen des Weges Deckung sucht. Und fotografiere immer wieder den Kessel von Hydra unter uns. Nur der Sportplatz stört das einheitliche Bild etwas.

Sogar der Ginster blüht hier schon, am ersten Mai! Unglaublich!

Eine gute halbe Stunde stolpern wir den schlechten Zickzackweg hinab bis wir am nordöstlichen Rand von Hydra wieder auf eine gepflasterte Straße stoßen. Da wird gerade eine Mauer geweißelt, ein Esel sieht von einem erhöhen Posten am Wegrand aus interessiert zu. Und es gibt endlich, endlich etwas Schatten! Die Wärme des Tages (Höchsttemperatur 30,2°C mittags um zwei Uhr) staut sich aber noch in den Gassen.

Was freuen wir uns jetzt auf ein kühles Radler an der Paralia! Es ist sechs Uhr vorbei als wir – ohne Umweg über unser Quartier - im „Siniálo“ Platz nehmen und die Erfrischung im Schatten genießen. Wir sind ganz schön erledigt, zehn Kilometer können lange sein. Tja, da macht man extra Urlaub im Frühjahr damit es nicht so heiß ist, und dann das!

 

Es gäbe auf Hydra noch einige Wege zu erwandern, da muss man nur mal bei Anna Barry nachgucken. Museen wären noch zu besuchen. Aber dummerweise habe ich im Vorfeld die Attraktivität der Insel unterschätzt und uns nur für fünf Nächte auf Hydra eingebucht. Morgen geht es weiter nach Poros, über Ostern. Das ist das Dumme wenn man vorher schon die Quartiere reserviert (ich versuche das normalerweise zu vermeiden), aber über die orthodoxen Ostern schien es mir angebracht (und war auch richtig). Ich bin mir sicher, dass ich wieder nach Hydra kommen möchte (und das nahe Spetses wäre außerdem noch zu besuchen).

Den letzten gemeinsamen Abend verbringen wir wieder im „I Xeri Elia“, wo uns das Essen heute aber nicht so zufriedenstellt: meine Soupies mit Fenchel hab ich schon zarter gegessen (Skyros!), die Moussaka ist allenfalls durchschnittlich (ich weiß schon warum ich das nicht mehr esse). Die Portionen sind aber (zu) groß. So sind wir am letzten Abend etwas enttäuscht von dem Lokal. Schade, dass wir es wieder nicht nach Kamini rüber geschafft haben zum Essen.

 

Theo und ich sehen uns anschließend noch an wie die Fußballer von Bayern denen von Barcelona keine Chance lassen im Champions League Halbfinale. Es gibt also tatsächlich ein rein deutsches Finale – aber da sind wir längst wieder zuhause, und die Bayern werden leider gewinnen.

 

*

 

Unser fliegender Delphin nach Poros (€ 12,50) geht erst am kurz vor ein Uhr am Mittag. So haben wir nach dem Frühstück noch etwas Zeit für einen letzten Stadtbummel. Und erleben zum ersten Mal in Hydra mit wie das ist wenn die Tagesausflugsschiffe über den Ort herfallen (man kann es nicht anders nennen, signomi). Es sind viele Asiaten, zahlreiche tragen Mundschutz, Handschuhe und Sonnenschirme. Eine Begegnung der dritten Art. Man wird nun auch vor einigen Läden angesprochen, was ich überhaupt nicht leiden kann. Nein, es ist besser, tagsüber außerhalb des Ortes zu sein und die unvergleichliche Atmosphäre erst am Abend wieder zu genießen.

Aber da sind wir schon auf Poros.

Der Dolphin kommt pünktlich, wir verabschieden uns von Theo, der noch bis nach Ostern hier bleiben wird – es war nett hier zusammen!

Wir freuen uns auf Poros, das uns im Vorbeifahren gut gefallen hat.

 

Aber Hydra ist einfach schön – und man sollte unbedingt länger bleiben und die Insel erwandern! Im Frühjahr, wenn es nicht so heiß ist… ;-)

PS.

Wer jetzt immer darauf gewartet hat, dass Leonard Cohen irgendwo erwähnt wird, hat vergeblich gewartet: Ich wollte den ersten Hydra-Text ohne Leonard Cohen schreiben... ;-)

PPS.

Und wer ihn doch braucht, wird bei Theo fündig, und auch wie er Ostern auf Hydra verbracht hat.