First time single

Ich bin früh wach am Morgen und kann nicht mehr schlafen. Die Aufregung. Wieder ins Kajak. Und zum ersten Mal eine Tagestour im Einer. Schon vor halb neun bin ich oben beim Frühstück. Gestern war noch die Rede davon, nach Kimolos zu paddeln, aber Rod hat die Pläne geändert weil die Windprognosen dies auch getan haben: es geht nun in die Bucht von Milos, von Achivadolimni nach Embourios und zurück. Eine kurze Tour, keine zwölf Kilometer.

Das ist mir, ehrlich gesagt, nicht unrecht, denn erstens kenne ich die Ost-Kimolos-Tour schon, und zweitens muss ich da nicht übers offene Meer. Die Mitpaddler sind heute: die vier Däninnen Lise, Mie, Yvonne und Lone, das deutsch-dänische Paar Reiner und Inkie, das britische Paar Brian und Carol, meine amerikanische Nachbarin Jan, und ein neues Paar, ebenfalls aus Dänemark. Alle mittleren Alters. Dazu noch Paul, Rods Assistent (über seine Erfahrungen postete er hier), der sich mir beim Frühstück vorstellt und verspricht, ein Auge auf mich zu haben. Leider merke ich, dass ich nicht nur ein Paddel-Defizit habe, sondern auch eines in Englisch: Ich verstehe lange nicht alles, was er mir erzählt. Vielleicht sollte ich doch mal Paddel-Urlaub in Großbritannien machen. Samt Sprachkurs.

 

Außer mir und Carol sind das alles erfahrene KajakerInnnen, wie ich schnell merken werde. Immerhin bin ich mit dem Procedere des täglichen Ablaufes inzwischen vertraut und habe Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50 dabei. Ich bekomme von Rod eine Dry-Bag für die nächsten Tage, in der ich meine Sachen verstaue - Handtuch, Badeklamotten zum Wechseln, Smartphone (meinen neuen Fotoapparat will ich den Gefahren einer solchen Seefahrt nicht aussetzen), Sonnenbrille (mit neuem Brillenband von Seakayaking Milos), Hut, eine Flasche Wasser. Pünktlich um halb zehn geht es los, in drei Autos. Ich bin mit dem "neuen" dänischen Paar (sorry, die Namen vergessen) bei Rod im Auto. In Rods Kajak-Lager außerhalb von Triovasalos holen wir zunächst den Anhänger mit den Booten, dann geht es über Adamas und entlang des Binnenmeeres nach Achivadolimni. Am schönen Sandstrand werden die Kajaks ausgeladen und ans Ufer gebracht.

 

Ich bekomme von Rod ein orangenes Rainbow-Laser-Kajak und eine grasgrüne Schwimmweste zugeteilt - passend zu meinem neongrünen Wet-Shirt. So froschgrün bin ich die nächsten Tage unterwegs. Und Jan fragt, ob das meine eigene Schwimmweste sei - passt zu gut. :-)

Spritzschutz und Paddel noch. Alles ordentlich und in der richtigen Reihenfolge anziehen beziehungsweise verstauen, dann stellt Paul mir noch die richtige Länge der Fußstützen ein, und erklärt auch noch, wie ich einsteige ohne direkt zu kippen.

 

Meine frische Kentererfahrung von Santorini hab ich Rod und Paul natürlich geschildert, und sie wollten wissen, wie es dazu kam. Tja, wenn ich das wüsste... plötzlich war der Kopf halt unter Wasser, ich hatte aktiv gar nichts getan. Dass das nagelneue Kenter-Trauma mit mir im Kajak sitzt, merke ich aber, kaum dass ich eingestiegen bin. Im Herbst hatte ich noch das Urvertrauen, dass die Dinger (klar, waren auch Doppel) nicht kippen. Zumal wenn Rod mit drin sitzt. Das ist nun perdu. Immerhin der Einstieg ins Kajak verläuft unproblematisch - Rods Kajaks scheinen mir breiter und stabiler als von Antonis. Und den Spritzschutz krieg ich auch problemlos zu. Pauls schiebt mich ins Wasser. Nun warten bis alle drin sind und solange die ersten Paddelschläge üben, probeweise. Vielleicht die Drehung im Paddel vergrößern?

 

Wir sind heute alle im Einer unterwegs außer Rod, der Carol mit im Doppel hat, was ihrem Mann Brian einen Tag im Einer beschert. Er ist deutlich erfahrener und genießt die Freiheit. Zügig geht es los gen Westen, und ich versuche mich daran zu erinnern, was ich gelernt habe. Und es auch umzusetzen, was halbwegs geht. Das Steuerruder hab ich hochgezogen, es sitzt so straff, dass ich es nicht ins Wasser bekomme.

 

Zum Glück ist das Meer angenehm ruhig, und so kann ich mich ganz auf mich konzentrieren. Von den faszinierend geschichteten Felsen an der Küste krieg ich nur flüchtige Blicke mit, dann passieren wir eine Möwenkolonie. "Out! Out!" scheinen die Tiere laut zu schreien, die sich von uns gestört fühlen, obwohl wir natürlich auf dem Wasser und damit in sicherer Entfernung bleiben.

 

Schnell zieht sich die Gruppe in die Länge, und ich finde mich natürlich im hinteren Teil, zur Freude von Jan, die schon die Hoffnung geäußert hatte, endlich die rote Laterne abgeben zu können. Die nehme ich gerne, Jan, kein Problem. Hauptsache, ich werde nicht komplett abgehängt.

Es macht Spaß, und geht auch ganz gut voran. Mit dem Small-Talk nebenher, dafür bin ich aber noch zu fokussiert.

 

Die Vormittagspause findet in der kleinen Bucht von Patrikia statt. Ein sandiger Strand, eingerahmt von flachen Felsen. Badepause, das Wasser ist herrlich und hat 22 Grad. Die Däninnen probieren Ein-und Ausstiege aus dem Kajak, sie sind richtige Wasserratten. Balancieren im Kajak, dann der ultimative Belastungstest, wie viele Menschen in oder besser: auf ein Kajak passen ehe es versinkt. Bei fünf gibt das Boot nach und versinkt unter großem Gelächter.

Das Wasser ist nicht mein Element, und so gucke ich mir die Spiele lieber von Land aus an.

 

Dann wird es akrobatisch: drei Kajaks nebeneinander, darauf drei Stehende. Und zum Abschluss rennt Rod noch über die Bugs von sechs aneinandergereihten Kajaks. Ja, auch fortgeschrittene Paddler müssen sich bei den Touren nicht langweilen. Und Anfänger eh nicht.

Für die kleine Stärkung aus Bananen, Pasteli und Keksen kommen dann alle an Land.

 

Auf der anderen Seite der Bucht, vor Adamas, hat sich inzwischen ein Kreuzfahrtschiff eingefunden: es ist die "Celestyal Crystal", die hier während der Saison jeden Mittwoch für ein paar Stunden vorbeiguckt. Sie ist Baujahr 1980, 1992 komplett umgebaut. Mit einer Länge von 158 Metern und maximal 1.200 Passagieren gehört sie noch zu den eher kleineren Kreuzfahrtschiffen. Vor allem die Taxifahrer würden sich jede Woche über das Schiff freuen, das ihnen gut Einkünfte beschert. Noch ist der Kreuzfahrttourismus hier weder so organisiert noch so ausgeufert wie auf Santorin oder Mykonos - möge es lange so bleiben!!

Und mir ist ein kleines Boot sowieso lieber.

Unsere Tour geht weiter Richtung Embourios, das wir allerdings nicht direkt ansteuern, sondern zunächst in die Lagune von Rivari abbiegen. Letzten Herbst war ich hier mit dem Mietwagen unterwegs und habe die interessante Sumpflandschaft mit Halbinsel, Kapelle und Haus fotografiert. Dass ich hier mal auf dem Wasser unterwegs sein könnte, hatte ich da nicht gedacht.

 

Die Lagune ist sehr flach, und wir drehen darin keine Runde und paddeln wieder zum Ausgang, wie ich vermutet hatte, sondern steigen am westlichen Ende aus und tragen die Kajaks über Land hinüber in die Bucht von Milos. Der Matsch der Lagune greift gierig nach meinen Badeschuhe, aber ich kann sie ihm entreißen. Es sind vielleicht zwanzig Meter über Sand und durch etwas Gebüsch, das dafür meine Waden zerkratzt.

 

Am äußeren Strand angekommen meint Rod, ich solle mit Paul schon zu unserem Mittagsrastplatz etwas weiter östlich am Fuße der Kapelle Agios Nikolaos paddeln, während er mit den Anderen noch den Kilometer nach Embourios fahren wird. Reiner schließt sich uns an, er erzählt von der gestrigen Tour, die ihn ziemlich strapaziert hat: Die fünf Kilometer Rückweg von Kap Vani übers offene Meer waren bei Wind von hinten sehr wackelig und fordernd, und er froh, als sie wieder an Land waren. Wäre wohl nichts für mich gewesen - gut, dass ich nicht dabei war.

 

Paul zeigt mir auf dem kurzen Stück, wie ich richtig das Paddel einstechen und lange Schläge produzieren soll. Dabei den Oberkörper schön rotieren, dass die Kraft nicht allein aus den Schultern kommt, sondern aus dem Rumpf. Stimmt, hab ich mal gelernt. Trotzdem fällt es mir schwer - zu groß ist meine Furcht, zu kippen wenn ich den Körperschwerpunkt nach außen verlagere. Das kurze Stück bis zum Rastplatz bietet auch zu wenig Gelegenheit zu üben.

 

Bei dem Versuch, halbwegs elegant auszusteigen, kippe ich dann wirklich und schlage mir Ellenbogen und Knie auf. Super, doch wieder gekentert. Na, sind nur ein paar Kratzer, nichts schlimmes. Aber mein Trauma hat wieder Nahrung bekommen. Es fehlt noch einiges an Sicherheit.

 

Paul hatte eine Holzplatte auf seinem Kajak festgebunden, die baut er nun mit etwas Schwemmholz als Tisch auf. Später wird sie hier irgendwo deponiert, für zukünftige Picknicks.

Der Strand besteht aus Sand und feinem, buntem Kies, im Hinterland liegt allerlei Plastikmüll, vom Flaschenverschluss bis zu Bojen, Seilen und Kistenresten. Später werden wir mehrere Plastiksäcke davon aufsammeln und auf einige Boote binden, um sie später in den kommunalen Müllbehältern zu entsorgen (es gibt eine Mülldeponie in einem alten Steinbruch im Südosten der Insel bei Soleta - nicht das Optimum, aber besser als nichts). Bei jedem Aufenthalt wieder ein Stück weiter säubern, das hilft etwas.

Auf dem Rückweg wird Rod noch einen treibenden Kanister mit Altöl bergen und später an der Tankstelle entsorgen. Sauerei, was so alles im Meer landet. Und vorzugsweise natürlich an den nördlichen Küstenabschnitten, weil der Wind am häufigsten aus Nord weht.

 

Auch hier kann man in wenigen Schritten hinüber zur Lagune gehen und das weiße Haus betrachten, das einsam auf einer schmalen Landzunge im Wasser steht. Ein Haus nicht am, sondern im Meer. Hinkommen dafür erschwert.

Dahinter erstreckt sich ein breiter Bergrücken mit vier Windrädern, weiter rechts der Profitis Ilias.

 

Nach zwanzig Minuten kommen die Anderen, und bis es etwas zu essen gibt, klettern wir die paar Meter zu der Agios-Nikolaos-Kapelle hinauf, die auf einem rötlichen Felsen liegt. Der Schlüssel steckt. Ob ich eine Kerze für gute Heimkehr anzünden soll? Dass der Rückweg für mich äußerst unangenehm werden wird, ahne ich da ja noch nicht. Sonst hätte ich gleich ein ganze Bündel angesteckt.

 

Von dem Hügel hat man einen hervorragenden Blick auf die Bucht von Milos vor und die Lagune hinter uns. Mag nicht so spektakulär sein wie an den äußeren Küstenabschnitten, aber schön ist es hier auch. Sanfter und grüner.

Plaka und Tripiti auf den Kanten gegenüber, die helle Reihen der Fischerdörfer von Klima und Schinopi darunter. Und rechts Adamas mit der "Celestyal Crystal" davor. Schade, dass mein iPhone mit den Reflexen des Meeres überfordert ist und meine Fotos nur unscharf werden. Soll ich morgen doch die Lumix mitnehmen?

Längst ist auch die "Artemis" auf ihrem Weg nach Syros gekommen und wieder abgefahren. Lothar, Therese, Hanne und Herbert mit ihr. Kalo taxidi, und schönen Resturlaub!

Dann ist der Lunch fertig. Es gibt wieder das köstliche, dunkle Brot, dazu Tomaten, Gurken, Käse, Thunfisch und Oliven. Schmeckt so gut!

 

Schließlich die Müllsammelaktion und noch etwas Badegelegenheit, eh wir uns gegen drei Uhr auf die Rückfahrt machen. Es ist Wind aufgekommen, von Westen, also von hinten.

Vom Rückenwind angetrieben, zieht sich unsere Gruppe schnell in die Länge. Rods Doppel an der Spitze, dahinter die Anderen, auch Jan. Und ich am Ende, zusammen mit Paul, der aufpasst, dass ich nicht verlorengehe. Die Gefahr besteht, denn der Rückenwind sorgt für eklige, kurze Wellen, die mich hin- und herwerfen. Fast werde ich seekrank. Zu viel Thunfisch zum Lunch? Ob der wieder raus will? Da würde ich garantiert kentern...

Meine Paddelschläge werden unkoordinierter und hektischer, es macht nun gar keinen Spaß mehr. Wenn ich jetzt kenter, komme ich nie wieder ins Kajak rein. Nur ein Gedanke kreist folglich in meinen Kopf: bloß nicht kentern. Nicht kentern! NICHT KENTERN!

 

Die anderen sind da hinter einer Felsennase längst außer Sicht, und Paul hängt ganz entspannt neben mir in seinem Kajak, alles kein Problem. Für ihn. Für mich schon. Ich hüpfe auf den Wellen hin und her, auf der Suche nach dem äußeren und inneren Gleichgewicht. Sehr konzentriert. Es kommt mir endlos vor, obwohl der Rückenwind uns gut auf Fahrt bringt und wir die Rückfahrt in gerade mal einer Stunde bewältigen werden.

Als Paul sich ein Stück von mir absetzt - so langsam wie ich kann er gar nicht - gerate ich fast in Panik.

Paul, please stop! Wait!  Er erhört mich und erbarmt sich, und gibt mir Geleitschutz auf dem letzten Kilometer bis zum Strand von Achivadolimni, wo die anderen längst die Boote an Land gezogen haben als ich endlich ankomme. Bin so froh, an Land zu sein! Thank you Paul!

 

Immerhin bin ich nicht gekentert, aber die letzten Minuten waren zäh und freudlos. Will ich das wirklich wieder? Momentan hab ich darauf nur eine Antwort: auf keinen Fall! Zum Glück fragt jetzt aber keiner danach.

Schweigend und den Tränen nah (wie praktisch doch Sonnenbrillen sind) packe ich meinen Krempel aus dem Kajak und helfe beim Verladen. Die dänische Parea erfreut sich da längst beim Baden. Das sind so Wassernixen. Jan hatte mich völlig aus den Augen verloren (kein Wunder, ich sie auch, und dabei hab ich nach vorne geguckt) und von meinen Problemen nichts mitbekommen. Reiner äußert Mitgefühl, er kann meine Niederlage besser nachvollziehen als die erfahrenen Cracks.

Schweigend auch die Rückfahrt.

Wenn ich morgen nicht ins Kajak steige, dann verliere ich Milos. Die Aussicht auf herrliche Küsten, bizarre Felsen. einsame Strände. Gebe mich geschlagen. Will ich das?

 Auf keinen Fall!

Oder wieder ins Doppel? Nein, das ist keine Option. Eigentlich.

 

In Triovasalos angekommen fragt Rod dann, ob ich morgen wieder mitkommen möchte. Was er zu meinen Künsten heute meinen würde, entgegne ich, und denke "er war so weit weg, er hat ja gar nicht gesehen wie übel das war". Nein, das wäre doch gar nicht schlecht gewesen. Ich bräuchte nur etwas Selbstvertrauen, dann klappe das schon. Er ist ein erfahrener Trainer und guter Psychologe, ich vertraue ihm. Und ich will nicht aufgeben. Milos nicht, und das Kajak nicht. Und höre mich yes sagen. Was mir noch eine schlechte Nacht bescheren wird.

Ich werde es versuchen. Was kann schon passieren. So schnell ertrinkt man nicht.

 

Vertrauensbildend und aufbauend wirkt auch die Paddel-Parea beim Après-Kajak vor dem Kafenio Perros. Wieder eine nette Truppe, wie letzten Herbst die Briten. Paddeln ist offenbar kein Sport für Idioten.

 

Na, dann schaun wir mal, wie das morgen wird. Hölle oder Himmel? Nach heute wäre dann letzteres dran.


Rods Fotos vom Tag hier (einige hab ich oben eingebaut).