Noch zwei Kajaktage

Ich hoffe vergeblich. Zwar wird es nach Kimolos gehen, wie Rod beim Frühstück verkündet. Aber leider nach West-Kimolos. Warum auch immer. Schade, aber so kann ich mir immer noch Touren fürs nächste Mal aufheben. Dass die Ost-Kimolos-Tour dann drei Tage später nachgeholt wird, wenn ich nicht mehr auf Milos bin, ist doppelt schade. Aber gut, West-Kimolos ist auch ein toller Trip. Allerdings bin ich ihn schon zweieinhalb mal gefahren.

 

Es ist immer noch windig, aber weniger als die letzten Tage. Wir fahren nach Pollonia, laden die Kajaks ab. Ich möchte heute ein Greenland-Paddel ausprobieren, aber Rod hat keines dabei. Allerdings hat er auch kein anderes Paddel für mich dabei - zu wenig Paddel eingepackt! Es ist nicht einfach, bei zwei Touren am Tag immer das richtige Equipment korrekt zu disponieren. Ohne Paddel geht es nicht, also fährt Rod zurück in die Basis und holt das fehlende Material. Wir warten so lange am Strand von Pollonia, und gehen mit entsprechender Verspätung erst um Viertel vor elf aufs Wasser. Unsere Gruppe hat heute Zuwachs durch ein österreichisches Paar, das auf Kimolos ein Haus hat und öfters mal mitfährt. Mit Rod sind wir zwölf Personen, alle im Einer.

 

Wir queren hinüber zur Südspitze von Kimolos und fahren entlang der bunten Küste. Mit meinem leichten Greenland-Paddel komme ich ganz gut zurecht, auch wenn die Technik eine andere ist: Rod gibt mir einen Schnellkurs. Ja, daran könnte ich mich gewöhnen.

Um die bizarren Felsen mit tierähnlichen Formen im Wasser herum zu paddeln ist immer ein Spaß.

An einem kleinen Strand unter einer Felsenwand entdecken wir dann eine tote Meeresschildkröte. Äußerlich sieht sie unversehrt aus. Traurig.

Dann kurven wir um die nächste, labyrinthähnliche Felsenformation mit den hellen Felsenzacken. Ganz anders als die vorherigen Riffe. Auch Kimolos hat eine unglaubliche Vielfalt der Natur auf Lager.

 

Die kurze Pause machen wir am Sandstrand von Mavrospilia. Etwas weiter nördlich steht noch eine verwaiste Reihe von Sonnenliegen und -schirmen. Wenn im Sommer die Busse fahren, lohnt sich das vielleicht. Jetzt ist niemand da.

Weiter entlang der Küste nach Norden. Rockhopping, Höhlen, Spalten, farbige Felsen - für alle etwas dabei. Die Mittagsrast dann am Ex-Donkey-Beach (offziell Athinia) - der nette, melonenschalenfressende Esel ist seit 2020 nicht mehr da. Vor dem Lunch üben Lene und Kathrine die Kenterrolle. Klappt fast auf Anhieb. Sollte ich vielleicht doch irgendwann mal in Angriff nehmen.

Nach dem Lunch gehen wir dann hinauf zu dem Häuschen über der Bucht. Vorsorglich habe ich meine Wanderstiefel ins Kajak gepackt - bin schon mal mit Badeschuhen hier hoch, was weder für Schuhe noch für die Füße gut war. Ich bin perplex als ich über die Terrassenkante ein Paar Schuhsohlen erblicke: da ist doch tatsächlich jemand! Ein junger Mann sitzt auf der Terrasse, die Füße hochgelegt, und vermutlich hat er uns die ganze Zeit schon beobachtet. Da kommt man ans Ende der Welt und will seine Ruhe haben und dann kommen diese lästigen Kajaker ausgerechnet jetzt hierher, wird er denken. Rod kennt ihn, er sei von einer deutschen Hoteliersfamilie in Pollonia. Und das Häuschen ist tatsächlich zum Ferienquartier umgebaut, wie ein neugieriger Blick durch die offenstehende Türe ergibt. Einfach, aber offenbar funktional.

Oberhalb ist ein Dreschplatz. Schön zu sitzen. Das Rund inspiriert mich, wir tanzen einen Chassaposervikos zur Musik vom iPhone.

Und dann wird es Zeit zur Rückfahrt. Wieder entlang der Küste nach Süden, und dann müssen wir nach Milos übersetzen. Es hat lange Wellen, aber keinen Rückenwind. Rod ordert erst Joanna, und dann mich nach vorne, wir sollen in der Gruppe bleiben und nicht überholt werden, auch wenn es den anderen schwer fällt. Die Gruppe fächert sich auf, und ich tue was ich kann, habe aber zunehmend Mühe mit Wellen und Wind. Vielleicht wäre ein normales Paddel hier besser.

 

Nur langsam rückt die Kapelle von Agios Nikolaos auf dem Kap von Pelekouda näher. Diese Querung hatte ich weniger mühsam in Erinnerung, aber jede Passage ist anders. Die Anderen lassen sich dann irgendwann nicht mehr halten, und endlich erreichen wir in einer langen Reihe nebeneinander die Bucht von Pollonia während draußen, hinter uns, der Seajet vorbeiflitzt. Und jetzt wird mir auch klar, warum Rod etwas beunruhigt war: er kennt natürlich die Fährzeiten und wir waren spät dran. Der Seajet hätte bestimmt nicht für eine Gruppe Kajaker gebremst, und das Queren von Wasserstraßen ist eigentlich verboten. Ob ich noch mehr Kräfte hätte mobilisieren können wenn ich das mit dem Seajet gewusst hätte? Egal, es hat schließlich noch gereicht.

Wir verladen die Kajaks und sind spät wieder in Triovasalos.

Am Abend haben wir noch etwas besonderes vor: Dario hat die Kajaker zu einem privaten Saxofon-Konzert in das antike römische Theater bei Tripiti eingeladen. Um 21 Uhr sollen wir dort sein. Kathrine, Lene und ich gehen vorher noch auf einen Drink nach Plaka ins "Vergina" und dann schon im Dunkeln nach Tripiti und hinab zu Theater. Ist weiter als ich in Erinnerung hatte, und das letzte Stück von der Abzweigung zu den Katakomben unbeleuchtet, aber wir haben Taschenlampen beziehungsweise Handys dabei. Und wo ist nun wieder genau das Theater? Vorsichtig suchen wir unseren Weg und werden zuerst akustisch fündig. Dario mit Stirnlampe ist schon da und spielt sich ein, ein Teil des Publikums auch. Wir nehmen auf den steinernen Rängen Platz, es ist noch angenehm warm.

 

Schade, dass das Theater nicht für öffentliche Vorführungen genutzt wird, aber vielleicht ist der Denkmalschutz dagegen - befestigte Wege, Beleuchtung - das würde alles Spuren hinterlassen. Und dann wäre das Gelände auch bestimmt abgesperrt.

 

Dario beleuchte sich mit zwei Lampen, und als die letzten Nachzügler auch den Weg gefunden haben, tritt er aus dem Dunkeln ins den Lichtkreis und nimmt uns mit auf eine musikalische Reise durch die Geschichte des Saxofon (seines ist weiblich und seine erste und große Liebe), humorvoll verknüpft mit seiner persönlichen Geschichte zum und als Profimusiker. Dabei überzeugt er als Musiker ebenso wie als Entertainer. Ein Teufelskerl! Gerne unterstützen wir seinen musikalischen Werdegang hinterher durch eine Spende - so ein Instrument will gepflegt werden, und die Karriere auch. Ob sich das immer mit dem Kajaken vereinbaren lässt? Aber über den Winter kann er damit schon kommen, träumt vom Engagement auf einem Kreuzfahrtschiff. Wobei er da die Enge der Kabine teilen müsste - für einen akribisch-ordentlichen Menschen wie ihn wäre das nicht leicht.

Es ist halb elf vorbei als das Konzert endet. In der Taverne "Methismeni Politia" gehen Lene, Kathrine und ich noch eine Kleinigkeit essen: Fava, Zwiebelkuchen und frittierte Auberginenscheiben. Vor allem der Zwiebelkuchen ist sehr gut. Spät sind wir wieder in unserem Quartier.

 

Und morgen ist dann schon mein letzter Paddel- und Urlaubstag.

Venus-Kopie am Wegrand
Venus-Kopie am Wegrand

 

*

 

Der Wind von Norden bleibt uns treu, flaut aber weiter ab. Wir fahren heute mit Dario an die Südküste, nach Psathi, um von dort aus gemütlich die Küste mit zahlreichen Höhlen und interessanten Gesteinsformationen Richtung Westen zu erkunden. Ich bin froh, dass wir nicht bis Kleftiko fahren, denn heute fühle ich mich müde, und vor allem der Rückweg kann sich nach meiner Erfahrung ziehen.

 

Das Ausladen der Kajaks an dem Strand mit großen und wackeligen Kieseln ist nicht ohne und erfolgt vorsichtig. Aber dann auf dem Wasser ist Staunen angesagt: Auch als inzwischen erfahrene Besucherin der Küsten von Milos sind sie doch immer noch und immer wieder überwältigend.

Ein weißer Felsen vor uns, fein geädert. Eleonorenfalken hat es auch wieder, das ist noch ihre Jahreszeit. Und das Wasser so klar und weich. Eine Freude, hier sein zu können.

 

Vorsichtig fahren wir rückwärts in Höhlen ein und genießen das Spiel des Lichtes im Wasser. Wenn wir nicht im Finsteren mit unseren Booten Felsen oder gegeneinander rammen und die Paddel gegen die Wände schlagen. Ein bißchen Schwund ist immer ...

Der Strand von Gerontas ist unser erster Pausenplatz. Feiner Sand, eingefasst von steilen weiße Felsen. Darüber die Stufen der Pozzolan-Minen bei Xilokeratia, teilweise schon renaturiert.

 

Westlich davon überspannt ein wunderschöner Halbbogen das Meer, weiß mit dunkler, krustiger Auflage. Wir schwimmen durch, und auch wer schnorcheln möchte, hat hier Gelegenheit.

 

Wir haben heute viel Zeit und toben uns hier aus. Auch die Kenterrolle wird wieder geübt. Alles Profis, ich bin beeindruckt.

Der zweite Halt nach Durchpaddeln des Halbbogens und der Erkundigung weiterer Höhlen ist östlich von Gerakas in Katergo. Das ist eine schmale, hinten runde Felsenbucht mit zwei Bootshäusern. Wir müssen die Kajaks beim Laden auf zwei Stellen verteilen, und man muss etwas aufpassen beim Gehen auf glitschige Stellen auf den Felsen. Dafür haben wir einen perfekten Tisch auf einer Kabeltrommel und ein fast neuer Sessel ist auch da. Das Dach des einen Bootshauses bietet sich für ein Sonnenbad an, wie die Däninnen schnell erkannt haben. Und das Essen - Tomaten, Gurken, Käse, Schinken, Brot, Humus und Tirosalata schmecken sowieso, und ich muss mich wieder zurückhalten, denn ein voller Bauch paddelt nicht gut (und wird leichter seekrank).

Zurück nach Psathi ist es nun nicht mehr weit, aber plötzlich haben wir heftigen Gegenwind, der mir einiges abverlangt. Ich habe auch heute wieder ein Greenland-Paddel gewählt, das weniger Angriffsfläche für den Wind bietet, aber vielleicht auch weniger Vortrieb bringt. Zumindest bei mir und meiner verbesserungsfähigen Technik.

 

Als wir auf der Höhe von Psathi angekommen sind, meint Dario, dass es jetzt noch einen Bonus und zwei Steinbogen für die geben würde, die noch nicht zu müde wären. Ich bin zwar müde, aber das will ich sehen (beim letzten Mal nach der Rückfahrt habe ich es nicht mehr geschafft). Und so paddeln wir weiter ostwärts gegen den böigen Wind, um das nächste Kap herum, und haben einen hellen Felsen vor uns, durch den ein Tunnel führt. Nicht schlecht, aber noch viel überwältigender ist die Landschaft dahinter: graues Konglomerat aus zusammengebackenem Gestein ragt aus dem Meer, wie ich es auf Milos noch nie gesehen habe. Und auch hier führt ein Tunnel hindurch, durch den wir natürlich durchfahren. Wirklich noch ein weiterer Höhepunkt der Tour und der Insel. Da ist die Müdigkeit schnell vergessen.

Und dann zurück zum Ausgangspunkt in Pasthi. Ein letztes Mal die Kajaks verladen, vorsichtig auf dem unwegsamen Strand. Alles gut überstanden. Die lange Fahrt zurück, ich sitze am Steuer, genieße nochmal die Ausblicke über die Insel. Ja, Milos mag zunehmend am Overtourism leiden, aber hier abseits, da nicht. Und wer will es den Menschen verdenken, dass sie diese einzigartige Insel besuchen wollen? Ich habe ja auch immer noch nicht die Nase voll davon. Daran sind Rod und Dario nicht ganz unschuldig. Efchristo poli, thank you, mille grazie! Ich bezahle das Zimmer, verabschiede mich von den beiden, denn ich muss am Morgen zeitig weg.

 

Mit zwei Taxis fahren wir Kajaker am Abend hinab nach Adamas. Zwanzig Euro kostet diese Taxifahrt inzwischen pro Auto, auch eine heftige Preisentwicklung. Zu acht - Kathrine, Lene, Henrik, Joanna, Fiona, Jonathan, David und ich - gehen wir ins "Mikros Apoplous". Geteilte Vorspeisen, eine Hauptspeise für jeden, Bier, Wein (der zweite Liter ist zu viel) - es schmeckt gut, hier so direkt am Meer. 30 Euro pro Person, das ist auch ok.. Mit dem letzten Bus fahren wir um halb zehn wieder hinauf nach Triovasalos. Ich muss noch packen.

 

Es war wieder eine nette Paddelgruppe. Wie eigentlich immer. Abschied und Austausch von Mailadressen. Die anderen bleiben noch einen, zwei Tage. Paddeln nach Ost-Kimolos und Agios Georgios. Rod hatte es schon angedeutet. Aber egal, ich komme eh wieder.

 

 *

 

Lange vor dem Frühstück holt mich das Taxi um sieben Uhr am Kafenio Perros ab. Waren es wirklich die erinnerten 30 Euro, die ich für die Fahrt bezahlt habe, oder nur die aufgeschriebenen 25?
Ich habe einen lange Reisetag vor mir, denn um 120 Euro zu sparen, habe ich den Rückflug über Athen und Thessaloniki gebucht. Sitze nach kurzem Flug erst vier Stunden auf dem Flughafen von Athen herum, und dann nochmal drei in Thessaloniki. Immerhin ist der Aufenthalt auf dem dank Fraport renovierten Flughafen von Thessaloniki angenehmer als früher. Aber auch teurer. Und die Warterei ist anstrengender als ein Tag im Kajak. Nach zwölf Stunden Reise lande ich um 19 Uhr erledigt in Stuttgart.

 

Zwei schöne kykladische Wochen liegen hinter mir.

Sifnos und Milos - eine hervorragende Kombination. Auch im Herbst.