Wieder drei Tage auf dem Meer

Auf Milos habe ich diesen Herbst zum ersten Mal das "Milos Package" bei Sea Kayak Milos gebucht: sechs Paddeltage und acht Nächte in "Petrinelas Guesthouse" in Triovassalos. Beziehungsweise in den Zimmern der benachbarten Verwandtschaft, weil das Guesthouse ausgebucht ist: zuerst zwei Nächte bei "Pepi's" (ein Cousin von Petrinela), dann sechs bei "Menelái's" (eine von Petrinelas drei Schwestern. Über das Namenschild ihres Wäscheladens gegenüber des Kafenions hatte ich schon öfters gegrübelt, der Name - oder ist es ein Spitzname? - "Menelái" war mir nicht geläufig.)

Ich freue mich auf das Wiedersehen mit Rod, Petrinela und dem saxofonspielenden italienischen Assistenten Dario, der schon seine vierte Saison auf Milos verbringt. Etwas besseres dürfte er kajaktechnisch an der Ägäis kaum finden, und auch Rod weiß (hoffentlich) was er an ihm hat.

 

Das Geschäft brummt, und so sind an manchen Tagen zwei getrennte Gruppen unterwegs, eine mit Rod, eine mit Dario. Und natürlich sind auch wieder Dänen da, eine zwölfköpfige Gruppe, die an meinem ersten Paddeltag ihren letzten hat und morgen abreisen wird. Sie paddeln mit Rod nach Vani. Neid! Nicht nur bei mir, auch bei Dario, dessen Lieblingstour das ist, und der mit uns anderen aber an der Südküste unterwegs sein wird.

Der Wind weht die nächste Tage konstant von Norden, mit zwei windstarken Tagen am Montag und Dienstag. Die Dänen werden von meterhohen Wellen auf dem Weg zurück von Vani erzählen, und ich bin dann doch froh, meinen diesjährigen Milos-Einstand im Windschatten der Südküste zwischen Firiplaka und Gerakas absolvieren zu dürfen. Gestartet wird in Agia Kyriaki, es geht zuerst westwärts. Vorbei am Tsigrado-Strand, der nur durch seinen Zugang durch ein Felsenloch und über eine Leiter glänzen kann: Sehr instagramable. Der Strand selber ist aber klein und total überlaufen, Milos hat zig bessere Bademöglichkeiten.

Zum Beispiel der weitläufige Fyriplaka-Strand mit dem elefantenähnlichen Felsen weiter westlich, wo wir einen kurzen Halt einlagen. Wir sind acht Personen zusammen: der Brite Vic, der noch ein paar Touren mitmachen wird (seine Frau bleibt meist lieber an Land), François, der Franzose, der kaum Englisch spricht, der Ukrainer Dan, der aber in Kanada lebt und als zweiter Assistent aushilft. Ein englisches Paar noch, Tagesgäste, und Ted, der Greco-Amerikaner.

Von Fyriplaka geht es wieder ostwärts bist Gerakas. Die weiß-gelb-rote Küste flasht mich wieder total, und das wunderbare Meer. Sorry für allen anderen griechischen Paddelküsten, aber hier ist es einfach am Schönsten!

Das wissen aber auch die Insassen der vielen Tourenboote, Yachten und Mini-Motorboote, die sich später vor dem Küstenabschnitt von Gerakas tummeln, wo wir die Mittagspause machen. Die wenigsten kommen aber an Land, so dass wir ungestört den köstlichen Picknick-Lunch einnehmen können. Den Tisch dafür holt Dario aus dem Versteck.

Ein Stück fahren wir dann noch ostwärts, ehe es zurück nach Agia Kyriaki geht. Ein wunderbarer Tag zum Einstieg, nicht zu lang und nur etwas Wind. Passt!

 

Am Abend esse ich mit Ted im benachbarten "Bakalikon Galanis" (nach wie vor zu empfehlen). Immer wieder lustig, wie sich tagsüber anonyme Sonnenbebrillte und -behütete am Abend in zivilisierte Personen verwandeln, die man kaum wiedererkennt. Ted muss es mit mir ähnlich gegangen sein. Wir haben einen angeregten Abend nachdem ich mich halbwegs in seinen amerikanische Akzent eingehört habe. Wissen all diese anglophonen Menschen eigentlich, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, gut Englisch verstehen und sprechen zu können? Und ganz schön anstrengend. Leider wird Ted am nächsten Tag noch vor dem Frühstück abreisen müssen - ein Todesfall in der Familie erzwingt seine Heimkehr.

 

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Am zweiten Paddeltag sind wir eine große Gruppe von 15 Personen und daher mit Rod und Dario unterwegs. Vier ältere Engländer*innen, Fiona, Joanna, Jonathan und David, sind gestern noch zu uns gestoßen, sie haben ebenfalls eine Paddelwoche gebucht. Sie werden sich als sehr erfahrene Kajaker erweisen. Kaum Erfahrung haben dagegen drei weitere, jüngere Briten, die auch mehrere Tage ins Kajak wollen. Eine in der Schweiz lebende Deutsche hat auch mehrere Touren gebucht, dazu kommen noch ein paar Tagesgäste

 

Wir fahren mit mehreren Autos nach Paleochori, wo wir starten und entlang der Schwefelküste ostwärts paddeln. Das Wetter ist erneut prächtig, die Küste zeigt sich von ihrer Schokoladenseite. Der erste Stopp ist bei Firligos, wo noch Mauern von früheren Einrichtungen zum Schwefelabbau stehen und Stollenlöcher in den weißgelblichen Hang führen. Am südlichen Ufersaum zwischen Felsenbrocken gräbt Rod mit einer Schaufel ein Loch ins den Sand um die vulkanische Wärme zu demonstrieren: das Wasser, das sich in der Mulde sammelt, ist so heiß, dass die Messsäule meines Badethermometers über die 50 Grad hinaus schießt.

Nach dem Snack dann weiter nach Norden, über den Windy Rock hinaus und zunächst vorbei an der alten Schwefelmine und dem eine Bucht weiter nördlich gelegenen Rema (die Namensgebung ist hier nicht immer ganz eindeutig) bis zur "Höhle des Großvaters".

Dann wieder südwärts, wo wir an der alten Schwefelmine Mittag machen. Ich war inzwischen schon oft hier und finde es nach wie vor einen der schönen Strände von Milos: feiner gelb-orangener Kies, grandios von rötlichen Felsen und den Ruinen der Schwefelfabrik eingerahmt. Dario führt uns später durch die Industrieruine, erklärt die rostigen Überbleibsel.

 

Zurück nach Paleochori paddeln wir ohne Pause, um Viertel nach vier sind wir wieder dort. Es herrscht noch reges Strandleben heute am Sonntag, 1. Oktober. Kein Wunder, es ist bestes Wetter. Das soll sich morgen ändern: da kommt mehr Wind auf.

 

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Und der Wind ist da. Windstärke fünf. Von Norden. Auf anderen Inseln würden die Tagestouren abgesagt werden, aber auf Milos gibt es dennoch Paddeloptionen. Wir werden heute in der Bucht von MiIos paddeln, von Adamas über Klima zu den Bärenfelsen.

 

Unsere Gruppe hat weiteren Zuwachs erfahren durch die beiden Däninnen Kathrine und Lene. Kathrine ist gestern Abend angekommen und in das Quartier mir gegenüber eingezogen. Für ihre Freundin Lene war kein Platz mehr im SkyExpress-Flieger von Athen (keine Möglichkeit von unterwegs einzuchecken, so dass sie auf Kosten der Fluggesellschaft in Athen übernachten musste/durfte), sie kommt mit dem ersten Flugzeug am Morgen nach und teilt mit Kathrine heute ein Doppel-Kajak. Dario bringt sie vom Flughafen direkt zum Langada-Strand in Adamas und ins Kajak. Dann entschwindet er - er hat heute einen freien Tag und betätigt sich für die in der Schweiz lebende Deutsche als Fremdenführer. Dan wird heute als Assistent aushelfen, außerdem sind die vier Briten und Vic in Einer-Kajaks dabei. Als Tagesgäste sind heute zwei junge Amerikanerinnen dabei, die ins Doppel steigen. Rod hatte mich gefragt, ob ich auch ins Doppel wollte, was ich verneinte. Hätte mir das zu Denken geben sollen? Zwölf Personen in zehn Kajaks starten um gegen halb elf westwärts. Hier in der Bucht von Adamas ist der Wind kein Thema.

 

Vorbei an Schinopi mit flatternder Olympiakos-Fahne und eher ungehalten guckendem temporärem Syrma-Bewohner, und Mikri Schinopi geht nach Klima. Vorher passieren wir noch die mit Höhlen durchlöcherte Tuffsteilwand unterhalb von Klimatovouni. Erinnert an Matala.

In Klima steht die erste Pause an. Nach elf Uhr am Vormittag ist hier schon einiges los. Die AirBnb-isierung scheint weiter zugenommen zu haben. Was ich einerseits verstehen kann, da der Ort wirklich einen besonderen Zauber hat. Andererseits zahlt man als Urlauber ein Vermögen dafür, dass einem den ganzen Tag Touristen neugierig in die Wohnung gucken. Ungestört ist anders. Also wenn Syrma, dann doch besser abgelegener - in Schinopi, Areti oder versteckt an der Nordküste. Da stören nur Kajaker. :-)

 

Weil wir von Klima aus zu den Arkoudes (=Bärenfelsen) paddeln wollen, und das Meer dort rauher sein wird, demonstriert uns Rod, wie man auf dem Meer wieder ins Kajak kommt. Am besten mit dem "heel hook" (Fersenhaken), bei dem sich zunächst mit einem Fuß/Ferse im Cockpit einhakt und dann relativ einfach und mit Hebelwirkung hoch- und hineinziehen kann. Und weil alle Theorie grau ist, dürfen wir im Einer das auch noch selber ausprobieren. Es geht wirklich gut. Jetzt hoffe ich nur, dass ich das nicht brauchen werde.

Als wir wieder auf dem Wasser sind, gibt Rod Instruktionen: Bis Fourkovouni wird es etwas windiger und welliger werden. Dort werden wir Mittagspause machen. Zuerst aber kajaken wir um das Kap Fourkovouni herum zu den Bärenfelsen. Dort sind wir dann ordentlich im Wind. Wer nicht mit will, könne in Fourkovouni bleiben. Mhh, klingt nach einem Angebot für mich, die bei Wind und Wellen immer noch unsicher ist. Aber ich arbeite daran.

Und so bleibe ich doch nicht als Einzige in Fourkovouni als Rod die Gruppe auf das Stück zu den Bären einschwört, sondern komme mit. Allerdings übte er etwas Druck aus: Wenn der oder die Erste umdreht, würde die ganze Gruppe umdrehen. Dann könne man nach dem Lunch einen neuen Versuch starten.

 

Kaum sind wir im Wind, gestaltet sich die Fahrt komplett anders und ich bereue, nicht zurückgeblieben zu sein. Wir kämpfen gegen den Gegenwind, der das Vorwärtskommen erschwert, und fahren auf den Wellen auf und ab. Joanna geht es ähnlich, und schnell hängen wir am Ende der Gruppe, die sich unaufhaltsam in die Länge zieht und entfernt. Zum Glück bleibt Dan bei uns, er vertritt ja heute Dario als Assistent. Soll ich umdrehen? Das möchte ich der Gruppe nicht antun, also kämpfe ich weiter. Ich habe das Gefühl, ich stehe auf der Stelle, komme nicht vorwärts. Doch wirklich umdrehen? Vorne ist der erste der beiden Bärenfelsen zu sehen, die Cracks unter den Kajakern sind schon fast dort. Mit der Sicherheit von Dans Nähe im Falle des Kenterns beschließe ich, den Anderen nicht den Spaß zu verderben und einfach zu versuchen, so spät wie möglich umzudrehen, so dass diejenigen, die an den Felsen Wellenreiten wollen, dazu Zeit haben. Sie sind ja weit genug voraus. Und der Plan geht fast auf. Fast, weil Dan Joanna und mich anfeuert, so dass wir es schließlich unter dem Applaus der Gruppe doch schaffen in die Nähe der "Bären" zu kommen. Wo Rod zeigt, wie man in der Brandung zwischen Bärenfelsen und einem niedrigen Felsen links davon Wildwassergefühle austoben kann. Fiona, Jonathan und David probieren es auch aus, und die Däninnen im Doppel. David kentert fast dabei, kann sich aber noch retten.

 

Und ich fühle mich gut, weil ich mich überwunden habe und daran gewachsen bin. Als mich Rod später fragen wird, ob ich daran gedacht hätte umzukehren, lache ich ihm in Gesicht: Mehrmals, Rod, mehrmals. Von Beginn an.

Mit Rückenwind geht es schnell nach Fourkovouni zurück, wo wir für die Mittagspause an Land gehen. Ich mag diese Siedlung aus Fischerhäusern, die deutlich kleiner als Klima ist. Auch hier hat man schon Syrmata zu Gästewohnungen umgebaut (für 350.000 Euro wird gerade eine zweistöckige, teilweise ausgebaute Bootsgarage mit 48 m² zum Kauf angeboten), aber die Touristenströme finden ihren Weg nicht hierher, obwohl man hier besser baden kann. Zumindest Anfang Oktober. Baden, Schnorcheln, Faulenzen, Schwätzen, und schließlich baut Rod den Lunch auf einem Tisch auf. Mittagsessen mit Blick auf die Bucht von Adamas und den Profitis Ilias dahinter - schön! Als der Seajet in die Bucht rauscht, gibt es kurz Hochwasser am Strand. Vorausblickend hat Rod die Kajaks hoch genug gezogen, so dass von unseren Sachen nichts Baden geht.

 

Erst nach drei Uhr paddeln wir dann wieder zurück nach Adamas, wo wir nach einer Stunde ankommen. Auch diese dritte Tagestour war wieder super.

Am Abend bummle ich hinauf nach Plaka zum Sonnenuntergang. Und da fällt mir wieder das Haus an der Kirche Panagia Thalassitra auf halbem Weg zum Kastrogipfel ein, das letztes Jahr zum Verkauf stand. Zuerst für 300.000, dann für 250.000 Euro wurde es auf lokalen Internetplattformen angeboten, und auch wenn ich überhaupt kein Haus in Griechenland besitzen möchte, hatte sich so ein irrationales Verlangen im Hinterkopf festgesetzt. Ein freistehendes Haus bei einer der schönsten Kirchen der Ägäis und mit Blick zum Sonnenuntergang am Kap Vani und Antimilos, also dem schönsten Sonnenuntergang der Ägäis (ja, schöner als Santorin!) Die Sehnsucht hatte mein finanzstarker jüngerer Bruder noch genährt: Also wenn ich wirklich wollte, könne man da schon etwas machen. Ich kam aber 2022 nicht mehr nach Milos um es mir anzusehen, verdrängte das Haus aus meinen Gedanken und irgendwann war es dann verkauft. Gut so!

 

Aber nun fällt es mir wieder ein, und steige ich zügig hinauf gen Panagia Thalassitra. Über Stufen natürlich - barrierefrei wäre das Haus schon mal nicht, und damit als Alterswohnsitz schlecht geeignet. Aber als ich dann vor dem schmalen, zweistöckigen Haus in traditioneller Bauweise stehe, und der Abendhimmel gen Westen sich apricot verfärbt, da sticht es doch in meinem Herzen. Das Haus sieht verlassen aus und so öffne ich leise das unverschlossene Holzgatter und steige die Außentreppe in den ersten Stock hinauf. Die Holzläden sind geschlossen, aber durch die Ritzen kann ich einen Blick hineinwerfen. Wäre schon schön gewesen, auch wenn ein dicker hölzerner Strommast in der Sonnenuntergangsoptik etwas stört. Und jeden Abend die Iliovasilema-Gucker auf dem Weg zu und von Kastro und Panagia Thalassitra in Scharen an dem Haus vorbeiströmen.

Sie schrecken auch vor dem Besteigen von Glockenturm und Kirchendach nicht zurück um sich selfiemäßig und instagramable zu inszenieren, wie ich kurz darauf bei der Panagia Thalassitra beobachten kann. Hinterlassen Müll und machen Lärm. Pest!

 

Und so verdrücke ich noch still eine Was-wäre-gewesen-wenn-Träne und verabschiede mich von "meinem" Haus. Es gibt Träume, die gehen besser nicht in Erfüllung.

Die Gastronomie in Plaka und Tripiti ist im Wandel. Bei "Archontoula" ist es voll wie eh und je (das Gedränge an den Tischen in den Gassen missfällt mir), aber die "Plakiotiti Gonia" gibt es nicht mehr, und das "Mavros Chiros" hat seine früher experimentelle Speisekarte auf einige Basics eingedampft, was ich schade finde. Die Küche bleibt aber ambitioniert (auch preislich) und der Moussakas ist ausgezeichnet. Den Wein dazu nur glasweise, natürlich. Und auf der Rechnung der deutliche Hinweis in Englisch, dass das Trinkgeld nicht inkludiert ist. Finde ich fast schon dreist. Danach noch ein Eis auf die Faust im Café-Zaccharoplastis "Palaiós". Mhhh! So kann der Tag ausklingen.

Schade, dass das "Ergina" in Tripiti (schon?) geschlossen hatte - am ersten Abend hatte ich mit Konrad und Gretel, die einige Tage in Adamas urlauben, dorthin wollen. Die daher aufgesuchte und bisher von mir sehr geschätzte Alternative "Bariello" konnte dieses Mal nicht recht überzeugen: die Speisenauswahl konvenierte nicht so recht, die Portionen waren eher überschaubar, die Preise fürs Gebotene (zu) hoch. Beim zweiten gemeinsamen Essen am Sonntagabend ging es daher ins "Glaronissia", das mit großzügig bemessenen Portionen sehr guten Essens zu fairen Preisen aufwarten konnte. Zu empfehlen.

So viel zur Gastronomiesituation hier oben.

 

Morgen nochmals ein Tag im Kajak. Windgetrieben. Ich bin sehr gespannt.