Im Kajak

Ich hab mir den Wecker gestellt, und es ist draußen noch dunkel. Die Sonne geht so weit im Westen erst gegen kurz vor halb acht auf. In der Nacht nervt die Außenbeleuchtung von Pool und Garten, die erst um fünf Uhr morgens ausgeht und mir bis dahin ins Zimmer scheint. Ich werde Michael Bescheid geben (kostet ja auch Strom), aber während meiner Anwesenheit wird er nichts daran ändern. Auch die Umwälzpumpe des Pools ist immer mal wieder laut. Hat halt alles auch Nachteile.

 

Ich war mit Yvonne von Seakayaking Kefalonia in Kontakt. Sie kommt ursprünglich aus der Schweiz, und betreibt mit ihrem Mann Pavlos seit zwanzig Jahren das See-Kajak-Geschäft auf Kefalonia. Ich habe vier bis fünf Tagestouren vereinbart, je nach Wetterlage. Ursprünglich hatte ich überlegt, ein Paket mit Touren und Übernachtung zu buchen, aber letztendlich hat mich das in der Wahl meiner Unterkunft zu sehr eingeschränkt. Wichtig war mir, dass ich in Gehweite zur Basis wohne, und von dort zu den Touren mitgenommen werden kann.

Kurz vor acht Uhr stehe ich nun dort am Gartentor, noch leicht übernächtigt, aber auch sehr gespannt. Ein freundlicher Hund empfängt mich, und kurz darauf bittet mich ein junger Mann herein (aufpassen, dass der Hund nicht entwischt - der Ausbrecherkönig lässt kaum einen Möglichkeit dazu verstreichen). Der Mann dürfte Mitte dreißig sein, kommt aus Irland und stellt sich als "Se" vor (offiziell Seamus, oder sogar noch länger, gemäß Website). Er ist ein netter Bursche, immer freundlich, und arbeitet seit sechs oder sieben Jahren für Sea Kayak Kefalonia. Wir warten noch auf einen Mitpaddler, der kurz darauf erscheint. Ein Däne namens Ole, etwas älter als ich, schätze ich. Obwohl Däne, hatte er vorher keine Erfahrung mit dem Kajaken auf dem Meer. Inzwischen hat er aber schon Bekanntschaft mit den Wellen geschlossen, denn er hat ein Paket gebucht und heute schon seine dritte oder vierte Tour. Er ist nur zum Kajaken auf Kefalonia, eine Woche, samt komplexer Anreise via Athen und Co.

 

Wir hängen den kajakbeladenen Trailer an und fahren los. Es geht nach Agii Theodori an der Nordspitze der Argostoli-Halbinsel, wo ich meine erste Kefalonia-Nacht verbracht habe. Unterwegs halten wir an der Kreuzung bei Metaxata, wo großer Bäcker mit Imbiss einen großen Zulauf verzeichnet. Bis Se und Ole ihren Kaffee-to-go und ihre Pittes haben, dauert es. Ich habe keine Uhr dabei und das iPhone weggepackt, und bin zeitlich orientierungslos. Auch mal schön.

Am Leuchtturm von Agii Theodorii treffen wir die anderen. Zunächst Yvonne und Pavlos, die Macher von Seakayaking Kefalonia. Yvonne wird die Tour begleiten, Pavlos uns wieder abholen, da wir die Tour woanders beenden werden. Dann fünf Amerikanerinnen aus Tennessee und zwei englische Paar, alle deutlich jünger. 13 Personen, die meisten werden im Doppel fahren. Es folgt das übliche Procedere: Kajaks werden abgeladen und zugeteilt, Paddel und Schwimmwesten verteilt, Fußrasten eingestellt. Aber kein Spritzschutz? Die See ist ruhig heute, fast kein Wind. Ich will aber trotzdem einen, zu Sicherheit und aus Gewohnheit.
Die Kajaks sind von Prijon, mit etwas schmalerem Einstieg als ich gewohnt bin, und fixen Pedalen, mit denen ich an den ersten Tagen etwas Schwierigkeiten habe, denn ich habe diese nie selbst eingestellt und bin mit diesem Mechanismus zudem nicht vertraut. Se richtet sie für mich ein und übersieht dabei, was ich auf dem Wasser schnell merken werde: die Pedalposition ist zu weit und die Schnüre zu lang, haben also keinen Zug und damit kaum Steuerwirkung. Das wird erst mal mühsam.

 

Es folgt eine Erklärung der Tour: es geht gen Osten bis zum Strand von Minies am Flughafen. Nicht sehr weit, vielleicht zehn Kilometer. Passt zum Einstieg. Dann die Einweisungen in Paddel- und Steuertechnik.

Dann geht es aufs Wasser. Es fühlt sich gut an, von der verminderten Steuerwirkung mal abgesehen. Geht ja zur Not auch mit dem Paddel. Die helle Küste und das kristallklare Wasser - wunderschön. Ole meint, den Kopf einer Robbe im Wasser gesehen zu haben, was ich mir im doch recht unruhigen und belebten Küstenabschnitt kaum vorstellen kann, aber wir gucken uns dann alle die Augen nach Tieren aus. Vergeblich. Es sei wohl doch eher ein Felsen gewesen, meint Ole später.

 

Die Küste hält einige Felsenbogen für uns bereit, unter denen wir durchpaddeln können. Und eine flache, breite Höhle mit einem kreisrunden Durchbruch zum Himmel. Es ist wunderschön. Se erklärt uns mit viel Spaß und Verve einiges zur Natur und Geologie Kefalonias, während Yvonne sich eher im Hintergrund hält.

Wir legen die erste Rast in der Gegend von Lassi ein, Paliostafida heißt der Strand kurz vor dem Kap wohl. Der Ufersaum des Sandstrandes ist dicht mit Seegras bedeckt, auf einem Felsen steht dekorativ ein halbes Dutzend Steinmännchen. Es ist Zeit für einen schnellen Schwimm, zur Stärkung gibt es Bananen. Aber schnell geht es wieder weiter, fast zu schnell für mich. Wer drückt denn da so aufs Tempo? Se hat meine Pedale verstellt, so dass ich jetzt etwas besseren Zugriff auf die Steuerung habe, aber optimal ist es noch nicht. Dass ich die Schüre selbst nach Bedarf anziehen kann, sogar unterwegs, kommt mir nicht in den Sinn. Bin immer noch ein Paddel-Greenhorn.

 

Um das Kap herum ändern sich die Farben. Das Meer leuchtet nun in Smaragdgrün, an der Küste wechseln niedrige baumgrüne und hausbestandene Abschnitte. Etwas weiter wird das Ufer steiler und unzugänglicher, die Felsen leuchten in Weiß, Ocker und Rost. Das erinnert an Milos, und ich frage Yvonne, ob hier vulkanische Kräfte bei der Gestaltung mitgeholfen haben, was sie verneint. Es handele sich um Kalkgestein.

 

Es macht Spaß, hier entlang zu fahren.

Nach der Durchfahrt eines Felsentores wird das Wasser milchig-weiß. Es wird die durch Sedimente getrübte Klarheit auch weiter beibehalten, auch wenn der Grundton bald wieder stärker ins Grüne wechselt.

Und dann habe wir auch schon den Platz für die Mittagsrast erreicht: Weißer Sand-Kies vor weißer Steilküste, ein absoluter Traumstrand! Außerdem nur per Boot zu erreichen, so sind wir fast alleine da. Aspros Vrachos/White Rocks heißt dieser Strand passenderweise. Dunkle Riffe ragen am südlichen Ende aus dem Wasser.

 

Ich bewundere einen großen kreisrunden Stein, der halb vergraben am Ufer liegt. Ist er natürlich? Kaum zu glauben. Ein zweiter großer, nur halber Stein, fast wie einen Druse, liegt etwas weiter. Wow!
Aus der losen Steilküste sind Bäume hinabgerutscht. Alles eine fragile Sache hier, und besser hält man sich nicht direkt unter den senkrechten Wänden auf.

Wer möchte, kann Schnorcheln oder Baden, während Se den Mittagstisch aufbaut. Es gibt Brot, Feta, Tomaten, Gurken, Bohnen, Hummus, Kekse und Chips. Schmeckt. Vom nahen Flughafen startet mit Getöse ein Flugzeug beinahe über uns hinweg.

Ich gehe zum Fotografieren nochmal den Strand entlang. Tolle Motive, wirklich! Allerdings verpasse so fast die Abfahrt. Heh, haben die es aber eilig! Es kann doch erst Mittag sein, und viel Strecke haben wir gemäß Ses Einführung nicht mehr vor uns. Zum Glück geht das Einpacken und Einsteigen bei mir inzwischen auch recht fix.

Nun geht es nur noch eine knappe halbe Stunde entlang der Küste nach Süden. Am Strand von Minies empfängt uns Pavlos, er tollte mit einem dunkelhäutigen Jungen, vielleicht fünf, sechs Jahre alt, im Wasser herum. Leandros ist der Adoptivsohn der Beiden, ein äußerst munterer Bursche, und eine echte Wasserratte. Ob er mal in die Fußstapfen der Eltern steigen wird? Oder müsste man hier eher "in die Kajaks" sagen?

 

Es ist etwa 14 Uhr, als wir die Kajaks in Minies direkt am Ende der Startbahn wieder an Land ziehen und verladen. Die Gäste verteilen sich auf mehrere Autos, je nach Destination. Ich bin mit Ole und zwei der Amerikanerinnen in Ses Auto, er bringt sie zum Ausgangspunkt am Leuchtturm zurück, die Kajaks im Schlepptau. Sie wollen noch nach Athen, und dann nach Munich, zum Octoberfeast. Mich schüttelt es schon beim Gedanken daran, abgesehen von der aktuellen Intensität des Virenaustausches dort. Aber im September 2022 ist Corona eigentlich kein Thema mehr in Griechenland.

Nach drei Uhr sind wir wieder in Trapezaki. Bissle kurz, der Tagesausflug, für meinen Geschmack, aber ok zum Einstieg. Ich hoffe, die nächsten werden länger. Morgen findet aber keine Tour statt, da das Kajak-Team die Paddler von der Insel-Tour um Kefalonia und Ithaki in Sami abholen muss. Und am Sonntag muss Yvonne nach Athen reisen, kann sein, dass da auch keinen Tour stattfindet. Sie wird uns - Ole und mir und noch zwei Däninnen, die heute pausiert haben, Bescheid geben.

 

Ich gönne mir in der "Boho Crêperie" erst mal einen Frappé, und erwäge, morgen mit dem Bus nach Argostoli zu fahren. Wenn der denn tatsächlich fährt, denn keiner der Einheimischen, den ich frage, kann mir dazu Auskunft geben. Sie fahren offenbar nicht Bus. Aber KTEL Kefalonia hat zwei Busse nach Lourdata gelistet, am Vormittag hin, am frühen Nachmittag zurück Eine Bushaltestelle ist etwas weiter vorne an der Kreuzung, an der die Straße hinab zum Trapezaki-Strand abbiegt. Einen Versuch ist es wert. Sonst leihe ich mir doch ein Fahrrad. Einen Verleih gibt es an der Durchgangstraße, und nun treffe ich dort auch jemand an. Sie hätten so ab zehn Uhr offen, würde also passen.

Danach habe ich mal Zeit, meinen Pool zu genießen, und später den Sonnenuntergang.

Am Abend nehme ich einen neuen Anlauf auf das Restaurant "Gefiri", das aber wieder voll belegt ist. Nach zwanzig Minuten Wartezeit, als mir der Magen schon heftig knurrt, wird dann endlich ein Tisch auf der Terrasse frei. Die Oberkellnerin bringt mir die Karte und vertieft sich anschließend in ein endloses Gespräch zwei Tische weiter. Schön, wenn hier der persönliche Service und die Beratung so im Vordergrund stehen, aber inzwischen bin ich schlicht hungrig und genervt. Zumal die beiden anderen Kellner zwar nach meinen Getränkewünschen fragen, aber offensichtlich nicht befugt sind, die Essensbestellung aufzunehmen oder diesbezügliche Fragen zu beantworten. Ich andererseits möchte meine Getränkewünsche gerne mit der Essensbestellung koordinieren. Wein gibt es hier natürlich nur glas- oder halbliterweise, das scheint längst zu gehobenen Standard zu gehören.

 

Das gewünschte Kaninchen ist ausverkauft, so bestelle ich schließlich Kotsi mit Selleriepüree. Das Essen - zartes Schweinshäxlein mit wenig Fett - ist hervorragend, ebenso wie der gut eingeschenkte Wein, und so bin ich nicht nur schnell versöhnt mit der Warterei, sondern verstehe jetzt auch den allabendlichen Andrang. Mit 18 Euro ist der Preis außerdem moderat.

Als ich fast fertig bin mit Essen, entdecke ich Ole an einem entfernten Tisch unter dem Dach und leiste ihm noch etwas Gesellschaft. Er ist hier schon Stammkunde und reserviert gleich einen Tisch für morgen, 20 Uhr. Und vermutlich kommt er morgen mit nach Argostoli.

 

*

 

Um Viertel nach neun warten Ole, die beiden Däninnen Neeta und Hanne im Pavillon an der Kreuzung auf den Bus. Der kommt auch tatsächlich, und bringt uns für zwei Euro in einer knappen halben Stunde nach Argostoli. Dummerweise sind die Museen heute alle geschlossen - das archäologische Museum schon seit längerem, die Korgialenios-Bibliothek mit dem heimatkundlichen Museum samstags und sonntags. So bummle ich ausgiebig durch die Läden entlang des "Lithostroto", besuche die Kirche des heiligen Spyridon, kaufe rote gebrannte Mandeln und weiche Moustokouloura bei Sesoulas, entdecke das kleine Gedenkmuseum für die Divisione Acqui, und trinke schließlich einen Frappé im Café am Ufer nahe dem Fähranleger nach Lixouri. Auch die Schildkröten an der Paralia auf der anderen Seite des Fisch- und Gemüsemarktes sind wieder da, und lassen sich füttern.

Bei einem Bäcker hole ich mir eine Kreatopitta und staune, wie unterschiedlich diese örtliche Spezialität doch jedes Mal ausfällt.

Um halb zwei bin ich wieder am Busbahnhof, der Bus fährt pünktlich um Viertel vor zwei zurück nach Lourdata. So habe ich erneut den Nachmittag zu faulenzen, gucke mir aber auch die Umgebung meines Quartiers an, und suche einen Weg zum Strand. Am Ende der Zufahrtstraße verläuft ein Weg entlang eines teilweise kanalisierten Bachlaufes und tiefen Taleinschnittes voller Brombeerranken. Ich schrecke dort ein paar Hühner und Enten auf und verkratze mir die Beine, aber einen Weg hinab gibt es nicht. Auch auf der anderen Seite, zwischen Olivenbäumen, Macchia und Gestrüpp, enden alle Trampelpfade oben am Steilhang, den man allenfalls mit Wanderschuhen und Risiko überwinden kann. Also richte ich mich eben wieder am Pool ein, schon erhitzt von der kurzen Erkundigung.

 

Am Abend leiste ich Ole im "Gefiri" Gesellschaft. Die Leber in Weinsauce ist ausgezeichnet, und in Gesellschaft passt es auch wieder mit dem offenen Wein in Halbliterportion.

Morgen geht es doch wieder ins Kajak. Und zum Glück treffen wir uns erst um neun Uhr an der Basis. Schließlich ist ja Sonntag.


Alle Fotos von Sea Kayaking Kefalonia hier.