Es weht ein eiskalter Wind durch Athen, als ich am Nachmittag des 1. Januar am Syntagma-Platz aus der Metro komme. Von wegen den kani krio stin Ellada - Griechenland kann verdammt kalt sein! Theo hatte ja gleich orakelt, dass die Eisvogeltage allenfalls Mitte Januar stattfänden, aber mitnichten schon Anfang Januar. Da wäre es oft kalt und gäbe Schnee. Es war eher sein Pfeifen im Wald, denn er wollte nicht mit. Nach einem Januar auf den argosaronischen Inseln und dreimal Kreta im Winter stand nämlich Naxos auf meinem Programm. Und Naxos mag er sowieso nicht. Ich schon, nur ist mir diese schöne Insel von Mai bis Oktober längst viel zu rummelig und voll geworden. Im Januar würde das bestimmt nicht der Fall sein. Und es stand ja schon länger ein Rendezvous mit dem Zas auf der To-Do-Liste, was in der Vergangenheit nie geklappt hatte.
Statt Theo würde dieses Jahr meine Cousine Barbara mitkommen. Das würde einen entspannten und dennoch aktiven und wanderreichen Urlaub garantieren (ohne Mäkeleien am Essen :-) ). Außerdem würde Lothar und Therese für ein paar Tage von ihrer Stamminsel Syros herüberkommen und unsere Parea verstärken. Ich freue mich schon sehr darauf.
Recht hat Theo trotzdem behalten, gestört hat es mich nicht. Januar in (Süd-)Griechenland ist wie April in Deutschland: von Schnee bis 20 Grad ist alles drin. Diese Wetterprognose würde sich fast zu hundert Prozent erfüllen: die 20 Grad haben wir nicht geschafft.
Der Aegean-Flug von Stuttgart nach Athen war ausgebucht, es gab nicht nur ein sehr gutes Essen an Bord, sondern sogar einen Schluck Sekt und ein Tsoureki für jeden. Da weiß ich doch wieder, warum ich so gerne mit Aegean Airlines fliege.
Barbara kommt erst morgen, und heute, an Neujahr, ist der Fährverkehr auch nur sehr eingeschränkt. Ich beziehe also erst mal ein Quartier für eine Nacht im Hotel "Kimon" unweit der Mitropolis-Kirche. Das Einzelzimmer im "Kimon" kostet 40 Euro, Frühstück wird (aus Platzgründen, schätze ich) nicht angeboten. Das Zimmer ist hübsch, nicht groß, etwas dunkel, und im Januar auch ruhig.
Ich unternehme zuerst einen Bummel zum weihnachtsbaumgeschmückten Syntagma-Platz. Töpfe mit kleinen Weihnachtssternen säumen den großen glitzernden Baum, der Brunnen dahinter schäumt gelegentlich in allen Farben, und beleuchtete Engelsflügel verlocken zu Selfies als Engel. Oben vor dem Parlamentsgebäude stehen die Evzonen in Wintertracht vor ihren Häuschen und frieren pflichtgemäß laut- und bewegungslos. Schnell schicke ich eine Mail an Barbara: unbedingt warme Kleidung einpacken! Strumpfhose, Mütze, Handschuhe! Ehe ich dann in der Hermou-Straße einen heißen Salep ausprobiere, ein leicht schleimiges Getränk aus den Wurzelknollen von Erdorchideen. Geschmacklich interessant, ohne den darüber gestreuten Zimt wäre es aber besser gewesen.
Zwischen Syntagma-Platz und Monastiraki ist einiges los, obwohl die Läden geschlossen haben.
An der hübschen Kapnikarea-Kirche verkauft ein Straßenhändler bunten Zuckerkram - Püppchen mit Kleidern aus Zuckerkristallen, oder Spiderman für die Jungs. Daneben bietet ein Händler Karagiosis-Figuren an, und ein dritter Stand hat Kalender für 2019. Wird auch Zeit!
Ich lasse mich weiter treiben, durch die rollladenverwehrten Gassen der Adrianiou, vorbei am Turm der Winde, durch die heute wenig besuchten Gassen der Plaka. Es ist eigentlich noch zu früh zum Essen, aber ich bin müde und hungrig, und lande schließlich im "Scholarhio (Ouzerie Kouklis)", wo ein halbes Dutzend Kellner im fast leeren Laden wirbelt.
Der mir zugewiesene Platz im Durchgang zwischen verglaster Terrasse und Innenbereich mit Blick in die Küche ist zugig, die Lachanodolmades und der Tirokafteri schmecken aber gut, ebenso der begleitende Raki. Ein Dessert gibt es aufs Haus, und schon um halb neun stehe ich wieder draußen auf der Straße.
Noch eine Runde auf den Akropolis-Hügel und auf den Areopag. Der glattgewetzte Felsen auf dem Areopag ist immer noch so rutschig wie ich ihn in Erinnerung habe, aber die Wegführung ist sicher.
Der nahe Parthenon-Tempel ist fast gerüstfrei und wunderschön angestrahlt. Schön, wieder hier zu sein und das neue Jahr so zu beginnen.
Den Jahresbeginn würde ich gerne mit einem Drink in der 360°-Bar am Monastiraki abrunden. Aber als ich auf der Dachterrasse ankomme, schallt mir laute Musik der Bee Gees entgegen, und ein kalter Wind bringt die Lichter zum Flackern. Glühwein statt Kaltgetränk wäre hier angesagt. Höchst ungemütlich, nichts wie weg. So beschließe ich die erste ganze Nacht des Jahres lieber mit einem Raki auf dem Zimmer. Und freue mich auf morgen.
Barbaras Flugzeug wird erst am Mittag landen, wir wollen uns in Piräus treffen und die Abendfähre nach Naxos nehmen. So hab ich am Vormittag noch Zeit für einen Museumsbesuch. Nach Kaffee mit Toast im "Café Centrale" entscheide ich mich fürs Benaki-Museum. Vor allem wegen der Sonderausstellung "Ethos" zweier griechischer Fotografen, Giorgos Tatakis und Michalis Pappas, die griechische Bräuche abgelichtet haben. Mit der Sonderausstellung kostet der Eintritt 12 Euro.Das Benaki-Museum (inzwischen gehören mehrere Museen dazu) ist ein privates Museum und hat nicht die halbierten Winterpreise der staatlichen Museen. Es ist der griechischen Geschichte von der Antike bis zum Freiheitskampf der Griechen gewidmet, und entsprechend umfangreich ist die sich über drei Stockwerke erstreckende Dauerausstellung. Ich war schon mal hier, aber das ist lange her. Und so hatte ich völlig vergessen, dass auch die Antiken-Sammlung ziemlich umfangreich ist. Ich lasse mich von Raum zu Raum tragen, eher knapp beim Antiken, fasziniert bei den Ikonen, ausführlich bei den Trachten, erschöpft beim Freiheitskampf.
Die Sonderausstellung mit jeweils etwa 30 großformatigen Fotoabzügen der beiden Fotografen - Tatakis in Schwarz-weiß, Pappas in Farbe - ist sehr interessant. Einige Motive kenne ich, vor allem auf Karpathos. Oft haben sie das gleiche Sujekt fotografiert, und doch völlig anders. Ein lohnenswerter Exkurs, der meinen Kopf wieder freimacht. Die Beiden haben auch eine interessante Plattform im Internet geschaffen, in der man nachsehen kann, wann es wo besondere Bräuche zu bestaunen gibt. Natürlich illustriert mit hervorragenden Fotos, auch von anderen Fotografen.
Es ist ein Uhr vorbei, als ich das Benaki-Museum wieder verlasse. Dabei hat der Museumsshop leider geschlossen, der 2. Januar ist noch irgendwie ein halber Feiertag.
Während ich durch den (winterlich ziemlich traurigen) Nationalgarten bummle, kommt Barbaras SMS: sie ist pünktlich gelandet. Auch das Gepäck hat sie schnell, und schon den frühen Bus erwischt. Zeit damit auch für mich, mein Gepäck im Hotel abzuholen und mit der Metro 1 nach Piräus hinauszufahren.
Klappt alles wie am Schnürchen, und kurz vor drei Uhr treffen Barbara und ich uns an den im Fokus der Webcam befindlichen Ticketbüdchen.
Wir kaufen unsere Fährtickets für die "Blue Star Naxos" in einem der Büros an der Platia Karaiskaki, können unser Gepäck dort lassen und noch etwas essen gehen. Natürlich im "Rakadiko Stoa Kouvelou", meinem Lieblingslokal in Piräus, das auch mittags schon geöffnet hat (im Gegensatz zu den Läden in Piräus, die in stiller Geschlossenheit vereint sind). Wieder werde ich nicht enttäuscht: die gebratenen Oliven sind so lecker wie die Käsebällchen und das Kebab. Dazu Wasser und Raki, und es geht uns gut. Der Kellner Lambros ist auch da - eine witzige Bekanntschaft vom letzten Mal. Da kann man schon mal die Zeit vergessen - als Barbara auf die Uhr guckt, erschrecken wir kurz: es ist schon halb fünf vorbei. Um halb sechs fährt das Schiff. Genug Zeit natürlich, die Wege sind kurz hier.
Um fünf Uhr sind wir auf dem Schiff, das, für uns überraschend, ziemlich gut gefüllt ist.
Bis zur Ausfahrt aus dem Hafen - da ist die Sonne schon untergegangen - bleiben wir auf dem Deck. dann suchen wir uns ein Plätzchen im Inneren. Stehlen uns in die Pullmannsitze (eigentlich aufschlagpflichtig, aber offiziell wissen wir das nicht ...), wo reichlich Platz und Ruhe ist, und auch niemand etwas von uns will.
Gegen 22 Uhr Zwischenstopp in Paros, wo die unvermeidlichen Dreiräder stehen und sich die Fähre deutlich leert. Die weiteren Destinationen - Naxos, Donoussa, Egiali und Astypalea - sind offenbar weniger gefragt.
Etwa eine halbe Stunde Verspätung hat die "Blue Star Naxos" angesammelt, als uns um Viertel nach elf Uhr die obligatorische Durchsage hochschreckt: "Passengers with destination Naxos are kindly requested to get ready for embarkation".
Wir sind am Ziel.
Voller Spannung streben wir unserem Quartier zu. Wir haben uns die "Naxos Riviera Suites" gegönnt*, ein neu eingerichtetes Quartier im zweiten Stock über dem Reisebüro von Passenger Tours direkt an der Paralia, 35 m² groß, 57 Euro die Nacht.
Maria, die Vermieterin, wartet unten am Reisebüro und führt uns zwei enge und steile Treppen hinauf. Die zweite Treppe wendelt sich noch, liegt halb im Freien und ist aus glattem Marmor. Und damit rutschig wenn nass. Nix für Treppenphobiker, aber uns stört das nicht, denn das Zimmer (nein, keine Suite, signomi) ist sehr genial. Durch die großen Panoramafenster hat man einen tollen Blick über Paralia und Hafen und hinüber nach Paros, die Einrichtung ist stylisch, wenn auch nicht immer praktisch. Das Bad mit Edeldusche ist ein Traum (wenn auch ein sehr kleiner), die minimalistische Küche hat aber mehr Alibifunktion (wir werden das karge Küchenmobiliar noch durch eine Orangenpresse erweitern).
Ein riesiges Doppelbett mit Baldachin steht unten, ein zweites Doppelbett befindet sich auf der Empore, zu der noch eine steile Treppe führt. Ein Quartier für maximal vier Personen also, wobei sich bei voller Belegung bestimmt jede Menge Platzprobleme ergeben, denn es gibt keinen Schrank, alles ist offen, und der Stauraum ist begrenzt. Und auch die Sitzmöglichkeiten (Balkone nutzen wir im Winter erfahrungsgemäß wenig, und das wird auch jetzt so sein). Zu zweit ist das aber kein Problem.
Eher, dass die Lage natürlich nicht gerade leise ist. Jetzt im Januar hören wir die Musik der Rum-Bar nebenan, später schreckt uns gelegentlich ein vorbeiknatterndes Moped hoch, oder ein paar laute Nachtschwärmer. Aber die Fenster schließen gut und fast schalldicht.
Wir richten uns nur ganz schnell ein, und gehen dann in der benachbarten Aktaion Café - hinter Plastikplanen und durch Heizstrahler erwärmt - ein Glas Wein trinken.
* ein Taxifahrer, der uns zweimal gefahren hat, hat sich halbtot gelacht, als er den Namen unseres Domizils erfahren hat (das er kannte). Klotzen statt kleckern - gilt auch (oder gerade?) in Griechenland. :-)