Ungefrühstückt verlassen wir vor sieben Uhr das Haus und gehen zum Hafen hinab. Der nördliche Himmel glüht in einer Caspar-David-Friedrich-ähnlichen Farbstimmung - wow!
Schon um Viertel nach sieben fährt das Tragflügelboot der Liberty Lines, das wir nehmen wollen. Nach Ginostra. 15 Euro 20 kostet das Ticket für zwei Personen, und das für die Rückfahrt um 10.35 Uhr kaufe ich auch gleich. Wer weiß, ob und wo man in Ginostra Fahrkarten bekommt....
Drei Stunden in Ginostra sollten reichen, das nächste Boot kommt erst um 16 Uhr, und über acht Stunden dort scheinen uns etwas lang. Hoffentlich ist dort ein Café oder ähnliches geöffnet.
Wir staunen über die viele Reisewilligen, die wir am Anleger vorfinden. Aber das frühe Boot eröffnet natürlich die Option, noch heute ab Catania oder Palermo in die Heimat zu fliegen. Zum Glück müssen wir das noch nicht.
Das Boot hat Verspätung, und tatsächlich sind sogar ganz frühe Reisende darauf, die in Stromboli von Bord gehen. Sie dürften von Milazzo kommen.
Die rasante Fahrt um Strombolis Vulkankegel absolvieren wir in wenig mehr als zehn Minuten und klettern kurz nach halb acht Uhr in Gesellschaft von einem halben Dutzend Mitreisender in Pertuso, den Hafen von Ginostra, aus dem Boot. Die Mitreisenden klettern schnell die steile Rampe ins Dorf hinauf, wir haben es nicht so eilig: ich muss ja fotografieren.
Zum Beispiel den kleinsten Hafen der Welt, in dem gerade ein Bötchen ankommt, oder den markanten Gipfel des Frontone (853 m). Und die im Morgendunst liegenden Nachbarinseln Panarea und Basiluzzo.
Dann gehen wir selbst die Rampe hinauf und in das Dorf Ginostra hinein. Unsere Wirtin auf Alicudi bezeichnete es als eine Art "Mini-Alicudi", denn natürlich ist die am Hang gelegene Streusiedung, die etwa vierzig Einwohner hat, straßen- und damit autofrei. Und Treppen hat es auch. :-)
Vor vier Jahren hatten wir hier nur eine Stunde Aufenthalt, so dass die Wanderung zur Feuerrutsche Sciara del Fuoco beziehungsweise zur Punta dei Corvi nicht zu schaffen war, auch wenn das nicht weit sein soll. Das wollen wir heute nachholen.
Wir passieren das Kriegsdenkmal auf einer Aussichtsterrasse über dem Hafen und finden einen kleinen Laden einige Meter weiter gerade noch geöffnet. Dort bekommen wir zwei Cappuccinos, die wir zusammen mit einem mitgebrachten Brioche auf der Bank gegenüber dem Laden genießen. So gestärkt kann es losgehen.
Durch den Ort aufwärts, wir queren ein trockenes Bachbett. Der Weg wird schlechter, schmaler, steiler, aber da es nur etwas über hundert Höhenmeter zu erklimmen gilt, lasse ich mich nicht abschrecken.
Ein Esel steht unter einem Baum und guckt mich neugierig an: So frühe Fußgänger!
Ich passiere ein letztes Haus, warte auf die Mutter. Komm, das schaffst du!
Ein paar hohe Felsenstufen noch, dann erreiche ich eine Ebene, auf der sich eine große Photovoltaik-Anlage befindet. Der Weg führt jetzt durch ein Tunnel hohen Schilfes und ist etwas zugewachsen. Jenseits der Ebene öffnet sich der Blick auf einen Hang, an dessen Ende die Kante der Sciara auszumachen ist. Punta dei Corvi mit den Messstationen. Alles liegt noch im Schatten, die Sonne hat es noch nicht über den Vulkan geschafft. Es ist auch mal gerade neun Uhr.
Die Mutter verzichtet auf die letzten Meter, die nochmals recht unwegsam sind, und geht nach einer Pause langsam zurück. Die Messstation auf der Felsenkante weist mir den Weg. Ich muss noch ein paar steile Meter auf losem Weg hinauf um sie zu erreichen. Hier weiter hinauf führt der Weg zum Vulkan, der sich auch von Ginostra aus besteigen lässt. Nur geführt, natürlich.
Vor mir, hinter einem breiten grünen Buschstreifen, liegt die blau-braune Schräge der Feuerrutsche. Leider tut der Vulkan mir nicht den Gefallen, den Hang mit einer Eruption zu füttern. Zu hören ist nichts, kein Donnern. Aber über der schwarzen Silhouette des Vulkans steigt Rauch in den Himmel, mal in dicken Schwaden (Asche?), dann wieder transparent. Und nun brechen die ersten Sonnenstrahlen über den schwarzen Gipfel, die Sonne erscheint wie ein strahlender Stern darüber und verleiht den grünen Büschen einen weißen Schleier. Schön.
Nur mit dem Erleben einer Eruption, dem Aufsteigen einer Aschewolke wird das nichts. Wir werden uns der Rutsche noch von der anderen Seite aus nähern, beim Osservatorio, abends. Ein Stück des hellen Plateaus, auf dem es liegt, kann man hinter der Sciara gerade noch ausmachen.
Zeit, wieder nach Ginostra zurückzukehren.
Am oberen Dorfende wird der Esel gerade von seinem Besitzer losgebunden und ein paar Terrassen tiefer gebracht. Vielleicht wartet dort ein Arbeitseinsatz auf ihn.
In Ort ist ein Lädchen mit selbstgemachtem Schmuck und Deko geöffnet, und neben der Kirche ein kleines Alles-Lädchen, in dem es auch lokale Marzipanmakronen gibt - lecker! Auf der weiten Terrasse davor versuchen wir, unsere verschwitzten Rücken zu trocknen, aber die Sonne ist noch zu schwach.
Dafür ist der Blick über die gefliesten Sitzbänke auf das glatte blaue Meer und nach Salina einfach wunderschön. Auch ein paar Einheimische genießen ihn. Wer Ruhe mag und dem Trubel von Stromboli entkommen möchte, gut zu Fuß ist, und auf Strände verzichten kann, der findet vielleicht hier sein Urlaubsziel.
Allmählich bummeln wir wieder zum Anleger hinab, wo sich drei, vier weitere Mitreisende einfinden. Das Boot, das zuerst von Panarea herangefahren kommt, ist aber ein Ausflugsboot, das seine Passagiere hier nicht entlässt, sondern nur eine Hafenrunde dreht ehe es Richtung Sciara abbiegt.
Dann kommt das hochbeinige Tragflügelboot heran geschossen. Zwei Männer ziehen ihre neonfarbenen Warnwesten mit der Aufschrift "Mooring-Man" an, der eine greift zum Enterhaken um die Anlegeleine aus dem Wasser zu fischen. Ein schnelles Manöver, und eine Viertelstunde später sind wir wieder in Scari im Hauptort von Stromboli.
Ein schöner Vormittagsausflug war das.
Den Rest des Tages lassen wir es ruhig angehen.
Am Nachmittag spazieren wir zum Baden nach Ficogrande. Der dunkle Sand ist so heiß, dass man es ohne Schatten dort kaum aushält. Allerdings sind die Sonnenschirme ja schon abgebaut. Das Dach eines verwaisten Strandspielzeugverleihs spendet uns dann aber doch genügend Schatten um dort länger zu verweilen. Und vom Strand aus kann man die Aschewolken beobachten, die Iddu von Zeit zu Zeit ausspeit. Und die heranziehenden Zweimaster - es geht auf halb vier Uhr zu - Vulkanzeit.
Nach wie vor marschieren die Vulkanwanderer gut drei Stunden vor Sonnenuntergang an der Piazza los, damit sie zum Sonnenuntergang oben sind und sie das Lava-Spektakel im Dunkeln beobachten können. Jetzt, Ende September, geht die Sonne etwa um Viertel vor sieben unter, entsprechend beginnt der Berglaufstart der verschiedenen Gruppen gegen halb vier und endet spätestens halb fünf. 28 Euro werden inzwischen fällig, zuzüglich Vulkansteuer (das ist das Geld, das man in den Münzschlitz werfen muss damit der Vulkan ausbricht... ;-) )
Vorbei an der edlen und teuren Unterkunft des "Il Gabbiano" gehen wir nach dem Baden hinauf in den Ort und gönnen uns in der "Bar Ingrid" eine Granita. Da kassiert man doch glatt einen zusätzlichen Obolus für die Bedienung, wobei diese Bar mit ihrer zentralen Lage und der tollen Aussicht sowieso die Lizenz zum Gelddrucken hat. Vulkanwanderer, Urlauber, Tagesausflügler, Residenten - irgendwann landen sie alle hier an den hübschen Keramiktischchen.
Rund um die Piazza versuchen Händler aller Art ihr Glück: Da sind die mobilen Obst-und Gemüse-Dreiräder neben der Kirche, bei denen ich geschrotete Peperoncini als Mitbringsel erstehe. Auf der anderen Seite ist der Wanderausrüster "Totem Trekking", bei dem man sich Wanderstiefel für den Gipfel leihen kann (nur mit hohen Wanderstiefeln darf man mit auf die geführten Gipfeltouren) und jetzt zum Ende der Saison die gebrauchten Stiefel second hand (passender wäre second foot) verkauft werden, das Paar für zwanzig Euro. Viel Profil ist da aber nicht mehr drauf... dafür gut eingelaufen.
Später sind wir zum Abendessen im "La Trottola". Ich wäre da nicht rein, denn die Kritiken sind durchwachsen. Wir bestellen das Tagesmenu zu je 18 Euro, bestehend aus Pasta, Schwertfisch mit Caponata als contorno und einem Dessert, an das ich mich nicht mehr erinnern kann. Die Pasta ist in Ordnung und umfangreich, die Caponata zu fettig um sie zu essen, und Schwertfisch hatten wir auch schon besseren. Der Mutter wird das Menu eine beschleunige Verdauung bescheren, mein Magen ist offenbar robuster.
Wir sind die einzigen Gäste und können dem Treiben der kopfreichen Wirtsfamilie am Nachbartisch zusehen, was einen gewissen Unterhaltungswert hat. Und als wir danach in unser Apartment zurückkehren, treffen wir an der Piazza die ersten Vulkanheimkehrer - der Kreis schließt sich. Oben am Berg zeichnen sich wie Glühwürmchenketten die Lichterreihen der Stirnlampen der Bergabwandernden ab
Draußen auf dem Meer zieht ein hell erleuchtetes Passagierschiff vorbei. Und die lichterfunkelnde Küste Kalabriens, die bei Tag nicht zu sehen ist, scheint plötzlich ganz nah, nur einen Steinwurf hinter den Positionslampen der Segler.
Magisches Stromboli. Morgen noch ein Tag davon. Da will ich dem Vulkan näher kommen.