Von Xiropotamos nach Pachia Ammos

Das Wetter ist uns auch zum Wochenbeginn weiter hold, wenn man mal davon absieht, dass die Sonne es auch ohne Wolken nicht mehr auf Temperaturen über 20 Grad schafft. Gut zum Wandern und Gucken, bißle kühl zum Baden. Wir fahren heute Richtung Süden, genauer: Südosten. Die Ausläufer des Saos-Berges bilden ein hügeliges Vorgebirge, baumloser als der Norden. Vorbei an Alonia liegt die Straße zunächst abseits der Küste, nähert sich dieser bei Makrylies an. Von hier führt eine Stichstraße zu dem Dorf Xiropotamos, unserem ersten Tagesziel. Der Reiseführer "Thassos mit Samothraki" aus dem Michael-Müller-Verlag listet hier eine der drei Wanderungen auf Samothraki auf, zu einem Wasserfall mal wieder. Ob der noch Wasser hat, wenn der Bach schon übersetzt "trockener Fluss" heißt? Aber ich fahre nicht nach Griechenland um mir Wasserfälle anzugucken, insofern wollen wir uns nur etwas bewegen und gucken. Wir haben noch andere Ziele heute.

 

Xiropotamos ist ein bäuerlich geprägtes und weitläufigen Dorfes, das am rechten Hang eines flachen Tales liegt und auf den schnellen Blick weder Laden noch Taverne hat. Oder wenn, dann sind sie geschlossen oder gut getarnt. Wir parken das Auto an der Kirche der Agia Fotini und gehen auf der Straße weiter das Tal hinaus, vorbei an Grundstücken mit unbewohnt wirkenden Häusern, Oliven- und Feigenbäumen und gelegentlich Ruinen. Eine fruchtbaren Gegend. Der Bach, so er denn noch fließt, ist tief unten im Tal, wir halten uns oberhalb. Rechts ein Schein-Baum: eine komplett mit blühendem Efeu überwachsende Baumruine, in der wild die Bienen summen. Dann eine kleine Kapelle des unscheinbaren lokalen Typs, mit flachen Ziegeldach und blauer Türe, Agios Ioannis Prodromos. Sie ist unverschlossen und mit kleinen, provisorisch wirkenden Ikonen ausgestattet.

 

Noch ein paar Meter weiter steigt die Straße steil an und biegt dann bei einem bewohnten Haus in einer Haarnadelkurve ab. Hier müsste man wohl geradeaus auf einem Fußweg weitergehen, wenn man zum Wasserfall will. Ich kann den Fußweg nicht erkenne, bin aber auch durch einen bellenden Hund bei einem parkenden Jeep abgelenkt. Für Theo wird es unpassierbar, er hat schon unten gewartet. Und ich kehre auch gerne um. Genug gesehen hier. Nett und unspektakulär. Um Viertel vor zwölf sind wir zurück am Auto.

Zurück nach Makrylies und weiter nach Lakkoma. Wir wählen dazu die in der Karte rot eingezeichnete Küstenstraße aus, passieren einen Kiesstrand namens Platania, an dessen östlichem Ende wir oberhalb eine Taverne vermerken. Könnte geöffnet sein. Steil geht es dahinter im rechten Winkel zum Meer hinauf nach Lakkoma. Rechts nun nach Daphnes und weiter nach Pachia Ammos. Da wollen wir zwar auch hin, aber zunächst möchten wir uns das Dorf Profitis Ilias ansehen. Die Landkarte verzeichnet optimistisch eine gelbe Straße durch Lakkoma (klingt irgendwie indianisch), aber die Ortsdurchfahrt mit einer Kombination von engem, steilem und eckigem Straßenverlauf stellt mich vor ziemlich Herausforderungen. Mit Schrecken erinnere ich mich an Kreta, als ich mich in Nyvritos mal beinahe festgefahren hatte. Auch wenn das hier die offizielle Ortsdurchfahrt ist - ohne mich! Ich lasse das Auto zurückrollen, wende handtucheng in einer Ausfahrt und nehme den Weg wieder zurück zur Küste und hinauf Richtung Makrylies, wo zwar auch nur eine gelbe Straße nach Profitis Ilias abzweigt, die aber sehr gut befahrbar ist. Den Abstecher nach Lakkoma hätten wir uns schenken können.

 

Profitis Ilias ist ausnahmsweise kein Berggipfel mit Kapelle, sondern ein Ort, und ganz bequem mit dem Auto zu erreichen. Der dazugehörende Gipfelkegel südlich des Fengari liegt darüber, heißt Ai Lias, was eine Kurzform von Profitis Ilias ist, und ist 1.403 Meter hoch. Guck ich mir nur von unten an.

 

Das Bergdorf Profitis Ilias liegt auf einer Höhe von 300 Metern und ist bekannt für seine Grilltavernen, die vor allem Ziegen "aufspießen", was in der Saison und sonntags für entsprechenden Zulauf sorge. Außerdem hat man einen schöne Aussicht auf die Küste.

Obwohl uns der Sinn noch nicht nach Essen steht, wollen wir uns das Dorf gerne ansehen, durch das eine gut ausgebaute Straße führt - reichlich Platz für ziegenverschlingende Horden. (Ziegen gibt es eh zu viele auf Samothraki - gnadenlos zerstören sie die Landschaft.) Offenbar fällt auch noch reichlich Unverzehrtes etwas für die Katzen ab, denn sie sind das einzige belebende Element, das uns hier zunächst ins Auge fällt als wir vor der Grilltaverne "Panorama" parken, und dann entlang der Straße zurück durch den Ort gehen. Auch das "Paradisos" ist geschlossen, dito "O Vrachos". Das "Pigi" bei der Kapelle Panagia Theotokou ist aber geöffnet, wir sitzen schön unterm Blätterdach von rauschenden Platanen und genießen unseren Frappé. Oder rauscht die Quelle nebenan, von der unser Trinkwasser stammt? Am Tisch weiter oben sitzen noch ein paar Gäste, und die Familie beim Essen. Kaum traue ich mich zu stören um unsere Kaltgetränke zu bezahlen. Drei Euro für zwei Frappé - das sind doch noch zivile Preise. Bei Rückweg bestaunen wir die steinbeschwerten Ziegeldächer mancher Häuser. Der Wind bläst hier manchmal sehr stark, und bevor sich die Dächer davon machen.

Weil wir befürchten, dass wir auf der Straße über den Weiler Kastelli wieder durch Lakkoma durch müssen, drehen wir um und kurven um Lakkoma herum und entlang dem Meer nach Osten. Daphnes ist die letzte Siedlung, danach wird die Straße schlechter und wartet immer wieder mit den berüchtigten Rinnen auf, die wir vom Nordosten schon kennen. Unser Ziel ist der sieben Kilometer entfernte Strand von Pachia Ammos, der einzige Sandstrand mit Straßenanbindung auf Samothraki. Wir hoffen hier auf eine geöffnetes Restaurant, was vielleicht etwas verwegen ist, denn einen Ort gibt es dort nicht, und die Nachsaison ist fortgeschritten.

 

Weit und sandig öffnet sich die Bucht vor uns. Pachia ammos - grober Sand. Aber immerhin Sand, und schön hell ist er auch. Die befestigte Straße endet hier, weiter in den Osten kommt man nur zu Fuß (aber nicht entlang der nun steilen Küste) oder mit dem Boot.

 

Ein große Bretterbude mit wehenden Fähnchen steht in der Mitte, schon im Abbau begriffen. Nach rechts weist ein Schild zur Taverne "Nickolas", die am Hang oberhalb des Strandes liegt, und eine Strandbar mit vorgelagerten Sonnenliegen und - schirmen gibt es dort auch. Wir steigen die Treppe hinauf zur Taverne inmitten eines grünen Blätterdaches, die geöffnet, aber verlassen aussieht. Von der Bar guckt ein Mann her: ob wir essen oder trinken wollten? Essen, antworten wir. Er käme gleich jemand, und so setzen wir uns hin und werden sofort von einer Katzenfamilie belagert. Hallo ihr Süßen, wir haben noch nicht mal Teller.

 

Der Mann, der Wirt Ni(c)kolas, älter, redefreudig und weit auf der Welt herumgekommen (er spricht unter anderem portugiesisch bzw. brasilianisch) kann nur ein eingeschränktes Essensangebot anbieten. Ich nehme schließlich Loukanika und Theo Sardellen, vorab einen Tsatsiki und ein Alpha für ihn, und für mich eine Limo. Nicolas muss dann erst mal eine Köchin hertelefonieren, entschwindet dann wieder hinab zur Bar. Die Getränke bringt uns eine junge Frau, die sich offenbar vergriffen hat, denn Theos Bier ist alkoholfrei. Kann passieren. Meine Würste, von Pommes begleitet, sind fettstrotzend, und würden dringend Senf benötigen. Oder wenigstens etwas Zitrone. Die Katzenfamilie freut sich trotzdem. Theos Sardellen erfüllen auch nicht seine Vorstellungen von einer gelungener Mahlzeit, viele Fischlein bleiben übrig. Ist schwierig hier auf Samothraki mit dem Essen.

Ein Nickerchen wäre jetzt schön, aber das bleibt Theo überlassen, denn ich habe noch etwas vor: ich möchte zur Kapelle Panagia Krimniotissa wandern, die etwas im Hinterland fotogen auf einem Felsensporn liegt. Mit dem Auto fahre ich zwei Kilometer auf der Straße zurück, wo rechts eine Piste abzweigt. Die Kapelle ist sogar beschildert, aber die Piste wird bald zu schlecht, und ich wollte ja auch etwas zu Fuß gehen. So parke ich den Wagen nach wenigen Metern rechts am Pistenrand und ziehe die Wanderstiefel an. Etwas mehr als zwei Kilometer sind es bis zur Kapelle, die ich wenig später weiß aus einem Felsenkamm herausblitzen sehen kann. Sollte in einer guten halben Stunde zu bewältigen sein.

 

Die Piste wartet immer wieder mit ausgewaschenen, tiefen Fahrspuren auf, und so bin ich trotz der Breite zufrieden, es nicht mit dem Auto probiert zu haben. Aber es geht weiter hinauf als gedacht, und weil dieser Inselteil windgeschützt und in der Sonne liegt, wird mir schnell warm.

 

Auf halber Strecke überholt mich ein Pickup mit Mann und zwei Hunden auf der Ladefläche, ich sehe sie weiter bergwärts entschwinden. Hirten vermutlich. Zu Fuß könnte man noch weit gehen, über die Karagiani-Schlucht zur Malakos-Quelle und weiter zur Kousianta-Schlucht und der Kapelle Agia Thekla. Sagt zumindest meine Skai-Karte. Und sind sieben Kilometer/drei Stunden oneway, dazu einige Höhenmeter. Heute eh zu spät, und außerdem macht man das vielleicht besser nicht alleine. Die Panagia Kremniotissa wird mir reichen. Ich erreiche sie schwitzend nach einer Dreiviertelstunde. Sie liegt unterhalb eines gezackten Felsenkammes, aber auch auf einem kleinen Felsenkegel. Eine steile, weißgetünchte Treppe führt hinauf und erinnert etwas an Agios Ioannis auf Skopelos (genau, die Mamma-Mia-Kapelle). Aber nicht so spektakulär.

Das Pavillon-Büdchen mit überdachter Terrasse, das am Fuße des Kapellenkegels liegt, ist leider geschlossen - ein Kaltgetränk wäre schön gewesen. Aber ich hatte damit gerechnet, natürlich. Wenn schon die Strandinfrastruktur eingemottet wird. Und außerdem bin ich völlig alleine hier, was auch schön ist. Weniger schön ist, dass die Kapelle auch verschlossen ist. So ruhe ich mich eben so aus und genieße die Aussicht auf die Bucht von Pachia Ammos, nach Westen entlang der Südküste, und nach hinten auf den dreizackigen Bergkamm. Und die Stille.

In einer halben Stunde bei ich wieder beim Auto und schnell unten in Pachia Ammos, wo ich mir jetzt ein Bad im Meer verdient habe. Ein paar Liegen und Sonnenschirme hat es dort noch, ein paar Deutsche liegen dort, palavern über die Insel und die Entfernungen. Zwei junge Griechen lassen sich von Nickolas mit dem Motorboot an einen der abgelegenen Strände der östlichen Felsenküste bringen, die nur übers Meer oder nach langer Wanderung erreichbar sind. Vatos etwa. Gut zu wissen, dass Nickolas solche Taxi-Dienste verrichtet. Auch wenn ich mir eine Wanderung dort schon abgeschminkt habe.

 

Dann geselle ich mich zu Theo, der in der Strandbar von Nickolas ein paar Bierchen genossen hat und die Zeit auch ganz gut verbracht hat, mit Studien über den Abbau der anderen Strandbar, und die Logistik der Versorgung mit kalten Getränken aller Art. Nickolas hat kein Cola Zero, bietet mir eine Grapefruit-Limo an, die wäre zuckerfrei. Weiß nicht, wie er darauf kommt (und so schon den ganzen Sommer verkauft?), denn sie ist es nicht. Aber schmeckt wirklich sehr erfrischend.

 

Die Schatten werden lange, und es wird kühl. Wir gehen zum Auto zurück, als zwei Wohnmobile mit deutschen Kennzeichen Richtung Strand fahren. Hier kann man so spät im Jahr perfekt wild campen. Es gibt zwar zwei Campingplätze an der Nordküste bei Therma, aber hey, wer wird denn so spießig sein, und dort bleiben? Ohne Strandstrand noch dazu. Aber es hat hier wirklich sehr viel Platz, der Strand ist lang und tief. Und sie entsorgen hoffentlich ihre Bordtoilette nicht hier.

 

Schön übrigens, wie ein paar vereinzelte Bäume die Struktur von Sand und Felsen auflockern. Gefällt mir. Und auf der Rückfahrt läuft uns noch ein Schäfer mit seiner Herde über den Weg. Das Abendlicht sorgt für Stimmung an der Westküste.

Heute essen wir in der Nachbarschaft beim "Italiener" namens "Fournello", der Pizza und Pasta im Angebot hat. Und für Theo Risotto, während ich meine Nudeln mit Kapern und Oliven köstlich und die Portion zu groß finde. Ja, so lasse ich mit den "Italiener" gefallen. Mit zwanzig Euro sind wir auch preislich gut dabei.

Und morgen dann endlich in die Chora?