Alles außer Sirtaki

 

Man kann keinen Text über griechische Tänze schreiben ohne „Alexis Sorbás“ zu erwähnen: der Film und der daraus entstandene Tanz „Sirtaki“ prägen unser Bild von griechischen Tänzen und griechischer Musik bis heute.

Völlig unverdient, leider, denn das griechische Brauchtum hat tanzmäßig so sehr viel mehr zu bieten, dass es eine Schande ist, es auf Sirtaki zu reduzieren. (Damit keine Missverständnisse aufkommen: ich liebe diesen Film, und die Szene am Schluß!) Allerdings klingen die Melodien nicht immer so nett im Ohr und eignen sich – je nach Herkunft – kaum zur typischen Tavernen-Dauerberieselung oder zum Erzeugen von Urlaubsgefühlen. Oder habt ihr schon mal echte pontische oder mazedonische  Tanzmusik in einer griechischen Taverne gehört? Da würde der mitteleuropäische Gast schnell die Flucht ergreifen…

 

Manche (inzwischen auch Griechen!) behaupten, der Sirtaki wäre der typische griechische Tanz.

Ja, das ist er geworden, aber erfunden wurde er erst 1964, mit und für den Film „Zorbas the Greek“ / „Alexis Sorbas“, dessen Regisseur Michalis Kakogiannis neulich gestorben ist. Es handelt sich also mitnichten um einen traditionellen Tanz.

Besser Informierte kolportieren, der Darsteller des Alexis Sorbas, Anthony Quinn, hätte den typischen Tanz (welchen eigentlich?) nicht hingebracht, und deshalb hätte Mikis Theodorakis eigens für ihn den „Sirtaki“ erfunden* – aus dem kleinasiatischen Metzgerstanz Chassapikos und dem schnellen Chassaposervikos (das ist der Schritt, den alle Tanzanfänger als ersten lernen und mächtig die Beine werfen) sowie einem Hauch kretischen Pentozalis.  Wenn man sich daraufhin den Film anguckt, so wird man sehen, dass man kaum einmal den ganzen Anthony Quinn beim Tanzen sieht – nur in der Schlussszene, und der Tanzschritt ist nun wirklich einfach… Sonst Beindoubles. Tja, wenn es ein schneller Pentozali hätte sein sollen…

 

Es hatte wohl andere Gründe, warum man lieber einen „Sirtaki“ (= kleiner Sirtos = Reigen, Reihe) erfunden hat – seither ein vielzitiertes Erfolgsmodell, ohne das kein „griechischer Abend“ in einem griechischen Ferienhotel stattfinden kann – der Kenner wendet sich mit Grauen ob der bei der schneller werdenden Musik immer wilder und konfuser dahin hüpfenden Möchtegern-Zorbes.

Gerne liest man in der Presse von Sirtaki-tanzenden Griechen (z.B. damals beim EM-Erfolg der Fußball-Nationalmannschaft), aber ganz ehrlich: ich hab noch keinen Griechen außer bei Vorführungen „Sirtaki“ tanzen sehen, und weiß nicht wie „Sirtaki“ geht. Dabei tanze ich jetzt seit fünfzehn Jahren griechische Tänze….

Angefangen hat alles 1994 auf Tinos im „Tinos Beach Hotel“. Da gab es in der Hoteltaverne einen griechischen Abend, der diesen Namen auch verdiente – auf Tinos urlaubten damals fast nur Griechen, und denen musste man mit Sirtaki nicht kommen, die konnten ihren Kalamatianos und ihren Sonaradikos. Ich stand fasziniert am Rande und hätte gerne mitgetan – traute mich nur nicht. Nahm den Tanzwunsch aber mit nach Hause.

 

Zwei Jahre später stieß ich in der Tageszeitung auf einen Artikel, der für einen Tanzkurs bei der Deutsch-Griechischen Gesellschaft in Böblingen warb. Und der Wunsch kam in mir wieder hoch, und ich ging hin. Lernte bei der unendlich geduldigen Gudrun allwöchentlich einfache und auch kompliziertere Tänze (und trat der Deutsch-Griechischen Gesellschaft Böblingen/Sindelfingen bei, eine zeitintensive und bis heute dauernde Beziehung ;-) ). Später dann, bei Anitas Fortgeschrittenen, mit weniger Geduld, aber dafür schnelleren Tänzen, die ich besonders liebe.

Tänze der Pontos-Griechen, düster und erdig, und mit Lyra, Trommel und jammerndem Gesang, melancholische klarinettenbegleitete Tänze aus dem Ipiros, schnelle und kraftvolle kretische Tänze, stolzierende dudelsackquitschende mazedonische Tänze, flotte schuhplattlernde Tänze aus Thrakien, den beeindruckende kleinasiatischen Metzgerstanz Chassapiko in verschiedenen Varianten, und und und....

Und immer noch kein „Sirtaki“….

 

Er fehlte mir auch nicht – es gibt in jeder griechischen Region Dutzende von faszinierenden Tänzen, wer braucht da Sirtaki? Höchstens die Anmerkungen Ahnungsloser nerven: Griechischer Tanz = Sirtaki. Schublade auf, Sirtaki rein, Schublade zu. Nicht auszurotten. Nur noch ignorieren. Oder sich von der Seele schreiben.

Irgendwann veranstaltete die Deutsch-Griechische Gesellschaft dann einen Tanzabend mit Live-Musik und ich machte erste Tanzerfahrungen abseits des Tanzkurses. So im Gedrängel zu tanzen, auf Live-Musik, das ist etwas völlig anderes als im geordneten Kurs mit reichlich Platz. Als unsicherer Neuling tut man sich schwer, mal soll ja auch nicht immer auf seine Füße gucken - komisch, dass man das macht – als ob man erst gucken müsste damit man weiß was die Beine machen.

Griechinnen in High-Heels in der Reihe vor mir drohen mir versehentlich die Füße zu durchlöchern, der Mann links  - obwohl Grieche und es damit vermeintlich besser wissend - greift bei der Schulterfassung zerrend bis über meinen Hals, der Andere hat einen eisernen Griff oder hängt am Oberarm. Der ganze Saal ist eine wogende Kreisbewegung. Männer machen vorne ihre Show, Frauen können es besser, halten sich aber zurück. Ein Tanz dauert zehn, fünfzehn, zwanzig schweißtreibende und endlose Minuten. Wer vor dem Ende aufgibt, hat verloren… also durchhalten!

 

Und trotzdem: es macht unglaublich Spaß!

Die Stimmung, die Live-Musik, das Miteinander.

Seither bin ich süchtig. Tanzsüchtig. Eine Choromanin.

 

Wer will, kann mitmachen, jeder und jede darf, kein mühsames Überreden des tanzunwilligen Partners, keine Auseinandersetzungen darum wer führt. Stolpernde Anfänger lässt man gewähren. Ela, chorepse, und rein in die Reihe!

Gockeltänze, der Se(m)bekiko, eine getanzte Version des Rembetiko, nur von einigen solo getanzt, frei improvisiert im 9/8 Rhythmus (ja, es gibt auch hier Grundschritte, theoretisch), von anderen kniend beklatscht. Da muss man in der richtigen Stimmung sein, sonst geht es nicht. Im Hier und Jetzt, was zählt morgen?

 

Ich weiß nicht wie ich vorher glücklich sein konnte, bevor ich mich beim Tanzen so verausgaben konnte. Meinem Herzen Luft verschaffen konnte. Ohne griechischen Tanz wäre mein Leben so viel ärmer.

 

Schon Alexis Sorbas (bei Kazantzakis, im Buch) wusste das:

„Was ist nur in dich gefahren, so einen Tanz vorzuführen?“ - „Was hätte ich tun sollen, Chef? Ich war vor Freude übergeschnappt, ich musste meinem Herzen Luft machen. Und wie kann man seinem Herzen Luft machen? Mit Worten? Pff!“

 

Auf lästige Diskussion über originale Tanzschritte lasse ich mich selten ein, mögen sich die Puristen streiten. Die guruhafte Verehrung der unterrichtenden, meist männlichen Tanzkoryphäen seitens der überwiegend weiblichen Jüngerschaft ist auch nicht mein Ding. Originale, gesittete Schritte demonstrierende Lehrerinnen, die die Freude am Tanzen gut verstecken, Tanzseminare und Tanzferien über mehrere Tage um auch den letzten Tanz aus dem hintersten kleinasiatischen Dorf zu erlernen und ihn mangels Gelegenheit, ihn zu tanzen, sofort wieder zu vergessen – nein, das brauche ich nicht. Lieber ein wöchentlicher Tanzkurs mit Gleichgesinnten. Dass das Gehirn und die Koordination dabei trainiert werden und etwas für die Fitness getan wird – willkommener Nebeneffekt.  

Samstägliche Tanzfeste in der Region mit meist zu lauter Musik dazu – schade, dass sie weniger werden, die Organisation ist ein Aufwand, und in immer weniger Hallen darf geraucht werden, das senkt die Stimmung, auch wenn es beim Tanzen hilft. Aber vor allem die Pontos-Griechen pflegen noch ihre Traditionen, ihre Tänze voller Stolz.

 

Ich glaube schon lange nicht mehr, dass das Tanzen den Griechen automatisch in die Wiege gelegt wird, oder man Tanzen kann durch Sich-Griechisch-Fühlen und eine Ladung Ouzo. Man muss es schon lernen, Schritt für Schritt, und den Rhythmus in sich aufnehmend.

In Griechenland lernen die Kinder die Tänze in der Schule – was ein Stellenwert des Tanzes, der Musik!

Ein Volk, das so viele wunderschöne Tänze für jede Stimmung hat und sie auch tanzt, bei ausgelassenen, fröhlichen Festen für Alle – das ist einfach nur zu beneiden!

 

Ein glückliches Volk!

 


* Anscheinend hat aber Anthony Quinn den Sirtaki erfunden - so wird er zumindest hier zitiert. Allerdings hab ich diese Varianten sonst noch nirgends gehört oder gelesen.

So klöppelt halt jeder an seinem persönlichen Sirtaki-Mythos.... :-)


 

Und dann ist da noch dieses Video: