Ins Hinterland

Zwischen den beiden Rethymno-Tagen liegt ein verregneter Sonntag. Und was macht man im Urlaub bei Regen? Man geht ins Museum. Nicht in Rethymno, sondern in das ziemlich neue Museum von Eleftherna. Theo hätte diesen Ausflug für entbehrlich gehalten, hat aber auch keine Alternativvorschläge. Und bevor er im Quartier bleibt, kommt er halt doch mit.

Barbara fährt heute und macht die Bekanntschaft mit den kretischen Schlaglöchern und plötzlichen Knicken im Asphalt. Es ist übrigens reiner Zufall, dass sie immer bei schlechtem Wetter am Steuer sitzt, und nicht böser Willen meinerseits. :-)

 

Weil es dauerregnet, gibt es keine Außenfotos vom Museum in Eleftherna. Ein kastiger Betonbau mitten in der Hügellandschaft, mit groß dimensioniertem Parkplatz, der auf größeren Besucherzuspruch im Sommer schließen läßt. An diesem Sonntag sind wir die einzigen Besucher, zumindest in der Zeit unseres Aufenthaltes. Wenigstens was zu tun für die Frau an der Kasse und den Aufseher in den Räumen, die sich zu Tode langeweilen. Aber man muss ja in Griechenland heutzutage froh sein, einen bezahlten Job zu haben, und wir finden es erfreulich, dass das Museum auch im Winter geöffnet ist obwohl kaum jemand kommt.

 

Zwei Euro kostet der Eintritt, und Barbara kommt mit ihrem ICOM-Ausweis mal wieder umsonst rein. Vier Euro Einnahmen an einem Sonntag - Kultur und Museen sind immer Zuschussbetriebe. Im Museum ist Fotografieren verboten, und so bleibt mir nur der Verweis auf die Website: http://en.mae.com.gr/museum.html

 

Das Museum besteht aus drei Räumen, in denen die Fundstücke der antiken Stadt Eleftherna (auch Eleutherna) präsentiert werden. Eleftherna war seit spätminoische Zeit besiedelt, hatte im 9. bis 6. Jahrhundert vor Christus seinen Höhepunkt, und wurde in frühchristlicher Zeit Bischofssitz. Das Tal, in dem die antike Stadt lag, befindet sich nördlich und östlich des heutigen Ortes Archea Eleftherna. Gerne wäre ich dort ein wenig herumgelaufen und hätte mir auch die alte Brücke aus dem 4. oder 3. vorchristlichen Jahrhundert angesehen, aber selbst als der Regen am Nachmittag aufhört, ist alles nass und rutschig, und wir nicht mehr motiviert.

Wir beschränken uns dann auf einen Blick von oben über das Tal, in dem überall Hunde wild kläffen.

 

Zurück zum Museum am Vormittag. Die zahlreichen Funde sind anschaulich präsentiert und erklärt. Besonders beeindrucken die Funde der Nekropole von Orthi Petra mit einem vierfachen Frauengrab. Abgelenkt wird man durch die Filme, die über drei Bildschirme flimmern. Theatralisch wird die Geschichte von Phronime nacherzählt, interessant die Nachstellung des Begräbnis des Patroklos aus der Ilias vor Ort anhand der dortigen Fundstücke. Und dann ist da noch die Geschichte der Kore von Eleftherna und ihrer "Schwester", der "Lady von Auxerre", die sich heute im Louvre befindet. Na, da ist sie in reichlich griechischer Gesellschaft.

 

Wir lassen uns Zeit, denn das Wetter draußen wird kaum besser. Was tun mit dem angebrochenen Tag?

 

Wir fahren ins nahe Margarites, das Töpferdorf. Das regennasse Dorf ist ganz hübsch, ein Bäcker hat geöffnet, und auch einer der Keramikläden ist offen obwohl es trotz des Schildes "open" erst nicht so aussieht - das Licht ist aus. Aber die Türe ist nicht abgeschlossen, und schnell kommt uns der Besitzer entgegen und bittet uns herein.

Die offerierte Keramik ist bunt, preiswert, und es gibt auch hübsche Stücke. Gut geeignet für ein paar mehr oder weniger notwendige Mitbringsel.

Danach finden wir zu unserer Freude die Taverne "Vrisi" im Tal geöffnet. Na, es ist mehr eine Psistaria, und auch am Sonntagmittag nur mäßig belegt von ein paar kretischen Männern. Eine Familie kommt noch, aber sie trinken nur was. Das haben wir vor zwei Jahren in Krousta noch anders erlebt, aber bei dem Wetter bleibt man ja auch lieber zuhause im Trockenen. Kotopoulosouvlaki und Loukanika sind aber in Ordnung, und mit Bier, Tee und Elleniko zum Abschluss werden wir trotzdem nur 25 Euro los. Der Ofen wärmt angenehm von hinten.

Der Regen hat inzwischen endlich aufgehört, und so machen wir noch einen Kurzbesuch im Archea Elefthera, wo ein Tavernenwirt vergeblich versucht, uns in sein Lokal zu manövrieren. Danke, wir sind schon satt.

 

Weil es zum Kloster Arkadi nur ein Katzensprung ist, und Barbara es noch nicht kennt, fahren wir doch noch dorthin. Theo bleibt, wie so oft in diesem Urlaub und erst recht bei Klöstern, im Auto. Hat er ja schon gesehen.

Es ist zehn nach vier als wir dort sind, und eigentlich sollte das Kloster bis 17 Uhr geöffnet sein. Aber der Mönch am Eingang winkt ab als wir den Eintrittsobulus bezahlen wollen: es sei nur noch eine Viertelstunde offen, wir sollten schnell machen. Gut, er hat offenbar noch was vor.

 

Die Kälte, die mich vor zwei Jahren hier erfasst hat, macht sich auch nun wieder breit. Arkadi, Kretas kältester Ort. Gefühlt. Das liegt nicht nur an der Tragödie des Freiheitskampfes, die sich hier abgespielt hat, sondern irgendwie auch an dem Ort, der sich im Winter einfach unwirtlich präsentiert. Obwohl, immerhin ist das kleine Museum mit dem Kirchenschatz geöffnet. Es sieht neu aus, und befindet sich im rechten Klosterflügel. Dann noch schnell eine Runde in die Kirche - heute gibt es sogar Licht - , und nach hinten zur Pulverkammer.

Dann winkt der Mönch schon ungeduldig mit dem Schlüssel. Hat aber prompt Pech, denn es kommen noch zwei griechische Besucher, die sich nicht drängen lassen. Und die drei Asiaten, die außer uns noch da sind, lassen sich auch Zeit. Das muss der diensthabende Mönch wohl oder übel Überstunden machen. Vergelt's Gott!

Auf dem Rückweg fahren wir noch einen Schlenker nach Maroulas. Das Dorf liegt nur drei Kilometer von der Küste entfernt an einer Anhöhe von 250 Metern mit schönem Panoramablick über Küste und Meer. Römische Fundstücke lassen auf eine frühe Besiedlung schließen, die Venezianer und die Osmanen haben es ausgebaut.

 

Die Straßen sind steil, wir parken bei der rotdachigen Kirche beim Freiheitsdenkmal (es scheint kein kretisches Dorf ohne zu geben) und schauen uns Maroulas zu Fuß an. Da gibt es schöne Torbogen, eine gefasste Quelle und mehrere venezianische Villen sowie zwei Wohntürme beachtlicher Größe. Der größere ist 14 Meter hoch. Im Sommer ist hier sicher einiges an Betrieb in den Tavernen und den Läden von Aussteigern. Einer von ihnen hat wohl das Schild "Auf d. gr. Ruhm" angebracht. Großer Ruhm? Oder griechischer Ruhm? Es ist niemand da, den wir fragen könnten, denn am Sonntagnachmittag um die Zeit ist im Januar niemand auf der Gasse, auch nicht auf der Platia mit der kleinen Kapelle.

Und auch wir kehren mit dem schwindenden Tageslicht nach Rethymno zurück.

 *

 

Am nächsten Nachmittag, nach dem zweiten Stadtbummel in Rethymno, fahren Theo und ich zu einem Besuch nach Kalyves. Weil das Wetter so schön ist, schlägt unsere Gastgeberin Ulli einen Spaziergang nach Koumos vor, und da sind wir gerne mit dabei.

 

Zum ersten, aber glücklicherweise nicht zum letzten Mal in diesem Januar sind wir zwischen den weitläufigen Olivenhainen unterwegs. Der knallgrünen Teppich aus Klee zu Füßen der Ölbäume und die Ketten der blau-weißen Berge im Hintergrund vergegenwärtigen uns, warum Kreta im Januar so schön ist (oder sein kann).

Auch hier kläfft so ziemlich hinter jedem Zaun ein Hund hervor, oder auch mehrere. Bevorzugt von der Sorte "kretischer Dackelkampfhund", also niederläufig und sehr laut. Einbrecher haben da keine Chance. Falls die kleinen Krachmacher sich nicht bei einer Annäherung ohne Zaun still zurückziehen. Wir probieren es doch lieber nicht aus.

Auf Koumos bin ich gespannt. Von dem Dorf hab ich schon gehört, wobei Koumos kein bewohnter Ort ist, und auch kein Museum, sondern der steingewordene Tavernen-Traum eines Kreters namens Georgios Chavaledakis. Oder ist es ein Alb-Traum?

 

Das Lokal ist im Winter geschlossen, aber wir können über das Gelände gehen. Nein, Gelände ist der falsche Ausdruck: Häuser, Hütten, Schuppen, Pergolen, Sitzplätze, Mauern, Bänke, Tische. Alle ziemlich verwinkelt, unter Bäumen und mit Pflanzen über- und unterwuchert, aus Steinen, Hölzern und menschgemachten Fundstücken gestaltet. Die Steinplatten bevorzugt mit Augen versehen um so einen beseelten steinernen Zoo der Fabelwesen zu erschaffen. Eine heftige Mischung aus Hundertwasser, Niki de Saint Phalle und einem anthroposophisch-naturhistorischen Museum. Bloß nicht so farbig, sondern steingrau. Immerhin.

 

Im Sommer ist es hier bei Live-Musik und einem Glas Wein sicher schön sitzen, vor allem wenn ein frischer Wind vom Meer kommt. Jetzt, im Winter, braucht es die Bäume, das grüne Gras und blühende Blumen um die übergestaltete steinerne Wucht zu dämpfen.

 

Hinter einem Schalter erschreckt uns eine tote Ziege. Sie liegt auf dem Boden und kann hier eigentlich nicht zu Tode gekommen sein. Also geschlachtet? Aber warum dann liegengelassen?

Wir verkrümeln uns schnell. Die Sonne steht schon tief, Zeit, nach Kalyves zurückzukehren, wo Ulli den Kamin anwirft und ihr großer Sohn uns mit Dakos bewirtet. Und der große, halbwilde Hund vor ihrer Türe will unbedingt zu uns ins Auto als wir später wegfahren. Schwupps ist er drin. Und fliegt direkt auf der anderen Seite wieder raus. Rethymno wäre nix für dich, Junge. Bleib lieber hier auf dem Land und pass auf Ulli und ihre Familie auf.

Das zarte Abendrot schneidet scharf die Silhouetten der Berge aus. Ein schöner Tag war das heute.

Mit Sonne ist Kreta auch im Januar ein Traum. Oder gerade?

 

Morgen werden wir Rethymnon schon wieder Richtung Süden verlassen. Die Zeit an der Nordküste war zu knapp kalkuliert, aber ich bin auch gespannt wie es abseits der Stadt zwischen Psiloritis und Messara sein wird.

 

 *

 

Zur Abreise bekommen wir endlich auch unseren Vermieter George zu Gesicht, einen netten jungen Mann.

Er war ein paar Mal da um zu fragen ob wir etwas brauchen, aber wir waren immer ausgeflogen. Wir bezahlen und bedanken uns sehr herzlich - "Marias Haus" ist wirklich eine empfehlenswerte Unterkunft und er ein guter Gastgeber. Theo hätte sich die illegale Beschaffung einer Rolle Toilettenpapier sparen können, denn es wurde sofort für Nachschub gesorgt als ich per eMail unseren diesbezüglichen Wunsch geäußert hatte.

 

Als Wegzehrung bekommen wir noch eine Tüte mit frischen, duftenden Chortopittes mit. Als wir allerdings unseren nächsten Standort Zarós erwähnen, geht ein ablehnender Zug über Georges Gesicht. Im Winter abseits einer lebendigen Stadt wie Rethymno? Unter Bauern? Er sagt es nicht, aber sein Gesicht spricht Bände. Na, Touristen sind ja oft etwas seltsam.

Ab also in den Süden, quer über die Insel.