Ios, Sikinos, Folegandros, Kimolos, Milos, Sifnos - so die Route der Überfahrt mit der "Dionysios Solomos". Steigen in Ios, Sikinos und Folegandros nur wenige Menschen ein, so füllt es sich in Kimolos, Milos und Sifnos deutlich. Das anfänglich noch leere PKW-Deck wird Stoßstange an Stoßstange eingeräumt. Der Himmel ist grau und bewölkt, aber es regnet nicht. Seit Februar hat es nicht mehr richtig geregnet, so wird sorgenvoll angemerkt wohin man kommt, und die südlichen Kykladen werden im Sommer ein großes Wasserproblem bekommen.
Milos und Sifnos werde ich noch besuche, ich freue mich jetzt schon darauf. Und darüber, dass Renate, die ich letzten Mai auf Sifnos kennengelernt habe, extra von Apollonia nach Kamares herab gewandert ist um mich im Vorbeifahren zu begrüßen. Ein schnelles Gespräch an der offenen Ladeklappe, unterbrochen von rangierenden LKW. Wir sehen uns am Freitag wieder.
Eine Viertelstunde Verspätung hat die "Dionysios Solomos" als ich ihr am Hafen von Serifos, in Livadi, entsteige. Nur wenige Touristen sind unterwegs, aber viele Einheimische werden begrüßt. Keine Zimmervermieter mit Schildern zu sehen.
Ich habe hier kein Zimmer reserviert. Letztes Jahr hat ein viertägiger Fährenstreik meine Serifos-Pläne durchkreuzt und es erwies sich als äußerst praktisch, kein Quartier gebucht zu haben. Ich werde schon etwas finden, am liebsten auf dem Hügel in Hafennähe. Am Fuße desselben stelle ich meinen Trolley ab und gehe hinauf zum "Aretí", das ich mir im Vorfeld ausgeguckt habe. Es sind zwei Gebäude, wobei das eine als Hotel bezeichnet wird, und das andere als Apartments. Das Hotel ist geschlossen, aber bei den Studios habe ich Glück. Der Besitzer Vassilis, der in Athen überwintert, ist schon da, und er hat ein wunderschönes, großes Studio namens "Ostria" mit drei Balkonen und Chora-Blick für mich. Es kostet allerdings 50 Euro die Nacht, preislich meine obere Schmerzgrenze. Das gönne ich mir jetzt einfach mal.
Ich bin die ganzen Tage der einzige Gast, und in der Anlage wird überall noch gepinselt. Ich mag dieses frühjährliche Aufbruchstimmung.
Direkt unter meinem kleinen Nebenbalkon und mitten in der Anlage befindet sich das Büro der Küstenwache, drei oder vier Menschen sind dort abwechselnd zugange - kein stressiger Job, finde ich. Die Fähranbindungen von Serifos sind mäßig und deutlich schlechter als die des benachbarten Sifnos, es gibt Tage ohne eine einzige Fähre. So hilft mir einer der Coast Guards, mein Gepäck die Stufen hochzutragen. Nett - danke!
Das Apartment ist mit einer Küche und gemauerten Betten sehr schön eingerichtet. Von der großen Hauptterrasse hat man einen wunderbaren Blick über die Marina, die Bucht von Livadi und hinauf zur Chora. Genauso wollte ich das haben, und ich werde jeden Morgen mit dieser herrlichen Aussicht frühstücken.
In fünf Minuten zu Fuß erreichen ich mehrere Minimärkte, zwei Bäcker, zig Tavernen, die Bushaltestelle und den schönen Sandstrand von Livadakia westlich des Hügels. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Standort, und als ich direkt am Strand in der Taverne von "Takis" bei Salat und Weißwein sitze, bin ich rundum glücklich.
"Takis" ist der Platzhirsch unter den Tavernen, preislich eher gehoben, jeden Abend voll, vor allem wenn der Wind viele Segelboote in die Bucht geweht hat. Auch jetzt sitzen einige griechische Pareas hier, Sonntagsausflügler von Attika mit eigenen Booten.
Der Service könnte aber aufmerksamer sein (gut im Reinholen, schlecht beim Kassieren), und Essen tut man anderswo besser und preiswerter. Im Moment passt es aber.
Die Uferstraße, die beim letzten Besuch 2003 noch nicht asphaltiert war und einen ständig Staub schlucken ließ, ist längst befestigt. Hier ist noch richtig Vorsaison - es sind noch nicht alle Lokale geöffnet.
Spät bin ich noch auf einen Spaziergang am Strand von Livadakia. Bleierne Stimmung - der graue Himmel drückt. Ein Schimmelreiter galoppiert entlang des Ufers. Perfekte Inszenierung, und er ist sich dessen bewusst.
Baden werde ich morgen. Aber zuerst fahre ich dann in die Chora.
Die Busverbindungen auf Serifos sind überschaubar. Zwischen Livadi und Chora fährt von morgens bis abends fast jede Stunde ein Bus. Sonst gibt es noch eine weitere Busverbindung in den Inselnorden, über Chora, Panagia, Galani und Kloster Taxiarchis nach Kallitsos (der Ort hieß bei meinem letzten Besuch vor 15 Jahre noch Kentarchos) und zurück. Am frühen Morgen und am frühen Nachmittag. Was es mit dieser Busverbindung auf sich hat, werde ich noch erfahren.
Busse in den Inselwesten? Fehlanzeige. Diese mangelnden Busverbindungen machen Wanderern das Leben schwer, auch wenn Taxis nicht die Welt kosten (wie ich auf der ausgehängten Preistafel sehen kann).
Um zehn Uhr stehe ich am Fuß meines Quartiers, wo die Busse geparkt werden. Vier ältere Briten warten auch, allerdings sehe ich dann, dass ein Bus vorne an der Marina steht während sich hier nichts tut. Schnell vor, und gerade noch erwischt bevor es losgeht. 1,80 kostet die Fahrt auf kurviger Strecke hinauf, und sie dauert fast zwanzig Minuten.
Am Himmel sind inzwischen dunkle Wolken aufgezogen, und gemeinsam mit der steilen Felsenwand des Petrinas (570 Meter hoch) wirkt diese Kulisse hinter den weißen Häusern der Chora sehr bedrohlich. Irgendwie hatte ich die Bergwand überhaupt nicht mehr in Erinnerung.
An der Bushaltestelle hat es einige Lokale und Läden, inzwischen gibt es auch Privatquartiere hier oben. Ich wende mich aber gleich der Altstadt zu und umwandere sich auf dem Ringweg.
Weit der Blick auf die Terrassen des Inselosten, im Kastro über mir ragen die würfelzuckerweißen Kapellen in den grauen Himmel. Nicht schlecht!
Da kommen die vier Engländer anspaziert, die ich vorhin am Hafen gesehen habe - sie haben den Bus verpasst, aber das Taxi war mit acht Euro für vier Personen auch nicht wesentlich teurer. Wir werden uns die nächsten Tage noch öfters über den Weg laufen (ich mag das an den kleinen Inseln).
Apropos Hafen: der weite Blick über die Bucht von Livadi mit der Marina und dem Fähranleger, das grüne Hinterland, und zum Strand von Livadakia ist auch beeindruckend.
Auf einem schmalen Weg geht es treppauf, vorbei an der charakteristischen Christos-Kapelle mit ihrer weißen Kuppel, aufs Kastro. Oder das, was davon übrig ist, und das ist nicht viel. Aber dafür jede Menge Kapellen - Varvara, Konstantinos, Theologos. Und eine noch genialere Aussicht, nun auch auf die Unterstadt Kato Chora, auf die Oberstadt, und wieder auf die schroffe Bergmauer im Norden. Darin die hineingefräste Linie des Pflasterweges von Agios Georgios. Will ich natürlich auch laufen, aber nicht heute. Und besser bergab.
Und dieses Gebäude mit den zig kleinen Schornsteinen. Ich hab es vor Jahren schon fotografiert und weil ein Abzug in der Wohnung der Mutter an prominenter Stelle hängt (dort, wo man ausreichend Muße hat, die Kamine zu zählen), schicke ich ihr schnell ein aktuelles Bild. Hatte ich ja ganz vergessen, dieses schöne Motiv. Aber die Chora hat so viele davon, und so wird mein neuer Fotoapparat heute noch Überstunden machen müssen.
Vielleicht die schönste Chora der Ägäis, und in den 15 Jahren seit dem letzten Besuch hat sich optisch wenig geändert. Unten am Ufer und im Hinterland sind die Orte gewachsen und Fremdenzimmer und Straßen dazugekommen, aber alles kein Vergleich zu Santorin. Und Anfang Mai ist der Tourismus noch sehr verhalten.
Ich steige auf der anderen Seite des Kastrohügels die steile Treppe hinab, nochmals Kapellen, mehr oder weniger gepflegte Häuser. In einer Gasse sind Bauarbeiter zugange und ich verpasse fast die Abzweigung nach rechts Richtung Platia. Ein Esel und ein Pferd warten auf ihren nächsten Arbeitseinsatz zum Baustofftransport und machen unwillig den Weg für mich frei.
Durch diese herrlich typischen Kykladengassen mit ihren weißen Linien auf dem Boden erreiche ich schnell die langgestreckte Pano Piatsa am alles überragenden, neoklassizistischen, beigen Rathaus, das aber auch schon bessere Zeiten gesehen hat - die Balustrade auf dem Dach ist lückenhaft wie das Gebiss eines Greises, der Putz blättert, die Fensterrahmen brauchen auch dringend einen Neuanstrich.
Trotzdem: Die blaubekuppelte Kirche daneben, und die farbigen Stühle der Lokale davor: türkisblau und zitronengelb. Eine stilsichere Inszenierung, die sofort den Wunsch in mir erweckt, sich auf einen Frappé niederzulassen und einfach nur zu gucken und genießen.
Das "Barbarossa" mit den gelben Stühlen ist noch zu, dito der Laden "Thidira" rechts, aber die türkisfarbenen Stühle des "Café stou Stratou" laden ein, und es sitzen ein, zwei Gäste hier. Und der Nebenraum in einer dachlosen Nische, aber dafür mit Spiegel, ist auch immer noch da. Alles größer, frischer, bunter als früher, aber trotzdem wunderschön.
Und als dann noch der Mann mit seinen beiden Lasttieren kommt, sie an der Kirche Agios Athanassios anbindet - den Esel rechts, das Pferd links der Pforte - um auf Kaffee und Schwätzchen hier einzukehren, ist das griechische Idyll perfekt.
Der Esel allerdings marodiert, schlägt mit seinen Hufen die Blumentöpfe in Reichweite um, und wird dann prompt um einige Meter strafversetzt.
Ein Schmetterling flattert über den Platz, lässt sich auf einem der türkisen Stühle nieder. Es gibt hier viel mehr Schmetterlinge als auf anderen Inseln, vor allem Schachbrettfalter. Und die Sonne beleuchtet die Szene, man möchte die Zeit anhalten.
Lange bleibe ich sitzen, da darf der Frappé auch mal 3,20 Euro kosten.
Es ist Mittagszeit, und kaum Touristen unterwegs. Dann kommt aber eine germanophone sechsköpfige Parea mit Hund, Segler tippe ich. Neunzig Prozent der ausländischen Touristen sind um diese Jahreszeit Segler, und unten in Livadi steigt die Prozentzahl am Abend noch - mindestens dreißig Segelboote spült der Wind heute in den Hafen. Ein solventes Publikum, meist 60plus, trink-, ess- und ausgebefreudig, nicht unbedingt leise. In mehr als zweihundert Meter Entfernung vom Meer trifft man sie aber selten, immerhin hier. Sie okkupieren lautstarke die Wandnische hinter mir. Zeit zu gehen.
Noch ein Bummel vor zu den Windmühlen. Blick auf die Chora.
An der Bushaltestelle sind zwei Tafeln von "Walking Serifos" angebracht. Die Organisation "Paths of Greece" hat auch hier Wanderwege aufgezeichnet und markiert, ich werde da in den nächsten Tagen mal mein Glück probieren.
Über Kato Chora wandere ich gemütlich auf dem schönen Stufenweg hinab nach Livadi. Über mir ragen wieder die Würfelhäuser der Chora. Am Weg das Denkmal für die gefallenen Soldaten. Eine merkwürdige Kapelle mit einer Wand aus kreuzförmigen Nischen. Ein angebundener Esel. Die Grundschule. Eine Tränke mit Wasser. Man ist stolz auf das inseleigene Wasser - einen Krug davon habe ich gestern bei "Takis" hingestellt bekommen, und auch im Kühlschrank meines Zimmers hat das albanische Zimmermädchen Monda welches bereitgestellt und extra darauf hingewiesen. Ob es nach dem regenlosen Frühjahr lange reichen wird? Oder hatte Serifos Glück und hat ein paar Wolken erhascht?
An der Brücke am Ortseingang von Livadi biege ich links auf die breite Straße ab, die zur östlichen Paralia führt. Ich würde gerne bei "Margarita" am Ende des Strandes einkehren. Widerstehe daher den Versuchungen der vorherigen Tavernen, die sich entlang des Strandes verteilen. Der Strand ist flach und sandig und von Tamarisken gesäumt. Der von Livadakia ist aber schöner.
Bei "Margarita" hab ich aber kein Glück: das Lokal ist geschlossen. Klar, es ist Montag und gerade mal der 7. Mai, da verirrt sich kaum jemand hierher abseits des Ortes. Von den wanderfaulen Seglern schon gar nicht.
Ich gehe noch weiter bis zu den Studioanlagen oberhalb der Felsenküste: es sind sogar drei, und die größte scheint auch schon geöffnet zu sein. Eine tolle Lage mit Blick über die Bucht, aber in den Ort ist es weit. Nein, ich bin völlig zufrieden mit meinem "Aretí".
Auf dem Rückweg gefällt mir die am Strand gelegene Taverne "Stamatis" am besten, und so kehre ich dort ein. Einen Tomaten-Gurken-Salat und frittierte Zucchinischeiben, begleitet von einem Viertel Weißwein, gibt es schon für elf Euro, und, was noch wichtiger ist: das Essen ist sehr gut, und man sitzt hier sehr schön.
Nach einer ausgiebigen Siesta in meinem Quartier geht es dann zwecks Bad an den Livadakia-Strand. Das Meer hat wunderbare 21° C, und die Tamarisken bieten ausreichend Schatten vor der inzwischen wolkenlos scheinenden Sonne. Der gelbe Sand, das grüne Meer, Sifnos am Horizont - schön hier. Und die paar Badenden verteilen sich. Wieso ist Serifos eigentlich so wenig als Badeinsel bekannt? Eine Frage, die ich mir morgen noch viel mehr stellen werden.
Auf Serifos weiß man das aber. Am Hafen hängt ein Schild von 2003, dass Serifos als "Insel mit dem schönsten Strand Europas" bezeichnet. Warum so bescheiden im Singular?
Um acht Uhr abends guckt noch die "Dionysios Solomos" auf ihrem Weg durch die Kykladen vorbei.
Ich esse erst spät zu Abend, und weil mich der Schwertfisch in der Auslage des "Gialos" so anlacht, gehe ich dorthin. Die Portion mit Ofenkartoffeln kostet 15 Euro und ist sehr groß. Für zwölf Euro hätte mir auch gereicht, aber der Fisch ist gut. An einem der Tische sitzen zwei Musiker mit Sängerin und intonieren Rembetika und Laika. Das Lokal wird voll, und es sind ausschließlich Seglergruppen. Der Wirt ist so beschäftigt, dass ich lange auf meine Rechnung warten muss. Als ich sie schließlich bekommen, bringt er mir auch eine Portion Eis dazu: "because you are alone".
Ich hatte das bisher nicht negativ empfunden, im Gegenteil: ich mag es, wenn ich die anderen beobachten kann und mir so meine Gedanken machen kann. Und dann ist es auch noch Erdbeereis - ich mag kein Erdbeereis. Löffel es aber brav in mich hinein. Und fühle mich als Single zurückgesetzt obwohl es ja eine nette Geste sein sollte. Ja, die Griechen sind selten solo in einer Taverne.
Noch bis spät in die Nacht dringt die Musik vom Lokal zu mir hinauf. Dabei hab ich morgen doch schon um halb zehn einen Termin. Mit dem Autoverleiher "Poseidon" und einem Peugeot 107. Und Serifos.