An der Marmorküste

Wie riesige Enten liegen zwei Fähren im Hafen von Skala Prinou. Mehrere Fährlinien teilen sich die Überfahrten zwischen Festland und Thassos: ANETH, Thassos Link und Thassos Ferries. Wobei der Hauptverkehr über die kürzere Verbindung zwischen Keramoti und der Inselhauptstadt Limenas abgewickelt wird. Da hätte ich aber erst noch mit dem Bus via Chrissoupoli nach Keramoti fahren müssen, was immerhin 75 Minuten dauern soll. Dann doch bequemer ab Kavala, zumal mich meine Gastgeberin Ilka in Skala Prinou abholen wird. Die Tour zwischen Kavala und Skala Prinou wird wesentlich seltener bedient, da sie gut doppelt so lange dauert.

 

Nach 80 Minuten legen wir mit der "Agios Panteleimon" (keine Ahnung zu welcher Fährgesellschaft die nun eigentlich gehört) in Skala Prinou an. Ich gehe von Bord und suche Ilka mit ihrem Thassos-Mobil. Kann sie aber nirgends entdecken und gehe vor zur Busstation, wo gleich zwei Busse stehen. Soll ich den nach Limenas nehmen? Ein Anruf bleibt unbeantwortet, und drei Minuten später weiß ich auch warum: Die Empfängerin war mit Fahren beschäftigt und biegt nun mit ihrem dunklen Auto um die Ecke, hält auf dem Busparkplatz.

Das ist also Ilka, meine Gastgeberin für die nächsten fünf Tage. Seit 25 Jahren lebt die Norddeutsche mit ihrem Mann Stelios auf Thassos und vermietet ganzjährig die Anthos-Apartments im Hauptort Limenas. Theo, der schon öfters auf Thassos war, hatte sie mir empfohlen. Und auch gesagt, dass im Januar eigentlich nur Limenas als Standquartier in Frage kommt, wenn man keinen Fastenurlaub plant. Wie recht er hatte, werde ich noch merken.

Der Kontakt vorab war schnell, unkompliziert und sympathisch. Fünf Nächte mit Frühstück im beheizbaren Apartment zum äußerst fairen Preis, dazu auch der Vorschlag, mal gemeinsam etwas zu unternehmen. Perfekt, gerade für mich Alleinreisende.

Und da steht sie nun vor mir, um die sechzig, blond, kommunikativ und voller Energie. Passt! Schon auf den 15 Kilometern von Skala Prinou nach Thassos-Stadt (bzw. Limenas) werde ich mit Informationen gefüttert. Schnell noch eine Runde mit dem Auto durch Limenas: die Taverne ist seit gestern wieder offen, da ist das Museum, die Grillstube dort ist gut, dort ist das Café, hier geht es zur Akropolis. Das Gassengewirr scheint für Anfänger unübersichtlich, und ich kann mir auch nicht alles merken. In den nächsten Tagen will ich mir das alles mal angucken. Na, fast alles.

 

Die Anthos-Apartments liegen etwas im Hinterland. Zu Fuß ist man in zehn Minuten im Ort (wenn man den richtigen Weg weiß und sich nicht verläuft). Mein Apartment befindet sich im Erdgeschoss, es ist ausgezeichnet beheizt (nach den kühlen Naxos-Erfahrungen vom letzten Januar habe ich eine ganze Ausrüstung warmer Klamotten dabei, die ich nicht brauchen werde, Mütze, Handschuhe und warme Jacke mal abgesehen), in der Küche und im Bad ist alles da was man braucht (vor allem ausreichend Haken), gutes WLAN ist auch vorhanden und wenn mir das Bedürfnis nach deutschem Fernsehen ist (unwahrscheinlich), dann habe ich eine ganze Reihe Sender zur Auswahl. Ich könnte auf die Terrasse mit Blick zum Garten (und auf Nachbars Muli) sitzen, oder auf die Terrasse an der Eingangstüre. Aber jetzt im Winter ist Draußensitzen keine Priorität.

Ein Konvolut wohlgenährter Katzen ist auch vorhanden, sie gehören Ilka, und ich muss aufpassen, dass sie nicht in die Wohnung eindringen wenn ich die Türe mal offenlasse. Oder ihr zu üppiges Frühstück auf meine Terrassenmöbel ausspeien. Überhaupt hat es unheimlich viele Katzen in Limenas, keine Mülltonne ist unbestückt, und offenbar lebt es sich aus thassiotischen Mülltonnen gut, den die Viecher sind mit den schlanken Katzen der Südägäis nicht zu vergleichen. Oder sind da Waschbären eingekreuzt?

Ilka lädt mich erst mal zu Kaffee und Kuchen (selbstgemacht und lecker) in den Frühstückraum im Untergeschoss ein und wir verschwätzen ein, zwei Stunden. Ilkas Mann Stelios guckt auch mal kurz vorbei, und ihre Tochter. Morgen wird Ilka mit mir eine Runde über die Insel drehen. Ich freue mich darauf.

 

Es ist schon lange dunkel als ich zu Fuß Richtung Innenstadt aufbreche. Ich lande an der Paralia, wo die Fähren über Nacht anlegen. Der Fährhafen liegt, ebenso wie die Busstation, wenig kundenfreundlich am westlichen Ortsrand, etwa 700 Meter vom Ortszentrum entfernt. Die Lokale an der westlichen Paralia sind geschlossen, weiter östlich scheint die Psistaria "Gianna" geöffnet. Ich gehe entlang der Uferstraße nach Osten, bis zum Fischerhafen mit dem langgestreckten, hell beleuchteten Gebäude, dem Metochi. Als Metóchi bezeichnet man Zweigstellen von Klöstern, das Metochi hier war eines des Kloster Vatopedi auf dem Berg Athos. Heute beherbergt das Haus ein Kulturzentrum.

 

Die Laterne des Vollmondes beleuchtet die Szenerie. Hinter dem Metochi und dem Fischerhafen - dem antiken Kriegshafen - beginnt ein Strandabschnitt. Zu Beginn steht die Pizzeria "New York", die geöffnet scheint. Zumindest sitzen einige Männer in einem foliengeschützten Glashaus unter neonbeleuchteten Heizstrahlern. Aber Name und Pizza-Angebot sind nicht dazu angetan, mich anzulocken.

 

Es ist kalt und ich gehe nicht weiter nach Osten, sondern zurück bis zum Hotel und Café Angelica (auch im Winter geöffnet und mit einer schönen Webcam auf dem Dach), wo ich in die Innenstadt abbiege. Die Gassen sind kaum belebt, nur wenige Läden machen einen geöffneten Eindruck, freitagsabends um acht Uhr. Das "Tavernaki" an der kleinen Platia hat gerade gestern wieder geöffnet, hatte Ilka gesagt, und dort wird gekocht (also gibt es nicht nur Speisen vom Grill). Im kleinen Gastraum sind zwei Tische belegt, frisch gekocht wurden Soutzoukaki, Spetsofai und Kotsi - keine Ahnung was das ist. Haxe sagt das Lexikon. Da bestelle ich doch besser das Spetsofai, das mit viel Paprika und wenig Sauce daherkommt, gut schmeckt und sehr sättigt.

 

Im Mini-Markt auf dem Heimweg kaufe ich noch ein paar Vorräte ein. Und verpasse danach eine Abzweigung, was ich aber zum Glück gleich merke. In diesem Wohn- und Pensionenviertel sieht im Dunkeln irgendwie alles ähnlich aus. Wichtig, sich hier Wegmarken zu merken.

 

*

 

Ilka offeriert mir um halb neun ein üppiges Frühstück, das in den nächsten Tagen abwechslungsreich wahl- und wunschweise mit Spiegelei oder Rührei ergänzt wird. Das braucht Zeit und so ist es Viertel nach zehn Uhr als wir gemeinsam mit Ilkas Wagen losfahren. Weil die kulinarische Versorgungslage im Südteil der Insel eher mau sei, machen wir uns ein Vesperbrot.

 

Die Sonne strahlt vom fast wolkenlosen Himmel, aber am Morgen ist es noch eiskalt. Es soll in der Nacht sogar Frost gegeben haben (die Skala meines Badethermometers endet bei 4 Grad plus, ist ja kein Eisthermometer....). Wir fahren nach Süden aus Limenas hinaus und biegen wenig später zur Küste ab. Hier erwarten uns mehrere Marmorstrände, und ich bin gespannt.

 

Unwetter mit schweren Regenfälle haben im Herbst 2019 auf Thassos gewütet und dabei zahlreiche Nebenstraßen in Mitleidenschaft gezogen. Wir werden daher nicht bis Skala Potamias durchfahren können, sondern müssen später wieder auf dem gleichen Weg zurück. Kein Problem, ich vertraue Ilka. Sie hat jahrelang als Reiseleiterin auf Thassos gearbeitet und kennt die Insel wie wenig andere. Außerdem kennt sie ihr Auto und weiß was sie ihm zumuten möchte. Mit einem Mietwagen wäre ich zögerlicher.

 

Der kleine Saliara-Strand ist der erste, den wir passieren. Mit dem weißen Marmorsand und dem türkisgrünen Wasser sieht er wirklich südseemäßig aus. Noch beeindruckender die nächste Bucht mit dem Marmaradika-Strand. Hier lassen ordentlich aufgereihten Sonnenschirmständer mit Marmorsockel und Holzstiel und dreisprachigem Schildchen "Gratis-Liegen" (in Englisch, Rumänisch und Türkisch) erahnen, was hier in der Saison los ist und woher die Gäste kommen. Der große Parkplatz mit schattenspendenden Olivenbäumen ist mit Marmorkies bestreut, was der Szenerie ein vollends winterliches Aussehen verleiht. Das Gebäude (Strandcafé ?) im antikisierenden Tempelstil passt da nur bedingt dazu.

Am rechten Rand der Bucht stehen ein Verladeband und diverse Geräten der Marmorindustrie. Oberhalb der Bucht wird immer noch Marmor abgebaut und hier gleich auf Schiffe verladen. Heute ist aber keines da, alles liegt ruhig und verlassen. An der Straße stapeln sich Marmorquader, eingebettet in Hügel aus Marmorgranulat. Eine unwirkliche Winterlandschaft, auch wenn man zum Schneemannbauen schon etwas Zement brauchen würde. Kein Wunder wird dieser Marmor in seiner reinsten Qualität Snow of Thassos genannt.

Es gefällt mir hier. Schade, dass die Sonne es noch nicht über den Hügel geschafft hat und alles in blauen Schatten liegt. Oder vielleicht unterstreicht die kühle Szenerie noch.

Die Straße führt, zunehmend löchrig, durch den Wald bis zu Bucht von Vathy. Weiter möchte Ilka nicht fahren, und was sie dort sieht, treibt ihr den Blutdruck in die Höhe: die idyllischen Bucht ist von den aktiven Bauarbeiten für eine große Hotelanlage komplett abgeriegelt. Der Zugang zum Weg zum Strand wurde von einem Raupenbagger weggeschoben, wir kommen aber mit etwas Mühe und gutem Schuhwerk über den hohen Schutthaufen. Der Strand selbst ist noch zugänglich, aber ein Zaun begrenzt ihn auf ganzer Länge auf wenige Meter. Strände sind in Griechenland ja immer öffentlich, aber das heißt nicht, dass man den Weg dorthin auch für alle freihalten muss. Wie wir heute noch sehen werden. Ilka erzählt die Geschichte der Bucht, eine echt griechische Story von illegalen Bauten, einer ausländischen Besitzerin und einheimischen Blockaden. Ob den Einheimischen gefällt was nun hier entsteht? Wenn sie es überhaupt mitkriegen und interessiert.

Wir fahren zurück Richtung Limenas und biegen dann auf die Straße nach Panagia und Potamia ab. Weil ich da noch denke, dass ich an einem der nächsten Tage mit dem Bus herkomme, halten wir hier nicht und fahren, von ein, zwei Fotostopps abgesehen, weiter entlang der Küste bis hinter Kinyra.

 

Der Paradise-Strand ist unser nächstes Ziel. Die Straße, die von der Hauptstraße zum Strand hinab führt, hat unter den jüngsten Unwettern gelitten und ist mit großen Rinnen und Löchern überzogen, so dass wir das Auto schließlich abstellen müssen und die letzten Meter zu Fuß gehen.

Paradise Beach besteht aus einem längeren Stück Sandstrand und angrenzenden, schräg geschichteten Felsen. Der Blick fällt auf das vorgelagerte Inselchen Kinyra, 143 Meter hoch sagt die Karte (kann das sein?), bewaldet und unbewohnt. Ich bade mein Thermometer im Wasser am Ufer und messe eine Temperatur von 13,5 Grad Celsius. Boah, das ist deutlich kälter als erwartet, und weiter draußen wird es noch kälter sein. Da verbietet sich - im Gegensatz zum winterlichen Kreta oder Naxos - wirklich jeder Gedanke ans Baden.

 

Die Erdbeerbäume an der Straße blühen und Ilka macht mich auf die verschiedenen Sorten Eicheln aufmerksam, die es hier gibt. Auch wenn Nadelbäume (nein, keine Pinien, sondern Schwarzkiefern) das Bild von Thassos prägen, so besteht das Buschwerk aus Laubgehölz.

Unser nächstes Ziel ist Agios Ioannis Loukas, eine kleine, fast kreisrunden Bucht, an der es antike Reste auf dem Gelände eines Fünf-Sterne-Hotels gibt. Der Zugang zu den Ausgrabungen muss für die Öffentlichkeit möglich sein, erzählt Ilka, aber dennoch erwartet uns ein verschlossenes Tor. Wir parken davor, fummeln an dem Tor herum, siehe da: es geht doch auf. Die Hotelanlage - soll bulgarischen Investoren gehören - ist weitläufig und gepflegt, aber im Winterschlaf. Der Strand sieht kiesig grau und nicht so einladend aus. Hinter ihm befindet sich ein kleines Ausgrabungsfeld mit Mauerfundamenten und einem Sarkophagdeckel - die Siedlungsspuren sollen bis ins 4. vorchristliche Jahrtausend zurückreichen.

Aber wir haben keine Zeit uns näher umzugucken: das Polizeiauto, das vor dem Hotel geparkt hatte, verlässt durch das Tor das Gelände, und ein Mann, offenbar der Hausmeister, jagt uns unfreundlich vom Gelände des Hotels: das sei hier alles "private". So viel zum Thema "freier Zugang zu den Ausgrabungen". Ilka ärgert sich und verspricht, bei der Gemeinde nachzuhaken. Aber was soll man machen wenn genug Geld im Spiel ist, noch dazu im krisengeschüttelten Griechenland?

Gedämpfter Stimmung nähern wir uns Alyki, wo oberhalb der Straße das Gasthaus Archodissa liegt. Weil hier regelmäßig zu Pfingsten das Tanzseminar von Babis stattfindet, an dem dieses Jahr auch eine Bekannte von Ilka und eine Bekannte von mir teilnehmen möchten, bin ich neugierig. So im winterlichen Zustand sieht das jetzt unaufgeräumt und wenig einladend aus, aber der Blick über die die Halbinsel Alyki und das Meer ist schon schön. Und als die Wirtin auftaucht, gibt es ein kurzes Schwätzchen.

 

Es ist schon ein Uhr vorbei, und der Hunger meldet sich. Umschwärmt von einer wachsenden Katzenschar picknicken wir am Strand von Alyki, das nicht wirklich ein Dorf ist, sondern nur eine kleine Siedlung mit im Winter geschlossener Gastronomie.

 

Wirklich toll ist aber, was die Halbinsel Alyki in petto hält: wir gehen zunächst auf einem schmale Weg entlang der waldigen Westküste und kommen vorbei an einer Höhlenkapelle, die unter dem Weg in eine Nische der steilen Küste gebaut und überbordend mit Ikonen und Ikönchen ausgestattet ist. Schwer auszumachen, wem die Kapelle geweiht ist, aber da ihre Ikonen überwiegen, tippe ich mal auf die Muttergottes.

In den großen Felsen am Steilufer befinden sich einige tiefe Bohrlöcher. Hier sollen schon in der Antike Schiffe befestigt worden sein.

Etwas weiter, an der Südspitze der Insel, liegt dann plötzlich eine weiß-blaue Felsenlandschaft vor uns, die mich entfernt an Sarakiniko auf Milos erinnert. Ist das helle Gestein auf Milos aber weiches Vulkangestein, so haben wir hier Marmor vor uns. Fast die ganze Halbinsel besteht aus Marmor, und von der Antike (7. Jh v.Chr.) über die Römerzeit bis zur byzantinischen Zeit (7. Jh n. Chr.) wurde hier Marmor abgebaut. Thassos wurde von Siedlern aus Paros kolonialisiert und die dürften das entsprechende Know-how in Sachen Marmor mitgebracht haben. Interessant ist dabei, dass die ältesten Brüche sich im Zentrum der Halbinsel befanden und man sich später nach Südosten bis zur Küste vorarbeitete.

 

Aber ganz egal wie alt: diese von Mensch und Naturgewalt erschaffene Landschaftkunst ist wunderschön! Gerade Flächen weißgeschichteten Marmors, von der Natur über die Jahrhunderte abgeschliffene organische Formen, im Wasser schwarzes Rifflinien, die unter einer dünnen Schicht Verwitterung den Marmor verstecken (früher war der Meeresspiegel tiefer). Alles von der Sonne zum Strahlen gebracht, und das Meer kontrastiert tiefblau dazu.

Wir klettern herum und genießen.

Außer uns ist kein Mensch da. Was hier wohl im Sommer los ist?

 

Auf den Felsen am Meer wurde früher Meersalz gesammelt, das sich dort abgesetzt und kristallisiert hatte. Daher hat Alyki auch seinen Namen, sinngemäß "Salzpfanne" oder "Saline".

Einige Schautafeln erläutern den Abbau. Erfreulicherweise sind sie in einem guten Zustand.

An manchen Stellen kann man Lochreihen im Marmor sehen, mit denen die Stücke abgesprengt wurden. Was für eine mühselige Sache das war. Sklavenarbeit. Aber der reine weiße Marmor von Alyki mit seiner hohen Reflexionskraft war sehr begehrt.

Wir arbeiten uns entlang der Ostküste der Halbinsel nach Norden, durch die römischen Steinbrüche. Hier gibt es einen guten Weg, steile Stücke sind mit Holzgeländern abgesperrt.

 

Der älteste Steinbruch im Inselinnerne fällt dann erst auf den zweiten Blick auf, denn er ist von Bäumen überwachsen und nicht so groß wie die anderen

Und schließlich landen wir an den Resten einer frühchristlichen Doppelbasilika, halbhohe Wände auf Ziegelstein, mit zwei aufrechten Säulen garniert und auch sonst liegen allerlei alte Bauteile herum.

 

Im Untergrund befinden sich zwei Kulthöhlen, von denen eine vielleicht dem Gott Apollon geweiht war. Und ganz unten, nahe am Strand, sind die quadratischen Grundrisse eines antiken Doppelheiligtumes zu sehen, das aus dem 7. vorchristlichen Jahrhundert stammt. Eine große Kouros-Statue, die hier gefunden wurde, befindet sich im Museum von Limenas.

Faszinierend das Ganze.

Ilka weiß zu allem etwas zu erzählen. Super, so eine Fremdenführerin zu haben! Und einfach eine geniale Ecke hier. Doch, Thassos gefällt mir.

Wir haben uns Zeit gelassen, und nun ist es schon vier Uhr vorbei. Damit müsste unser letzter Besichtigungspunkt für heute wieder geöffnet sein, das Kloster Archangelos, das einige Kilometer westlich von hier liegt

 

Die Landschaft im Süden von Thassos wurde bei Bränden im September 2016 stark in Mitleidenschaft gezogen. Von Wald kann hier in weiten Flächen keine Rede mehr sein, und die vielbeschworene "grüne Insel" gibt es hier nicht mehr. Ob man hier aufforsten wird? Eher nein, wenn ich mir so die mangelnde Nachhaltigkeit und das mangelnde Geld angucke, und lese, dass die Brände den Tourismus nicht beeinflusst haben. Auch mit der Pflege und Beschilderung von Wanderwegen für Touristen hat man es auf Thassos nicht so, erzählt Ilka. Da sind andere Inseln wie Sifnos, Amorgos oder Andros doch wesentlich weiter, haben das Potenzial der Wandertouristen erkannt. Und Thassos hätte sicher die Möglichkeiten dazu. Andererseits profitiert Thassos von seiner nahen Lage zum Balkan und muss sich über mangelnde Gäste kaum Sorgen machen. Dass das nicht unbedingt ein nachhaltiger Tourismus zu sein scheint, interessiert da wenig. Und wer denkt im griechischen Tourismus schon an morgen? Oder im Tourismus überhaupt?

 

Zurück zum Kloster Archangelos Michalis. Gegründet wurde es im 12. Jahrhundert von dem Mönch Loukas, dem der Erzengel Michael erschienen war und ihm den Tod in drei Jahren prophezeit haben soll. Zur Machtdemonstration ließ er eine Quelle sprudeln, und natürlich wurde auch eine Ikone gefunden. Der Mönch beeilte sich, in den ihn verbleibenden drei Jahren eine Kirche über der Quelle zu bauen. Später wurde daraus ein Kloster, ein Metochi des Klosters Philotheou auf dem Berg Athos. Und in den letzten Jahrzehnten lebten Nonnen hier, etwa 25 sollen es aktuell sein. Archangelos ist Wallfahrtsort für orthodoxe Pilger vom Balkan bis Russland, und offensichtlich bringen die ordentlich Geld mit, denn die Klosteranlage ist prächtig, mit einem alles überragenden, vielkuppeligen Kirchenneubau in Backsteinoptik.

 

Wir ziehen uns jede einen der Leihröcke, die am Eingang bereitliegen, über die Hosen. Und schlendern dann über das palmen- und blumengeschmückte Gelände. Von irgendwoher klingen Kirchengesänge, eine hünenhafte Nonne mit Bartwuchs eilt an mir vorbei ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich fühle mich mal wieder fehl am Platz, so als neugierige Besucherin des falschen Glaubens.

Es gibt hier reichlich Kapellen und Kirchen, ziegelgedeckt oder schiefergedeckt, backsteinfarben oder weiß. Da wichtigste Gebäude ist aber das unscheinbarste: eine niedrige, langgestreckte Kapelle, 1834 gebaut, schiefergrau gedeckt und auf der untersten Etage des Ensembles fast zu übersehen. Es ist auch das einzige Gebäude, das wir betreten dürfen. Darin befindet sich eine wundertätige Ikone, die man sich aber auch ausleihen kann, erklärt Ilka. Also wenn man hier irgendwo im Kloster wohnt, oder vielleicht für den Gottesdienst in der großen neuen Kirche, der gerade stattzufinden scheint. Auf alle Fälle ist die Ikone nicht da, die aufsichtsführende Nonne guckt auch nur mäßig freundlich, und so werfen wir nur einen schnellen Blick in die kaum beleuchtete Kapelle samt Ikonostase, nehmen ein bäppsüßes Loukoumi vom Teller am Ausgang, und sind froh, als wir wieder draußen sind.

 

Das Beste an dem Kloster ist nämlich sowieso seine Lage auf einer Felsenterrasse über dem Meer.

 

Im Südwesten kämpft sich die Pyramide des Berg Athos aus einem Wolkenband. Die scharfe Silhouette im Licht der untergehenden Sonne - wunderschön! Fünfzig Kilometer Luftlinie sind es nur zum heiligen Berg. Aber ich werde ihn die nächsten Tage nur noch einmal zu Gesicht bekommen.

Es ist Viertel nach fünf, die Sonne verschwindet im Meer. Ende des Besichtigungsprogrammes, denn kurz darauf wird es dunkel. Ilka nimmt die westliche Ringstraße für die Heimfahrt. Es gibt keine Straße quer über Thassos, man muss immer die Küste entlang. Eine Runde um Thassos ist ziemlich genau hundert Kilometer lang. Zurück entlang der Ostküste wäre es kürzer, aber so haben ich doch noch einen flüchtigen Eindruck von der Westküste, die stärker besiedelt und touristischer ist.

 

Von den Küstenorten führen allenfalls Stichstraßen ins Inselinnere zu den Dörfer. Die Orte an der Küste heißen dann alle "Skala" (Treppe, Leiter, Anlegestelle) und dann den Namen des dazugehörenden Binnendorfes im Genitiv. Also Skala Prinou zu Prinos, Skala Potamias zu Potamia, Skala Marion zu Maries, Skala Rachoniou zu Rachoni. Eine übersichtliche Sache. Nur Potos heißt nicht Skala Theologou, wie es eigentlich logisch wäre. Keine Regel ohne Ausnahme.

 

Westlich vom Kloster liegt die Giola, ein runder Naturpool in der Felsenküste, und ein Hotspot für Selfie-Fetischisten. Beim Sprung hinein verletzen sich jedes Jahr zahlreiche Urlauber, erzählt Ilka, und dass die Straße dorthin ziemlich schlecht sein. Zu schlecht für ihr Auto. Auch wenn im Winter nicht mit Touristenmassen zu rechnen ist - die aktuellen Badetemperaturen sind nichts für Naturpools, und außerdem klingt das Ganze überbewertet. Schenke ich mir also.

 

Zentrum des thassischen Tourismus' sind Limenaria und Potos. Da fahren wir jetzt nur durch, aber ich möchte hier schon noch her, denn es gibt hier interessante Industrieruinen. Und hinauf nach Kastro natürlich, und nach Theologos. Und nach Kazaviti, und Kloster Panteleimonas. Ich fürchte, ich habe mir zu wenig Tage auf Thassos eingeplant. Zumal für morgen Regen angesagt ist.

 

Gegen Viertel nach sechs sind wir wieder in Limenas. Es war ein toller Tag, geballt mit Eindrücken und Informationen. Die muss ich jetzt sich erst mal setzen lassen.

 

Zum Abendessen probieren ich heute Giannas Küche. Das Lokal an der Paralia gegenüber dem nächtlichen Liegeplatz der Fähren besticht durch unterkühle Atmosphäre, auf einem großen Bildschirm flimmert die Premier League, Tottenham gegen Liverpool. Nur ein Tisch ist besetzt von zwei Männern, die verstohlen zu mir hinübergucken. Hätte Gianna mir von der benachbarten Küche aus nicht zugenickt, ich hätte mich vielleicht gar nicht hineingetraut. Es gibt Hühnersuppe, einen tiefen Teller voll. Köstlich. Vorab noch was Gesundes: Karotten-Kraut-Salat (mit Schwerpunkt auf Kraut), der Choriatiki des Winters (heißt aber politiki salata, nach Konstantinopel). Brot, Wein und Wasser dazu, bezahle ich gerade mal zwölf Euro.

Liverpool gewinnt (natürlich) und ich freue mich mit Klopp.

 

Schon auf dem Heimweg beginnt es zu tröpfeln. Also wirklich Regen morgen?