Wanderung nach Westen

Nach dem Frühstück auf der Terrasse gehe ich erst mal in den Ort rein um ein paar Kleinigkeiten zu besorgen und etwas Wlan zu schnorren - das hat unser Quartier nämlich nicht, aber bei "George" im Hafenbereich geht es ganz gut (und das Passwort hab ich noch von gestern). Dort treffe ich auf eine Frau, die an einem kleinen Stand aus Holz und Kieseln selbstgemachten Schmuck, Kräuter und Olivenöl verkauft. Nicole ist Deutsche und lebt auf Kalamos mit ihrem Sohn im Teenageralter und einer flinken Hündin. Sie hat auch eine Website über die Insel und kann mir so einiges erzählen, über Seglerflottillen, das Leben und Spaziergänge auf der Insel, Ausflüge nach Lefkada und vieles mehr. Ich äußere meinen Wunsch, nach Kastos zu gelangen, und sie meint, sie hätte die Telefonnummer eines Bootsbesitzers. Offiziell gibt es ein Sea-Taxi, aber das ist in Mytikas stationiert, und man müsse sich die Anreise bezahlen lassen, was nicht billig sei. Na, ich hab ja noch Zeit, will mir erst Kalamos ansehen.

Und so wandern wir um elf Uhr los, gen Westen. Also zum Agrapidia-Strand, und dort entlang. Der Strand ist ganz schön lang (schätze mal 500 Meter), besteht aber nur aus groben Kieseln. Hier ist nichts los und nichts geöffnet. Halt, doch: in einem Haus wird gearbeitet - vermutlich ist hier im Sommer eine Bar oder eine Taverne. Weiter vorne finden sich einige angeschwemmte Quallen von der schwarz-durchsichtigen Sorte "Haarreifen", die ich von den Ostkykladen her kenne. Der Südsturm hat sie ans Ufer gespült.

Am anderen Strandende hat es eine weitere Windmühle, und einen kleinen Anleger für Kaikia. Ein Inselidyll.

Die Küste entlang geht es nicht weiter, also nehmen wir die ansteigende Stichstraße und versuchen bei der nächsten Abzweigung nach links unser Glück (ich hab ja keine Landkarte). Ein Tor versperrt den Durchgang, lässt sich aber öffnen , und so merken wir erst fünf Minuten später in einem waldigen Lottergehöft, dass es hier nicht weitergeht. Also zurück, und die Stichstraße weiter bergan.

Die Straße ist eingezäunt, mannshoch und solide. Kleine handtuchgroße Parzellen mit wild wuchernder Natur sind ebenfalls eingezäunt - man liebt hier sinnfreie Zäune. Ich muss mal Nicole dazu befragen was es denn hier so vehement wovor zu schützen gilt.

 

Einen halben Kilometer oberhalb der Küste trifft unsere Straße dann eine querlaufende Piste, die auf einer Höhe von hundert Metern nach Westen führt und der wir folgen. Sie verläuft oberhalb von waldigen Gebiet, und überhaupt finden wir Kalamos überraschend grün. Der Blick geht hinüber auf die von hier unbewohnt wirkende Nachbarinsel Kastos. 50 Einwohner hat sie aber immerhin, der gleichnamige Hauptort liegt an der Ostseite der maximal 155 Meter hohen beziehungsweise flachen Insel.

 

Nach ein paar Metern grenzt ein hoher Zaun die Straße vom steil abfallenden Hang ab. Hier wurde offenbar die lokale Müllkippe abgedeckt und eingezäunt. Aber nur wenig weiter (uneingezäunt) wird der aktuelle Müll abgeladen, er kokelt und raucht stinkend vor sich hin. Egal ob man auf eine Luxusinsel wie Hydra oder Spetses kommt, und auf ein unbekannte Miniinsel wie Kalamos - dass Griechenland ein Müllproblem hat, stinkt zum Himmel. Und damit meine ich jetzt nicht das Müllaufkommen - das ist zum Glück und trotz omnipräsenten Plastikflaschen und -tüten wesentlich niedriger als in Deutschland. Nur ist das offene Deponieren in der EU seit Jahren verboten, aber gegen den Bau von Müllverbrennungsanlagen wo auch immer protestieren die jeweiligen Anwohner.  Sankt Florian ist ja auch aus Mitteleuopa bekannt. Nun (August 2015) soll die Recyclingquote stark erhöht werden um das Müllproblem zu lösen. Ob das klappen wird?

Dann dringt ein klopfendes Geräusch an unsere Ohren. Es kommt von drei Männern, die hier abseits der Straße Steine brechen. Das scheint hier eine Art offizieller Steinbruch zu sein, denn vorhin ist uns schon ein Pickup, beladen mit Steinbrocken, entgegengekommen.

Die drei Männer - Albaner oder Bulgaren - gucken uns so erstaunt an wie wir sie: wer wandert freiwillig und sinnlos in der zunehmenden Wärme des Tages hier herum? Und wer klopft hier mit reinen Muskelkraft Steine? Ich fürchte, wir geben die absurdere Figur ab, denn unsere Motivation zu Wandern kann ich nicht erklären, die der Steinbrecher aber schon. So sehen wir noch etwas zu wie der helle Kalkstein aus der braunen Erde gehebelt und zerklopft wird. Nicht zu klein. Knochenarbeit. Was daraus wird? Wir werden es sehen...

Eine Straßenbiegung weiter steht eine steingraue Kirche mit rotem Dach am Straßenrand.  Ziemlich neu, und mit einem diskreten Glockentürmchen. Die Kirche ist zu, aber immerhin kann man in den schattigen Hof vor der Kirche (wenn man das verklemmte Tor öffnen kann - die Trick ist, erst zu drücken und dann zu ziehen). Schade, dass sie zu ist - laut dem Schild ist sie dem heiligen Gerassimos geweiht.

 

Wir gehen noch etwas weiter bis links eine Piste zu einem großen Anwesen abzweigt. Ein breites, verschlossenes Tor, aber daneben kann man durch die Lücke zwischen Zaun (natürlich) und Tor gut durchschlüpfen. Die wissen schon, dass hier kein Grieche zu Fuß herkommt. :-)

Ab hier geht der Weg wieder abwärts. Bis zur Porto-Leone-Bucht ist es noch ein ziemliches Stück, und da dort nicht mit einer geöffneten Taverne zu rechnen ist, und wir auf dem gleichen Weg zurück müssen, beschließen wir, dass es für heute genug ist, und wir kehren um.

 

Die Steineklopfer haben ihre Ausbeute inzwischen auf den Pickup verladen und fahren davon. Feierabend haben sie sicher noch lange nicht.

Auf dem Rückweg zweigen wir nicht nach rechts zum Strand ab, sondern bleiben oberhalb (schöner Blick auf den Agrapidia-Strand mit der Mühle, dahinter Kastos und links davon ein kleines rundes Inselchen) und erreichen dann Kalamos-Ort.

Eine Kleinigkeit zu essen wäre schön, und da gibt es nur das Kafenio an der Platia. Der Besitzer ist mäßig freundlich und seine Laune steigt auch nicht als wir Bier, Limo und einen griechischen Salat bestellen. Der Salat kommt ohne Öl daher, und auch ohne dass dieses mit Essig separat gereicht wird. Immerhin, die Tomaten sind saftig und ersetzen das fehlende Dressing halbwegs.

Auf der anderen Seite der Mini-Platia wird ein Haus renoviert, die Arbeiter klettern auf einer schmalen Leiter über den Balkon hinauf in den erste Stock statt durch das Treppenhaus. Das wird sicher mal schön, wirkt aber hier in Kalamos etwas fehlplatziert.

 

Den restlichen Nachmittag verbringen wir in unserer Unterkunft und am Strand. Reger Seglerverkehr vor uns, aber am Strand bin ich wieder alleine.

Am Abend gehen wir zum Essen in die Grillstube des Metzgers, von der wir durch Nicole inzwischen wissen, dass die auch geöffnet hat (allerdings hat die Außenbewirtschaftungssaison noch nicht begonnen). Es gibt - logischerweise - lediglich Fleisch: wir bestellen ein großes Souvlaki und eine Portion Loukaniko. Die Portionen sind ausgesprochen umfangreich und wohlschmeckend, und werden von Pommes begleitet. Mit einem halben Liter Wein und Wasser werden 15 Euro fällig, ein mehr als fairer Preis.

Ein rothaariger hellhäutiger  Junge bestellt eine Ladung kleiner Spieße, die er dann mit einem Mann im Lokal, aber aus der Tüte verzehrt. Der Sohn von Nicole? Sie wird es uns bestätigen, und betonen, dass die roten Haare nicht aus ihren Familienerbe stammen, sondern aus dem griechischen des Vaters. Was dem 13, 14jährigen Jungen trotzdem zu schaffen macht....

 

Anschließend trinken wir noch einen Absacker in der Snackbar am Hafen, gegenüber von "George". Heute ist einiges los hier unten. Nicole hat gute Geschäfte gemacht und räumt ihren Stand gerade ab. Sie erzählt uns, dass die vielen Zäune der Markierung der Grundstücksgrenzen dienen. Die hat man wohl gerne mal fließend verschoben, was so bezäunt nun nicht mehr so einfach. Ihr Ex-Mann hätte mit dem Aufstellen der Zäune leidlich seinen Lebensunterhalt verdient. A ha.

Wir erzählen ihr auch, dass wir morgen nach Episkopi wandern wollten. Sie hatte am Vormittag erklärt, dass man dorthin auch mit dem Taxi fahren kann, wir wollen aber zurück die Fähre nehmen. Und sie meint, der Wald oberhalb des Ortes wäre sehr schön für Spaziergänge, da sollten wir auch mal hin.

Wir reden aneinander vorbei, denn mangels vernünftiger Karte ist es mir völlig entgangen, dass die Straße nach Episkopi entlang der Ostküste im Wald verläuft. Vom Boot aus war sie nicht zu sehen, und auch auf meiner Übersichtskarte von GoogleEarth nicht (zu kleiner Ausdruck, selber schuld). Dort, und auch vom Dorf aus sieht man aber eine breite Piste, die über den Sattel zwischen den beiden hohen Gipfeln führt. Die halte ich für die Straße. Dass sie auf der Nordseite der Berge auch nach Episkopi hinab führt kann man allerdings nicht erkennen - der Hang liegt auf der Luftaufnahme völlig im Schatten. Wird schon, denke ich. Oder vielleicht hab ich auch gar nicht gedacht. Das wird sich rächen.

 

Egal - so oder so will ich morgen da hinauf.