Lipsi - zu den Einsiedeleien

Es ist mittags gegen ein Uhr, und die Sonne knallt herab. Die Zahl der Leute, die von Bord geht, ist überraschend überschaubar. Es stehen drei oder vier Zimmervermieter am Hafen, aber eigentlich will ich selbst auch die Suche gehen. Vorab habe ich so viele Empfehlungen für Quartiere bekommen, dass ich nicht weiß wo wir hin sollen. Jetzt guck ich einfach mal. Eine der Zimmervermieterinnen ist aber besonders hartnäckig. Ihr Quartier ist gleich am Hafen und heißt „Panorama“. Da ich es eh in Erwägung gezogen hatte, gucke ich mir die Zimmer gerne mal an. Als die Frau aber stöhnend (die Beine!) vor mir die Treppe hinaufgeht, hab ich ein heftiges Déja-Vu-Erlebnis. Bitte nicht wieder!

Das Zimmer, das sie mir zeigt, ist nett und hat – wie sie mehrmals betont – Blick zum Hafen UND zum Strand (wo sich beim kurzen Blick hinaus erschreckend viele Leute tummeln). Aber es ist ziemlich klein. Der Balkon ist es auch, und noch dazu vom Sonnenschutz eingeengt. Nein, nicht wirklich das was mir vorschwebt. Auch das zweite Zimmer, das sie mir zeigt, ist zu eng.

 

So ziehen wir samt Gepäck zur Platia am Yachtanleger, und ich mache mich alleine auf die Suche. Viele Unterkünfte sind offensichtlich schon geschlossen, ich treffe niemand an. Auf dem Weg vom Hafen habe ich oberhalb die Studios „Poseidon“ gesehen, die von der Lage ganz brauchbar erscheinen und auch von Klaus Bötig in dessen Reiseführer genannt werden. Im Erdgeschoss befindet sich eine (gerade geschlossene) Taverne und ein Mopedverleih, an einem Tisch sitzen zwei Frauen und ein Mann. Ich frage nach einem Zimmer. Der Mann steht auf und zeigt mir – eher widerwillig – eines der Zimmer im ersten Stock. Das ist sehr geräumig und sauber, hat eine komplette Küche und ist hübsch eingerichtet (mit einen Hauch „Schöner Wohnen“: mit farbig abgestuften Gardinen) und etwas staubfangendem Nippes - und wieder mit einem dieser grässlichen pseudoalten Bilder wie wir auf Tilos schon eines hatten! Und es hat Hafenblick, was ich immer mag. 40 Euro möchte er pro Nacht, wir wollen fünf Nächte bleiben und nach Rücksprache mit seiner Frau bekommen wir fünf Euro Rabatt.

 

Inzwischen sind wir hungrig geworden. Die Lokale entlang der Paralia scheinen alle Mittagspause zu machen, aber am Ende der Hafenplatia gibt es einen Bäcker samt Saccharoplastio und Café, der fast rund um die Uhr geöffnet hat. Es hat eine Riesenauswahl an süßen Leckereien, uns steht der Sinn aber mehr nach Salzigem, so bestellen wir zum Frappé Tiropita und Spanakopita.

Es ist sehr heiß, ein paar Touristen verbummeln den Nachmittag unter dem schattigen Vordach und genießen die Ruhe.

Unweit vom Café gibt es die „Taxizentrale“ mit den angeschriebenen Preisen. Immerhin sieben Euro weit kann man fahren, bis zum Kimisi-Strand. Busse sehen wir aber keine, der Betrieb ist vermutlich schon eingestellt. Endlich Nachsaison wie wir es uns für kleine griechische Inseln vorstellen.

Später gehen wir die hundert Meter von unserem Quartier hinüber zum Liendoú-Strand. Da er so nah am Ort ist hat es einige Leute dort, aber nicht mehr so viele wie am Mittag. Der Strand besteht aus feinem hellem Sand, und es geht ganz flach hinein ins Meer. Sonnenschirme und Sonnenliegen haben noch keinen Einzug gehalten auf Lipsi, aber Schatten hat es durch einige Tamarisken – dummerweise werfen die ihn aber auf die Straße, die direkt hinter dem Strand verläuft. Hätte man diese mal etwas weiter hinten gebaut.

 

Das Meer hat herrliche 26°, das Wasser ist sauber und der Strand auch. Und dann gibt es da diese einmalige Kombination von Verkehrsschildern, die offensichtlich vor Schwimmern auf der Straße warnt. Wenn die Flut kommt, oder bei Tsunami?

In mehreren Webseiten und Reiseführern wird das Lokal „Manolis“ oder genauer „Manolis tastes“ in der Altstadt empfohlen. Dort wollen wir am Abend auch einkehren. Wobei auch „Yiannis“ in unserer unmittelbaren Nachbarschaft gemütlich aussieht. Aber wir sind ja noch ein paar Tage da um im „Kalypso“, „Theologos“ (hier hingen nachmittags die Okapodia und Sardellen) oder im „Pefko“ zu essen. Das „Porto“ unter unserem Zimmer hat auch trotz voller Bestuhlung abends zu, die Wirtsleute essen alleine dort.

So gehen wir am Abend Richtung Dorfkern. An der Platia hinter der Hauptkirche gibt es ein Lokal namens „Du Moulin“, aber der französische Name missfällt uns. Nur eine Ecke weiter dann, die Tische auf den Gassen, entdecken wir das gesuchte Lokal. Ein großgewachsener Mann mit breitem Grinsen in rotem Kochdress und roter Kochmütze empfängt uns mit kräftigem Händedruck – Manolis, der Chef persönlich. Sein Outfit finden wir eher abschreckend, aber seiner einladenden Geste können wir nicht widerstehen. Die Zahl der Tische ist überschaubar, und die meisten sind schon belegt. Wir bekommen aber noch einen an der Abzweigung zur Seitengasse, vor der Metzgerei. Da sitzen wir nun den Abend und haben alles im Blick.


Zunächst bittet Manolis uns aber in die Küche, wo zahlreiche warmgehaltene Speisen für mächtig Hitze sorgen. Wir entscheiden uns für Hühnchen spezial und Schwein in Zitronensauce, und vorab ein Fava. Roséwein dazu. Alles schmeckt sehr gut, nur die Portionen sind etwas reichlich. Aber in Griechenland darf man ja übriglassen. An den anderen Tischen sitzen vor allem Seglercrews: Engländer, Skandinavier, Franzosen, Russen. Ein Gast im Schottenrock – Panagia mou!

 

Im ersten Stock über dem Lokal befindet sich ein Kosmetik- und Nagelstudio. Kann man auf Lipsi davon leben? Von unten sieht es aus wie ein Lampenladen. Der Metzger schließt irgendwann seinen Laden und setzt sich zu einer Gruppe Männer, die vor der benachbarten Bar sitzen (obwohl diese schon geschlossen ist, der Besitzer hat das Mobiliar abgeräumt – Tische und Stühle kommen von der Taverne) und Karten spielen. Der Vater des Wirtes Manolis setzt sich später dazu, und dann kommt eine Frau mit Kinderwagen samt putzmunterem männlichem Kleinkind darin. Es muss sich um Manolis‘ Sohn handeln, und die Mutter ist die etwas gestresst wirkende junge Frau, die uns bedient. Ja, wenn das Lokal brummt muss der Nachwuchs zur Nanny, was dieser aber offensichtlich ein großes Vergnügen ist. Zumal Manolis Junior (Jannis heißt er, glaube ich) der Star der Taverne ist – kein Einheimischer geht vorbei ohne sich nach ihm zu erkundigen.

Als wir später bezahlen beträgt die Rechnung nur gerade 25 Euro.

Für späte Kunden öffnet der Metzger auch nochmals seinen Laden. Dorfidylle pur. Die größte Gefahr droht von Kinder, die auf unbeleuchteten Fahrrädern durch die nächtlichen Gassen heizen. Gerade noch kann ich eine Karambolage verhindern.

 

Der Abend ist mild, und so sitzen wir noch eine Weile auf dem Balkon und genießen ihn.

Nach Mitternacht kommt die „Blue Star Diagoras“ auf ihrem wöchentlichen Trip nach Piräus vorbei, kurz stören Hektik und Lärm die nächtlich Stille. Aber nicht lange, dann verschwindet sie wieder im Dunkeln.

Unser Frühstück (self-made) auf dem Balkon ist klasse. Man hat den Hafen im Blick, wo gegen neun Uhr die „Patmos Express“ anlegt, ein kleineres Fähr- und Ausflugsboot, das eine Gruppe älterer Griechinnen bringt, in Begleitung eines Pappas. Ja, wenn Gemeindeausflüge nach Patmos stattfinden fällt auch noch ein Lipsi-Besuch ab.

Die kleine „Anna Express“ ist schon um acht Uhr geräuschvoll nach Leros und Kalymnos abgezogen. Und gegen zehn Uhr kommt die „Nissos Kalymnos“ auf ihrer Fahrt nach Samos vorbei. Am Abend wird sie in der Gegenrichtung nach Kalymnos wieder vorbeisehen. Lipsi hat wesentlich bessere Fähranbindungen als Tilos.

Heute wollen wir ein wenig wandern. Und zwar die Tour 41 aus Dieter Grafs „Samos, Patmos, nördlicher Dodekanes“. Wobei wir die Tour leicht abwandeln und noch einen Abstecher nach Platis Gialos machen werden. Die Taverne dort hat leider schon zu, wie unsere Zimmernachbarn wissen (unser Wirt meint zunächst, sie wäre noch offen – vermutlich war er länger nicht mehr dort), aber baden wollen wir dort unbedingt. Schließlich habe ich den Strand recht schön in Erinnerung. Aber es ist 16 Jahre her, dass ich auf Lipsi war, und es hat sich einiges verändert. Die Unterkunft von damals werde ich nicht mehr ausmachen können, ebenso wenig die Taverne, die dazu gehörte und in der die Köchin in der Küche ihr Bett hatte.

 

So packen wir eben Proviant und Wasser ein, denn westlich des Hafenortes gibt es sonst keinerlei Einkehrmöglichkeiten. Immerhin soll es an der Einsiedelei Kato Kimisi Theotokou eine Quelle geben. Das Wetter ist unverändert schön, kaum ein Luftzug sorgt für Erfrischung.

Wir verlassen den Ort auf der Straße nach Westen und gehen oberhalb des Kambos-Strandes hinauf auf den niedrigen Sattel. Von links grüßt eine weiß-hellblaue Kapelle. Laut der Terrain-Karte (2009) soll hier eine schmale Straße abzweigen, Dieter Grafs Buch ist älter, er hat nur ein Monopati eingezeichnet. Und er hat immer noch recht – eine Straße gibt es nicht (gab es nie) - dicker Lapsus für Terrain (und nicht der einzige – dafür ist die Straße von Pente Ossiomartyres nach Norden nur als Fußweg eingezeichnet, wie wir später merken werden). Hoffentlich gibt es dann einen auf der Karte eingezeichneten Weg von Pano Kimisi Theotokou auf den Sattel bei den fünf heiligen Märtyrern wirklich!

 

Der Weg ist meistens ganz gut zu finden. Irritiert sind wir nur, weil wir deutlich näher an den Gipfel mit der Telekommunikationsanlage zu unserer Linken kommen als in der Karte eingezeichnet. Aber es ist der einzige Weg hier. Nach Norden haben wir einen wunderbaren Blick nach Arki und Marathi davor. Dahinter, der hohe kegelförmige Berg, das muss der Kerkis auf Samos sein. Und weiter rechts liegt Agathonisi. Vielleicht machen wir noch einen Tagesausflug mit der „Nissos Kalymnos“ dorthin.

Nach gut einer Stunde gemütlichen Gehens mit reichlich Aussichtsstopps erreichen wir die Stavros-Kapelle, eine „Doppelkapelle“ der besonderen Art: neben der normalen Kapelle gibt es eine kleine Nebenkapelle wie eine Hundehütte oder Ikonostase. Dies ist aber die namensgebende Hauptkapelle, denn darin befindet sich ein Kreuz auf dem Boden. Die große Kapelle ist frisch gestrichen, Agios Stavros wurde ja erst am 14. September gefeiert, vor knapp zwei Wochen.

Das Holztürchen zur Terrasse klemmt. Wir setzen uns für eine kleine Pause auf die schattige Bank dort. Da knattert auf der Betonpiste, die bis zur Kapelle führt, ein Moped daher. Ein älterer Mann steigt ab, er hat Handwerkszeug dabei und macht sich – nach freundlichem Gruß – an dem Terrassentürchen zu schaffen. Schleift das überstehende Holz mit einem Hobel ab bis das Türchen einwandfrei schließt. Farbige Späne bleiben auf dem Boden liegen. Nach getaner Arbeit zündet er in der Kapelle ein Licht an, kehrt dann die Späne zusammen. Wir zollen seiner Arbeit Lob und gehen auf der Betonpiste weiter. Nur wenige Minuten sind es bis zum Sattel, von dem aus sich die Kirchenanlage Pente Ossiomartyres entlang des Hanges nach oben zieht. Die Kirche wurde erst im Jahr 2000 gebaut, damals wurde vermutlich auch die Straße angelegt, die von der Nordküste heraufführt (und die in der Terrainkarte als Monopati eingezeichnet ist).

 

Eine merkwürdige Anlage! Hier, in der Mitte des Nichts, führen gepflasterte Wege hinter der unverputzten Hauptkirche hinauf zu pagodenähnlichen Nebenkapellen, Häuschen. Steintafeln säumen die Wege, Fähnchen flattern überall. Eingefasst ist alles von einer hohen, gelegentlich zinnenverzierten Mauer. Ein Hund winselt irgendwo im Verborgenen. Zwischen den Wege kleine Gehege, in denen sich Schildkröten, Steinhühner und Hühner befinden. Aber kein Mensch ist da. Eine gespenstische Atmosphäre… Die Kirche ist geöffnet, schöne Fresken zieren sie. Trotzdem kein Ort zum Bleiben.

Nach Süden führt die steile Betonpiste weiter, sie mäandert hinab zur Einsiedelei Kato Kimisi Theotokou, zur „unteren Entschlafung der Muttergottes“. Die Piste liegt in der Mittagssonne, windgeschützt staut sich die Hitze hier. Gut hinab, schlecht hinauf. Unten können wir den kleinen Kimisi-Strand (auch Foundana-Bucht) sehen, von dort führt ein Stufenweg entlang des Hanges aufwärts, verschwindet hinter einen Biegung. Ein Moped überholt uns, fährt hinab zur Einsiedelei. Laut Klaus Bötigs Reiseführer war die untere Einsiedelei bis zum Jahr 2001 von dem Einsiedler Philippos bewohnt (er wurde 1910 geboren), nachdem er vorher bis 1979 in der oberen Einsiedelei Pano Kimisi Theotokou gewohnt hatte. Die untere Einsiedelei hat den Vorteil, dass sie wesentlich besser zu erreichen ist (auch per Boot) und außerdem eine Quelle hat. Auch Einsiedler haben es im Alter gerne etwas bequemer…

 

Wie wir die Straße hinabgehen sehen wir rechts auf dem Treppenweg einen Mann heraneilen. Er hat einen langen dunklen Rock an – es muss ein Mönch sein. Offensichtlich hat er irgendwo auf den Mann mit dem Moped gewartet. Und als wir unten im schattigen Vorgarten der Einsiedelei eintreffen, unterhalten sich die beiden Männer – ein Pappás mittleren Alters (der mich irgendwie an den Darsteller des Sandokan einer gleichnamigen Fernsehserie der siebziger Jahre erinnert) und der untersetzte Mopedfahrer. Wir sind etwas gehemmt, wollen ja nicht im Wohnzimmer des Einsiedlers herum stolpern. Aber der wohnt nicht hier – die Zimmer der Mini-Klause verfallen. Die Kapelle der unteren Einsiedelei ist 1770 erbaut, sehr einfach und klein. Und wo ist die versprochene Quelle? Die Hitze setzt uns zu, wir haben Durst.


Wir fragen die beiden ins Gespräch vertieften Männer, sie weisen nach unten: unterhalb der Plattform fließt ein Rinnsal aus einem schmalen Rohr über einen grün bewachsenen Felsen in einen Steintrog. Eine Schöpfkelle an einer Kette hängt rechts davon. So richtig vertrauenserweckend sieht dieses Rohr ja nicht aus, aber ich probiere das Wasser, und es schmeckt einwandfrei. Wir erfrischen uns und füllen unsere Wasserflaschen auf. Unter uns sieht man den kleinen schotterigen und schattenlosen Strand mit seinem türkisfarbenen Wasser – vielleicht noch eine äußerliche Erfrischung? Später, in Platis Gialos. Nun zuerst zur oberen Einsiedelei.

Die Wegführung ist dank des Treppenweges nicht zu verfehlen. Aber hier, vor der nach Süden gerichteten Bergwand, staut sich die Hitze des Mittags (es ist ein Uhr). Kein Lüftlein erfrischt uns, und lediglich an zwei oder drei Stellen spendet ein größerer Baum etwas Schatten auf dem Weg. Es sind diese Momente, in denen man sich fragt warum man sich das antut. Die Antwort gibt die geniale Aussicht auf das farbige Meer, die vorgelagerten Inselchen, den über uns kreisenden Habichtsadler (?). Nichtwanderer und eilige Reisende, die glauben, eine Insel in wenigen Stunden erfassen zu können, werden das nie verstehen, egal wie viele Inseln sie sammeln. Brauchen sie auch nicht - sollen sie doch in ihren Tavernen und an ihren Stränden bleiben. :-)

 

Eine halbe Stunde brauchen wir hitze- und aussichtsgebremst bis zur oberen Einsiedelei. Grafs Wanderführer warnt schon, dass die Einsiedler der letzten Jahrhunderte es leider versäumt haben, hier einen schattenspendenden Baum gepflanzt zu haben. Das langgestreckte Gebäude, das aus Kapelle, Vorraum und Klause besteht, schließt eine große Terrasse zum Berg hin ab. Aber kein Eckchen Schatten gibt es zur Mittagszeit zwischen Stapeln von Hohlbetonsteinen und Zementsäcken. So flüchten wir in die Kirche, die geöffnet ist. Schön kühl ist es hier, die schlichte Einrichtung und Bemalung lässt nicht auf das Alter von immerhin vierhundert Jahren schließen. Damals gründeten Mönche von der Nachbarinsel Patmos diese Einsiedelei. Witzig übrigens, dass Patmos die Insel ist, die wir von Lipsi aus kein einziges Mal sehen werden – immer verbirgt sich die heilige Insel hinter einem Berg oder Felsvorsprung.

Weil wir nicht in der brennenden Sonne picknicken wollen nehmen wir zwei der zahlreich herumliegenden Holzschemel und setzen uns in den kühlen Vorraum der Kirche. Ist ja niemand da, der uns ob dieser Entweihung schräg anguckt. Als wir gerade fertig sind mit Essen hören wir von draußen Hufgetrappel. Es ist der Mönch mit einem Pferd als Lasttier, der zu seiner Unterkunst zurückkehrt. Denn diese befindet sich offensichtlich im westlichen Gebäudeteil und wird von ihm derzeitig ausgebaut. Da müssen er und sein Pferd einiges an Baumaterial schleppen, viele Male den Weg zur Straße bewältigen.

Er bittet uns, uns zu setzen, aber uns ist es zu sonnig, und ich kriege eine Schüchternheitsattacke, der meine gesamten Griechischkenntnisse zum Opfer fallen. Ob er hier wohnen würde, kriege ich immerhin noch heraus, was er bejaht. Er bietet uns auch Wasser an, aber wir haben noch. Seit wann, woher er kommt, wovon er lebt – diese Fragen fallen mir alle erst später ein. Er schüttet seinem Pferd Körner hin, die es gierig frisst. Und ich klaue mir noch ein, zwei Fotos von ihm samt Pferd. Wie es ihm jetzt wohl dort im Winter geht? Ob er seine Klause beheizen kann, ob sie wasserdicht ist? Und ob ein Krisen-Flüchtling ist? Ich habe gehört, dass die griechischen Klöster wieder verstärkt Zulauf haben durch die Krise…

 

Wir verabschieden uns nachdem ich ihn gefragt habe ob der obere Weg zur Kirche führen würde. Das tut er, aber der andere Weg sei bequemer und schneller. Das kann ja sein, aber wir wollen auf keinen Fall die übel steile und heiße Betonstraße hinauf.

 

Das Monopati, das oberhalb des Treppenweges von der Terrasse abzweigt, ist auch gut zu begehen. Offensichtlich transportiert der Eremit hier mit seinem Pferd das Baumaterial, das an der Straße lagert. Ein leichter Windhauch erfrischt uns etwas, und die Aussicht ist auch hier wieder einfach schön! Leros zeichnet sich hinter den vorgelagerten Lipsi-Inseln ab. Lipsi (Λειψοί) ist eine Pluralinsel, wie Fourni (Fournoí), Arki (Arkoí) oder Paxí. Das heißt, es handelt sich um ein Archipel, die einzelne Insel kann dabei auch im Singular stehen: die Hauptinsel Lipsi heißt auch Lipsos.

 

Nach einer halben Stunde erreichen wir eine Kehre unterhalb der Ossiomartyres-Kirche die Straße. Und oben auf dem Sattel sind wir beide von der Sonneneinstrahlung dieser höhenmäßig wirklich harmlosen Wanderung so fertig, dass wir im Kirchengelände Schatten suchen müssen. Da gibt es einen schönen gemauerten Rastplatz, und aus einem Wasserhahn zur Bewässerung der Gartenanlage kommt auch reichlich Wasser um unsere Vorräte aufzustocken. Noch eine Dose Cola dazu, dann geht es uns besser. Der Hund jault immer noch irgendwo.

Vom Sattel führt eine breite Betonpiste in zahlreichen Serpentinen nach Norden auf die Küstenstraße hinab. Das Tal, durch das diese führt, ist von großen Baggern aufgerissen, mit Armierungseisen verplombt, mit Schrotthaufen garniert. Ziegen suchen den ausgegrabenen Schatten. Die EU zahlt hier bis 2013 1,16 Millionen Euro für das Vergraben einer ehemaligen Müllkippe wenn ich das richtig verstehe. Lipsi muss wahnsinnig viel Müll haben, denn wir werden zwei Tage später eine weitere Müllkippe vergleichbarer Größe sehen. Und dabei wird auf der Insel sorgfältig der Müll getrennt – Plastik von Glas getrennt, Papier und Dosen jeweils extra. Kommt wirklich später alles wieder in einem abgelegenen Tal zusammen, und im Winter nimmt es des Regen mit? Aus den Augen aus dem Sinn, nach mir die Sintflut – Griechisch für Fortgeschrittene…. es tut weh!

 

Dann sind wir an der Küstenstraße, müssen noch eine Viertelstunde auf dieser nach Westen zum Strand von Platis Gialos. Die Küste ist hier zwar flach, aber sehr felsig. Kein Strand. Das Meer wird immer türkiser. Die sandige Bucht von Platis Gialos schimmert schon herüber, ein Katamaran liegt dort. Im Schatten der Tamarisken verteilt sich ein knappes Dutzend Badegäste, teilt den überschaubaren Strand mit acht Enten. Schnell aus den verschwitzen Wanderklamotten ins Badezeug, rein ins Meer. Es geht eewig lange flach hinein, herrlich sandig. Minifische beißen an den Beinen – Fisch-Spa original und gratis.

Anschließend ausruhen. Schnorchler beobachten, die mit dem Auto gekommen sind. Der Katamaran verschwindet, wir sehen ihn am Abend in Lipsi-Stadt. Vier Franzosen mühen sich ins Wasser. Richtig was los hier. Aber eigentlich ist der Strand den langen Weg nicht wirklich wert – da ist der Ortsstrand Liendou auch nicht schlechter. Und weitere Badeplätze auf der Insel wollen wir uns noch ansehen.

Die Schatten werden schon länger als wir uns auf den Rückweg machen, nun auf der Straße, der Weg zieht sich. Gelegentlich begegnet uns ein Moped oder eine Mietauto - da will noch jemand schnell zum Baden. Ein Hund rennt hinter einem Motorroller her, das Herrchen wartet ab auf das leicht hinkende Tier. Schafe werden in Pferchen gefüttert, ein Mann auf seinem Esel reitet vorbei. Angenehmer einheimischer Alltag ohne Effekthascherei für Touristen. Um sechs Uhr abends ist der Liendou-Strand leer. Wir freuen uns auf ein kühles Radler auf unserem Balkon, und auf das Abendessen.

Vorher kommt noch die „Nissos Kalymnos“ von Samos. Sie bringt einige Gäste, und ein inseltypisches Verlademanöver: ein LKW mit Kran geht von Bord, lädt schnell und unter Mithilfe zahlreicher (laut-) starker Männer zwei Container auf, und fährt auf das wartenden Schiff zurück. Da hält man sich besser abseits damit man nicht unter die Räder kommt oder von der Hafenpolizistin im wahrsten Wortsinn zurückgepfiffen wird. Und dann legt das Schiff schon wieder ab, das Ticketbüro schließt, das Gebäude am Hafen liegt im Dunkeln. Die Frau vom „Panorama“ hat einen Gast abgeschleppt, ein britisches Paar seine Grünpflanzen verstaut.

Und wir gehen zu „Yiannis“, der Taverne in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Deren Besitzer in dieser Saison ein Faible für Pink hat – von den Blumentöpfen über die Zierkürbisse bis zum Boot – alles in Pink. Vielleicht war es aber auch nur ein Sonderangebot beim örtlichen Baumarkt.

Es hat eine Tischreihe draußen auf der Terrasse, aber wir gehen hinein in den verglasten Bereich, wo es ziemlich voll ist. Die Portionen Skordalia, Lamm mit Zitronenkartoffeln und die Leber vom Grill sind reichlich, aber wir haben Hunger und verputzen alles. Nachher noch ein Dessert aufs Haus: Ja, da kann man auch wiederkommen.

 

Lipsi gefällt uns.