Auf den Kali Limni

Der Berggipfel des Kali Limni ist frei, das zeigt der erste Blick am Morgen. Die Cousine steuert heute das Auto, die Fahrt nach Messochori dauert eine knappe halbe Stunde, schon früher als gedacht sind wir dort und laden Theo samt Trolley ein. Ganz schön groß, sein Gepäckstück – da wird er sich für die Fahrt nach Pigadia am Mittwoch eine andere Fahrgelegenheit suchen müssen – unser Kofferraum ist mit unseren Reiseutensilien schon voll.

 

Die Mutter und die Tante haben beschlossen, den Tag in Arkassa zu verbringen und nicht mitzufahren – auf der Alm wäre es ja sicher kalt wenn sie vier Stunden auf uns warten müssten. Schade, aber wie sie wollen. Theos Wanderpläne bringt das insofern durcheinander, als er gar nicht unbedingt mit auf den Gipfel wollte, sondern nur soweit wie er Lust hat, und dann zurück auf die Lastos-Alm zu Unterhaltung der Mütter. Mal sehen wie sich der Aufstieg nun gestaltet.

 

Wieder zurück zur Inselmitte – bei Pylés merken wir, dass der Sprit knapp werden könnte, wir kennen das Auto ja nicht. Die nächste Tankstelle ist laut Karte zwischen Aperi und Pigadia, es gibt eine Abkürzung südlich von Othos, beim Kloster Agios Giorgios Vasson vorbei. Das ist vor Othos auch rechts ausgeschildert, aber trotzdem ist es die falsche Straße, und nachdem sie schlechter und schmaler wird, landen wir wieder auf Neben- und Feldwegen in Othos. Das war schon mal nichts. Durch Aperi durch – das langgestreckte Dorf, das sich über zahlreiche Höhenmeter verteilt, ist immer wie ausgestorben wenn wir durchfahren. Unterhalb kommt uns eine einsame Radfahrerin entgegen. Radfahren auf Karpathos – es gibt viele Arten sich zu quälen, man muss nicht unbedingt zu Fuß gehen.

 

Der Tankwart soll für 40 Euro tanken, der Liter kostet um 1,80. Als er bei zwanzig Litern ist geht er weg zum Telefonieren, mit dem noch laufenden Benzinhahn im Tank. Da muss ich schnell einschreiten – soll er sich doch woanders sanieren. Quittung gibt es natürlich keine.

 

Dann wieder bergwärts, die Radlerin passieren wir erneut oberhalb von Aperi. Hat die ein Tempo drauf! Hinter Volada geht es rechts zu Lastos-Alm ab, eine wunderbare Strecke, und selbst für Ängstliche akzeptabel und mit soliden Leitplanken begrenzt.

Die Lastos-Alm liegt in einer grünen Hochebene auf etwa 800 Metern Höhe zwischen den Gipfeln des Vounaros (869 m), des Kolla (983 m, militärisch genutzt) und des Lastos (975 m) und dem Massiv des Kali Limni und Stroumboulas auf der anderen Seite. Als wir das Auto an der Taverne „I Kali Kardia“ abstellen ist es schon fast zwölf Uhr (und ich hab schon wieder Hunger und nur wenig Proviant dabei). Für einen Frappé in der Taverne bei Thanassis reicht die Zeit aber noch (nicht aber für ein Bad im vollen „Pool“). Wir sind die einzigen Gäste, er erklärt uns, dass heute bestes Gipfelwetter wäre, und was er uns nach der Rückkehr so zum Essen anbieten könnte: Hase, Huhn, Artischocken…. Hmmm, das klingt gut, mir läuft das Wasser im Munde zusammen! Können wir das Essen nicht vorziehen…? Nein?

Dann zeigt er uns noch den Einstieg, und um Viertel nach zwölf ziehen wir los.

Der Wegzeiger an der Kreuzung (der andere Weg führt nach Spoa) benennt die Weglänge des KA 15 ab hier mit 2,21 Kilometern und einer Gehzeit von 1 Stunden 31 Minuten. Da war aber jemand ganz genau!

Ein Paar ist vor uns auf die Piste gegangen, das ist praktisch, denn so müssen wir den Weg nicht suchen. Der ist aber meist gut markiert mit roten Punkten und Steinmännchen.

Schnell liegt die Lastos-Hochebene unter uns. Nach zwanzig Minuten überholen wir das Paar, aber die Frau bricht den Besteigungsversuch kurz darauf ab und überlässt den Gipfel ihrem Mann alleine. Der Mann zieht vorbei (was natürlich nur daran liegt, dass Barbara und ich immer mal auf Theo warten, der sowohl bergauf wie auch bergab ein gemütlicheres Tempo vorzieht ;-) ).

Trotz der Steigung ist es ein angenehmes Wandern. Es ist nicht so heiß, ein Wind sorgt für Erfrischung, und zwischen den Felsen hat es saftig-grüne Bibernellen-Kissen, und sogar ein paar kleine Bäume.

 

Das letzte Stück geht es nochmals richtig steil und geröllig aufwärts, da kommt uns der Mann des Ex-Paares schon wieder entgegen. Natürlich ist er Deutscher, und er meint es wäre nicht mehr weit, vielleicht noch zehn Minuten. Und wirklich – kurz darauf sind wir auf einem Sattel und nach links geht es flach zum Gipfel. Der ist dank eines Kreuzes nicht zu übersehen: hier liegt Kali Limni, 1215 Meter hoch, verstorben im Mai 2011.

Nein, natürlich nicht, aber irgendwie sieht das Gipfelkreuz wie ein Grabkreuz aus. Passend dazu der ehemalige Gipfelstein wie ein Grabstein. Gespendet haben das Kreuz die niederösterreichische Naturfreunde, und in einem massiven  Blechkasten an der Basis ist ein Gipfelbuch drin.

 

Die genannte Wegzeit von einer Stunde 31 Minuten haben wir nur unwesentlich überschritten – ich würde sagen, eine Stunde 33 Minuten. Theo braucht noch etwas länger, Vorrecht der Älteren.

 

Das Gipfelpanorama ist wirklich toll und reicht im Süden bis über Arkassa und Kap Vólakas hinaus, im Norden erkennen wir den Sattel zwischen dem Profitis Ilias und dem Koryfi, auf dem Olymbos liegt. Dahinter das Orkili-Massiv und Saria. Zu unseren Füßen liegt Lefkos, 1200 Meter tiefer. Schön, dass es heute relativ klar ist.

Natürlich verewigen wir uns im Gipfelbuch, und plötzlich ist richtig Verkehr auf dem Gipfel: eine junge Frau kommt alleine herauf – Radlershorts und grünes T-Shirt an. Heh, die kennen wir doch: es ist tatsächlich die Radlerin, die wir vorhin zwei Mal passiert haben. Peanuts für sie mal eben mit dem Rad von Pigadia auf die Lastos-Alm zu radeln und auf den Kali Limni zu wetzen. Teil drei des karpathiotischen Triathlon wäre es nun, nach Saria zu schwimmen, aber da käme ja noch eine Rad- und Wanderetappe vorher. Wir erstarren in Ehrfurcht, und natürlich machen wir wie gewünscht ein Gipfelfoto von ihr, und sie von uns – wie fast alle Touristen in Karpathos‘ Bergen ist sie Deutsche. Wir werden sie wiedersehen, auf der Fähre nach Diafani, und sie wird im gleichen Hotel wie wir wohnen und auch den Norden von Karpathos erradeln und -wandern ehe sie via Kreta nach Kythira weiterzieht. (Falls du das liest – bitte melde dich und sag mir wie es dir dort gefallen hat!) Sie hat es eilig, steigt ziemlich schnell wieder ab.

 

Alle Touristen in Karpathos‘ Bergen sind Deutsche? Nein, denn nun kommt noch ein französisches Paar, und sie haben tatsächlich den ganzen imponierenden Aufstieg von Lefkos hinter sich, alle 1215 Meter. Und manche davon noch doppelt, denn die Wegführung war unklar und zugewachsen. Sie sind ziemlich am Ende, und haben eigentlich keine Lust, auf diesem Weg wieder abzusteigen.

Die Alternativen: runter zur Lastos-Alm und von dort nach Adia abzusteigen. Ob dort der Weg besser ist? Oder wir nehmen sie mit bis zu Kreuzung der Küsten- und der Bergstraße, ab dort (oder ab der Lastos-Alm) ein Taxi (nein, wir gurken heute nicht noch mal bis Lefkos!). Die Taxikosten schrecken sie (die Anfahrt ab Pigadia muss man ja auch bezahlen), und so werden sie den gleichen Weg zurück genommen haben. 1200 Meter Abstieg. Ich versteh es nicht – so was überlege ich mir doch vorher, und die Welt kostet ein Taxi auch nicht. Billiger als ein (Ab-)Sturz auf losem Gelände beim Abstieg – ok, ich hab da seit Salina diesbezüglich eine leichte Paranoia. Aber sie kennen ja jetzt den Weg (hoffe ich).

Gegen drei Uhr machen wir uns an den Abstieg zur Lastos-Alm, und bergab geht es wirklich nicht wesentlich schneller als bergauf. Auf dem letzten Stück haben wir nochmals Mühe, den Weg zu finden. Und was ist das überhaupt für ein komisches eingezäuntes sumpfiges Stück auf halber Höhe? Sollte das der „gute See“, der kali limni sein?

Bis Theo auch am „Kali Kardia“ eintrifft ist es halb fünf vorbei, und ich hab saumäßig Hunger! Thanassis, der Wirt, kommt schon drohend mit der Rakí-Flasche, bittet uns aber doch zuerst in die Küche zum Zeigen der Speisen (vorbei an einem von der Decke an der Waage hängenden ganzen geschlachteten Zicklein – 7 Kilogramm schwer): Wir ordern Huhn (sehr lecker!), gekochtes Artischockengemüse (auch lecker), Fava und Gigantes (schmackofatz). Dass Theo jetzt kaum was isst und sich lieber per Mythos ernährt macht da eigentlich nichts aus – die Cousine und vor allem ich verputzen alles, und auf dieser Basis kann uns auch der selbstgebrannte Schnaps von Thanassis nichts anhaben. Wir finden, die „Großmütter“ haben heute was verpasst auf der Lastos-Alm.

Danach dauert es bis wir wieder in unserem Domizil in Arkassa sind, und nochmals bis wir für Theo ein Quartier finden, das ihm konveniert. Der Herr ist wählerisch – die Quartiere am Strand sind ihm zu weit weg vom Ort (das „Glaros“ hatte ich ihm schon aus Kostengründen nicht nahegelegt – manche Fehler mache auch ich nur ein Mal). Und bei „Popi“ war die namensgebende Wirtin gerade nicht da. So machen wir noch einen Einkehrschwung auf ein Radler an der Platia, wo heute eine Vorstellung der Kandidaten für die bevorstehende Kommunalwahl stattfindet. Die Platia ist bestuhlt und wird heftig beschallt, aber wir flüchten bevor das Spektakel richtig losgeht – brauchen wir jetzt nicht. Theo bekommt sein Zimmer bei „Popi“ und kann sich später dem Dorfleben in Arkassa widmen, und die Cousine und ich jede einen mürben Keks von Popi.

Auch die Mütter haben den Tag entspannt verbracht und spät im „Kriti“ zu Mittag gegessen. Das Abendessen fällt deshalb aus beziehungsweise besteht aus einem Vesper mit einer begleitenden Flasche Wein bei (elektrischem) Kerzenlicht auf unserem Balkon. Ein Festessen für die Mücken – da hilft auch das in der Apotheke erworbene Insektenspray nicht wirklich.

 

Es war ein schöner Tag, und das erste meiner drei gewünschten größeren Wanderziele auf Karpathos habe ich erreicht. Mal sehen wie es weitergeht.

 

 

PS:

Und so hat Theo den Tag erlebt:

http://theo48.wordpress.com/die-inseln/karpathos-mai-2014/der-kali-limni-nicht-klein-aber-fein/